Zhou Heng drang immer weiter in die Höhle vor.
Der Eingang der Höhle war extrem eng, aber je weiter er hineinging, desto geräumiger wurde sie. Natürlich war sie nicht geräumig genug, um seitwärts gehen zu können, doch wahrscheinlich konnten drei Personen nebeneinander laufen.
Nach etwa fünfzehn Minuten hatte er immer noch nicht das Ende erreicht. Zhou Heng war nicht jemand, der leicht aufgab. Einmal von seiner Sturheit gepackt, entschied er sich, die Höhle zu erkunden, entschlossen, ihre Tiefen zu erreichen!
Draußen war es stockdunkel, und natürlich war es in der Höhle noch dunkler. Er konnte nicht einmal seine Hand vor dem Gesicht sehen, doch glücklicherweise gab es in dieser Höhle keine Abzweigungen. Es war nur ein gerader Weg, der weiter nach vorne führte, sodass er sich keine Sorgen machen musste, sich zu verirren.
Zhou Heng benutzte gelegentlich sein Langschwert, um gegen die Höhlenwände zu schlagen und die Funken, die durch die Reibung entstanden, kurzzeit die Umgebung zu beleuchten.
Eine weiter halbe Stunde verging, und er hatte immer noch nicht den Grund der Höhle erreicht.
Wäre es jemand anders, hätte dieser schon lange umgekehrt, aber Zhou Heng war hartnäckig. Er hatte sich vorgenommen, bis zum Ende zu gehen, und würde sicherlich nicht auf halbem Weg aufgeben - nicht, nachdem er zehn Jahre lang unter der Prüfung des Schwarzen Schwertes ausgeharrt hatte!
Solange es kein Labyrinth war, würde man schließlich das Ende erreichen.
Eine Stunde später tauchte plötzlich ein schwaches Licht vor ihm auf. Obwohl es schwach war, wirkte es wie ein Leuchtfeuer für jemanden, der so lange in der Dunkelheit gewesen war. Zhou Heng verspürte einen Anflug von Freude, aber seine Wachsamkeit war größer denn je, und er umklammerte das Langschwert in seiner rechten Hand fester.
Noch ein paar Schritte weiter, und das Licht wurde heller und offenbarte einen Ausgang aus der Höhle.
Als er hinaustrat, öffnete sich plötzlich sein Blick und er sah einen mondbeschienenen, spärlich mit Sternen übersäten Himmel - ein zauberhaftes, abgelegenes Tal breitete sich vor ihm aus.
Zhou Heng blickte zum Himmel auf und stellte fest, dass der heftige Regen zu einem unbestimmten Zeitpunkt aufgehört hatte. Das Tal war mit tropfnassem Gras bedeckt, das noch üppiger und lebendiger aussah und eine Aura des blühenden Lebens ausstrahlte.
Das Tal war nicht groß, etwa hundert Meter im Durchmesser, auf allen Seiten von Bergen umgeben - es war ein abgeschlossenes Tal. Die Klippen waren steil, und selbst für flinke Affen wäre es wahrscheinlich zu schwierig, sie zu erklimmen.
Am Fuße des westlichen Berges gab es einen kleinen Teich und daneben stand ein großer Baum, dessen Blätterdach den gesamten Teich bedeckte. Die Blätter raschelten sanft in der nächtlichen Brise und gaben ein leises Zischen von sich.
Als sein Blick unter den großen Baum schweifte, verengten sich Zhou Hengs Augen unwillkürlich.
Ein toter Körper!
Er lehnte an dem Baum, sein Kopf, Hals und seine Hände waren bereits zu weißen Knochen geworden. Der Rest des Körpers war unter einem karmesinroten Brokatgewand verborgen, was den grausigen Anblick der Knochen abschwächte. Doch der Anblick eines einzigen Totenkopfes reichte aus, um Schrecken zu verbreiten.
Erst dann erinnerte sich Zhou Heng daran, dass er nicht allzu lange zuvor einen Menschen getötet hatte!
