In einem ungepflegten Zimmer, in dem überall Kleidung verstreut lag, ließ eine junge Frau, gerade zwanzig Jahre alt, das Buch fallen, das sie gerade las. Sie zog ihr Taschentuch, um sich die Nase zu schnäuzen, und brach plötzlich in Tränen aus.
„Wie kann das das Ende sein? Wie konnte Fu Mingze einfach so sterben, nachdem er alles für diese Yang Jia gegeben hatte, und sie hat sich immer noch für den egoistischen Gu Zhen entschieden statt für meinen Fu Mingze. Wie kann der Autor so grausam sein...", fragte sich Liu Yi, während sie immer mehr weinte.
Plötzlich klingelte ihr Telefon. Liu Yi nahm ab, sah, dass es ihre beste Freundin Duan Rian war. Sie schniefte und nahm den Anruf entgegen, zog das Telefon jedoch schnell von ihrem Ohr, als ihre beste Freundin mit erhobener Stimme sagte: „Ich wusste, dass du um diese Zeit immer noch diesen Roman lesen würdest. Es ist 3 Uhr morgens, Liu Yi, du solltest dich eigentlich auf deine Prüfung heute Morgen vorbereiten."
Liu Yi schnäuzte sich erneut die Nase und fragte: „Was lässt dich denken, dass ich nicht gelernt habe?"
„Wenn du den Autor und das Ende des Buches so sehr hasst, warum liest du es dann weiter? Und ich sage dir was, wenn du dieses Examen nicht bestehst, wird nicht einmal dein Fu Mingze deine Tante davon abhalten können, dich umzubringen."
Liu Yi spottete und sagte: „Sie war es, die mich überhaupt dazu gezwungen hat, die Universität zu besuchen. Ich wollte nur den Rest meines Lebens mit dem Lesen von Romanen verbringen, also ist es ihr Problem, nicht meins."
„Schämst du dich denn gar nicht? Du bist zwanzig Jahre alt und hattest noch nie eine Beziehung, du bist sogar der Dümmste in deinem Fachbereich, und trotzdem bist du besessen von einer fiktiven Figur. Dein Fu Mingze existiert nicht, also hör bitte auf, diesen Roman zu lesen, und bereite dich auf deine Prüfung vor. Wenn du diesen Kurs nicht bestehst, kann selbst das Geld deiner Tante nicht verhindern, dass die Schule dich exmatrikuliert.", ermahnte Duan Rian.
„Gut!!! Ich werde jetzt lernen, es ist ja nicht so, dass ich das ganze Gerede der Dozenten überhaupt verstehe."
„Wie solltest du auch etwas verstehen, wenn du die letzten drei Monate nur an Fu Mingze gedacht hast, einen Mann, den es gar nicht gibt. Weißt du, wie oft du diesen Roman schon gelesen hast? Erinnere dich daran, wie du alle überrascht hast, als du an die Universität gekommen bist. Überrasche sie auch, indem du das Studium abschließt, ok?"
„Ich habe gesagt, dass ich lernen werde. Du weißt, Fu Mingze mag keine Frauen, die viel meckern." sagte Liu Yi, doch als sie keine Antwort hörte, sah sie auf das Telefon und bemerkte, dass ihre beste Freundin bereits aufgelegt hatte. Liu Yi ließ ihr Telefon auf das Bett fallen und flüsterte: „Ich kann nicht glauben, dass sie einfach aufgelegt hat."
Liu Yi seufzte und dachte, dass ihre beste Freundin recht hatte. Ihre Tante würde sie buchstäblich umbringen, wenn sie die Prüfung wieder nicht bestehen würde. Mit diesem Gedanken im Kopf stand Liu Yi von ihrem Bett auf und ging zu ihrem Schreibtisch, stellte ein großes Lehrbuch auf und nach fünf Minuten Lesens schloss sie es wieder und flüsterte: „Die Schule ist doch nichts für mich."
Liu Yi drehte sich zu dem Roman auf ihrem Bett um und seufzte erneut. Selbst sie wusste nicht, warum sie so auf eine fiktive Figur fixiert war, besonders auf den zweiten männlichen Hauptdarsteller – sie empfand einfach zu starkes Mitleid für ihn. Der arme Kerl wurde nicht nur mit einem schwachen Herz geboren, er verlor auch seine Mutter im Alter von sieben Jahren und wurde von seinem Großvater aufgezogen. Jahre später, als er sich einer riskanten Operation unterzog, opferte er trotz seines schwachen Herzens seine Niere für sie. Als er ihr einen Heiratsantrag machte, lehnte sie ab und sagte ihm, dass sie Gu Zhen liebe und ihr Herz immer bei ihm sein werde.
Fu Mingze führte ein einsames Leben, und seine Einsamkeit vertiefte sich noch, als er seinen Großvater durch eine mysteriöse Krankheit verlor. Tränen traten Liu Yi in die Augen, als sie sich an die Worte erinnerte, die Fu Mingze sagte, als der Arzt ihn nach einer Herztransplantation fragte: „Wozu? Die einzige Frau, die ich je geliebt habe, wird in weniger als einem Monat heiraten, und sogar mein Großvater hat mich verlassen. Wenn ich mich dieser Herztransplantation unterziehen würde, für wen würde ich dann leben?"
