Die Tür der alten Marionettenwerkstatt knarrte leise, als Cedric und Eliza eintraten. Ein schwerer Geruch nach Holzleim, Farbe und altem Staub erfüllte die Luft. Das Innere der Werkstatt war eine bizarre Mischung aus Kunst und Chaos. Überall hingen Marionetten in verschiedenen Stadien der Fertigstellung – einige hatten noch keine Köpfe, andere waren kunstvoll bemalt und mit filigranen Details versehen. Das Licht, das durch die schmutzigen Fenster fiel, schien die Szenerie fast lebendig wirken zu lassen.
Hinter einer Werkbank, die mit Werkzeugen, Holzspänen und halb fertigen Puppen übersät war, saß ein älterer Mann mit schneeweißem Haar. Seine Hände, von der Arbeit gezeichnet, bewegten sich ruhig über eine kleine Marionette, deren Kopf er gerade polierte. Er blickte auf, als die Tür ins Schloss fiel, und seine wasserblauen Augen schienen Cedric und Eliza für einen Moment zu durchbohren.
„George Holloway?" fragte Eliza mit fester Stimme.
Der Mann legte die Marionette zur Seite und wischte sich die Hände an einem ölverschmierten Tuch ab. „Das bin ich", sagte er, seine Stimme ruhig, aber brüchig wie altes Holz. „Und wer seid ihr, die in meine Werkstatt platzt, ohne eingeladen zu sein?"
Eliza zog ihren Ausweis hervor. „Detective Eliza Cole. Und das ist Cedric Ashwell. Wir untersuchen den Puppeteer-Fall."
Georges Blick blieb auf Cedric hängen, seine Augen verengten sich. „Ich kenne diesen Namen. Ashwell..." Er hielt inne und nickte langsam, als würde er sich an etwas erinnern. „Deine Familie ist ziemlich bekannt."
Cedrics Kiefermuskeln spannten sich, doch er sagte nichts.
George deutete auf zwei wackelige Holzstühle vor der Werkbank. „Setzt euch. Aber ich weiß nicht, wie viel ich euch helfen kann. Alles, was ich über diesen Wahnsinnigen weiß, habe ich in den Zeitungen gelesen."
Eliza und Cedric setzten sich, während George hinter der Werkbank Platz nahm und die Marionette wieder aufhob, fast so, als wäre sie eine Schutzbarriere gegen die Realität.
„Wir haben gehört, dass Sie früher einen außergewöhnlichen Schüler hatten", begann Eliza. „Jemanden, der eine Leidenschaft für das Puppenspiel hatte. Können Sie uns etwas über ihn erzählen?"
George hielt inne, die Marionette in seiner Hand schien plötzlich schwer zu werden. „Ah... ja. Da gab es jemanden. Ein Junge. Talentiert, so talentiert, dass es manchmal fast unheimlich war. Er konnte die Puppen so bewegen, dass man vergaß, dass sie aus Holz und Fäden bestanden. Als ob sie wirklich lebendig wären."
„Wie war sein Name?" fragte Cedric, seine Stimme schneidend.
George zögerte, seine Augen wanderten zu einer der Marionetten, die an der Wand hingen. „Das weiß ich nicht mehr. Es ist lange her, und der Junge war... eigenartig. Verschlossen. Er sprach nicht viel, aber wenn er es tat, waren seine Worte schwer zu vergessen."
„Eigenartig?" wiederholte Eliza, ihre Neugier geweckt. „Wie meinen Sie das?"
„Er hatte eine Dunkelheit in sich", antwortete George leise. „Etwas, das man spüren konnte, wenn man in seiner Nähe war. Es war, als ob er die Welt anders sah – als ob er in den Puppen etwas fand, das ihm in der realen Welt fehlte. Er liebte sie. Aber er liebte sie auf eine Art, die... falsch war."
Cedric beugte sich vor, seine Hände auf der Tischkante. „Was meinen Sie mit ‚falsch'?"
George hielt inne, als würde er die richtigen Worte suchen. „Er sprach oft darüber, dass Menschen nicht anders seien als Marionetten. Dass sie alle von Fäden gehalten werden – Fäden, die man ziehen kann, wenn man nur weiß, wie. Und manchmal... manchmal hatte ich das Gefühl, dass er nicht nur darüber nachdachte, sondern es ausprobieren wollte."
Eine Stille senkte sich über die Werkstatt, nur das leise Knarren der hängenden Puppen war zu hören. Elizas Blick wanderte zu Cedric, der den Mann mit scharfem Blick fixierte.
