Das Klingeln der Tür hallte durch die Stille, und Cedric zögerte einen Moment, bevor er den Griff hinunterdrückte. Als die Tür sich langsam öffnete, offenbarte sich die Silhouette einer Frau, die im kalten Regen stand. Eine schlanke, gerade Haltung, ein Hauch von Entschlossenheit in ihrer Haltung – und eine Aura, die Cedric sofort misstrauisch machte. Ihre Augen waren dunkel, forschend, und sie musterten ihn mit der Präzision eines Falken.
„Cedric Ashwell?" Ihre Stimme war ruhig, kontrolliert, doch mit einem Unterton, der keine Widerrede duldete.
„Kommt darauf an, wer fragt." Cedric verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich gegen den Türrahmen und ließ seinen Blick skeptisch über die Frau wandern. Sie trug einen dunklen Mantel, der vor Nässe glänzte, und hielt eine Tasche in der Hand, die offenbar voller Dokumente war.
„Detective Eliza Cole", antwortete sie knapp, während sie ihm eine Karte entgegenstreckte, die sie mit Daumen und Zeigefinger hielt. Cedric warf nur einen kurzen Blick darauf, bevor er sie beiseite schob.
„Ich arbeite nicht mit der Polizei", sagte er trocken. „Ihr Leute seid genauso Teil des Problems wie der Rest dieses Systems."
Eliza zog eine Augenbraue hoch, ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. „Ich bin nicht hier, um dich zu bekehren. Ich bin hier, um dir eine Chance zu geben, das zu tun, was du ohnehin schon tust – nur mit mehr Ressourcen und weniger Chaos."
Cedrics Augen verengten sich. „Und wieso sollte ich mich darauf einlassen?"
Eliza seufzte, trat einen Schritt näher und zog ein zusammengefaltetes Dokument aus ihrer Tasche. Sie hielt es ihm hin, ohne ein Wort zu sagen. Cedric zögerte, nahm es schließlich und ließ seinen Blick über die Zeilen wandern. Es war ein Tatortbericht, einer, den er noch nicht gesehen hatte. Die Details waren verstörend vertraut, doch eine Randnotiz erregte seine Aufmerksamkeit: „Potenzielle Verbindung zu Isabelle Ashwell."
Er hob den Kopf, seine Stimme war kalt. „Was willst du damit sagen?"
„Wir wissen, dass du auf der Suche bist", begann Eliza, ihre Stimme wurde etwas weicher, fast nachsichtig. „Und wir wissen, dass du Antworten willst. Aber wenn du weiter allein handelst, wirst du entweder in einer Sackgasse landen – oder in einem Sarg."
„Ich komme schon klar", entgegnete Cedric scharf, warf das Papier auf den Tisch neben der Tür und versuchte, die Tür wieder zuzuziehen. Doch Elizas Fuß schob sich in die Lücke, ihre Hand hielt den Türrahmen fest.
„Hör mir zu, Cedric", sagte sie leise, ihre Augen blitzten vor Entschlossenheit. „Du kannst weiter allein in deinem Chaos wühlen, oder du kannst mit uns arbeiten. Die Unchained-Bewegung ist nicht die Polizei. Wir spielen nicht nach ihren Regeln. Und glaub mir, ich hasse diese Regeln genauso wie du."
Cedric lachte bitter. „Unchained? Klingt wie eine Bande von Möchtegern-Vigilanten."
„Nenn es, wie du willst." Eliza trat einen Schritt näher, bis sie nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt stand. Ihre Stimme wurde leiser, fast flüsternd. „Aber wir haben Zugang zu Informationen, die du nicht hast. Ressourcen, die du niemals alleine finden wirst. Und vor allem – wir haben einen Grund, diesen Bastard zu stoppen."
Cedric hielt inne, seine Augen suchten die ihren, suchten nach einem Hauch von Unehrlichkeit. Doch er fand nichts außer roher Entschlossenheit. „Was ist dein Grund?" fragte er schließlich.
Eliza zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. „Das darf ich leider nicht sagen. Aber ich weiß, was es bedeutet, jemanden zu verlieren und ich weiß, was es bedeutet, Antworten zu wollen."
Cedrics Kiefer spannte sich an, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, nur unterbrochen vom leisen Trommeln des Regens gegen die Fenster.
„Warum ich?" fragte er schließlich, seine Stimme war fast ein Flüstern.
„Weil du genauso kaputt bist wie ich", antwortete Eliza. „Und weil wir genau das brauchen, um ihn zu fangen."
Cedric atmete tief durch, sein Blick schweifte zu dem Foto seiner Schwester auf dem Schreibtisch. Ein innerer Kampf tobte in ihm, doch schließlich nickte er knapp. „Ich höre mir an, was ihr zu sagen habt. Aber wenn ihr mich aufhaltet oder behindert – bin ich raus."
Eliza lächelte, ein Schatten von Erleichterung in ihrem Gesicht. „Das ist alles, was ich brauche." Sie trat zurück, den Regen wieder auf ihrem Gesicht, und sah ihn an, bevor sie sich umdrehte. „Wir treffen uns morgen. 22 Uhr. Bring deine Beweise mit."