Was ihn schockierte, war, dass er kein Unbehagen empfand; es war, als hätte er keinen Menschen getötet, sondern lediglich ein Huhn oder einen Hund geschlachtet.
"Auf dem Weg der Kampfkunst lässt sich das Töten nicht vermeiden, es scheint, als hätte ich mich schon zu früh daran gewöhnt!"Doch ich habe nicht vor, ein mörderisches Ungeheuer zu werden... die Grenze ist, dass du mich nicht provozierst!"
Mit entschlossenem Blick legte Zhou Heng den Gedanken an Töten beiseite und schritt zum Fuß des Baumes. Die Schädel- und Halsknochen der Leiche waren unversehrt. Zhou Heng öffnete das Gewand und sah, dass drei Brustrippen gebrochen waren; die Bruchstücke waren über den Boden verstreut und funkelten kristallklar, reinweiß.
"Dieser Mensch muss vor seinem Tod ein stumpfes Trauma erlitten haben, das seine inneren Organe verletzt hat, bevor er hierher geflohen und an den schweren Wunden gestorben ist!"
"Das beweist das unversehrte Gewand, das er anhat. Wäre er von einer scharfen Waffe durchbohrt worden, müsste das Gewand ein Loch aufweisen! Und hätten seine Feinde ihn hierher verfolgt, hätte er diese Position vor seinem Tod nicht halten können!"
"Nach der Art der Knochenbrüche zu urteilen, ist dies eindeutig das Ergebnis eines Schlages!"
Zhou Heng nahm einen der gebrochenen Knochen zur Hand und versuchte, ihn zu knacken, doch der Knochen war erstaunlich zäh und nicht zu bewegen. Er mobilisierte seine gesamte wahre Yuan-Kraft und versuchte es erneut, aber der Knochen blieb unversehrt, härter als Eisen!
"Mit der Stärke meiner Hände sollte ich ohne weiteres in der Lage sein, über tausend Jin auszuüben, und diese Knochen, die Jahrzehnte von Wind und Regen überstanden haben, sollten nicht mehr so robust sein wie früher. Wie können sie immer noch eine solche Kraft besitzen?"
"Vor einigen Jahren grub ein Grabräuber das Grab eines Alten Ahnen aus, der vor Jahrzehnten verstorben war. Als jemand während der Umbettung versehentlich auf die Knochen trat, zerbrachen sie sofort!"
"Jener Alte Ahne war zu Lebzeiten ein Meister im Bereich der Blutveredelung!"
Nach dem Vergleich kam Zhou Heng zu einem Schluss, der ihn zutiefst schockierte.
Der Pfad der Erhebung!
Die Leiche vor ihm hatte den Pfad der Erhebung beschritten und ein unfassbares Niveau erreicht!
In Zhou Hengs Augen waren die Kampfkünstler, die den Pfad der Erhebung betreten hatten, den legendären Unsterblichen gleich. Doch ein solcher Unsterblicher war zu Tode geprügelt worden und starb einen jämmerlichen Tod an diesem Ort!
Es gibt immer stärkere Wesen; selbst die den Pfad der Erhebung Beschrittenen waren nicht unsterblich oder unzerstörbar.
Zhou Heng untersuchte die Leiche genau und fand ein Buch und eine Marke in der Nähe des Hüftknochens.
Das Buch war vermutlich ursprünglich in der Brust der Person versteckt und nah am Körper getragen worden, aber als der Körper verweste, war es heruntergefallen, wo es jetzt neben dem Hüftknochen lag.
Welches Material das Buch auch bestand, es hatte die Verwesung des Körpers überlebt, ohne zerstört zu werden! Und nach so langer Zeit hatte sich das Buch überhaupt nicht verändert. Es war unglaublich weich anzufassen, nicht wie Papier, sondern wie menschliche Haut.
Dies war kein gewöhnlicher Gegenstand!