„Haben Sie ihn jemals wieder gesehen?" fragte Eliza schließlich.
George schüttelte den Kopf. „Nein. Irgendwann hörte er einfach auf, zu kommen. Kein Abschied, keine Erklärung. Er verschwand, als hätte es ihn nie gegeben."
Cedric stand abrupt auf, seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Das ist alles? Ein vages Gerede über einen Schüler, dessen Namen Sie nicht kennen? Haben Sie irgendetwas, das uns tatsächlich hilft, diesen Wahnsinnigen zu finden?"
George ließ die Marionette sinken und sah Cedric mit einem seltsamen Ausdruck an – eine Mischung aus Mitgefühl und Müdigkeit. „Ich verstehe deinen Schmerz, Junge. Aber manchmal hinterlassen Menschen keine Spuren. Manchmal sind sie wie Schatten, die nur einen flüchtigen Eindruck hinterlassen, bevor sie verschwinden."
Cedric biss die Zähne zusammen und wandte sich ab, die Finger an seiner Schläfe reibend. Eliza stand auf und legte eine Hand auf seinen Arm. „Cedric, beruhig dich. Wir sind hier, um Antworten zu finden, nicht um Schuldzuweisungen zu machen."
George räusperte sich und sah die beiden an. „Wenn ihr wirklich wissen wollt, was ich denke, dann sage ich euch das: Der Puppeteer ist nicht allein. So etwas macht niemand allein. Es gibt immer Zuschauer. Immer jemand, der klatscht."
Cedric drehte sich langsam zu ihm um, seine Augen funkelten. „Was meinen Sie damit?"
George zuckte mit den Schultern. „Manche Menschen genießen das. Diese... Inszenierungen. Es gibt eine gewisse Faszination für das Morbide, die immer Zuschauer anzieht. Vielleicht solltet ihr dort nach Antworten suchen."
Eliza nickte langsam. „Danke, George. Das war hilfreich."
„Ich hoffe es", sagte er leise und griff wieder nach der Marionette. „Aber ich warne euch – diese Spur führt nicht zu Antworten. Sie führt nur tiefer ins Dunkel. Ach ja, und nehmt das hier." George drückte Eliza zwei Zettel in die Hand, beide scheinbar verschlüsselte Briefe. ,,Ich bin leider nicht gut darin, Nachrichten zu entschlüsseln. Ich habe diese beiden Zettel heute morgen vor meiner Tür gefunden. Vielleicht sind sie euch ja von Nutzen."
,,Vielen Dank, Sie waren uns sehr hilfreich.", sagte Eliza, während sie die Briefe ruhig in ihre Tasche steckte.
Als Cedric und Eliza sich auf den Weg nach draußen machten, warf George ihnen einen letzten Blick zu. „Geht lieber erst morgen", rief er ihnen hinterher. „Nach Einbruch der Dunkelheit ist es gefährlich."
Cedric blieb kurz stehen, drehte sich aber nicht um. „Wir gehen jetzt."
Eliza folgte ihm, ihre Stirn in Falten gelegt. „Cedric... was, wenn er recht hat? Vielleicht sollten wir warten.
,,Ich schlafe auf keinen Fall bei einem gruseligen, fremden Mann. Wer weiß, was er vorhat?", antwortete Cedric kalt, nicht darauf achtend, wie sich George fühlte.
George lächelte leicht. ,,Das ist überhaupt kein Problem. In der Nähe gibt es ein tolles Hotel, bei dem ihr übernachten könnt", erwiderte der Marionettenhersteller, während er an Cedric vorbeiging und auf ein prachtvolles Gebäude zeigte.
Dieser gab endlich nach. ,,Gut."
Die schwere Eingangstür des Hotels schwang leise auf, als Cedric und Eliza eintraten. Der Eingangsbereich war mit edlen Marmorböden ausgelegt, die das warme Licht der Kronleuchter reflektierten. An den Wänden hingen Landschaftsgemälde in vergoldeten Rahmen, und ein dezenter Duft von Lavendel lag in der Luft. Das Gebäude wirkte wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Ära, das trotz seiner Pracht die Last der Zeit spüren ließ.
Der Empfangstresen war aus dunklem Holz, glänzend poliert, und dahinter stand eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters. Sie lächelte höflich, als Cedric und Eliza sich näherten.
„Willkommen im Kensington Manor Hotel," sagte sie mit geschmeidiger Stimme. „Wie kann ich Ihnen helfen?"