Cedric sah ihr nach, die Tür halb geöffnet, während ihre Silhouette in der Dunkelheit verschwand. Die Worte hallten in seinem Kopf wider: „Weil du genauso kaputt bist wie ich."
Er wusste, dass sie recht hatte. Und genau das machte ihm Angst.
Die Tür fiel ins Schloss, und Cedric stand für einen Moment regungslos im schummrigen Flur seiner Wohnung. Der Regen trommelte immer noch gegen die Fenster, als ob die Welt selbst ihn dazu drängen wollte, die Entscheidung zu treffen. In seiner Hand hielt er den Umschlag und die Karte, die Eliza ihm gegeben hatte. Ihre Worte hallten in seinem Kopf nach: „Du wirst uns früher oder später brauchen."
Er zog die Kapuze seiner nassen Jacke ab, hängte sie an den Haken neben der Tür und ging mit schweren Schritten in sein chaotisches Arbeitszimmer. Das Zimmer war ein Spiegel seines Zustands: Überall lagen Notizen, Fotos und Zeitungsausschnitte verstreut, die ihm keine Klarheit, sondern nur mehr Fragen gebracht hatten. Die Wände waren voller roter Fäden, die Tatorte, Namen und Theorien miteinander verbanden. Und doch fehlte etwas – ein Kern, der all das Chaos zusammenhalten konnte.
Cedric ließ sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen, rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht und seufzte tief. Der Umschlag lag auf dem Tisch, zusammen mit der Karte, als würde er ihn verspotten. „Was, wenn das ein Fehler ist?" murmelte er zu sich selbst. „Was, wenn sie mich genauso verraten wie alle anderen?"
Sein Blick wanderte zu einem gerahmten Foto, das halb unter einem Stapel Dokumente verborgen war. Es zeigte ihn und Isabelle, seine Schwester, lachend an einem Sommertag, der längst vergangen war. Ihre Augen leuchteten vor Freude, ihre Hände hielten ein Eis, das in der Hitze zu schmelzen drohte. Cedric spürte, wie ein vertrauter Schmerz in ihm aufstieg, ein stechender Stich von Verlust und Schuld.
„Ich habe dich im Stich gelassen", flüsterte er und griff nach dem Rahmen, um das Foto besser zu sehen. „Und jetzt will ich das nicht noch einmal tun."
Doch genau hier lag das Problem. Eliza hatte recht – er wollte den Puppeteer finden, koste es, was es wolle. Aber bedeutete das, sich einer Bewegung anzuschließen, die er nicht kannte? Menschen zu vertrauen, die möglicherweise ihre eigenen Geheimnisse hatten? Er hatte sich immer geschworen, allein zu arbeiten, niemandem mehr zu vertrauen. Schließlich war Vertrauen eine Schwäche, die ihn schon einmal alles gekostet hatte.
Er stand auf und ging zu dem Fenster, das von Regentropfen bedeckt war. Die Lichter der Stadt verschwammen zu einem trüben Leuchten, während er in die Dunkelheit starrte. „Warum ausgerechnet ich?" fragte er sich. „Was will diese Eliza wirklich?"
Er erinnerte sich an ihren Blick – entschlossen, fast fordernd, aber nicht ohne eine Spur von Schmerz. Sie schien etwas zu wissen, etwas, das sie nicht gesagt hatte. Doch was, wenn sie nur bluffte? Was, wenn sie ihn für ihre eigenen Ziele benutzen wollte?
Cedric drehte sich vom Fenster weg und begann, in seinem Zimmer auf und ab zu gehen, seine Gedanken rasten. „Ich kann das allein. Ich brauche sie nicht." Doch als er das sagte, wusste er, dass es nicht stimmte. Wie viele Nächte hatte er vor diesem Pinnwand-Chaos gesessen und sich gefragt, ob er irgendetwas übersehen hatte? Wie oft hatte er das Gefühl gehabt, in einem endlosen Labyrinth aus Andeutungen und falschen Fährten gefangen zu sein?
Seine Schritte wurden langsamer, und er blieb vor dem Umschlag stehen. Er griff danach, öffnete ihn zögernd und zog die Dokumente hervor. Seine Augen flogen über die Seiten, und er erkannte sofort, dass es keine leeren Versprechungen waren. Namen, Orte, Details – Dinge, die er selbst nie gefunden hatte. Es war, als ob jemand ein Fenster geöffnet hätte, durch das er einen Blick auf eine Welt werfen konnte, die er bisher nicht gesehen hatte.
Cedric schluckte schwer und ließ die Blätter auf den Tisch sinken. Er hatte keine Wahl. Wenn er Isabelle wirklich rächen wollte, musste er hingehen. Selbst wenn es bedeutete, die Kontrolle aus der Hand zu geben.
Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. 21:17. Es blieb nicht viel Zeit.
Ohne weiter zu zögern, zog er seinen Mantel an, griff nach seinem Rucksack und der Karte. Sein Herz pochte schneller, als er die Tür öffnete und in die kalte, nasse Nacht hinaustrat. Der Regen war mittlerweile schwächer geworden, aber die Straßen waren still, fast unheimlich ruhig. Cedric zog die Kapuze tief ins Gesicht und begann zu gehen, seine Gedanken wirbelten.
