Die scharlachrote Farbe verbreitete sich langsam über Kaidens Augenlider, während die Pupillen allmählich aufhörten zu wandern. Seine Augen öffneten sich. Es war nicht das blutgetränkte Rot, sondern das der Sonnenstrahlen, die seine Augenränder röteten. Seine Pupillen weiteten sich schlagartig durch den plötzlichen Lichteinfall. Er schloss die Augen schnell wieder und schien gezwungen, sie zu kneifen. Er versuchte, seinen Arm gegen das grelle Licht zu heben, konnte es jedoch nicht. Dieses Mal konnte er zumindest seinen linken Arm um wenige Zentimeter anheben, wenn auch unter großer Anstrengung.
Eine leichte Freude überkam ihn, da er Fortschritte sah. Doch der Schlaf, der in seinen Augen haftete, schien ihn zu stören, da er zwischen den Augenlidern und den Wimpern klebte und zwickte. Sein etwas flacher Atem erfüllte den Raum, als er nach der Schwester rief. Genau in diesem Moment betrat die Schwester den Raum und bemerkte, dass er aufgewacht war. Sie zögerte nicht und begab sich sofort ins Bad, um die Hygieneartikel zu holen.
Während Kaiden weiterhin versuchte, seinen Arm zu bewegen, schien er ihn allmählich weiter bewegen zu können. Es waren zwar immer noch nur wenige Zentimeter, aber er wusste, dass Wiederholungen und Zeit eine Rolle spielen würden. Er wiederholte den Vorgang und versuchte, seinen schweren und brennenden Arm so weit wie möglich zu heben. Während er dies tat, floss auch etwas Schweiß. Doch die Schwester war zur Stelle. Sie tupfte den verschwitzten Kaiden mit einem frischen weißen Tuch ab und füllte die Zahnbürste mit etwas Zahnpasta.
Die Schwester schob die Bürste in seinen Mund und reinigte mit kreisförmigen Bewegungen den Belag von seinen Zähnen. Drei Minuten vergingen wie im Flug und dann reichte sie ihm einen Becher mit Wasser. Kaiden nahm ihn mit seinem leicht schaumigen Mund und spülte problemlos, indem er das Wasser in eine leere Schüssel ausspuckte. Nachdem er sich erneut mit einem Tuch abgetupft hatte, hörte er bereits das Klirren der Türklinke, die heruntergedrückt wurde.
Mit voller Aufmerksamkeit auf die Tür, da sie niemanden erwarteten, trat plötzlich ein blonder Mann ein, gefolgt von einem weiteren und einem dritten. Das Seltsame war nicht nur ihre geglättete Butler-Frisur, sondern auch ihre Kleidung, die einem Geheimagenten aus einem schlechten amerikanischen Film vergangener Jahre glich. Glattes Haar, schwarzer Anzug mit Krawatte, Handschuhe und Lederschuhe. Dazu trugen sie schwarze Brillen und Kopfhörer.
Der Erste und Letzte stellten sich seitlich auf, während der Mittlere sich im Vordergrund positionierte. Mit hinter den Rücken gestreckten Händen schien der Mittlere etwas zeigen zu wollen. In seinen Händen hielt er einen schwarzen Koffer. Von nun an fühlte es sich wirklich an wie in einem schlechten Film. Die Atmosphäre war unangenehm, die Stille drückend.
Doch sie wurde abrupt unterbrochen, als der Mittlere, der den Koffer hielt, anfing zu sprechen. Mit kräftiger, dennoch angepasster und ruhiger Stimme sagte er, dass sie im Auftrag der Regierung und des Labors hier wären. Während er sprach, näherten sich die anderen beiden, in schwarz gekleideten Agenten, dem Koffer und begannen langsam, ihn zu öffnen. Währenddessen fuhr der Mittlere fort.
„Kaiden Lain, im Namen der Regierung beglückwünschen wir dich und freuen uns auf weitere Zusammenarbeit", sagte er, sich leicht nach vorne beugend. Kaiden, der überhaupt nichts begriff, saß regungslos da, Wasser tropfte aus seinem Mund, während die Schwester noch immer verwirrt war und die Schüssel so hielt, dass das Tropfwasser auf ihre weiche Hand spritzte. Erschrocken zog sie die Hand zurück und fragte kurz darauf, was das alles sollte. Schließlich war Kaiden ein Patient im Krankenhaus und musste sich ausruhen. Unbefugter Zutritt von Fremden, die nicht zur Familie gehörten, war verboten.
Von diesen Vorwürfen und Rechtfertigungen schien der große blonde Mann jedoch unbeeindruckt und sah sogar etwas herablassend von oben herab. Er verschwendete jedoch keine Zeit und schaute zurück zu Kaiden. Scheinbar näher kommend, öffnete er den mysteriösen Koffer halb und legte ihn auf Kaidens Bett. Kaiden hatte so viele Fragen und beschloss, seine erste endlich von sich zu geben. Doch gerade als er das erste Wort aussprechen wollte, gingen die drei im gleichen Tempo, mit weiten, schnellen und fast schon hektischen, aber dennoch ruhigen Schritten davon. Sie ließen Kaiden und die Schwester sprachlos zurück.