Eliza trat vor und legte ihre Handtasche auf den Tresen. „Wir brauchen zwei Zimmer für die Nacht. Getrennte Zimmer." Ihr Ton war sachlich, fast geschäftsmäßig.
Die Empfangsdame zog eine alte, aber gepflegte Ledermappe hervor und begann, auf einer Liste nach freien Zimmern zu suchen. „Natürlich, Miss. Ich habe zwei Zimmer im dritten Stock, nebeneinander gelegen. Wird das Ihren Bedürfnissen entsprechen?"
„Perfekt", antwortete Eliza und warf Cedric einen kurzen Blick zu, der hinter ihr stand, die Hände in den Taschen und mit kühlem Blick die Lobby musterte.
„Ihre Namen, bitte?" fragte die Empfangsdame, während sie nach einem Füllfederhalter griff.
„Cole und Ashwell", sagte Eliza ohne zu zögern.
Die Frau notierte die Namen und legte ihnen anschließend zwei kleine Schlüssel auf den Tresen, die an metallenen Anhängern hingen. „Zimmer 312 und 313. Frühstück wird ab sieben Uhr im Speisesaal serviert. Soll ich Ihr Gepäck hochbringen lassen?"
Cedric schnaubte leise und schüttelte den Kopf. „Das kriegen wir schon selbst hin."
„Wie Sie wünschen," sagte die Empfangsdame und neigte leicht den Kopf. „Die Aufzüge befinden sich direkt dort drüben." Sie deutete auf einen breiten Flur, an dessen Ende ein antiker Lift mit verschnörkelten Gittertüren zu sehen war.
Eliza bedankte sich höflich, nahm ihren Schlüssel und ging in Richtung des Aufzugs, während Cedric ihr wortlos folgte. Die leichten Absätze ihrer Schuhe klackten rhythmisch auf dem Marmorboden, während Cedric lautlos hinter ihr herging, seine Gedanken wie immer weit weg von der Umgebung.
Der Aufzug war altmodisch, mit einer kunstvoll gearbeiteten Kabine und einem mechanischen Bedienfeld. Eliza drückte den Knopf für den dritten Stock, und die Gittertür schloss sich mit einem leisen Quietschen. Der Lift setzte sich ruckartig in Bewegung, während die beiden schweigend nebeneinander standen. Cedric starrte auf die sich bewegenden Zahlen über der Tür, als ob er etwas suchte, das nur er sehen konnte.
Als sie den dritten Stock erreichten, öffnete sich die Gittertür mit einem metallischen Klirren. Der Flur war in gedämpftes Licht getaucht, und ein schwerer Teppich dämpfte ihre Schritte. Cedric und Eliza gingen wortlos zu ihren Zimmern, die direkt nebeneinander lagen.
Eliza drehte sich kurz zu Cedric um, als sie vor ihrer Tür stand. „Morgen früh, 8 Uhr. Wir planen unseren nächsten Schritt."
Cedric nickte stumm, drehte den Schlüssel in seinem Schloss und öffnete die Tür zu Zimmer 312. „Schlaf gut, Detective", murmelte er, bevor er hinter der Tür verschwand.
Eliza seufzte, schüttelte leicht den Kopf und öffnete ihr eigenes Zimmer.
Cedric trat in das kleine, aber geschmackvoll eingerichtete Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Die Wände waren in sanftem Creme gehalten, und ein großes Bett stand im Zentrum, flankiert von zwei eleganten Nachttischen. Eine altmodische Lampe warf ein warmes Licht in den Raum, doch Cedric nahm all das kaum wahr.
Er warf seine Jacke auf einen Sessel, zog sich die Schuhe aus und setzte sich an einen kleinen Schreibtisch am Fenster. Sein Blick fiel auf den Zigarettenstummel in seiner Jackentasche. Er zog ihn heraus, rollte ihn zwischen den Fingern und legte ihn schließlich auf den Tisch, ohne ihn anzuzünden.
Seine Gedanken waren bei dem Gespräch in der Werkstatt. Die Worte von George Holloway hallten in seinem Kopf wider: „Es gibt immer Zuschauer. Immer jemand, der klatscht."
Cedric presste die Hände an die Schläfen. „Verdammter Wahnsinn", murmelte er, bevor er tief durchatmete. Er zog die verschlüsselten Briefe aus seiner Tasche und starrte sie an, doch seine Augen wollten den Text nicht fokussieren. Schließlich legte er sie zur Seite und ließ sich auf das Bett fallen, seine Arme ausgebreitet.
