Ihre Augen flackerten hinter geschlossenen Lidern, als das Bewusstsein langsam ihren trüben Geist durchdrang. Sie blinzelte, doch ihre Umgebung verschwamm vor ihren Augen, das Licht sandte einen dumpfen Schmerz durch ihre strapazierten Augen – schnell schloss sie sie wieder. Mit einem Stöhnen wollte sie ihre Hände an den Kopf führen, doch sie gehorchten ihr nicht. Seltsam – sie versuchte es erneut, aber es gelang ihr nicht.
Mit zusammengezogenen Brauen zwang sie ihre Augen zu weiteren Blinzeln; allmählich holte ihr Verstand sie ein und trieb sie dazu, unablässig an ihren Fesseln zu ziehen. Beim Herabsehen stellte sie fest, dass ihre Hände und Beine mit dünnen silbernen Ketten gefesselt waren, die eng an ihre Haut drückten und Rötungen sowie Juckreiz verursachten. Die Ketten hielten sie fest auf dem Holzstuhl, auf dem sie saß, gefangen.
Plötzlich überkam sie Panik. Bilder der vorangegangenen Nacht schossen ihr durch den Kopf: der Lauf, die Verfolgung durch Wölfe und Männer, und dann diese beiden Schläge auf den Kopf mit einem verdammten Baseballschläger!
Entführt. Sie war entführt worden.
Bravo, Aila, das hast du ja toll hinbekommen.
Sie zerrte unaufhörlich an ihren Fesseln, wobei der Stuhl knarrte und ihr Oberkörper vor Anstrengung zitterte. Sie stieß einen frustrierten Schrei aus und ließ sich wieder in den Stuhl sinken.
Denk nach, Aila, denk nach!
Ihr Körper fühlte sich plötzlich erschöpft und schwach an, ihre Kräfte schwanden. Sie hätte nicht gedacht, dass so viel Bewegung sie so schwach machen würde. War sie etwa unter Drogen gesetzt worden? Es gab keine andere plausible Erklärung für ihr momentanes Gefühl – nicht einmal ein Schlag auf den Kopf könnte dies bewirken.
Aila ließ ihren Blick hektisch durch den Raum schweifen. Neben ihr standen schlichte braune Schränke, auf denen Spritzen und Glasröhrchen lagen. Über den Schränken hingen zerrissene Poster des menschlichen Körpers, gegenüber stand ein von Motten zerfressenes Einzelbett mit daran befestigten Lederriemen.
Der schwache Geruch von antibakteriellen und Reinigungsmitteln stieg ihr in die Nase. Ihr wurde klar, dass sie sich in einer Art Krankenhaus befand. Bei dem Anblick des Bettes dachte sie an eine psychiatrische Anstalt – kein normales Krankenhaus würde wohl seine Patienten fesseln, oder?
Ein Lachen entfuhr ihr, als ein Gedanke sie überkam: Vielleicht war sie ja tatsächlich am richtigen Ort, denn was ihr widerfahren war, konnte einfach nicht real sein. Ein Schütze, Wölfe, ein Armbrustschütze und dann noch der Mann mit dem Baseballschläger – warum wollten sie sie umbringen und dann entführen? Womöglich war sie überarbeitet, erschöpft, hatte sich alles nur eingebildet und den Bezug zur Realität verloren. Sollte sie je wieder hier herauskommen, würde sie sich definitiv eine Auszeit gönnen.
Ehe sie ihren Gedanken weiter nachhängen konnte, schwang die Tür auf. Ein kahlköpfiger Mann stürmte herein, knallte die Tür hinter sich zu, griff nach einem Stuhl und drehte ihn um, um mit dem Rücken zur Lehne darauf Platz zu nehmen. Sie saßen schweigend da; Aila wich seinem durchdringenden, einschüchternden Blick nicht aus.
Nach einer Weile begann sein Kiefer zu zucken. Sie spürte, wie Nervosität in ihr aufstieg, als die bedrückende Stille des nüchternen Krankenhauszimmers zu viel wurde. Aila gab nach und sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam:
"Ich bin nur eine arme Studentin. Ich habe kein Geld."Der Mann lächelte sie bedrohlich an: "Geld interessiert uns nicht."
Ailas Stirn legte sich in Falten bei seiner Antwort, dann setzte Panik ein, als ihr Herz wieder laut zu schlagen begann. Wenn sie kein Geld wollten, was dann? Ihre kristallblauen Augen weiteten sich, und Tränen formten sich, trübten ihre Sicht auf den Mann vor ihr.
"Bitte..."
"Erspare mir das Weinen, du dummer Köter. Hier zieht das nicht."
