"Du hast einfach viele Dinge zu sagen, nicht wahr?", sagte Orion mit einem höhnischen Grinsen, sein warmer, minziger Atem fächelte über ihren Amorbogen.
Soleia weigerte sich nachzugeben und blickte direkt zu ihm auf, seinem Blick trotz des enormen Größenunterschieds begegnend. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich danach, sich zurückzuziehen - das letzte Mal, dass sie Orion Elsher so nahe gewesen war, war während ihrer Hochzeitszeremonie. Damals hatte er sie nicht einmal küssen wollen! Sie war diejenige, die den Kuss initiiert hatte!
"Was soll ich sagen, Eure Gnaden?", erwiderte Soleia. Ein kühner Streich durchfuhr sie und erfüllte sie mit einem rücksichtslosen Bedürfnis, sich zu wehren. "Ihr habt mir viele Worte hinterlassen, nachdem Ihr direkt nach unserer Hochzeitszeremonie für zwei lange Jahre verschwunden seid. Ich nehme an, ich hole all die verlorene Zeit nach."
Orion schnaubte und lachte kalt. Dennoch sah er ihr weiterhin in die Augen. Diese ozeanischen Kugeln starrten direkt in ihre Seele, als ob er verzweifelt versuchte, jedes bisschen Lüge in ihr zu entdecken. Ob sie irgendwelche Geheimnisse bewahrte, ob sie irgendwelche bösen Absichten gegen ihn hegte...
Aber er fand keine.
Alles, was in dem feurigen Blick der kleinen Frau zu sehen war, war nichts als Wut und leichter Hass.
Als Soleia ebenso jeden Aspekt des Gesichtsausdrucks ihres Mannes studierte, war sie überrascht, dass sie nichts von diesem mörderischen Glanz in seinen Augen fand. Der Orion Elsher, der aus dem Krieg zurückgekehrt war, war nicht derselbe Orion Elsher wie der Mann, der vor ihr stand.
Der von früher war ein Biest, ein Monster, das vor Blutdurst triefte. Jetzt erinnerte Orion Soleia mehr an einen verletzten Soldaten, der versuchte, sich vor weiteren Wunden zu schützen.
Orions Blick fiel für den Bruchteil einer Sekunde auf Soleias Lippen. Sie waren rosa, voll und riefen seltsamerweise seinen Namen. Er spürte, wie sich ein Teil seiner Brust seltsam regte und ein kitzelndes Gefühl auslöste, das er noch nie zuvor gespürt hatte.
Als er schluckte, bewegte sich sein Adamsapfel auf und ab. Unbewusst lehnte er sich ein wenig weiter vor, gerade genug, dass sich ihre Lippen für den Bruchteil einer Sekunde berührten.
Dann durchbrach ein scharfes Klopfen an der Tür die seltsame Spannung.
Soleia fragte sich, ob sie es sich eingebildet hatte. Aber wer auch immer am anderen Ende der Tür war, klopfte weiterhin wiederholt mit den Knöcheln gegen das Hartholz, als hoffte er, es mit bloßen Händen zu zerstören.
"Nun, jemand muss sie öffnen", sagte Ralph schwach, als er beobachtete, wie Orion und Soleia an ihren Plätzen verwurzelt blieben. Er hob die Hände und jammerte. "Ich bin ein kränklicher Patient und die Treppe ist eine Plage. Sicher könnte einer von euch zur Tür gehen?"
Orions Lippen öffneten sich, aber bevor er weiter erwidern konnte, ertönte ein weiteres Klopfen an der Tür. Alle drei Augenpaare wandten sich zur Tür, und schließlich war es Lily, die aus den Schatten auftauchte, um sie zu öffnen.
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf Elowyn frei, die in den starken Winden zitterte. Sie hatte ihre dünne Kleidung nicht gewechselt. Ihr Kleid flatterte im Wind, der Schal tanzte mit dem Schnee am Himmel. Selbst mit ihren um sich selbst geschlungenen Armen zitterte sie, ihre Lippen bebten.
Elowyn blickte von draußen zu Orion auf, ihre Augen wässrig und rehgleich.
"Elowyn", hauchte Orion, seine Schultern entspannten sich sofort. Er trat zurück und schuf sofort Abstand zwischen sich und Soleia. "Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst in unseren Gemächern auf mich warten."
"Du hast so lange gebraucht, dass ich besorgt war, Herr Byrone könnte etwas zugestoßen sein", sagte Elowyn, ihre Stimme sanft. Sie nieste, die Handlung klein und züchtig. "Ist alles in Ordnung, Orion?"
"Ja... Ja." Orion durchquerte den Raum und stieg die Treppe hinab, wobei er seinen Mantel auszog. Als er Elowyn erreichte, legte er ihn über sie, das riesige Kleidungsstück bedeckte mühelos ihren kleinen Körper.