„Wenn das ein Fehler ist, dann ist es mein letzter", murmelte er und hielt die Karte fester. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass er nicht zurückkehren würde. Denn der Puppeteer war noch da draußen – und das Spiel hatte gerade erst begonnen.
Die U-Bahn war kalt, stickig und überfüllt, trotz der späten Stunde. Der Geruch von nassem Asphalt und altem Metall hing in der Luft, als Cedric die Treppe hinunterstieg. Seine Schritte hallten von den grauen Wänden wider, und der Klang seiner Stiefel schien mit jedem Schritt schwerer zu werden. Er hielt den Kopf gesenkt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Niemand sollte ihn erkennen. Niemand sollte ihn ansprechen.
Die Neonlichter flackerten wie ein sterbendes Herz, während er sich in die Menge mischte, die auf den nächsten Zug wartete. Er war umgeben von Menschen, doch jeder fühlte sich für ihn wie ein Geist – schemenhafte Wesen ohne Bedeutung. Er schloss die Hände in den Taschen seiner Jacke zu Fäusten, die Kälte seines Schlüsselschnittmessers in der einen Hand wie ein stilles Versprechen. Du hast kein Ziel außer eines, dachte er. Und niemand wird dich davon abhalten.
Ein lautes Rattern kündigte den einfahrenden Zug an. Die Türen öffneten sich mit einem zischenden Geräusch, und die Masse drängte hinein. Cedric hielt sich zurück, wartete, bis die meisten eingestiegen waren, bevor er einen Platz suchte. Er fand eine Ecke im hintersten Waggon, wo die Neonlichter dunkler schienen, und setzte sich, den Blick auf den Boden geheftet.
Die anderen Passagiere wirkten verloren in ihren eigenen Welten – ein Mann mit zerzaustem Anzug, der an einem Thermobecher nippte; eine Frau, die mit ihrem Handy spielte; ein Teenager, dessen Kopfhörer so laut dröhnten, dass Cedric die Musik hören konnte. Sie alle waren so lebendig, und doch so leer für ihn. Früher hätte er sie vielleicht beobachtet, sich gefragt, wer sie waren, welche Geschichten sie trugen. Doch jetzt? Sie waren bedeutungslos.
Seine Gedanken kehrten zu dem Treffen zurück, das vor ihm lag. Unchained. Er hasste diesen Namen. Es klang wie eine billige Selbsthilfegruppe für verlorene Seelen. Doch tief in sich wusste er, dass sie vielleicht seine einzige Chance waren. Er hatte keine Illusionen. Er wusste, dass diese Leute genauso kaputt sein mussten wie er, vielleicht schlimmer. Aber das machte sie nicht zu Freunden. Es machte sie zu Werkzeugen. Und Cedric war bereit, jedes Werkzeug zu nutzen, um den Puppeteer zu finden.
Die Türen schlossen sich, und der Zug setzte sich in Bewegung. Cedric spürte das Ruckeln, den dumpfen Klang der Gleise unter ihm. Er lehnte sich zurück, ließ den Kopf gegen die kalte Metallwand fallen und schloss kurz die Augen. Doch die Ruhe hielt nicht lange.
Ein lautes Lachen durchbrach die Stille. Cedric öffnete die Augen und sah, wie ein Mann durch den Waggon torkelte. Seine Kleidung war schmutzig, seine Haare ungepflegt, und in der Hand hielt er eine halb leere Bierdose. Der Mann schwankte, während er lachend und murmelnd von einem Ende des Waggons zum anderen stolperte. Die anderen Passagiere mieden ihn, warfen ihm flüchtige Blicke zu, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Telefone oder die Fenster richteten.
Cedric blieb reglos. Der Mann kam näher, sein Lachen wurde lauter, bis er schließlich vor Cedric stehen blieb. „Hey, du da", lallte er und deutete mit der Bierdose auf ihn. „Warum so ernst, Kumpel?"
Cedric hob langsam den Blick, seine Augen kalt und leer. Er sagte nichts.
„Was, du bist zu gut, um mit mir zu reden?" Der Mann lehnte sich näher, und der Geruch von Alkohol und Schweiß traf Cedrics Nase. „Komm schon, Kumpel. Gib mir ein Lächeln."
Cedric blieb stumm. Der Mann lachte wieder, doch es war ein unsicheres, nervöses Lachen. „Du bist so ein Typ, der denkt, er ist was Besseres, huh?" Er nahm einen Schluck aus der Dose und kippte dabei etwas Bier auf den Boden.
Die anderen Passagiere beobachteten die Szene aus den Augenwinkeln, doch niemand griff ein. Cedric bewegte sich endlich, seine Stimme war leise, aber scharf wie ein Messer. „Geh weg."
Das Lachen des Mannes verstummte. Er starrte Cedric an, als wolle er entscheiden, ob das eine Drohung war. „Oh, jetzt willst du tough sein?" Er beugte sich vor, seine Hand griff nach Cedrics Schulter.
In einer fließenden Bewegung schnappte Cedric nach der Hand des Mannes, seine Finger gruben sich wie ein Schraubstock in dessen Gelenk. Der Mann keuchte vor Schmerz und versuchte, sich zu befreien, doch Cedrics Griff blieb fest. „Hör zu", zischte Cedric, seine Stimme war kalt wie Eis. „Du hast keine Ahnung, wer ich bin, und du willst es auch nicht wissen. Geh. Jetzt."
