Ileus legte seine Hand um ihr Kinn und hob es an. Sie öffnete ihre Augen und sah sein Gesicht. Seine goldblauen Augen blickten in ihre saphirblauen Augen. Er sagte: "Vertraust du mir, Prinzessin?"
Sie nickte, obwohl ihr weiterhin die Tränen aus den Augen liefen.
"Dann lass uns in die Höhle gehen."
Anastasia holte scharf Luft. "Nein! Bitte lasst uns nicht gehen."
Alle in der Gruppe spannten sich an. Es gab keine Garantie, dass sie bald eine andere Zuflucht finden würden.
Ileus brachte seine Lippen in die Nähe ihrer Stirn, und sie waren nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt. Wenn sie ihren Kopf ein wenig nach hinten neigte, konnte er sie auf die Lippen küssen. Ihre Hand wanderte zu seinen Fingern, die unter dem Mantel auf ihren Schenkeln lagen.
Ileus' Atem strich über ihre Stirn und ein Schauer durchlief ihren Körper. Seine Augen waren so fesselnd, dass sie in sie starrte. Ihr Körper war absolut still geworden. Das Brummen verstummte, als sie sich nur noch auf den Mann konzentrierte, den sie sah und dessen Finger sie fest umklammert hatte. "Ich verstehe dein Problem, Anastasia", murmelte er. "Aber verstehe, dass du bei mir sicher bist. Wenn du so viel Angst hast, dann bleiben wir eben weg." Seine Lippen strichen in einem federleichten Kuss über ihre Stirn.
Hat er sie geküsst? Ein Atemzug entkam ihren Lippen. Sie war so dankbar, dass er sie verstand. Sie wollte zu der Höhle gehen, aber sie wollte sie auch vermeiden. Ihr Dilemma brachte sie um und ihre Angst überwältigte sie. Zum hundertsten Mal erschauderte ihr Körper.
"Lass uns nicht dorthin gehen", sagte Kaizan. "Wir werden einen anderen Unterschlupf für die Nacht finden."
"Ich halte Ausschau, seit wir heute Morgen aufgebrochen sind, Kaizan", sagte Gourhal. "Und ich kann nirgendwo etwas anderes sehen." Er fuchtelte mit der Hand in der Gegend herum. "Kannst du etwas sehen? Wenn die Prinzessin nichts von der Höhle erwähnt hätte, hätte niemand davon erfahren. Das ist unsere Chance für diese Nacht. Die Pferde sind viel zu müde. Sie schleppen sich schon seit Stunden durch den Schnee."
"Ich verstehe, was du meinst, Gourhal", sagte Darla. "Das Problem ist, wenn wir Anastasia in die Höhle bringen, wo ist die Garantie, dass sie nicht durch das Portal geht. Siehst du nicht, wie ihr Körper auf den Ruf ihres Landes reagiert?"
"Das stimmt", sagte Kaizan und sah sehr müde aus. Er wendete sein Pferd, um zu gehen.
Anastasia sah Kaizan an und fühlte sich schuldig. Sie senkte den Kopf und wischte sich die Tränen ab. In der Gruppe herrschte eine spürbare Spannung. Sie konnte es spüren. Ihr Blick wanderte zu Nyles, der sie anstarrte, als hätte sie ihr Land verraten, als wäre sie eine Verräterin. Anastasia wandte den Blick ab. Die Kavalkade begann sich zu entfernen. Doch mit jedem Schritt, den sie sich von der Höhle entfernte, hatte Anastasia das Gefühl, als würde das Leben aus ihr herausgesaugt werden. Ihr Verstand protestierte, warnte, schrie, sie solle nicht hineingehen. Aber jeder Blutstropfen in ihr wurde von der Höhle angezogen, und jeder Meter, den sie sich von ihr entfernte, wurde zu einer Qual.
Sie verbarg ihr Gesicht im Mantel und dachte an all die Schmerzen, jede Peitsche und jede abfällige Bemerkung, die Maple und Aed Ruad ihr in der Vergangenheit zugefügt hatten. Je mehr sie sich daran erinnerte, desto mehr fühlte sie sich zu der Höhle hingezogen. Das Summen des Portals war wie die süßeste Melodie in ihrem Kopf und sie wollte es um sich wickeln und wie ein Baby einschlafen. Die Anziehungskraft berauschte sie. Und Anastasia ... sie suchte nach Sicherheitsseilen. Sie brauchte dringend jemanden, der sie vor dem Absturz bewahrte. Ihr Körper war schweißbedeckt, obwohl der Schneefall zugenommen hatte.
"Anastasia, du scheinst dich unwohl zu fühlen", sagte Ileus, als er ihre Stirn unter dem Mantel berührte.
"Ileus", sagte sie mit zittriger Stimme.
"Ja, Prinzessin."
"Bring mich in die Höhle."
Ein Zittern durchlief seinen Körper. Er presste den Kiefer zusammen und rief alle zusammen. "Wir gehen in die Höhle!" Ohne auf einen weiteren Protest zu warten, lenkte er sein Pferd in diese Richtung.
Für Anastasia war jeder Zentimeter, den sie sich dem Portal näherte, wie eine Streicheleinheit für ihren Körper. Sie nahm den Umhang von ihrem Gesicht und blickte auf das Weiß vor ihr.
Sofort wendeten alle ihre Pferde dorthin, wo er hinging.
"Siehst du es, Anastasia?", fragte er, während das Pferd durch den schweren Schnee pflügte.
"Ja, es ist nicht mehr weit", antwortete sie, ohne die Augen schließen zu können. "Wir sollten in einer halben Stunde dort sein."
Er nickte und zog sie näher an sich heran. "Ich bin ganz bei dir, Prinzessin."
Das wusste sie. Sie verließ sich darauf, dass er sie halten würde, wenn sie die Klippe hinunterstürzte.
Sie näherten sich dem Berg, der mit Eis bedeckt war. Anastasias Instinkt leitete sie zur Öffnung der Höhle. Doch kaum hatten sie den Höhleneingang erreicht, bäumte sich Ileus' Pferd auf. "Ruhig, Junge!" befahl Ileus ihm und trieb es vorwärts. Ihr Magen kribbelte vor Vorfreude.
Ein schwerer Felsbrocken schützte den Eingang. Tadgh und Carrick stiegen ab und schoben den Felsbrocken mit ihrer gewaltigen Kraft zur Seite. Als der Felsbrocken zur Seite rollte, färbte sich der Höhleneingang in ein einladendes Blau.
Anastasias Körper bewegte sich im Einklang mit dem Summen. Das Portal befand sich irgendwo im Inneren und summte. Sie schloss die Augen und fühlte sich entspannt. Ihre Ängste schwanden. Positive Energie floss. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, welche Schrecken sie erwarten würden, sobald sie das Portal durchquerte.
Sobald ihr Pferd das Innere der Höhle betrat, konnte sie nicht glauben, wie schön und doch unheimlich die Höhle war.
Die Höhle war riesig und die Decke war ziemlich hoch. Während es draußen heftig schneite, war die Höhle innen wie ein Schoß aus Erde, warm und gemütlich. Die braunen und grauen verwitterten Felsen säumten die zerklüfteten Wände, als hätten sie die Götter unter einen Berg gehauen. Licht drang durch Spalten in den Wänden und der Decke. Im Inneren war es dunkel, aber sie konnten die Umrisse erkennen. Als sie weitergingen, wurde der Boden unter ihren Hufen weicher. Die andere Seite der Höhle öffnete sich in die Dunkelheit und das leise Glucksen eines Baches, der von irgendwoher kam, erregte ihre Aufmerksamkeit.