„Immer jemand, der klatscht", flüsterte er erneut, bevor er die Augen schloss.
Eliza ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und lehnte sich kurz dagegen. Sie atmete tief ein und fuhr sich durch das Haar, während sie die kleine, aber gemütliche Umgebung musterte. Ihre Gedanken waren klar, konzentriert, doch tief in ihr nagte ein Gefühl der Unruhe.
„Was ist dein Plan, Puppeteer?" murmelte sie zu sich selbst, während sie ihren Mantel aufhängte. Sie griff in ihre Tasche, zog die beiden Briefe hervor und legte sie auf den Nachttisch. Für einen Moment starrte sie auf die verschlüsselten Botschaften, als könnte sie ihre Geheimnisse nur mit Willenskraft entschlüsseln.
Schließlich setzte sie sich auf das Bett und griff nach ihrem Handy. Sie öffnete eine verschlüsselte Notiz-App und begann, Stichpunkte für den nächsten Tag zu machen. Sie wusste, dass sie Ruhe brauchte, aber Ruhe war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte.
„Morgen", murmelte sie leise, „müssen wir einen Schritt voraus sein."
Mit diesen Gedanken legte sie das Handy beiseite, stellte den Wecker auf ihrem Nachttisch und ließ sich ins Bett sinken. Das Licht blieb an, doch ihre Augen schlossen sich langsam, während ihre Gedanken um die Ereignisse des Tages kreisten.
Cedric schob die Tür des Speisesaals auf und trat ein. Es war 7:30 Uhr, und die goldene Morgenröte, die durch die hohen Fenster fiel, ließ den Raum weicher erscheinen, als er eigentlich war. Der Speisesaal war elegant, aber beinahe zu steif – weiße Tischdecken, glänzendes Besteck, ein Buffet, das eher wie eine Ausstellung wirkte als wie eine Mahlzeit. Nur wenige Gäste waren schon wach; verstreut saßen sie an den Tischen, in Gespräche vertieft oder still auf ihre Teller konzentriert.
Cedric strich sich kurz durch das zerzauste Haar und zog die Schultern hoch, während er sich zum Buffet bewegte. Sein Blick blieb stur auf das Essen gerichtet, als ob er die Menschen um sich herum nicht bemerken wollte. Bloß nicht anstarren lassen, dachte er. Die Vorstellung, dass jemand ihn ansprechen könnte, war ihm unangenehm.
Er griff nach einem Teller und schob ihn unter den Wärmelampen entlang. Rührei, Toast, Speck. Die Bewegungen waren mechanisch, fast gelangweilt, bis ein älterer Herr neben ihm die Ruhe durchbrach.
„Entschuldigen Sie," sagte der Mann mit freundlichem Lächeln, „könnten Sie mir die Zange für die Brötchen reichen?"
Cedric erstarrte für einen Moment. Seine Hand zitterte leicht, bevor er die Zange aufhob und sie dem Mann hinhielt, ohne ihn anzusehen. „Hier."
„Vielen Dank." Der Herr nickte höflich, doch Cedric ignorierte ihn, wandte sich ab und ging zu einem der Tische am Rand des Raumes. Er setzte sich, ließ den Blick kurz über den Teller gleiten und begann wortlos zu essen.
Während er kaute, fiel ihm auf, dass eine Kellnerin ihm einen Kaffee brachte, ohne dass er darum gebeten hatte. Sie lächelte leicht, doch Cedric erwiderte den Blick nicht. Er murmelte nur ein knurriges „Danke" und konzentrierte sich wieder auf seinen Teller. Das Lächeln der Kellnerin verschwand, und sie zog sich zurück.
Ein Geräusch unterbrach seine Gedanken: ein Kleinkind, das mit seinem Löffel auf den Tisch klopfte, während es mit Brei gefüttert wurde. Cedric hob den Blick und sah die Familie, die ein paar Tische entfernt saß – ein junges Paar, beide erschöpft, aber lächelnd, während sie versuchten, das Kind zu beruhigen.
Das Klopfen wurde lauter, rhythmischer, beinahe störend. Cedric spürte, wie seine Geduld bröckelte. Seine Finger trommelten auf die Tischkante. Schließlich rief er mit schneidender Stimme: „Können Sie das bitte unter Kontrolle bringen? Manche Leute versuchen, in Ruhe zu essen."