Unwillkürlich schluckte sie, blinzelte, um ihre Sicht zu klären, und suchte verzweifelt nach einem Funken Menschlichkeit in seinen Augen. Doch sie fand nichts, nur leere Blicke entgegeneten ihr, gefühllos. Die Stille kehrte wieder in den Raum zurück, ihr wurde unbehaglich zumute, sie brauchte dringend Antworten. Mit einer plötzlichen Welle von Mut hob sie ihr Kinn und sah ihrem Entführer entgegen,
"Was willst du also?"
Seine Lippen verzogen sich abschätzig,
"Dich loswerden. Befehl ist Befehl."
"Mich loswerden? Willst du etwa deiner Mordlust freien Lauf lassen, ein unschuldiges Mädchen entführen und dann umbringen? Ich kenne Krimis. Ich weiß, wie das läuft. Psychopath!" konterte sie,
"Unschuldig! HA! Von Unschuld kann bei dir keine Rede sein. Du bist ein Gräuel für die Menschheit."
"Ich studiere Tiermedizin, nur damit du es weißt. Ich helfe Tieren und Menschen. Der Gräuel hier bist du -"
KLATSCH
Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert; die Wucht seines Schlags war so heftig, dass sie beinahe umgekippt wäre und den Stuhl mit sich gerissen hätte. Doch sie fing sich, blickte ängstlich zu dem Mann auf, der nun kerzengerade vor ihr stand, seinen Stuhl mit lautem Krachen zur Seite gefegt hatte. Er packte sie an ihrem Kapuzenpullover, zog sein Gesicht gefährlich nah an ihres heran und deutete mit einem Finger auf sie,
"Ich bin ein Jäger. Mongrel wie dich zu töten, ist eine Ehre. Du kannst von Glück reden, dass ich dir nicht längst eine Silberkugel durch deinen hübschen kleinen Kopf gejagt habe."
Sie sog scharf die Luft ein und starrte in die bodenlose Leere, die seine Augen waren."Ich habe zwar den Befehl, dich nicht zu töten, aber von Folter war nicht die Rede."
Er begann, zu den Schränken an der Seite zu gehen, während Aila bei dem Gedanken, gefoltert zu werden, sichtlich zu zittern begann. Wenn sie Bücher über solche Situationen gelesen oder Sendungen gesehen hatte, dachte sie immer, dass sie an ihrer Stelle die Schmerzen ertragen könnte, aber er wollte keine Antworten aus ihr herausholen; er wollte sie zum Vergnügen foltern. Ihre Augen weiteten sich, als er ihr eine Spritze entgegenhielt.
"Was... was ist da drin?" stotterte sie.
Seine Augen funkelten vor Vergnügen, als er die Spritze an sein Gesicht hielt; er betrachtete den klaren Inhalt und zog den Hebel, um etwas Flüssigkeit herauszuspritzen.
"Das hier ist Wolfseisenhut." Sagte er und ein bösartiges Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus.
Er hielt eine weitere Spritze mit silberner Flüssigkeit in der Hand: "Und das hier ist verflüssigtes Silber. Mit ein paar anderen Bestandteilen, um sicherzustellen, dass es flüssig bleibt", sagte er abschätzig.
Er sah sie an und wartete auf eine Reaktion, und als er keine sah, verschwand sein Lächeln, und er stürzte sich auf sie und stieß ihr die Spritze unsanft in den Hals.
"Ahh!"
Aila biss die Zähne zusammen, als die Spritze ihre Haut an einer so empfindlichen Stelle scharf durchbohrte. Aber der Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, was als Nächstes kam: Er drückte die klare Flüssigkeit in sie hinein. Ein heißes, brennendes Gefühl schoss aus ihrem Hals und durchzog ihren Körper; sie spürte, wie sie zu zittern begann, während sich ihr Gesicht vor Schmerz verzerrte. Sie fühlte sich, als würde sie in Flammen stehen. Ihre Halsvenen drohten zu platzen, sie konnte es spüren. Tränen liefen ihr über die Wangen, als ein Schrei ihre Lippen verließ.
Ihr Entführer grinste über den Anblick, der sich ihm bot: "Blöder Scheißköter."
Sie bekam einen weiteren rechten Haken ins Gesicht und dann in den Magen, so dass ihr Atem in einem lauten Keuchen aus ihrer Lunge entwich, als sie sich durch den Aufprall nach vorne beugte. Ihr Entführer warf ihr einen unangenehmen Blick zu, als sich ihre Gesichter näherten, und packte sie an ihrem Pferdeschwanz; er zerrte sie zurück auf den Stuhl. Obwohl seine Schläge schmerzhaft waren, brannte ihr Körper innerlich immer noch lichterloh. Es kostete sie all ihre Energie, wach zu bleiben und durch die Wolke des Schmerzes zu sehen.