Der Mann stolperte zurück, hielt sich die Hand und murmelte etwas Unverständliches, bevor er sich in die entgegengesetzte Richtung des Waggons verzog. Cedric ließ sich wieder zurücksinken, als wäre nichts passiert, doch in seinem Kopf rasten die Gedanken.
Früher hätte ich versucht, mit ihm zu reden. Vielleicht hätte ich ihn sogar bemitleidet. Jetzt fühlte er nichts. Keine Wut, keinen Ekel, keine Erleichterung. Nur Leere.
Die U-Bahn hielt an der nächsten Station, und Cedric stand auf. Er verließ den Waggon, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Während er durch die Gänge der Station ging, die Kapuze wieder tief ins Gesicht gezogen, fragte er sich, wann er aufgehört hatte, ein Mensch zu sein.
Doch die Antwort war einfach. Sie lag in den leeren Augen seiner Schwester, die ihn jedes Mal ansahen, wenn er die Augen schloss.
Die letzten Treppen führten ihn nach oben in die regennasse Nacht. Das Gebäude, das Eliza ihm beschrieben hatte, war nur ein paar Straßen entfernt. Cedric ging schnellen Schrittes, sein Atem kondensierte in der kalten Luft.
„Es ist egal", murmelte er, die Hände in den Taschen vergraben. „Was ich fühle oder nicht fühle, spielt keine Rolle mehr. Alles, was zählt, ist, dass ich ihn finde."
Sein Herz schlug schneller, als er die leuchtende Nummer des Gebäudes sah. Es war Zeit. Zeit, Teil eines Spiels zu werden, das er zu Ende bringen würde – egal, was es kostete.
Der Eingang des Gebäudes war unscheinbar, fast so, als wollte er sich vor neugierigen Blicken verbergen. Cedric blieb davor stehen, das Holz der alten Tür wirkte spröde, der Lack war an vielen Stellen abgeblättert. Ein schwaches Licht flackerte durch das Glasfenster im oberen Teil der Tür, und er konnte gedämpfte Stimmen hören, die aus dem Inneren drangen.
Cedric atmete tief ein, sein Atem bildete kleine Wolken in der kalten Nachtluft. Er ballte die Hände in den Taschen seiner Jacke zu Fäusten, bevor er den Griff umfasste und die Tür aufstieß. Sie knarrte leise, als er eintrat.
Das Innere des Gebäudes war ein seltsamer Kontrast. Alte, abgeschabte Holzböden knarrten unter seinen Schritten, und die Wände waren mit verblassten Tapeten bedeckt, die ihre besten Tage längst hinter sich hatten. Doch zwischen all dem Verfall war eine fast theatralische Ordnung spürbar. Möbel waren sorgfältig platziert, ein langer Tisch mit mehreren Stühlen dominierte den Raum. Eine Lampe mit warmem Licht warf weiche Schatten, die sich wie Gespenster an den Wänden bewegten.
Am anderen Ende des Raumes wartete Eliza Cole. Sie trug wieder ihren langen Mantel, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete Cedric mit einer Mischung aus Wachsamkeit und Neugier. Ihre Haltung war aufrecht, aber nicht bedrohlich. Als Cedric näherkam, sah er, dass sie feine, dunkle Augenringe hatte, die von schlaflosen Nächten sprachen.
„Du bist gekommen", sagte sie knapp, ohne Gruß oder Vorrede. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Scheint so", erwiderte Cedric trocken und ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Was ist das hier? Euer geheimer Unterschlupf?"
Eliza zuckte mit den Schultern. „Nichts so Romantisches. Es ist einfach ein Ort, den wir nutzen können, ohne gestört zu werden. Diskret, versteckt... perfekt für jemanden wie dich."
Cedric runzelte die Stirn bei dem unterschwelligen Vorwurf in ihrer Stimme, sagte aber nichts. Stattdessen trat er näher, zog die Kapuze von seinem Kopf und streckte die Hand aus. „Cedric Ashwell."
Eliza musterte ihn einen Moment, dann nahm sie seine Hand. Ihr Griff war fest, fast herausfordernd. „Eliza Cole. Willkommen bei der Unchained-Bewegung... oder was auch immer davon übrig ist."
Cedric zog die Augenbrauen hoch. „Du klingst nicht besonders optimistisch."
„Optimismus ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können", entgegnete Eliza mit einem schiefen Lächeln. „Aber wir haben etwas Besseres: Hartnäckigkeit."
„Und wen genau meinst du mit ‚wir'?" Cedrics Ton war skeptisch, sein Blick wanderte wieder durch den Raum.
Eliza nickte in Richtung eines angrenzenden Zimmers. „Das wirst du gleich sehen."
Mit einer einladenden Geste deutete sie Cedric, ihr zu folgen. Sie führte ihn durch eine schmale Tür in einen zweiten Raum, der noch eigentümlicher war als der erste. Hier hingen vergilbte Theaterposter an den Wänden, einige davon eingerahmt, andere direkt auf das bröckelnde Mauerwerk geklebt. Ein schwerer Teppich bedeckte den Boden, und in der Mitte stand ein ausladender Sessel, der wie aus einer anderen Zeit wirkte. Darin saß ein Mann, der Cedric sofort auffiel.