Das Paar starrte ihn überrascht an. Die Frau nahm das Kind auf den Arm, während der Mann, sichtlich verärgert, den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch Cedric stand bereits auf und trug seinen Teller zum Buffet zurück. Die Blicke der anderen Gäste bohrten sich in seinen Rücken, aber er ignorierte sie, seine Gedanken wirbelten. Es ist mir egal. Sie sollen einfach leise sein.
Um 8:00 Uhr stand Cedric im Foyer, wie mit Eliza vereinbart. Die Minuten zogen sich, und sein Blick wanderte immer wieder zur Uhr über der Rezeption. Wo bleibt sie? Er lehnte sich gegen die Wand, die Hände in den Taschen, und beobachtete, wie die Gäste ein- und ausgingen.
Eine junge Frau mit einem Koffer kam an ihm vorbei und warf ihm ein schüchternes Lächeln zu. Cedric erwiderte es nicht, sondern wandte sich ab, als ob der Blickkontakt ihn ersticken könnte. Er spürte, wie seine Social Anxiety sich regte, das bekannte Stechen in der Brust, wenn er unter Menschen war. Es war nicht Angst, sondern eine quälende Abneigung gegen jede Interaktion, die er nicht kontrollieren konnte.
8:15. Noch immer keine Eliza. Cedric begann, mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen, sein Geduldsfaden war kurz vor dem Reißen.
8:30. Die Aufzugstür öffnete sich, und Eliza trat heraus. Sie wirkte müde, aber frisch geduscht, ihr Haar war noch feucht und sorgfältig frisiert. Sie trug ein schlichtes, aber elegantes Outfit, das perfekt saß. Ihre Bewegungen waren gehetzt, als sie auf Cedric zuging.
„Tut mir leid, ich hab verschlafen," sagte sie, während sie ihre Tasche zurechtrückte.
Cedric verschränkte die Arme vor der Brust. „Halbe Stunde Verspätung. Interessanter Start in den Tag."
Eliza warf ihm einen Blick zu, in dem leichte Verärgerung lag. „Manche von uns brauchen mehr als fünf Minuten, um sich fertigzumachen."
„Oder eine halbe Stunde für ihre Routine", murmelte Cedric, gerade laut genug, dass sie es hören konnte.
„Wollen wir anfangen, uns gegenseitig anzugiften, oder erledigen wir endlich, wofür wir hier sind?" Eliza blinzelte träge, aber ihre Worte waren scharf. Cedric zog eine Augenbraue hoch, schwieg jedoch und folgte ihr zur Tür.
Die Sonne stand trotz des Regens bereits höher am Himmel, als sie auf die Werkstatt zugingen. Der leichte Wind trug den Geruch von Regen und Stadt mit sich. Eliza ging voran, Cedric folgte in gewohntem Schweigen.
Die Tür der Marionettenwerkstatt stand offen. Es war eine kleine Veränderung, aber eine, die Cedric sofort auffiel, als er die Straße entlangging. Er hielt abrupt an und starrte die halb geöffnete Tür an, seine Augen verengten sich. Eliza bemerkte seinen plötzlichen Halt und folgte seinem Blick.
„Das sieht nicht gut aus", murmelte sie, zog ihre Dienstwaffe und ging vorsichtig voraus.
Cedric folgte ihr, seine Hände zu Fäusten geballt. Ein seltsames Gefühl kroch in seine Brust – eine Mischung aus Vorahnung und Wut. Die Werkstatt wirkte still, zu still. Selbst das leise Knarren der hängenden Puppen schien verschwunden.
Sie traten ein, und die Luft war anders. Es war kälter, schwerer, als ob der Raum selbst wusste, was geschehen war. Der vertraute Geruch von Holz und Farbe war überdeckt von einem metallischen Aroma, das Cedric nur zu gut kannte.
Blut.
Eliza hielt inne, als ihr Blick auf die Werkbank fiel. George lag davor, auf dem Rücken, die Augen weit offen. Sein Gesicht war zu einer grotesken Grimasse erstarrt, als ob er in den letzten Momenten seines Lebens gezwungen worden wäre, zu lächeln. Seine Hände waren unnatürlich angewinkelt, als wären sie von unsichtbaren Fäden gezogen worden.
„Verdammt", flüsterte Eliza und senkte ihre Waffe. Sie kniete sich neben den Körper, untersuchte ihn schnell, aber es war offensichtlich. George war tot.
Cedric stand reglos da, seine Augen fixierten Georges leblosen Körper. Die Wut in ihm brodelte, bis sie fast unerträglich wurde. „Dieser Bastard..." Seine Stimme war leise, fast ein Knurren. „Er hat ihn dazu benutzt. Als wäre er eine weitere Marionette in seinem verdammten Spiel."
