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Chapter 9 - Zeremonie

Die Halle ist zum Bersten gefüllt. Eine Menschenmasse von etwa 300 Rekruten und Soldaten drängt sich in dem großen, aber stickigen Raum.

Die Luft ist schwer von Schweiß, aufgeregtem Gemurmel und der elektrisierenden Spannung, die vor einer großen Zeremonie liegt.

Die grellen Scheinwerfer an der Decke werfen kaltes, unnachgiebiges Licht auf die Szenerie, ein einzelner Bühnenscheinwerfer richtet sich auf das Mädchen in der Mitte der Bühne.

Seren Veylith schreitet entschlossen nach vorn. Ihre weißblonden Haare reflektieren das Licht wie ein schimmernder Heiligenschein, und ihre eisblauen Augen durchbohren die Menge.

Die Anwesenden starren gebannt auf die Bühne, einige mit Bewunderung, andere mit Ehrfurcht.

Seren ist nicht einfach eine Rekrutin, sie ist die Tochter von General Marcus Veylith und das Gesicht einer neuen Propaganda-Kampagne, die ihren Mut und ihre Tapferkeit feiert.

Die Bühne selbst ist minimalistisch gehalten – ein einfacher Podest, flankiert von Kael und Samir in makellosen Uniformen, während im Hintergrund weitere Unteroffiziere und Soldaten in Zeremonialkleidung stehen.

Ihre Positionen sind steif und ihre Blicke streng.

Doch niemand achtet auf sie. Alle Augen sind auf Seren gerichtet.

Trotz ihres selbstbewussten Ganges und der aufrechten Haltung fühlt Seren, wie sich ihr Magen zusammenzieht. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch sind die der Nervosität.

Vor ihr ein Mikrofon, hinter ihr die Erwartung ihres Vaters – und um sie herum eine Menschenmasse, die auf jedes Wort, jede Geste von ihr wartet.

Sie tritt an das Mikrofon. Ihre Lippen öffnen sich, doch für einen Moment zögert sie. Ihr Blick schweift über die Menge.

Sie sieht Gesichter, die gespannt sind, einige neugierig, andere leer.

Viele dieser Menschen haben Lumen nicht gekannt, doch sie alle sind gekommen, um die Heldin zu feiern, die angeblich einen Dämon aus dem Abyss bekämpft hat – eine Geschichte, die ihr Vater so sorgfältig inszeniert hat.

Seren schluckt hart und beginnt zu sprechen. Ihre Stimme ist klar, doch sie hat das Gefühl, dass sie sich selbst von außen hört.

"Lumen Eldareth war einer von uns. Ein Rekrut. Ein Kämpfer. Sein Leben wurde viel zu früh von uns genommen."

Sie macht eine kurze Pause und atmet tief ein, bevor sie weiterspricht.

"Er hat sein Leben gegeben, um unser Land zu schützen. Um uns zu schützen. Sein Opfer wird niemals vergessen werden."

Ihre Worte hallen durch die Halle, und die Menge schweigt ehrfürchtig. Seren spürt, wie sich ihr Brustkorb enger anfühlt. Sie weiß, dass ihre Worte nicht die Wahrheit widerspiegeln.

Lumen hat sich nicht geopfert. Er wurde kaltblütig von Ravyn getötet.

"Sein Mut und seine Stärke werden uns weiterhin inspirieren. Möge sein Licht in uns allen weiterleben."

Mit einem letzten, entschlossenen Blick zieht sie sich vom Mikrofon zurück. Applaus erklingt Lautstark, doch Seren hört ihn kaum.

Ihr Herz schlägt zu laut, ihre Gedanken schwirren. Sie verlässt die Bühne und quetscht sich durch die Menschenmasse.

Nach kurzer Zeit erreicht sie ihr Ziel: Zwei blonde Brüder, Kieran und Finn, stehen am Rand des Geschehens und begrüßen sie mit einem Nicken. Seit dem Vorfall vor zwei Wochen haben sie sich eng angefreundet.

Ihre Freundschaft ist mehr als nur Kameradschaft, sie ist eine stille Allianz, die Seren ein wenig Halt gibt.

Kieran, der extrovertierte der beiden, klopft ihr leicht auf die Schulter. "

Hast du gut gemacht, Seren," sagt er mit einem breiten Grinsen.

Finn nickt zustimmend, sein Ausdruck ernsthafter als der seines Bruders. "Du warst großartig," sagt er leise.

Seren zwingt sich zu einem Lächeln, obwohl sie innerlich zerrissen ist. Sie weiß, dass sie ihre wahren Gefühle vor den Brüdern nicht zeigen kann.

"Sei ehrlich mit uns," beginnt Kieran plötzlich und lehnt sich leicht zu ihr.

"Wir erzählen es auch keinem weiter. Mochtest du Lumen?"

Seren erstarrt, und für einen Moment bricht ihre Fassade. Sie öffnet den Mund um zu antworten, doch die Worte bleiben stecken.

Schließlich zwingt sie sich, kühl und bestimmt zu bleiben.

"Was? Nein!" sagt sie, ihre Stimme härter als beabsichtigt.

"Lumen war arrogant, ungehorsam und faul. Es war eh nur eine Frage der Zeit, bis er auch so gestorben wäre."

Einige Köpfe in der Nähe drehen sich zu ihnen um. Seren bemerkt die verstohlenen Blicke und spürt, wie ihre Wangen heiß werden.

Schlecht über Lumen zu sprechen, besonders auf einer Zeremonie zu seinen Ehren, zieht jede Menge Aufmerksamkeit auf sich.

Doch bevor jemand etwas sagen kann, dimmen die Lichter. Das grelle Bühnenlicht konzentriert sich auf ihren Vater, Marcus Veylith, der mit einer mächtigen Präsenz die Bühne betritt.

Die Menge verstummt, fast wie hypnotisiert, als der General mit seiner tiefen, autoritären Stimme zu sprechen beginnt.

Seren versucht, sich auf seine Worte zu konzentrieren, doch ihre Gedanken wandern. Sie spürt, wie etwas Nasses ihre Wange hinunterläuft.

Sie wischt es hastig weg, bevor jemand es bemerkt. Ihre Fassade darf nicht bröckeln. Nicht hier, nicht jetzt.

Kieran und Finn sind zu sehr von der Rede ihres Vaters gefesselt, um Serens plötzliche Verletzlichkeit zu bemerken.

Sie stehen stramm, ihre Augen auf die Bühne gerichtet, während Marcus Veylith mit seiner unfehlbaren Rhetorik die Menge in seinen Bann zieht.

Doch Seren hört nicht zu. In ihrem Inneren brennt ein anderes Feuer.

Ihr Stigma, Elyon fordert eine Verurteilung, eine Bestrafung von Ravyn.

Das ausgesprochen Urteil lautet: "Verbrenne Ravyn mit dem heiligen Licht von Aureth".

Sie ballt die Fäuste, ihre Nägel graben sich in ihre Handflächen.

"Ich werde dich finden, Ravyn" denkt sie, während die Worte ihres Vaters wie ferne Echos in ihren Ohren klingen.

"Das schwöre ich auf mein Leben."