Sie entspannte sich in der Wärme davon und lächelte süß zu ihm auf.
"Sollen wir dann zurückkehren?", fragte sie, und Orion nickte, seine Bewegungen ein wenig steif. Dann wandte sie sich um und blickte zu Ralph und Soleia, ihr Lächeln beibehaltend. "Ruht Euch gut aus, Lady Soleia, Herr Byrone."
Dann verschwanden Orion und Elowyn Hand in Hand zurück in Richtung des Hauptgebäudes.
Soleia ließ sich auf den Stuhl direkt neben Ralphs Bett fallen und klammerte sich an das Geländer, das die zweite Ebene von der ersten trennte. Gleichzeitig stieß Ralph einen leisen Pfiff aus.
"Ich dachte, ich wäre derjenige, der von dem Aphrodisiakum betroffen war", kommentierte Ralph. "Was war das?"
"Was?", fragte Soleia und drehte sich um, um Ralph anzusehen.
"Zwischen dir und Orion", sagte Ralph. "Was ist mit diesem Blick? Was ist gerade passiert?"
"Nichts ist passiert", sagte Soleia. Dann stand sie auf und runzelte die Stirn. "Fühlst du dich schon besser?"
Ralph Byrone sah nicht mehr kränklich aus. Sein Gesicht war zwar noch leicht gerötet, aber er sah nicht mehr so schwach und außer Kontrolle aus wie zuvor. Sie ging hinüber und musterte ihn von Kopf bis Fuß - alles schien völlig in Ordnung. Ihre Augen ruhten auf dem roten Anhänger, der an seinem Hals hing und nun auf seiner Brust ruhte. Er glühte und pulsierte schwach, als wäre er ein schlagendes Herz.
Als Ralph Soleias Blick auf sich bemerkte, räusperte er sich und wand sich ein wenig weiter unter seine Decke. Er zog die Bettdecke etwas höher und sorgte dafür, den roten Stein zu verdecken und ihn Soleias Blick zu entziehen.
"Meine Augen sind hier oben, Prinzessin Soleia", fügte er frech hinzu.
Soleia räusperte sich ebenfalls weise und sah weg, die schwächste Wärme lag noch immer auf ihren Wangen.
"Glaubst du, er wird sein Versprechen halten?", fragte sie stattdessen, ihr Blick wanderte hinunter zum Erdgeschoss, wo sich der Haupteingang befand.
"Orion ist weniger ein Narr, als du denkst", antwortete Ralph ernst. "Da er Elowyn bereits verdächtigt, würde er nichts tun, um ihr mehr Macht zu geben, bis dieser Verdacht ausgeräumt ist. Wichtiger noch, er ist ein Mann, der zu seinem Wort steht. Er hat uns ein wichtiges Versprechen gegeben. Er wird es halten. Ich habe ihn nie als Lügner kennengelernt."
Soleia presste ihre Lippen zusammen und entschied sich, zu schweigen. Sie konnte nur hoffen, dass dem so war.
"Und du?", fragte sie, als sie endlich ihren Blick von der Tür losriss. "Brauchst du immer noch einen Arzt, Herr Byrone? Ich sehe, dass dein Karneol in der Zeit, in der wir uns unterhielten, viel Schwerstarbeit geleistet hat."
Ralph erstarrte im Bett, seine Augen weiteten sich vor Überraschung nur um einen Bruchteil.
"Sieh mich nicht so an", sagte Soleia und schnaubte, während sie ihren Stuhl näher an sein Bett zog. "Ich mag zwar keine Affinität zu Kristallen haben, aber ich bin zumindest in der Theorie gut bewandert."
An diesem Punkt konnte Ralph nur leise in sich hinein kichern. "Sehr weise von Euch, aber Ihr irrt Euch gewaltig. Mein Karneol heilt nicht, Eure Hoheit. Meine Fähigkeiten sind etwas offensiver als defensiv. Deshalb bin ich die rechte Hand des Generals und nicht der Leiter des Ärzteteams."
"Vramid hat nicht viele Karneol-Träger", bemerkte Soleia nachdenklich. "Du bist nicht von hier, oder?"
Ralph zuckte nur mit den Schultern. Aus irgendeinem Grund war das Lächeln, das er trug, viel dunkler, als Soleia es je bei ihm gesehen hatte. "Wer weiß, Prinzessin?"
Aber bevor Soleia weiter fragen konnte, setzte sich Ralph mit überraschender Kraft auf. "Nun kommt. Ich bin sicher, Ihr müsst müde sein. Wie wäre es, wenn ich Euch und Lily zu Euren neuen Betten führe?"