Eliza sah auf, ihre Stirn in tiefe Falten gelegt. „Cedric, wir müssen den Tatort sichern. Wir können nicht einfach—"
„Wir haben keine Zeit!" Cedric fuhr sie an, seine Augen funkelten vor Zorn. „Er spielt mit uns, Eliza. Jeder verdammte Moment, den wir verschwenden, gibt ihm mehr Zeit, seine Fäden zu ziehen. George ist tot, und das liegt an uns."
Eliza wollte widersprechen, doch sie wusste, dass Cedric recht hatte – zumindest teilweise. Die Polizei würde später hier sein. Aber wenn sie jetzt nicht weiter suchten, würde der Puppeteer ungestört weitermachen.
„Was hast du vor?" fragte sie leise, während sie sich erhob.
Cedric blickte nicht zu ihr. Er sah sich im Raum um, als ob er nach etwas suchte. Seine Augen blieben an einer Marionette hängen, die an der Wand hing – es war eine, die George gestern bearbeitet hatte. Um ihren Hals war ein dünner Draht geschlungen, und an diesem Draht baumelte ein kleiner Zettel, ein sorgfältig gebundenes Manuskript. Der Titel prangte in geschwungenen, handschriftlichen Lettern auf dem Cover:
,,Das letzte Solo"
Eliza schluckte schwer, während sie vorsichtig nach dem Skript griff. Cedric hingegen starrte weiter auf Georges leblosen Körper, seine Fäuste so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Das hier... das hat er hinterlassen", murmelte Eliza und schlug die erste Seite des Skripts auf. Die Worte waren akribisch und mit künstlerischer Präzision geschrieben. Es war eine Mischung aus Beschreibung und Regieanweisungen, und jedes Wort war durchdrungen von der makabren Handschrift des Puppeteers.
Szene 1:
Die Bühne ist ein Ort der Schöpfung, wo Holz und Seele verschmelzen. Der Künstler, ein einsamer Mann, arbeitet an seinem Meisterwerk – ein letzter Schliff, ein finaler Pinselstrich. Doch er wird unterbrochen, als die Zuschauer gehen. Ihre Schritte hallen durch die Straßen, und der Vorhang fällt vorzeitig.
Szene 2:
Die Dunkelheit tritt ein, und mit ihr der wahre Puppenspieler. Unsichtbare Fäden greifen nach dem Künstler, ziehen ihn aus seiner Werkstatt hinaus auf die Bühne. Es gibt keinen Widerstand. Nur Stille, die von einem leisen Flüstern durchbrochen wird: ‚Ein letzter Tanz, George. Nur für mich.'
Szene 3:
Der Künstler wird zum Instrument. Seine Hände, die einst Leben in Holz hauchten, werden nun geführt, als wären sie selbst Marionetten. Seine Glieder verrenken sich in unnatürlichen Winkeln, während ein Lächeln auf sein Gesicht gezeichnet wird. Es ist ein Lächeln für das Publikum, das niemals anwesend sein wird.
Szene 4:
Die letzte Note wird gespielt, und der Vorhang fällt. Die Bühne bleibt leer, doch die Zuschauer werden wissen, dass die Vorstellung nie endet.
Eliza klappte das Skript mit zitternden Händen zu. „Das... das ist kein Hinweis. Das ist eine verdammte Erklärung."
Cedric riss ihr das Manuskript aus der Hand und überflog die Seiten mit steinerner Miene. Seine Augen wurden mit jedem Wort dunkler, seine Lippen pressten sich zu einer dünnen Linie.
„Er hat es geplant, bis ins kleinste Detail", sagte er schließlich, seine Stimme ein kaltes Flüstern. „Es war ihm egal, dass wir hier waren. George war von Anfang an dazu bestimmt, zu sterben."
Eliza versuchte, etwas zu sagen, doch Cedric drehte sich plötzlich um und stürmte zur Tür. „Cedric, warte!" rief sie, doch er blieb nicht stehen.
Cedric zündete sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und ließ den Rauch mit einem langsamen, zittrigen Atemzug entweichen. Seine Augen starrten ins Nichts, seine Gedanken rasten.
„Er benutzt uns", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Eliza, die hinter ihm stand. „Wir sind nur Figuren in seinem verdammten Spiel. Aber ich lasse mich nicht von ihm lenken."
