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Chapter 9 - Das Zimmer

Min Hyun öffnete die Tür seines Wagens und stieg aus; gerade heute fühlten sich seine Schritte schwerer an als sonst. Die Tiefgarage des GM-Wohngebiets war voller teurer, luxuriöser Autos – meist Dienstwagen, deren Besitzer sie nie selber fuhren. Das weiße, künstliche Licht blendete seine müden Augen, während er auf den Aufzug zuging. Vierzehnter Stock; er gab sechs weitere Ziffern in das Codeschloss ein. Die Tür öffnete sich mit einem vertrauten Klingeln und beim Betreten seiner Wohnung begrüßte ihn das automatische Lichtsystem.

„Ich bin zu Hause."

Der Mann sprach diese Worte mit einer gewissen schweren Traurigkeit aus, und die Wohnung antwortete mit völliger Stille. Min Hyun öffnete den schwarzen Holzschrank im Wohnzimmer, nahm eine Flasche Scotch heraus, goss etwas in ein dickbauchiges Kristallglas und nahm einen großzügigen Schluck. Erst als der Alkohol seine Eingeweide wie flüssiges Feuer verbrannte, entspannte er sich endlich, atmete tief aus und seufzte laut.

Dann nahm er eine Schachtel Zigaretten aus dem Regal im Flur, zündete eine an, zog ein paar Mal tief ein und warf einen Blick auf die schwarze Tür am Ende des schmalen Flurs. Während er auf die Tür zuging, griff er mit der freien Hand in seine Hosentasche, holte einen kleinen Metallschlüssel heraus, steckte ihn ins Schlüsselloch und öffnete die Tür mit einem leisen Klicken.

„Hallo, Miss Yoon."

Min Hyun lächelte und legte seine große Hand an die Wand, die mit einem Rascheln antwortete. Unzählige Bilder von Yoon Se Ah schmückten alle vier Wände wie eine Art perverse Tapete. Einige waren mehrere Jahre alt, andere wurden nur wenige Tage vor ihrem ersten Treffen aufgenommen. Die Fotos zeigten sie im Viertel, bei Treffen mit Freunden und Kollegen, im Zentralkrankenhaus, im Pflegeheim, beim Einkaufen, im Underground-Club... Der abartige Schrein, den er im Namen von Yoon Se Ah erschaffen hatte, erinnerte an die kranke Besessenheit eines Wahnsinnigen, der sein Opfer nicht loslassen konnte.

Der Mann lehnte sich zurück an den Holzschreibtisch in der Mitte des Raumes, paffte eine Weile an seiner Zigarette, warf sie dann auf den Boden, drückte sie mit seinem rechten Pantoffel aus und seufzte.

„Ich habe gerade erst angefangen, doch ich bin bereits zu gierig, Miss Yoon. Das macht mich wahnsinnig."

Min Hyuns Telefon summte mit einer starken Vibration; er tippte auf den Bildschirm und hielt es an sein Ohr.

„Vater möchte etwas mit uns besprechen. Treffen im Eden Hotel in einer Stunde, sei nicht zu spät."

Der Sprecher am anderen Ende legte auf, ohne ihm die Chance zu geben zu antworten. Der Mann blickte auf die Uhr, steckte das Telefon in die Hosentasche, verschloss den Raum mit dem Schlüssel, schnappte sich ein paar Klamotten, die im Schrank auf ihn warteten, und verließ die Wohnung.

„Ich bin weg, warte nicht auf mich."

***

„Wow, wirklich? Erzähl mir alles!"

Eine eher kleine, schlanke Frau mit einem langen, strahlend rot gefärbten Pixie-Schnitt lehnte sich an die Theke und setzte ein breites, aufgeregtes Lächeln auf. Ihr Name ist Kang Da Hye – Se Ahs beste Freundin, die ihr Interesse für SM-Beziehungen teilte. Die beiden hatten sich an der Universität kennengelernt – eines Tages hatte Se Ah Da Hye in einem SM-Laden beim Spielzeugkauf gesehen, statt sie zu verurteilen oder auszulachen, schloss sie sich ihr an. Seitdem war ihre Freundschaft ungebrochen.