Er war groß, aber schlaksig, mit einem Gesicht, das an eine Mischung aus Intellekt und Wahnsinn erinnerte. Sein Haar war nach hinten gekämmt, doch einige Strähnen standen in alle Richtungen ab, als hätte er eine besonders hitzige Diskussion hinter sich. Er trug ein abgetragenes Tweedjackett, das einmal teuer gewesen sein mochte, und eine Krawatte, die halb gelöst um seinen Hals hing. In der Hand hielt er ein Kristallglas, aus dem er langsam einen Schluck nahm.
„Cedric Ashwell, nehme ich an!" rief der Mann mit einer Stimme, die sowohl warm als auch dramatisch klang. Er sprang förmlich aus dem Sessel auf und streckte die Arme aus, als wolle er Cedric mit einer unsichtbaren Geste umarmen. „Willkommen in meinem bescheidenen Reich."
„Und Sie sind?" fragte Cedric, seine Skepsis unverhohlen.
„Rupert Vale", stellte der Mann sich vor, verbeugte sich leicht und zeigte dabei eine übertriebene Eleganz, die ebenso faszinierend wie irritierend war. „Regisseur, Visionär, Liebhaber der Kunst... und jetzt, wie es das Schicksal so will, ein bescheidener Helfer in unserem kleinen Krieg gegen die Dunkelheit."
„Rupert ist Theaterdirektor", erklärte Eliza trocken. „Er kennt die Inszenierungen des Puppeteers besser als jeder andere. Vielleicht sogar zu gut."
„Oh, ich bitte dich, Eliza", sagte Rupert mit einem theatralischen Seufzer. „Nichts, was ich jemals auf die Bühne gebracht habe, könnte mit seiner... Genialität mithalten." Er drehte sich zu Cedric und sah ihn mit einem Glitzern in den Augen an. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Ashwell. Ich verabscheue seine Taten. Aber die Ästhetik, die Symbolik... es ist makaber und verstörend, ja, aber auch..."
„Krank", unterbrach Cedric scharf. Seine Stimme schnitt wie ein Messer, und das Lächeln auf Ruperts Gesicht gefror für einen Moment.
„Natürlich", sagte Rupert schließlich, seine Stimme leiser, aber immer noch mit einem Hauch von Theatralik. „Krank. Aber genau deshalb sind wir hier, nicht wahr? Um diese Krankheit zu heilen."
Cedric verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Wand. „Und wie genau soll das ablaufen? Ihr seid zu zweit. Was glaubt ihr, erreichen zu können?"
„Zu zweit sind wir vielleicht wenig", sagte Eliza, ihre Stimme entschlossen. „Aber mit dir könnten wir eine echte Chance haben. Du hast Verbindungen, Wissen. Und wenn wir ehrlich sind... du hast den größten Grund, ihn zu finden."
Cedric schwieg. Ihre Worte waren wahr, aber sie schmeckten bitter. Er spürte, wie sich sein Kiefer anspannte, und er sah kurz zu Boden, bevor er Rupert wieder ansah. „Und Sie? Warum sind Sie hier? Was haben Sie zu gewinnen?"
Rupert lächelte wieder, doch dieses Mal war es ein schwaches, fast trauriges Lächeln. „Ich habe die Welt des Theaters geliebt, Herr Ashwell. Sie war mein Leben, meine Leidenschaft. Aber der Puppeteer... er hat etwas genommen, das mir heilig war, und es in etwas Abscheuliches verwandelt. Ich will es zurück. Ich will ihm zeigen, dass er nicht der einzige ist, der dieses Spiel versteht."
Cedric sah Rupert lange an, dann nickte er knapp. „Gut. Zeigen Sie mir, was Sie haben."
Rupert führte sie zu einem hölzernen Schreibtisch, der inmitten von Stapeln alter Theaterprogramme und vergilbter Bücher stand. Über den Tisch gebeugt, zog er eine Karte Londons hervor, die mit Kreisen, Notizen und Pfeilen bedeckt war. Seine Finger, elegant und leicht zitternd, glitten über das Papier, bis sie auf einen Punkt in der Nähe von Camden hielten.
„Hier", sagte Rupert, und sein Ton wurde ernst. Das theatralische Glitzern in seinen Augen wich einer seltsamen Intensität. „Eine alte Marionettenwerkstatt. Betrieben von George Holloway. Ein ehemaliger Meister seines Fachs. Er hat aufgehört, professionell zu arbeiten, kurz nachdem der Puppeteer seine Inszenierungen begonnen hat."
„Holloway?" Eliza runzelte die Stirn und zog ein Notizbuch hervor, in dem sie zu blättern begann. „Der Name tauchte schon mal auf. Er war in der Theaterszene bekannt, nicht wahr? Talentiert, aber zurückgezogen."
Rupert nickte, seine Hand immer noch auf der Karte ruhend. „Nicht nur talentiert. Ein Virtuose. Ich habe einmal eine seiner Aufführungen gesehen – magisch. Seine Puppen schienen lebendig. Doch in den letzten Jahren... nun, ich würde sagen, dass er die Bühne des Lebens hinter sich gelassen hat."