„Cedric, wir müssen überlegt handeln", sagte Eliza, ihre Stimme leise, aber bestimmt. „Wenn wir jetzt ohne Plan weitermachen, spielen wir ihm genau in die Hände."
Cedric drehte sich zu ihr um, seine Augen blitzten vor Zorn. „Überlegt handeln? George ist tot, weil wir weg waren! Weil wir gedacht haben, wir hätten Zeit!" Er warf die Zigarette zu Boden und trat sie mit dem Absatz aus. „Nein, Eliza. Es gibt keinen Plan. Es gibt nur ihn. Und ich werde ihn finden."
Eliza wollte widersprechen, doch sie wusste, dass Cedric in diesem Moment nicht zu erreichen war. Sie seufzte tief und sah ihm nach, als er die Straße hinunterging, seine Schultern steif vor unterdrücktem Zorn.
„Wohin gehst du?" rief sie ihm hinterher.
,,Zurück zu unserem Unterschlupf."
Der Himmel über London war grau und schwer, als Cedric und Eliza sich auf den Rückweg zu ihrem Unterschlupf machten. Der Regen, der zuvor nur leicht genieselt hatte, begann nun, in dichten Strömen niederzugehen. Cedric zog seinen Mantel enger um sich, die Schritte hart und bestimmt, während Eliza ihn schweigend folgte. Beide hatten mit den Geschehnissen in der Werkstatt zu kämpfen, doch ihre Art, damit umzugehen, hätte nicht unterschiedlicher sein können.
Cedric zündete sich eine Zigarette an, obwohl der Regen sie fast sofort durchnässte. Mit fahrigen Bewegungen schirmte er sie ab, der Rauch stieg ihm ins Gesicht. Sein Atem ging schwer, sein Blick war finster.
„Ich weiß, was du sagen willst", murmelte er schließlich, ohne Eliza anzusehen.
„Was denn?" fragte sie, die Hände tief in den Taschen ihres Mantels vergraben.
„Dass ich mich beruhigen soll. Dass Wut uns nicht weiterbringt." Seine Stimme war voller Bitterkeit, die Worte wie Messer. „Aber du hast keine Ahnung, wie es ist. Du hast keinen verdammten Schimmer."
Eliza blieb stehen, der Regen prasselte auf sie nieder. „Du denkst, du bist der Einzige, der jemanden verloren hat?" Ihre Stimme war ruhig, aber scharf. „Das bist du nicht, Cedric. Und wenn du weiter so tust, als wärst du der Einzige, dem es wehtut, wirst du noch mehr verlieren."
Cedric lachte bitter, ein raues, kaltes Geräusch. „Und was soll ich tun, hm? Tief durchatmen und an Regenbögen denken? Nein, Eliza. Dieser Bastard hat George getötet, und er wird weitermachen, bis wir ihn stoppen. Aber dafür muss ich wütend bleiben. Sonst..." Er hielt inne, ließ die Zigarette fallen und trat sie mit dem Absatz aus. „Sonst verliere ich alles."
Eliza sagte nichts. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, jetzt mit ihm zu streiten. Stattdessen setzte sie sich in Bewegung, und Cedric folgte ihr, ihre Schritte hallten auf den nassen Pflastersteinen wider.
Als sie die Tür des Unterschlupfs aufstießen, spürten sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Raum war still – zu still. Das sonst so geschäftige Hauptquartier der Unchained wirkte verlassen, fast gespenstisch.
„Rupert?" rief Eliza in die Dunkelheit, ihre Stimme hallte wider. Keine Antwort.
Cedric trat ein und zog sofort seine Taschenlampe aus der Jacke. Der Lichtstrahl huschte durch den Raum, beleuchtete verlassene Stühle, ein halb volles Glas Wasser auf einem Tisch – und einen weißen Umschlag, der auf der Karte von London lag.
Eliza hob den Umschlag vorsichtig auf, ihre Hände zitterten leicht. Cedric stand starr neben ihr, seine Augen fixierten den Umschlag wie ein Raubtier seine Beute.
„Lies es", sagte er mit einem scharfen Ton.
Eliza öffnete den Umschlag, zog das sorgfältig gefaltete Papier heraus und begann zu lesen:
„Jede Aufführung verlangt Opfer. Ihr habt die Bühne betreten, und nun seht ihr, was es bedeutet, im Rampenlicht zu stehen. George war der erste, ein Künstler, der nicht bereit war, sein Handwerk loszulassen. Und nun Rupert, ein Mann, der Kunst über Loyalität stellte. Er war ein hervorragender Darsteller, doch jede Inszenierung braucht ihren Höhepunkt. Ich danke euch für die Inspiration."