Sie wusste, dass es nur ein Roman war, aber sie wünschte sich wirklich, sie könnte das Schicksal von Fu Mingze ändern, sie wünschte, er würde vor seinem Tod jemanden finden, der ihn liebt.
Mit diesem Gedanken im Kopf schloss Liu Yi endlich ihr Lehrbuch und legte sich zurück ins Bett. Sie hielt den Roman fest, als sie einschlief.
.....
„Kleines Fräulein, es ist Zeit aufzuwachen, sonst kommen Sie zu spät zur Schule."
Schule? dachte Liu Yi, als sie frustriert stöhnte. Ach ja! Sie hat um acht eine Prüfung, sie darf nicht zu spät kommen. Aber Moment, hat sie gerade jemand ‚kleines Fräulein' genannt? Seit wann war sie klein und seit wann war sie ein Fräulein?
Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, öffnete Liu Yi die Augen und sah eine Frau, die scheinbar in ihren Sechzigern war und sie lächelnd ansah. Ohne nachzudenken schrie sie laut: „Wie sind Sie hier reingekommen?"Die Frau in den Sechzigern schaute verwirrt, als plötzlich die Tür aufging und Liu Yi hätte schwören können, dass sie jetzt die schönste Frau der Welt ansah. Was ging hier vor? Warum waren eine alte Frau und eine schöne Frau in ihrem Zimmer? Moment mal! Ihr Zimmer? Wann ist ihr Zimmer so groß und ordentlich geworden und warum ist es so rosa?
Das war nicht ihr Zimmer. Waren sie entführt worden? Verwirrt von ihren Gedanken spürte Liu Yi, wie sich die schöne Frau näherte und sanft ihre Wange berührte. "Was ist los? Warum hast du geschrien, hattest du einen schlechten Traum?"
Liu Yi sah die Frau an. "Wer sind Sie?"
Die Sechzigerin runzelte die Stirn. "Was stimmt nicht mit dir? Wie kannst du fragen, wer deine Mutter ist?"
"Meine Mutter? Seit wann habe ich so eine schöne Mutter?" fragte Liu Yi überrascht. Ehrlich gesagt, erinnerte sie sich nicht an das Gesicht ihrer Mutter, denn solange sie denken konnte, hatte sich ihre Tante um sie gekümmert. Woher also diese schöne Mutter?
Die Schönheit lächelte plötzlich. "Dein Schmeicheln wird dich nicht von der Schule befreien, Yang Meiyi. Und schrei das nächste Mal nicht so, du hast keine Idee, wie sehr du mich erschreckt hast."
Yang Meiyi? Der Name kam ihr bekannt vor. War das nicht der Name von der Halbschwester der Hauptfigur? Seit wann trug sie denselben Namen wie diese?
Die bezaubernde Frau wandte sich an die ältere Dame. "Entschuldige ihre Schelmerei. Ich habe sie wirklich sehr verwöhnt. Du kannst gehen, ich mache sie fertig für die Schule."
Die ältere Dame lächelte. "Die Kleine ist erst zehn Jahre alt. Solche Streiche sind normal."
Zehn Jahre? Das betraf nicht etwa sie, oder? Liu Yi war eine zwanzigjährige Frau. Ohne auf die beiden einzugehen, stand sie auf und betrachtete sich. Ihre Hände waren klein, wie die eines Kindes, und sie merkte, dass sie viel kleiner war als gewöhnlich.
Sie sah die schöne Frau an. "Bin ich wirklich zehn Jahre alt?"
Die Frau sah besorgt aus. "Ich weiß, du willst schnell erwachsen werden, aber über Nacht wird man nicht groß. Das dauert noch acht Jahre."
Liu Yi berührte ihre Brust und bemerkte, dass sie wirklich im Körper eines Kindes steckte, denn nur ein Kind hatte so kleine Brüste. Sie schaute erneut auf. "Heiße ich wirklich Yang Meiyi, so wie die Schwester von Yang Jia, der Heldin?"
"Welche Heldin? Wie oft soll ich dir sagen, du sollst sie Schwester Jia nennen."
Verdammt! Sie war tatsächlich in dem Roman. Es blieb nur eine Sache zu bestätigen. "Wenn du meine Mutter bist, bist du dann Sang Xiu?"
"Freches Kind, wie kannst du es wagen, deine Mutter beim Namen zu nennen!" schimpfte die ältere Frau.
Sang Xiu lachte leise. "Schon gut. Vielleicht hat sie einen Albtraum gehabt."
Die Frau in den Sechzigern schimpfte. "Du verwöhnst sie zu sehr."
Sie war wirklich im Roman. Sie befand sich tatsächlich in derselben Welt wie ihr Fu Mingze. Liu Yi hätte vor Aufregung schreien können, als sie das realisierte, aber die Aufregung verflog sofort, als ihr etwas einfiel. Moment mal! War Yang Meiyi nicht mit achtzehn Jahren gestorben? Und das Schlimmste war, dass der Autor nie offenbarte, wer sie getötet hatte oder wie sie gestorben war.