Fragend schaute Kaiden die Schwester an und fragte, ob sie wisse, wer diese Gestalten waren. Als sie dies verneinte, bat er sie erneut, den Koffer zu öffnen. Dieses Mal kam ein zögerliches Ja von den vollen roten Lippen der Schwester. „Natürlich kann ich das machen." Mit einem leichten Lächeln machte sie sich auf den Weg zum Bett. Sie öffnete den Koffer, und buchstäblich schien helles Licht daraus hervorzuströmen. Die Schwester schien schockiert und konnte ihren Augen nicht trauen. Es war ein grelles Serum in Form eines Chips, der das gesamte Licht reflektierte. Innen befand sich auch eine Art Dokument.
Nicht nur das, sondern die Spritze war für eine Erweckung bestimmt. Auch ein Dokument, das das Potenzial eines Individuums offenbarte, lag darin. Warum die Schwester so erschrak und die schaumüberzogene Wasserschüssel aus ihrem Mund fallen ließ, war, dass auf dem Dokument in fetter roter Schrift eine Null stand. Sie nahm das Dokument, umhüllt von einer Verpackung mit dieser Null, mit zitternden Händen auf und konnte ihren Augen immer noch nicht trauen.
Schließlich fing sie allerdings an zu lesen. Sehr geehrter Herr Lain, wir freuen uns, Ihnen hiermit mitzuteilen, dass Sie die Kriterien des Tests mit Bravour bestanden haben. Ihr derzeitiges Potenzial liegt bei 96% und das ist eine äußerst besondere Leistung. Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie ab jetzt ein Teil unseres neuen Reiches sind und der Macht unseres Vaterlandes dienen dürfen. Sorgen Sie sich nicht um Ihre Gesundheit, der Staat wird sämtliche Kosten übernehmen und falls nötig weitere Kosten tragen. Wir danken im Voraus. Kaiden konnte seinen Ohren nicht trauen, während die Schwester es immer noch nicht fassen konnte.
Während Kaidens Gedanken um die Übernahme der Kosten kreisten, beschäftigten die Gedanken der Schwester andere Themen. 96%! So etwas ist Geschichte, dass ich so etwas miterleben darf, dachte sie sich. Kaiden und die Schwester schauten sich gegenseitig an und schienen gleichzeitig Worte austauschen zu wollen. Ihre Münder öffneten sich, und ein Sturm aus Schreien brach los. Völlig aneinander vorbeigeredet, wurde die noch so aufgeregte Ärztin etwas stiller und schien Kaiden ausreden zu wollen.
Der überglückliche Kaiden realisierte dennoch nicht, welch ein Glück er hatte. Er sagte mit voller Euphorie, dass die Behandlungskosten sowie Prothesen von der Regierung übernommen werden würden. Die Schwester, die mit geschlossenen und erwartungsvollen Ohren auf seine Freude wartete, schien verwirrt. Klar, es war gut, dass er für nichts aufkommen musste, aber es gab etwas viel Besseres.
Kurz darauf, als sich ihr verwirrter Blick zur Öffnung der Augen regte, fragte sie verwirrt, ob er die Zahl nicht verstanden hätte, die sie eben vorgelesen hatte. Kaiden, der noch verwirrter guckte, fragte, was denn diese 96% auf sich hätten. Da stieß wie ein Donner der Einfall bei der Schwester wieder ein. Sie vergaß immer wieder und sah es immer noch selbstverständlich an, dass er alles wüsste. Wie konnte sie nur so dumm sein? Nachdem sie ihren Fehler eingestand, schien sie sich leicht nach vorne zu beugen und streckte ihre Arme in Richtung Bettkante, um sich abzustützen. Ihre zärtlichen, diesmal etwas rosahaften Lippen klärten ihn nun auf.
„Es ist so, einmal ist bei deinem Umschlag eine rote Null, was bedeutet, dass du ein Sonderfall bist. Dazu kommen extra Agenten oder was auch immer die waren hierher, um dir diese Informationen zu übergeben. Und die Zahl ist hierbei das Erstaunlichste."
Mit einem rasenden und immer mehr steigendem Puls schien sie keine Luft mehr zu bekommen. Kaiden, die Zahl 96 bedeutet, dass du immenses Potenzial hast und somit nicht nur eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit hast, eine gute Kraft zu bekommen, sondern mit dieser auch schnell vertraut wirst und es leichter hast, mit dieser umzugehen wie die meisten, die erwacht sind. Man sagt, dass wenn man ein Potenzial über 80% hat, man automatisch zu den Top 10% gehört, du hast aber die Zahl 96%, somit wirst du selbst, wenn du immenses Pech hast, mindestens unter die Top 5% kommen.
