Ich verliebte mich in die zerbrochenen Teile von dir – jedes einzelne Stück, das unter meiner Berührung zerfiel. Jetzt, da ich in der Asche unserer Liebe stehe, frage ich mich, ob ich deine Zerstörung war.
Lina fuhr aus dem Schlaf hoch, berührte ihr Gesicht. Immer wieder derselbe Traum, derselbe Schmerz, dieselben Tränen. Diese eine Zeile allein hätte es vorhersagen müssen – eine Liebesgeschichte, die dem Untergang geweiht war.
Diese eine Zeile aus ihren Albträumen ließ ihre Augen tränen und ihre Kehle zuschnüren, und sie wusste nicht, warum.
Lina rieb sich die Brust, spürte dort einen vertrauten Schmerz.
Dann bemerkte sie ihre Umgebung, all die Blicke, die sie anstarrten, als wäre sie verrückt. Wollten die etwa sagen, dass sie noch nie eine junge Frau im Bus weinen gesehen hatten? Sie hätten mal den Bus am Universitätscampus sehen sollen!
"Verdammt, das ist meine Haltestelle", murmelte Lina, griff hastig nach ihrer Tasche und verließ den Bus, gerade bevor sich die Türen schlossen.
Als Lina ausgestiegen war, holte sie tief Luft und ging zügig ins Museum. Zu spät – die Führung hatte sie schon verpasst.
Zum Glück war Lina eine Träumerin. Sie setzte ihre Ohrstöpsel ein und schlenderte durch das Museum, bis sie auf eine bestimmte Epoche stieß, deren Geschichte hinter jedem Antiquitätenstück sie kannte.
Lina scrollte durch ihre Playlists, doch dann lief sie gegen eine harte Wand. Zum Glück hatten sich ihre Haut nicht berührt, das wäre peinlich geworden.
"Achten Sie auf Ihren Weg", sagte der Mann kalt.
"Entschuldigen Sie bitte…" Linas Herz schlug schneller, als sie aufblickte. Er war so attraktiv, dass sie das Atmen vergaß.
Die dunklen, nachdenklichen Augen des Mannes verengten sich missbilligend. Er erinnerte an den Typ Mann, vor dem ihre Mutter sie immer gewarnt hatte.
Und doch fühlte sich Lina seltsam verbunden zu ihm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen vor Schmerz, als hätte sie den größten Liebeskummer ihres Lebens erlitten. Es war, als würden sich der Boden unter ihren Füßen auflösen und jegliche Hoffnung schwinden.
Der Mann war ihr auf unerklärliche Weise bekannt.
Der Fremde reagierte nicht auf ihre Worte. Er ging vorbei, als wäre sie nicht mehr als Dreck an seinen Schuhen. Er wirkte wie eine lebendige rote Fahne, und sie war blind dafür.
Lina begann, sich durch die Geschichte Ritans, ihres Heimatlandes, zu lesen, hielt aber inne, als ihr klar wurde, warum er ihr bekannt vorkam. An der weißen Wand hing ein Porträt des Mannes von eben, nur in anderer Kleidung – der zweite König von Ritan, der Mann aus ihren Albträumen.
"Ich bin der Grund, warum du diese Schlacht niemals gewinnen wirst", wiederholte Lina die Worte.
"Diese Schlacht wurde längst gewonnen. Dein Königreich gehört mir", sagte jemand.
Lina wirbelte herum, als der Satz fortgeführt wurde. Es war der Mann von vorhin. Als Literaturstudentin konnte sie kaum glauben, dass jemand Worte zitieren konnte, die nie in den Geschichtsbüchern standen. Diese zweite Phrase kannte niemand außer dem zweiten König und der Frau, mit der er sie geteilt hatte."Sie haben den Text ganz falsch", höhnte der Mann, was sie noch stärker überraschte.
"Eure Hoheit?", murmelte Lina und brachte ihn zum Erstarren. Er verengte seine Augen wie ein Falke, der seine Beute ins Visier nimmt.
Der Mann ragte einschüchternd und riesig über sie auf. Er studierte sie genauestens, doch sie blickte auf, als hätte sie einen Geist gesehen.
"Sie – wie bitte, was?" Lina rang darum, einen vollständigen Satz zu bilden, und wandte ihren Blick vom Porträt zurück zum Mann. Das Gemälde war alt und vergilbt, aber die charakteristischen Züge waren noch deutlich erkennbar. Die angespannten Augenbrauen, sein ernster Blick und die strengen Lippen.
"Bin ich so attraktiv, dass Ihnen die Worte fehlen?" Der Mann höhnte weiter und beobachtete, wie das kleine Häschen hin und her huschte, eine Geste, die ihm allzu bekannt vorkam. Umgehend verdüsterte sich seine Miene. Er packte sie an den Schultern, um ein Ende zu setzen, dass sie ihm fast eine Schleudertrauma verpasste.
"Sie... wie können Sie noch am Leben sein?" fragte Lina.
Sein Gesichtsausdruck erstarrte. Um sie herum wurde es merklich kühler.
Lina blinzelte naiv, nicht realisierend, wie beleidigend das hätte klingen können.
"Was sagten Sie eben?" fragte er spöttisch, die Mundwinkel nach unten gezogen.
"Sie hätten tot sein sollen", sagte Lina leise, das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Jetzt erkannte Lina, warum er ihr so bekannt vorkam. Er glich dem Zweiten König von Ritan, der einst ihr Kindheitsfreund, dann ihr Geliebter, später ihr Feind war... und letztlich ein Fremder.
"Sie sollten Ihr Gehirn im nächsten Krankenhaus untersuchen lassen", entgegnete er, sie betrachtend, als wäre sie ein interessantes Tier.
"Ich kenne Sie", behauptete Lina. "Ich habe einst—"
Lina hielt inne und presste ihre Lippen zusammen. Um Himmels willen, sie klang wie eine Verrückte. Und dazu noch beleidigend.
Lina war entsetzt, dass sie ihn möglicherweise beleidigt hatte.
In einer modernen Welt, in der Vampire die Oberhand hatten, Menschen Jagdbeute waren und Werwölfe in den Schatten lauerten, konnte Lina es sich nicht leisten, Fremde zu beleidigen. Was wenn er einer von ihnen war? Einem reinblütigen Vampir. Oder noch schlimmer, einem Alpha.
"Sie wollten einst was tun?" drängte der Mann, sie prüfend anblickend. Er erkannte die Ähnlichkeit und war verblüfft. Was zum Teufel?
"Sie..." Der Mann streckte die Hand aus, um ihr Kinn zu ergreifen. Sein Finger strich kaum über ihre weiche Haut, bevor sie plötzlich die Augen aufschlug.
Er berührte nur einmal kurz ihre Haut. Doch das reichte aus, damit ihr Körper erschlaffte.
Ihre Knie gaben nach und sie fiel regungslos zu Boden. Das Letzte, was Lina spürte, waren seine warmen Arme, und das Letzte, was sie hörte, war seine leise Stimme, die genau jene Worte aus ihrem Traum wiederholte, in einem sanften, schmerzerfüllten Ton.
"…Ich frage mich, ob ich Ihr Unheil war."