Ein so kostbares Material für die Seiten eines Buches zu verwenden, welche Art von Informationen könnte es dann enthalten? Und wenn es von einem außergewöhnlichen Experten stammen würde, der möglicherweise den Pfad der Erhebung gekreuzt hatte, welches unschätzbare Wissen würde er dann so nah bei sich behalten?
Auf dem Einband stand nichts, und Zhou Heng konnte seine Neugierde nicht länger zügeln und öffnete das Buch."Mondschattenherz Jue!"
Auf der ersten Seite waren lediglich vier Zeichen zu erkennen, geschrieben in kraftvollen, dynamischen Strichen, die eine Aura der Würde verströmten. Ein einzelnes Zeichen für "Jue" (Technik) deutete an, dass es grundsätzlich eine Kultivierungstechnik war. Doch könnte dieses "Mondschattenherz Jue" die Ursache für den Tod des Experten sein, und wenn ja, warum war sie von so großer Bedeutung?
Zhou Heng konnte nicht widerstehen, weiterzublättern und las die Technik von Anfang bis Ende. Es war tatsächlich eine Kultivierungstechnik, nur etwa vier Tausend Worte lang, etwas undurchsichtig. Doch Zhou Heng konnte sie, wenn er hin und wieder innehielt und nachdachte, ohne größere Mühe innerhalb weniger Sekunden verstehen.
Sein Verständnis hatte sich kontinuierlich durch die Praxis der "Neun Himmelfahrenden Formen" verbessert, und obwohl er die erste der Neun Schwerkraftsformen noch nicht vollständig gemeistert hatte, war das Mondschattenherz Jue mühelos zu erfassen.
"Ich muss die Effekte dieser Technik ausprobieren!"
Zhou Heng setzte sich im Schneidersitz hin und nutzte die Methode des Mondschattenherz Jue, um die Nahrung in seinem Körper zu verfeinern, die herumschwirrende Energie zu extrahieren und sie dann in seine eigene Wahre Yuan-Kraft zu wandeln.
"Hmm!"
Nach einem vollständigen Durchlauf des Mondschattenherz Jue durch seinen Körper, hielt Zhou Heng unwillkürlich inne, sein Gesicht zeigte ein Anzeichen von Schock.
Effizienz!
Die Effektivität des Mondschattenherz Jue bei der Umwandlung von Wahrer Yuan-Kraft war mehr als doppelt so hoch wie die des Fierce Sun Jue!
Laut Beschreibung konnte das Mondschattenherz Jue unter Mondlicht die Effektivität der Kultivierung um dreißig Prozent erhöhen, während das Fierce Sun Jue die Geschwindigkeit um zwanzig Prozent steigern konnte, wenn es im Sonnenlicht praktiziert wurde. Wie auch immer man es betrachtete, das Mondschattenherz Jue war weit kraftvoller als das Fierce Sun Jue!
Selbst bei doppelter Geschwindigkeit bedeutete dies, dass man zehn Jahre mit dem Fierce Sun Jue benötigen würde, um das Reich der Knochenverfeinerung zu erreichen, mit dem Mondschattenherz Jue würden jedoch nur fünf Jahre benötigt!
Kein Wunder, dass diese Person ein tödliches Verhängnis erlebte!
Man muss wissen, auf dem Pfad der Kultivierung ist Zeit definitiv der größte Feind!
Nehmen wir das Reich der Fleischverfeinerung; falls man nicht vor dem Alter von zwanzig Jahren durchbrechen konnte, dann würde die Möglichkeit stark abnehmen, was praktisch keine Hoffnung ließe - deshalb hatte die Familie Zhou eine Regel, dass man nicht kultivieren darf, wenn man das Reich der Fleischverfeinerung nicht vor dem achtzehnten Lebensjahr erreicht.