Eliza stockte, als sie die letzten Zeilen las. „Rupert ist tot", flüsterte sie, ihre Stimme brach.
Cedric riss ihr das Papier aus der Hand, seine Augen huschten über die Worte. Als er fertig war, zerknüllte er den Brief und warf ihn auf den Boden. „Dieser verdammte Mistkerl..." Seine Stimme wurde lauter, bis sie in einem Schrei explodierte: „DIESER VERDAMMTE MISTKERL!"
Er trat gegen den Tisch, schmetterte eine Kaffeetasse an die Wand, bis sie in tausend Scherben zersprang. Eliza wich zurück, überrascht von der Wucht seines Ausbruchs, doch sie sagte nichts. Sie ließ ihn toben, ließ ihn schreien.
„Zwei Menschen, Eliza!" rief Cedric, seine Stimme rau. „Zwei Menschen, die wir hätten retten können, wenn wir nicht so verdammt langsam wären!"
„Cedric..." begann Eliza, doch er unterbrach sie.
„Nein!" Er drehte sich zu ihr um, sein Gesicht verzerrt vor Wut und Schmerz. „Du verstehst es nicht. Es geht nicht nur um George oder Rupert. Es geht darum, dass wir jedes Mal zu spät kommen. Dieser Bastard führt uns an der Nase herum, und wir tun nichts!"
„Wir tun, was wir können", sagte Eliza ruhig, ihre Augen fest auf ihn gerichtet. „Aber wenn du dich von deiner Wut auffressen lässt, dann wirst du der Nächste sein, den wir verlieren."
Cedric atmete schwer, seine Hände zitterten. Doch er sagte nichts mehr. Stattdessen griff er nach einer neuen Zigarette, zündete sie mit wackeligen Fingern an und zog tief daran.
Eliza beobachtete ihn, ihr Blick kühl, aber mit einem Hauch von Mitleid. „Wir müssen weitermachen", sagte sie schließlich. „Rupert hätte nicht gewollt, dass wir aufgeben."
Cedric nickte knapp, sein Blick starr auf die Karte gerichtet. „Dann lass uns weitermachen", murmelte er. „Bevor noch mehr sterben."
Die beiden machten sich daran, die nächsten Schritte zu planen, während die Dunkelheit des Abends das Unterschlupfgebäude vollständig einhüllte.
Das Knarren des alten Unterschlupfes hallte in der angespannten Stille nach. Cedric hatte sich gerade wieder gesetzt, die Zigarette zwischen den Fingern, während Eliza mit gerunzelter Stirn die Karte betrachtete. Der Brief des Puppeteers lag zerknüllt am Rand des Tisches, eine stumme Anklage an ihre bisherigen Fehlschläge.
Da hallte ein Klopfen durch den Raum.
Beide zuckten zusammen, die angespannte Atmosphäre explodierte in plötzlicher Bewegung. Cedric ließ die Zigarette fallen, trat sie hektisch aus und griff nach einem schweren Werkzeug von einem nahegelegenen Tisch, während Eliza ihre Hand auf die Waffe an ihrer Hüfte legte.
„Bleib hinten", flüsterte Eliza, ihr Blick fixierte die Eingangstür. Cedric schnaubte, ignorierte den Befehl und schob sich an ihrer Seite vorbei. „Ich kläre das."
Das Klopfen ertönte erneut, diesmal zaghaft, fast wie eine Entschuldigung.
Cedric warf einen kurzen Blick auf Eliza, dann öffnete er die Tür mit einem Ruck. Draußen stand ein junger Mann, kaum älter als Mitte zwanzig. Sein Gesicht war schmal, mit blassem Teint und schüchternen Augen, die sich hinter einer dicken Brille verbargen. Er trug eine dünne Jacke, die nicht annähernd genug gegen den strömenden Regen schützte, und hielt einen alten Rucksack fest an sich gedrückt.
„Wer zur Hölle bist du?" Cedrics Stimme war schneidend, fast aggressiv. Er musterte den Mann misstrauisch, bereit, jede Bewegung zu deuten.
„Äh… Marcus," stotterte der junge Mann und wich einen Schritt zurück, die Hände leicht hebend, als wolle er zeigen, dass er keine Bedrohung darstellte. „Marcus Sterling. Ähm, Eliza... Detective Cole hat mich kontaktiert."