"Warum?" Sie keuchte auf; sie konnte einen so schrecklichen Mann nicht verstehen.
Statt zu antworten, versetzte er ihr einen weiteren Schlag ins Gesicht; Sterne tanzten nun vor ihrer verdunkelten Sicht, während sie langsam blinzelte. Gerade als er wieder zuschlagen wollte, öffnete sich die Tür und hielt ihn von seinem Angriff ab. Aila atmete tief ein und versuchte, so viel Sauerstoff wie möglich wieder in ihren Körper zu bekommen, da sie sich von seinem Angriff erschöpft fühlte. Ihre Gedanken wirbelten chaotisch in ihrem Kopf herum, ohne auf den Neuankömmling im Raum zu achten.
"Warum bekommt dieses Miststück eine Sonderbehandlung?"
Aila hob mühsam den Kopf, um zu erkennen, was die Unterbrechung zu bedeuten hatte. Sie beschwerte sich nicht darüber; alles war besser, als von diesem Wahnsinnigen verprügelt zu werden. Aber sein Kommentar zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Es musste einen Grund geben, warum sie sich hier befand und am Leben gelassen wurde. Sie konnte allerdings nicht verstehen, was der Neuankömmling sagte.
Stattdessen musterte sie sein Aussehen und lauschte angestrengt. Der neue Entführer trug einen weißen Laborkittel, sein braunes Haar war unordentlich, Bartstoppeln zierten sein Kinn, und seine runden Brillengläser rutschten ständig die Nasenbrücke hinunter, die er immer wieder hochschob, während die beiden hitzig diskutierten. Ihre Stimmen waren mittlerweile laut genug, dass sie ihr Gespräch mitverfolgen konnte.
"Ich dachte, sie wäre ein Ausgestoßener!" fauchte der erste Entführer.
"Sie ist die Richtige."
"Das kann nicht sein. Ich kann bei ihr das Wolfsein nicht erkennen. Das einzige Anzeichen, dass sie einer dieser Mistviecher sein könnte, ist ihre Reaktion auf das Wolfseisenkraut. Sie muss eine Ausgestoßene sein."
"Wenn sie wirklich ein Ausgestoßener wäre, meinst du, der Boss würde dich davon abhalten, sie zu töten? Sie sehen sich extrem ähnlich, Connor. Wir werden für diese Sache fürstlich belohnt werden."
Connor, der überraschte Mann, hielt inne, als 'Laborkittel' dies aussprach. Ailas Interesse war nun noch stärker geweckt, als sie 'sie ist die Richtige' und 'sie sehen sich sehr ähnlich' aus ihrem gedämpften Streitgespräch herausfilterte.
"Hey", ihre Stimme klang schleppend und ihre Unterbrechung rief keine Aufmerksamkeit hervor, also räusperte sie sich, "HEY, es tut mir leid, euren Streit zu unterbrechen, aber wenn ihr über mich sprecht, würde ich es bevorzugen, wenn ihr es mir ins Gesicht sagt."
Die beiden drehten sich zu ihr um. Der Mann im Laborkittel schob seine Brille hoch; Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Connor hingegen kam auf sie zu und gab ihr eine Ohrfeige. Danach wandte er sich wieder an 'Laborkittel', unbeeindruckt von seiner Handlung.
"Sie lebt noch. Ich verstehe nicht, wo das Problem ist."
"Wir brauchen so exakte Ergebnisse wie möglich. Du verzögerst alles, indem du die Probe schwächst, bevor ich überhaupt anfangen kann. Folge den Anweisungen, bring sie in eine Zelle, der Boss wird nicht erfreut sein, wenn sie sich immer noch in diesem Zustand befindet, wenn er eintrifft", sagte der Mann im Laborkittel bestimmend, bevor er auf sein Klemmbrett blickte und leise Zahlen murmelte, um dann den Raum zu verlassen.
Ein Seufzer der Erleichterung entwich ihr, als sie realisierte, dass sie nicht mit Connor im Raum bleiben würde, sondern in eine Zelle gebracht werden sollte. Es war zwar immer noch nicht die ideale Situation für sie, aber alles war besser, als ständig Connors Prügelknabe zu sein.
Er schaute zu ihr zurück und verhöhnte ihre Reaktion, bevor er zu ihren Füßen auf den Boden spuckte.
"Du wirst dir wünschen, nie geboren worden zu sein, nachdem er mit dir experimentiert hat."