Obwohl die Technik nur die Geschwindigkeit der Akkumulation von Wahrer Yuan-Kraft erhöhte, konnte man dadurch die Hälfte der benötigten Zeit einsparen, was mehr Zeit für das Durchbrechen der großen Reiche ermöglichte. Zudem nahm die zum Sammeln der Wahren Yuan-Kraft benötigte Zeit mit steigendem Reich zu; nach dem Erreichen des Reichs der Blutverfeinerung wurden Durchbrüche in den kleineren Reichen in Jahrzehnten gemessen! Wenn man es schaffen könnte, innerhalb von fünfzehn Jahren den Gipfel der zwölften Schicht der Körperverfeinerung zu erreichen, dann bliebe natürlich mehr Zeit übrig, um den Aufstieg in den Himmel zu erstreben.
Das Leben ist flüchtig, hundert Jahre vergehen im Augenblick; wie viele Jahrzehnte kann man es sich leisten zu verschwenden?Zhou Heng war zwar in der Lage, die Streuenergie des Schwarzen Schwertes aufzufangen, doch das Mondschatten-Herz-Jue hatte für ihn gegenwärtig wenig Nutzen. Doch wer konnte schon sagen, wie lange die Ultra-Fähigkeit des Schwarzen Schwertes anhalten würde? Vielleicht würde sie verschwinden, nachdem er die Früchte seiner Jahrzehnte langen mühevollen Kultivierung zurückbekommen hatte! Überdies konnte er diese Technik auch an Zhou Dinghai weitergeben. Zhou Dinghai hatte bereits viele Jahre der Kultivierung für ihn aufgeschoben. Doch wenn er das Mondschatten-Herz-Jue zu kultivieren begänne, könnte er mit Zhou Dinghais Talent innerhalb von maximal fünf Jahren die zwölfte Stufe der Körperverfeinerung erreichen! Zhou Heng legte die Technik beiseite; sein Vater würde sicher zum neuen Jahr zurückkehren.
Es war etwa eine Stunde bis Mitternacht, und Zhou Heng nutzte die Zeit, um ein Loch zu graben und die Leiche zu bestatten, in der Hoffnung, dem Verstorbenen durch die Beisetzung Frieden zu schenken. Immerhin hatte er eine herausragende Kultivierungstechnik aus dem Körper des Mannes gewonnen – das Mindeste, was er tun konnte. Zusammen mit dem Toten wurde auch ein Token begraben, auf dessen einer Seite "Neun Geister" und auf der anderen "Su" eingraviert war; es war aus einem Material gefertigt, das es violett schimmern ließ. Zhou Heng glaubte, dass es das Identifikationszeichen des Verstorbenen war, also begrub er es zusammen mit dem Körper.
Nachdem er all das erledigt hatte, waren es fast die frühen Morgenstunden. Er setzte sich im Schneidersitz hin und wartete schweigend darauf, dass das Schwarze Schwert Energie freisetzte.
Brumm!
Um Punkt Mitternacht zitterte das Schwarze Schwert leicht, und eine gewaltige Kraft strömte hinaus und erfüllte sofort Zhou Hengs gesamten Körper. Umgehend entfaltete er das Mondschatten-Herz-Jue und absorbierte und verfeinerte hektisch die herrenlose Energie. In weniger als zwanzig Minuten hatte er die gesamte Energie verfeinert, und als Zhou Heng die Augen öffnete, war er verblüfft!
Auf der felsigen Klippe über dem Teich war unerwartet eine Gestalt aufgetaucht, die sich ständig bewegte!
Jemand? Wer ist das?
Zhou Heng schnellte hoch, sein Schwert erklang aus der Scheide, und er nahm eine Verteidigungsposition ein. Er blickte in den Himmel, und obwohl ein heller Mond hoch stand, war es unmöglich, dass jemand auf dem steilen Felsvorsprung darüber stand - daher konnte der Schatten nicht von dort kommen.
Könnte er von unterhalb der Wasseroberfläche reflektiert werden?
Ein Gefühl des Unfassbaren überkam Zhou Heng. Das Bewegen im Wasser und das Gehen unter Wasser sind vollkommen unterschiedlich; die Gestalt schien offensichtlich zu Fuß zu gehen, sie schwamm nicht!
Wer konnte unter der Wasseroberfläche spazierengehen?
Ein Wassergeist?