„Und warum sollte er uns helfen?" fragte Cedric mit skeptischem Ton. Er lehnte sich gegen den Türrahmen, die Arme verschränkt, seine Augen verengt auf Rupert gerichtet.
Rupert lächelte schwach. „Weil er vielleicht weiß, was der Puppeteer wirklich vorhat. George hat mit einer Art Besessenheit Puppen erschaffen – Puppen, die viel zu real wirken. Ich glaube, er könnte etwas wissen, das uns weiterbringt. Aber..." Er hob die Hand und blickte Eliza und Cedric abwechselnd an. „Ihr dürft nicht überstürzt handeln. Er ist ein gebrochener Mann, leicht zu verschrecken. Geht morgen zu ihm, bei Tageslicht. Lasst ihn euch nicht für Eindringlinge halten."
Eliza nickte langsam. „Macht Sinn." Doch Cedric runzelte die Stirn. „Warum nicht jetzt?"
„Weil George Holloway ein misstrauischer Kauz ist", erklärte Rupert. „Und weil ich denke, dass wir besser vorbereitet sein sollten. Gebt ihm Zeit. Schlaft eine Nacht darüber."
Cedric seufzte, schob sich die Hände in die Taschen und warf Rupert einen abschätzigen Blick zu. „Morgen oder nicht, ich mache, was ich für richtig halte."
Eliza spürte die Spannung und legte Rupert eine Hand auf die Schulter, bevor sie Cedric nach draußen folgte. Rupert blieb zurück, in Gedanken versunken, während Cedric und Eliza in die kühle Nacht hinaustraten.
Der Weg zur U-Bahn-Station war gesäumt von gedämpften Geräuschen der Stadt: das leise Brummen der Straßenlaternen, das ferne Lachen aus einem Pub, der kalte Wind, der durch die verlassenen Straßen strich. Cedric ging mit schnellen, entschlossenen Schritten, die Hände tief in den Taschen vergraben, während Eliza versuchte, mit ihm Schritt zu halten.
„Du bist wirklich stur, weißt du das?" sagte sie schließlich, ihre Stimme warf sich gegen die Stille.
„Vielleicht", erwiderte Cedric knapp, ohne sie anzusehen.
„Warum die Eile?" fragte sie. „Rupert könnte recht haben. Vielleicht wäre es besser, zu warten."
Cedric blieb abrupt stehen. Eliza prallte fast gegen ihn, als er sich zu ihr umdrehte. „Weil Warten mich nicht näher an den Puppeteer bringt. Weil Warten meiner Schwester nicht hilft."
Eliza betrachtete ihn, ihre Augen suchten nach einem Anzeichen von Emotion in seinem ausdruckslosen Gesicht. Sie zögerte, bevor sie die Frage stellte, die sie die ganze Zeit über auf der Zunge gehabt hatte.
„Was ist eigentlich genau passiert, Cedric? An dem Tag, als deine Schwester..."
Sein Gesicht wurde hart, und für einen Moment dachte Eliza, er würde sich einfach abwenden und sie ignorieren. Doch dann atmete er tief durch und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. Sein Blick richtete sich auf einen Punkt in der Ferne, irgendwo über den Dächern der Stadt.
„Isabelle war immer die Stärkere von uns beiden", begann er, seine Stimme leise, fast ein Flüstern. „Sie war klug, mutig... und neugierig. Zu neugierig. Sie hatte diesen Fall verfolgt, den Puppeteer, lange bevor ich überhaupt wusste, was vor sich ging. Sie sagte, sie hätte etwas entdeckt, etwas, das ihn verraten würde."
Eliza hörte aufmerksam zu, wagte es nicht, ihn zu unterbrechen.
„Ich habe sie gewarnt", fuhr er fort, seine Stimme zitterte leicht. „Habe ihr gesagt, sie soll vorsichtig sein. Aber Isabelle... sie hat nie auf mich gehört." Er lachte bitter. „Sie war überzeugt, dass sie ihn finden würde. Dass sie ihn stoppen könnte."
Er verstummte, die Worte schienen ihn zu erdrücken. Schließlich sprach er weiter, leise und mit gebrochener Stimme: „An dem Abend kam ein Anruf. Eine verzerrte Stimme sagte mir, ich solle ins alte Theater kommen, wenn ich Isabelle wiedersehen wollte. Als ich dort ankam..." Cedric schloss die Augen, sein Kiefer spannte sich an. „Sie war da. Auf der Bühne. Wie eine dieser verdammten Marionetten."
Eliza spürte, wie ihr der Atem stockte. Sie konnte sich die Szene bildlich vorstellen, doch sie wollte es nicht. „Cedric, es tut mir leid", flüsterte sie.
Er öffnete die Augen und sah sie mit einem Ausdruck an, der irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung lag. „Sorry reicht nicht. Ich werde ihn finden, Eliza. Und wenn ich ihn finde... werde ich ihm zeigen, was es bedeutet, eine Marionette zu sein." Seine Stimme war eiskalt, und Eliza spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.
Sie wusste, dass Cedric in diesem Moment keine Gnade kannte – weder für den Puppeteer noch für sich selbst.