Kaidens Mund schien sich nicht schließen zu können. Solche Informationen zu bekommen, vermag er selbst in seinen schönsten und traumhaftesten Träumen nicht zu bekommen. In nur einem Augenblick konnte er A mit B zusammenrechnen und erkannte, dass er im Geld schwimmen könnte. Auch wenn es eigentlich nicht gerne gesehen ist, geldgierig zu sein, konnte man diesen Gedankengang dem ärmlichen Kaiden nicht übel nehmen. Schließlich hatte er die Möglichkeit, ein besseres Leben wie je zuvor zusammen mit seinem Bruder zu leben, auch wenn dieses nicht ewig gehen würde. Schließlich hatte alles einen Preis und so war das Schicksal besiegelt. Leben für Geld.
Nachdem die beiden sich allerdings abgeregt hatten, guckten beide erneut in Richtung Koffer. Die etwas grelle, dennoch bezaubernde Flüssigkeit schien die beiden anzuziehen. Während die beiden mit lächelndem Gesicht in dessen Richtung blickten, schien die Schwester ihn zu fragen, ob sie es nun tun sollten. Die Zeit war perfekt, nicht nur war Kaiden fast bewegungslos, sondern auch in der Zeit, in der er sich auf Regeneration konzentrieren musste.
Die Schwester näherte sich somit dem schwarzen, dennoch anziehenden Koffer und nahm die Spritze heraus. Während sie dies tat und Kaiden immer näher kam, erklärte sie ihm, wie der Ablauf ab jetzt wäre. Sie injiziert ihm die spitze Nadel ein und lässt den Mikrochip zusammen mit dem Serum in dessen Körper einfließen. Dies könnte einige Schmerzen aufbringen, da der gesamte Körper in wenigen Sekunden auf das Maximum gestärkt werden würde. Während sie weiterhin ihm zu lief, erklärte sie auch, dass er keine Sorge haben müsste, da sie früher am Anfang des Ganzen bis vor Kurzem als Gehilfe in einem Labor arbeitete und somit vielen Menschen dieses Serum injizierte.
Die letzten Schritte erfolgten und der etwas nervöse, dennoch selbstsichere Kaiden verkrampfte leicht und schloss seine Augen. Ein leichter Schrei trat auf, als die Schwester die etwas große Spritze in Kaiden hineintrat. Doch eigentlich tat es gar nicht weh, dachte er sich. Als die Spritze, welche in den Nacken hineinging, herausgezogen wurde, als alles hineinfloss, schien Kaiden ruhig, fast schon etwas zu ruhig. Es war erneut eine unangenehme Stille. Die Schwester jedoch durchbrach diese, als sie von drei anfing hinunterzuzählen. 3, 2, 1 und 0.
Als diese Zahl die 0 die wunderschönen Lippen der Schwester verließen, schien ein leichtes Pochen vom Nacken auszugehen. Gefolgt von herzrhythmischen impulsiven Schlägen, welche vom Nacken aus sich in Sekunden schnelle über den ganzen Körper verbreiteten. Es war so schlimm, dass die Atemnot eintrat, die Lunge zerquetscht, sodass er nicht atmen konnte, nein, der ganze Körper schien von Bergen zerquetscht zu werden, doch so schnell wie der Schmerz da war, schien er wieder zu verschwinden. Völlig durchnässt, überall an seinem Körper, schien er einen großen, dennoch schweren Atemzug von sich zu machen.
Während Kaiden gerade wieder zu sich kam, da er drohte ohnmächtig zu werden, geschah es aber. Schnitte, Brände, von innen zerreißende Klingen durchbohrten ihn. Es war, als würden tausende Kettensägen ihn zerreißen und das für eine Ewigkeit, während er unsterblich wäre. Die Atemnot trat erneut ein, doch diesmal schien das ganze Universum auf ihm zu liegen. Es fühlte sich so schrecklich an, dass sein ganzer Körper rot wurde und dessen Augen kurz davor drohten herauszuplatzen. Diesmal ging es allerdings nicht nur einen kurzen Augenblick, sondern eine halbe Ewigkeit.
Die Schwester, welche daneben stand und mit einem besorgten Blick in Richtung Uhr schaute, schien ebenfalls ein paar Schweißtropfen zu verlieren. Ihre hektischen Abfolgen von Auftreten mit ihrem Fuß auf den Boden gaben den Ton an. Die Augen, welche drohten, meterweit zu springen, schienen dennoch mit demselben Takt der der Schwester von den Augenlidern hinunter gedrückt zu werden. Mit einem schweren und lautem Stöhnen von Anstrengung schienen sich die noch zuvor drohenden zu platzenden Augen sich zu schließen. Die langsame Atembewegung und dessen Geräusch erfüllten den durch Furcht und Schweiß gebadeten Raum und dessen Stille.
Beruhigt hörte man daraufhin die feminine Stimme sagen: „Er hat es geschafft, er ist erwacht."