Chapter 2 - Walkürenwald

Leo blickte neugierig zu Trevor hinüber. "Was meinst du damit?" fragte er.

Trevor seufzte und deutete auf seine Tränke. "Ich benötige einige Kräuter, um weiterhin Tränke brauen zu können. Normalerweise würde ich Abenteurer damit beauftragen, diese zu besorgen oder ich würde sie einfach von einem Händler kaufen. Aber momentan kann ich das nicht, weil ich alle Hände voll zu tun habe, die Tränke zu verkaufen. Wenn du das für mich erledigen könntest, wäre es möglich, dass ich dich sogar in Zukunft einstelle", erklärte Trevor.

"Also soll ich diese Kräuter für dich finden?" fragte Leo.

"Genau. Insbesondere die Glimmerwurzeln. Es ist die Wurzel einer Pflanze, die ein schwaches, glimmerndes Licht abstrahlt. Der Stängel selber ist nutzlos, aber die Wurzel kann für die Herstellung von Heiltränken verwendet werden. Ich zahle dir 10 Sternenmünzen für jede Wurzel, die du findest", sagte Trevor.

Leos Augen funkelten. Eine Sternenmünze konnte eine Mahlzeit erkaufen, also würden 10 Sternenmünzen ihn und Daphne zwei Tage lang versorgen. Er müsste nur 5 Glimmerwurzeln finden, um für 10 Tage versorgt zu sein.

"Und wo finde ich Glimmerwurzeln?" erkundigte sich Leo.

"Im Wald der Walküren", sagte Trevor mit ernster Stimme.

Leos Augen verloren schlagartig ihren Glanz. Der Wald der Walküren war der Wald, der an Solhaven, die Stadt, in der sie sich befanden, angrenzte. Er war voll von gefährlichen Monstern, die einen Erwachsenen in Stücke reißen könnten. Darüber hinaus gab es dort einige magische Bestien, die sogar Zauber wirken konnten. Für diese Bestien würde er sofort zur Beute werden.

Trevor bemerkte seine Bedenken und versicherte: "Ich weiß, es scheint gefährlich, und das ist es auch. Aber die Glimmerwurzeln wachsen am Rand des Waldes, und dort sollten keine magischen Bestien sein. Etwaige Bestien sollten von den Stadtwächtern erledigt werden. Du bekämest nur Probleme, wenn du dich zu tief in den Wald wagst."

Leo überlegte kurz. Er wusste, das Geld, das er verdienen könnte, würde ihm enorm helfen. Er suchte Trevors Gesicht nach einem Anzeichen von Zuverlässigkeit ab.

"Wie viele Wurzeln, meinst du, kann ich finden?" fragte er Trevor.

"Wenn du eine Stunde lang suchst, solltest du etwa 15 Wurzeln finden. Sie wachsen meist beieinander", antwortete er.

"Wie oft verkaufst du hier?" fragte Leo weiter.

"Sehr oft. Wirst du es tun?" fragte Trevor.

"Ja", antwortete Leo und ging das Risiko ein, basierend auf dem Eindruck, den Trevor bei ihm hinterlassen hatte."Denk dran: Geh mit einem Ziel, sei nicht gierig und riskiere nicht dein Leben", mahnte Trevor.

Leo kehrte zur Hütte zurück, um sich auf den Job vorzubereiten. Er besaß nicht viel, doch ein Messer hatte er dabei, um sich in der Welt zu schützen. Er wusste, dass es gegen Bestien nicht viel ausrichten würde, aber es war besser als gar nichts.

Leise nahm er das Messer aus dem einzigen Schrank im Zimmer – er wollte Daphne, die noch schlief, nicht beunruhigen. Sie würde sich nur um seine Sicherheit sorgen. Das Messer steckte er sorgfältig in seine Kleidung und verließ eilends die Hütte.

Zielstrebig ging er in Richtung Waldrand. Die Hütte, in der er und Daphne lebten, befand sich in den Slums, dem Wald am nächsten gelegen. Die Söldnergilde lag nahe am Wald, um die Bändigung von Monstern zu erleichtern. Er passierte die Stadtmauern, die die Stadt vom Wald der Walküren trennten.

Die Tore standen tagsüber offen, Wachen waren am Ausgang nicht zu sehen. Die meisten Sicherheitskräfte waren an der inneren Mauer, die den Adel beschützte. Um die einfachen Leute kümmerte man sich kaum, zu wenige Wachen waren vorhanden, und auch nur, um die Tore im Falle eines Monsterangriffs schließen zu können.

Leo verließ das Tor und trat an den Rand des Waldes – oder besser gesagt, fast. Das Land gleich außerhalb der Stadtmauern war durch frühere Monsterkämpfe verödet. Um an den Waldrand zu gelangen, musste er eine Meile laufen.

Als er den Wald erreichte, brannte die Hitze. Die Sonne begann gerade, sich vom Zenit zu neigen. Er nahm ein Brötchen hervor, das er mit seiner letzten Sternmünze erworben hatte, und verschlang es hastig. Seine Hände waren etwas schmutzig, also wischte er sich die Krümel ab.

"Auf geht's. Mindestens 15", murmelte er. An seiner Seite trug er eine Tasche, in der er die gesammelten Kräuter verstauen wollte. Doch die Tasche war alt und nahezu unbrauchbar.

Im Wald boten die Bäume Schatten vor der Sonne. Er hielt Ausschau nach glänzenden Objekten. Hoch gewachsenes Gras versperrte ihm die Sicht – keine leichte Suche.

Nach etwa fünf Minuten ziellosen Herumirrens entdeckte er schließlich ein schimmerndes Licht im Gras, einige Meter entfernt. Er näherte sich und fand die gesuchte Pflanze.

Die Pflanze ragte circa anderthalb Fuß hoch und verströmte ein sanftes Licht. Mit seinem Messer begann Leo, die weiche Erde zu lockern und zog die Pflanze behutsam heraus. Wurzel und Stängel leuchteten. Zufrieden verstaute er die Pflanze in seiner Tasche.

Er schaute sich nach weiteren Pflanzen um, da Trevor erwähnt hatte, dass Glimmerwurzeln beieinander wachsen. Tatsächlich fand er zwei weitere Pflanzen, keine fünf Yards (Anm. d. Ü.: Yard = 3 Fuß = circa 0,9 Meter) entfernt. Er griff schnell zu und hob sie aus.

In der nächsten Stunde fand Leo insgesamt 23 Glimmerwurzeln – einschließlich der ersten drei.

Er war gerade auf der Suche nach weiteren, als er ein Knurren hörte. Langsam drehte er sich zu dem Geräusch um. Zehn Yards entfernt näherte sich ihm ein Wolf, Speichel tropfte aus seinem Maul.

"Ich bin aufgeschmissen."