Cedric zündete sich eine Zigarette an, während er mit Eliza durch die dunklen Straßen ging. Die Flamme des Feuerzeugs flackerte kurz im Wind, bevor sie erlosch, und der scharfe Geruch von Tabak mischte sich mit der kalten Luft der Nacht. Mit einem tiefen Zug nahm er den Rauch in sich auf, ließ ihn für einen Moment verweilen und stieß ihn dann in einem langsamen, gleichmäßigen Strom aus.
Eliza warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Ich wusste nicht, dass du rauchst."
„Hat irgendwann angefangen", murmelte er, ohne sie anzusehen. „Vielleicht, als ich aufgehört habe zu glauben, dass es wichtig ist, wie lange ich lebe."
Eliza runzelte die Stirn, hielt aber inne, bevor sie etwas dazu sagen konnte. Der Kommentar war scharf, ein Hieb, der sie mitten ins Herz traf – nicht nur wegen der Worte, sondern wegen der beiläufigen, fast gleichgültigen Art, wie er sie ausgesprochen hatte.
„Wie viele am Tag?" fragte sie schließlich, die Neugier in ihrer Stimme klang eher nach Pflicht als nach echter Sorge.
„Keine Ahnung", antwortete Cedric knapp und nahm einen weiteren Zug. „Genug, um zu wissen, dass es mir egal ist."
Eliza beschleunigte ihre Schritte leicht, um ihm vorauszugehen, drehte sich aber nach ein paar Metern um und sah ihn an. „Du weißt, dass das nicht hilft, oder?"
„Hilft was?" Cedric lachte leise, ein kurzes, bitteres Geräusch, und warf die halb gerauchte Zigarette auf den Boden, zertrat sie mit der Sohle seines Schuhs. Er zog direkt danach eine neue aus der zerknitterten Packung in seiner Jackentasche und steckte sie sich zwischen die Lippen. „Hilft es, den Puppeteer zu finden? Nein. Aber es hält mich aufrecht. Irgendwie."
„Aufrecht?", wiederholte Eliza und verschränkte die Arme. „Du meinst, es lässt dich vergessen."
Cedric entzündete die Zigarette und nahm einen tiefen Zug, bevor er sie zwischen zwei Fingern hielt und Eliza direkt ansah. „Genau. Und in meiner Welt ist Vergessen manchmal die einzige Option."
Sie musterte ihn, den Rauch, der sich in Spiralen um sein Gesicht legte, die Schatten, die das Flackern des Feuerzeugs in seine müden Züge geworfen hatte. Cedric wirkte nicht wie ein Mann, der lebte. Er wirkte wie ein Mann, der einfach weitermachte, weil er es musste. Der Rauch in seiner Lunge war vielleicht das einzige, was ihn spüren ließ, dass er noch hier war.
Eliza schwieg, und Cedric ging weiter, ließ sie kurz zurück. Sie beobachtete, wie er die Zigarette in einem raschen Zug halb herunterbrannte, bevor er sie achtlos wegwarf. Seine Schritte waren entschlossen, sein Rücken gerade, doch es war eine Haltung, die er zwanghaft aufrechterhielt – als würde er versuchen, vor sich selbst zu fliehen.
Der Regen begann wieder leicht zu fallen, während sie die U-Bahn-Station erreichten. Cedric hielt inne, zog die dritte Zigarette aus der Packung, bevor sie überhaupt die Treppen hinabgingen. Eliza sagte nichts, doch ihre Blicke waren eindringlich. Cedric bemerkte es.
„Willst du mir jetzt einen Vortrag halten?" fragte er spöttisch und zündete die Zigarette an. „Glaub mir, ich brauche keinen weiteren."
„Nein", sagte Eliza leise. „Ich wollte nur sagen, dass es schade ist. Deine Schwester hätte nicht gewollt, dass du dich so behandelst."
Cedric hielt inne, die Zigarette nur halb angezündet, und für einen Moment glaubte Eliza, sie hätte ihn erreicht. Doch dann nahm er einen tiefen Zug, ließ den Rauch durch die Nase entweichen und trat die Kippe direkt am Rand der Treppe aus.
„Meine Schwester hätte gewollt, dass ich den Bastard finde, der ihr das angetan hat", erwiderte er kalt. „Und alles andere spielt keine Rolle."
Ohne ein weiteres Wort verschwand er die Treppen hinunter, den Rauch noch in seinen Lungen. Eliza blieb zurück, ihre Augen ruhten auf der zerdrückten Zigarette am Boden, bevor sie ihm mit schweren Schritten folgte.
Die U-Bahn war wie ein schlafender Riese – dumpfes Summen erfüllte die Luft, unterbrochen von sporadischen Durchsagen, die von den nächsten Haltestellen sprachen. Cedric und Eliza saßen in einem fast leeren Waggon, getrennt durch eine unausgesprochene Spannung. Cedric saß zurückgelehnt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, während Eliza am Fenster saß, ihr Blick starr auf die vorbeiziehenden Tunnelwände gerichtet.
Die Lichter flackerten kurz, als der Zug über eine Weiche fuhr. Cedric brach die Stille, seine Stimme trocken und leise. „Honor Oak Park. Interessanter Ort für eine Werkstatt."
