Zum ersten Mal studierte Anastasia die Gesichtszüge der Frau. Sie hatte dichtes schwarzes Haar, das oben auf dem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Darla hatte schöne schwarze Augen und weiße Haut mit ein paar Sommersprossen auf der Nase und ein wenig auf den Wangen. Groß und athletisch gebaut, sah sie aus wie eine Kriegerin. Ihre schwarzen Lederhosen und ein schwarzer Pullover verliehen ihrer geschmeidigen Gestalt noch mehr Anmut. Sie hatte ein ovales Gesicht mit rosa Lippen. Ihre Nase war leicht nach oben gebogen, was ihr trotz ihres grimmigen Auftretens ein recht niedliches Aussehen verlieh.
Darla begann: "Ileus ist einer der besten Männer, die ich je in meinem Leben getroffen habe, und er verdient nur das Beste. Ich verstehe, was du hier vorhast. Tu es einfach nicht!"
Anastasia runzelte die Stirn. Sie kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. "Was meinst du damit?"
Darla atmete tief ein. "Ileus war sein ganzes Leben lang der Blickfang der Frauen gewesen. Ich meine, sieh dir diesen Mann an. Er ist brillant, ein Genie, gutaussehend und unfassbar begabt. Er hat ständig eine Schar von Frauen um sich." Sie spottete: "Und du versuchst, ihn um den kleinen Finger zu wickeln? Für wen hältst du dich eigentlich, wenn ihn keine andere Frau verführen kann? Außerdem wird er deiner sehr bald überdrüssig werden!"
"Was?" Anastasia war verblüfft.
"Sag nicht 'was' zu mir!" Darla antwortete mit auflodernder Wut in ihren schwarzen Augen. Sie knurrte: "Seit er jung war, hatte Ileus eine Fülle von Mädchen zu seiner Verfügung. Im Handumdrehen konnte er ein Mädchen aus jedem Reich bekommen, das er wollte. Sie alle wollten in seine Nähe kommen, genau wie du."
Anastasia presste sich die Hand vor den Mund. Diese Frau brachte sie so leicht dazu, sich billig zu fühlen. Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie die Bitterkeit auf ihrer Zunge schmeckte.
Darla fuhr fort, Gift zu verspritzen. "Aber weißt du was? Ich werde dich das nicht tun lassen. Wir alle wissen, dass du aus Vilinski fliehen willst, und dabei helfen wir dir. Kenne deine Fakten und halte dich an deine Grenzen. Sobald du dieses Reich, Sgiath Biò, verlassen hast, wirst du deinen Weg gehen, und wir werden getrennte Wege gehen, also lass besser die Finger von dem, was du vorhast, denn Mädchen..." Darla strich sich das Haar zurück. "Ich werde dich bei jedem Schritt aufhalten. Du weißt ja gar nicht, wie tief meine Freundschaft zu ihm geht, oder wie lange wir uns schon kennen. Wir waren schon Freunde, bevor wir anfingen zu laufen. Mit anderen Worten: Er gehört mir! Hunderte von Mädchen sind seinen Weg gekommen und gegangen. Hunderte haben sich ihm an den Hals geworfen. Aber keine hat es ausgehalten. Ich bin die Einzige, zu der er immer wieder zurückkehrt. Also lass mich in Ruhe!"
Anastasia hatte keine Erfahrung in solchen Angelegenheiten, aber sie war nicht dumm. Diese Frau vor ihr trat ihre Würde mit Füßen, und das kam nicht gut an. "Warum habe ich das Gefühl, dass du diejenige bist, die mehr Zusicherungen braucht, dass Ileus bei dir bleiben wird, obwohl du sein Jugendfreund bist? Wenn er jede Frau, die in sein Leben tritt, an sich heranlässt, dann, Darla", grinste sie, "solltest du deine Stellung in seinem Leben ernsthaft überdenken."
Darlas Gesicht wurde rot vor Wut. Bevor sie um sich schlagen konnte, fügte Anastasia hinzu: "Und du hast recht. Ich werde euch alle verlassen, sobald ich Óraid erreiche. Ich habe nicht die Absicht, bei euch zu bleiben, mit eurem so genannten Freund, den ihr nicht kennt!" Mit diesen Worten erhob sich Anastasia und stapfte zu dem Ort, an dem Nyles stand, und ließ eine staunende Darla zurück. Sie war wütend über Darlas Worte. War sie seine Jugendliebe? Wie konnte sie es wagen, sie in eine Reihe mit all diesen anderen Mädchen zu stellen? Ihre Gefühle für ihn waren ganz natürlich gewesen. Es war ja nicht so, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlen wollte. Aber jetzt, wo Darla darüber sprach, hatte sie das Gefühl, dass sie genauso gewöhnlich war wie die anderen Mädchen in seinem Leben. Sie wandte ihren Blick zu ihm und bemerkte, dass er in ein Gespräch mit den Männern vertieft war.
"M'lady!" Nyles jammerte. "Seht, was dieser Vukodlak mit mir gemacht hat!"
Anastasia atmete nach ihrem Streit mit Darla schwer. Ihr Atem verwandelte sich in dicke Rauchwolken. Wie konnte man es wagen, ihr so etwas Billiges zu unterstellen? Dachte Darla etwa, sie wolle Ileus in eine Falle locken, um Vilinski endgültig zu entkommen? Kurzsichtige Frau.
"Hier, bitte", sagte Carrick und begann, den Arzneikasten zu packen. "Deine Wunde heilt schnell. Ich denke, morgen wirst du wieder gesund sein."
Anastasia sah zu Nyles, der ihren bandagierten Arm hielt, und dann wanderte ihr Blick zu Carrick. "Danke, Carrick", sagte sie höflich und zügelte ihre Wut.
"Gern geschehen", erwiderte er mit einem Grinsen. "Ich hoffe, deine Narben sind vollständig verheilt."
Anastasia war die Erwähnung der Narben peinlich, aber dann dachte sie, dass es kein Geheimnis war, da Ileus sich um sie gekümmert hatte. "Das sind sie", sagte sie mit leiser Stimme.
Carrick ging und setzte sich zu den Männern, während sie sich zu Nyles setzte. "Ich wollte dich etwas fragen, Nyles."
"Ja, Mylady?" Nyles schaute sie aufmerksam an.
"Du hast mich gestern zum Portal gehen sehen?"
"Ja", antwortete sie.
Sie fragte in der Sprache der Fae. "Zasto me nisi stad?" Warum hast du mich nicht aufgehalten?
Nyles sah verwirrt aus. "Ye Jer zelim se tilleadh." Weil ich will, dass du zurückgehst.
Anastasia schüttelte den Kopf. "Reka zam ti mi iarraidh se vracam." Ich habe dir gesagt, dass ich nicht zurückgehen will.
Nyles biss sich auf die Lippe und sah weg. Mit tiefer Stimme sagte sie: "Ne mozes pobeci od an dan." Du kannst deinem Schicksal nicht entkommen.
"Jeste li videli vampir?" Hast du den Vampir gesehen, der hinter mir steht?
Nyles stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. Dann rieb sie sich mit den Händen über die Arme und vermied es, Anastasia direkt anzusehen. Sie leckte sich über die trockenen Lippen und sagte: "Uradio sam." Das tat ich.
"Zasto me onda nisi upozorio?" Warum hast du mich nicht gewarnt?
"Ich dachte, wir würden durch das Portal gehen!" Sagte sie in aufgeregtem Tonfall.