Eliza warf ihm einen Blick zu, sagte aber nichts. Stattdessen zog sie eine kleine Karte aus ihrer Jackentasche und faltete sie auf. „Es ist abgelegen", sagte sie schließlich. „Wenig Verkehr. Perfekt, wenn man nicht gesehen werden will."
Cedric zog eine Zigarette aus der Packung, hielt sie jedoch nur zwischen den Fingern, ohne sie anzuzünden. „Perfekt für jemanden wie Holloway", murmelte er. „Ein Marionettenbauer, der sich vor der Welt versteckt."
Eliza hob den Kopf und sah ihn an, ihre Augen bohrten sich in seine. „Vielleicht versteckt er sich nicht. Vielleicht wartet er einfach nur auf jemanden."
Cedric zuckte mit den Schultern. „Dann hoffe ich, dass er bereit ist, uns zu sehen."
Die U-Bahn hielt ruckartig an der Station Honor Oak Park. Cedric und Eliza standen auf, ihre Bewegungen synchron, doch ohne jegliche Koordination. Der Bahnsteig war fast menschenleer, bis auf einen einsamen Mann, der in einem Mantel gehüllt auf eine Bank saß und mit leerem Blick auf den Boden starrte. Der Regen hatte die Luft schwer und feucht gemacht, und der Geruch von nassem Beton hing über der Station.
„Da wären wir", sagte Eliza, ihre Stimme war ruhig, doch ihre Augen scannten die Umgebung. „Es ist nicht weit."
Cedric nickte knapp und folgte ihr die Treppen hinauf. Die Nacht war kalt, und der Regen hatte sich in ein feines Nieseln verwandelt, das wie ein unsichtbarer Schleier über ihnen lag. Die Straßenlaternen gaben ein gedämpftes, orangefarbenes Licht ab, das die verregneten Gehwege in melancholischen Glanz hüllte.
„Bist du sicher, dass Holloway überhaupt noch lebt?" fragte Cedric, während sie den Bürgersteig entlanggingen, ihre Schritte ein leises Echo in der Stille.
„Ich bin sicher, dass er da ist", antwortete Eliza ohne zu zögern. „Ob er uns empfängt, ist eine andere Frage."
Cedric zündete seine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und ließ den Rauch in die kalte Nachtluft entweichen. „Wenn er schlau ist, empfängt er uns. Sonst haben wir ein Problem."
Eliza warf ihm einen scharfen Blick zu. „Wir sind nicht hier, um Probleme zu machen."
„Vielleicht nicht", erwiderte Cedric. „Aber das bedeutet nicht, dass wir keine finden."
Nach etwa zehn Minuten zu Fuß erreichten sie die angegebene Adresse. Die Straße war schmal und von hohen Bäumen gesäumt, die sich über den Gehweg wölbten und den Mondschein abschirmten. Die Häuser waren alt und grau, ihre Fassaden von der Zeit gezeichnet. Doch die Werkstatt – ein unscheinbares Gebäude mit einem rostigen Metallschild, auf dem kaum lesbar „Holloway's Marionetten" stand – stach dennoch heraus.
„Da ist es", sagte Eliza und blieb stehen. Sie zog ihren Mantel enger um sich, als ob die Kälte plötzlich stärker geworden wäre.
Cedric musterte das Gebäude, seine Augen verengten sich. Die Fenster waren mit dicken Vorhängen verdeckt, und nur ein schwaches Licht drang durch einen schmalen Spalt. Es war still, fast zu still. „Sieht einladend aus", sagte er trocken.
„Wir sind nicht hier, um eingeladen zu werden", entgegnete Eliza, ihre Stimme fest. „Wir gehen rein, reden mit Holloway und finden heraus, was er weiß."
Cedric zog an seiner Zigarette, bevor er sie auf den nassen Boden warf und mit dem Absatz austrat. „Dann sollten wir besser klopfen."
Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zur Tür, seine Schritte entschlossen. Eliza folgte dicht hinter ihm, ihre Hand instinktiv an ihrer Manteltasche, wo sie ihre Dienstwaffe trug. Cedric hielt vor der schweren Holztür inne, sein Atem sichtbar in der kühlen Nachtluft.
„Bereit?" fragte er, ohne sie anzusehen.
Eliza nickte, und Cedric hob die Hand, klopfte zweimal. Der Klang hallte dumpf durch die Stille.
Die Tür knarrte leicht, als sie aufgestoßen wurde. Cedric trat ein, dicht gefolgt von Eliza. Das Innere der Werkstatt war in dunklen Schatten gehüllt, die nur von schwachem Kerzenlicht durchbrochen wurden. Der Geruch von Holz, Lack und etwas, das seltsam metallisch war, lag in der Luft.
Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Cedric ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, seine Sinne geschärft. „Holloway?" rief er, seine Stimme war ruhig, doch voller Spannung.
Keine Antwort. Nur die Stille, die schwer wie eine Decke auf ihnen lag.
„Er ist hier", flüsterte Eliza. „Ich weiß es."
Cedric trat weiter in den Raum, sein Blick auf die seltsamen, grotesken Marionetten gerichtet, die an den Wänden hingen. Jede von ihnen schien ein Eigenleben zu haben, mit ausdrucksstarken Gesichtern und detailreichen Gewändern.
„Dann lass uns ihn finden", murmelte er. „Bevor er uns findet."