Aber das vielleicht auffälligste Gemeinsame zwischen ihnen war, dass Kang Da Hyes Familie fast jeden Underground- und Host-Club in Seoul besaß, was sie lächerlich reich machte. Obwohl Da Hye Se Ah immer wieder sagte, dass sie sich von ihrem Reichtum nicht einschüchtern lassen sollte, konnte Miss Yoon nicht umhin, eine dicke, unsichtbare Wand zu spüren, die sie voneinander trennte.

„Lass uns einen fairen Austausch machen. Erzähl mir zuerst, was du die letzten vier Monate in Shanghai gemacht hast, dann erzähle ich dir von meinem neuen Toyboy."

Es gab Gerüchte, dass Da Hyes Familie eng mit der chinesischen Mafia verbunden war, daher ihre häufigen Flüge nach China. Doch immer wenn Se Ah diese Gerüchte ansprach, lachte Miss Kang nur und wechselte schnell das Thema, obwohl es ihr nichts ausmachte, wenn ihre Freundin sie scherzhaft „Boss Kang" nannte.

„Du machst keinen Spaß, Yoon Se Ah! Du weißt, wie die Dinge laufen... Papa schickt mich dorthin, Geschäfte mit unseren Partnern zu machen, und ich bleibe einfach länger, um mich zu amüsieren, wenn du verstehst, was ich meine."

Sie zwinkerte Se Ah zu und brach in Gelächter aus.

„Jeder hier an der Theke weiß, was du meinst, du bist schon betrunken, Da Hye, gib mir dein Glas."Se Ah entriss ihrer Freundin das leere Martiniglas aus der locker umklammerten Hand und signalisierte dem Barkeeper, es wegzuräumen.

"Na gut, jetzt bist du dran, Yoon Se Ah!"

Se Ah seufzte, nippte an ihrem Cosmopolitan, strich sich das Haar aus dem Gesicht und blickte Da Hye an.

"Er heißt Lee Min Hyun und ist der neue Praktikant in unserer Abteilung."

"Was?! Er arbeitet mit dir? Wie ist das denn passiert? Du warst doch sonst immer so vorsichtig!"

Die laute Stimme von Da Hye schallte durch die Atmosphäre der Bar und sofort spürte Se Ah, wie dutzende Blicke sich auf sie richteten. Sie klopfte ihrer Freundin beruhigend auf die Schulter und seufzte noch einmal.

"Ich weiß, ich weiß... Ich habe gar nicht die Kraft, das jetzt alles zu erklären. Aber ja, er ist jünger und ehrlich gesagt auch ziemlich attraktiv. Sein Anblick während des Spiels erregt mich mehr als das Spiel selbst."

"Wooow, Yoon Se Ah! Das klingt ja spannend. Leihst du ihn mir aus? Bitte, bitte?"

Da Hye klimperte kokett mit ihren langen künstlichen Wimpern und versuchte, unschuldig zu wirken, doch Se Ah zögerte. Sie hatte zwar nie eine exklusive S&M-Beziehung geführt und war nicht besonders um die Gefühle ihrer Subs bemüht, aber sie war sich unsicher, ob Min Hyun wirklich bereit für eine Begegnung mit Da Hye war. Frau Kang war in der S&M-Szene berüchtigt dafür, mit ihren Subs rücksichtslos und heftig umzugehen. Einige hatten sogar Schadensersatz gefordert, nachdem sie eine Nacht mit ihr verbracht hatten. Ein Unerfahrener wie Lee Min Hyun würde Boss Kang kaum ohne ausgiebiges Training überstehen.

"Er ist ein Neuling, Boss Kang, du würdest ihn kaputtmachen."

Da Hye schmollte mit ihren vollen Lippen, stieß ein lautes "tsk" aus und sah Se Ah direkt in die Augen.

"Na und? Was macht er dir denn für Sorgen?"

"Was denkst du wohl? Für mich ist er wie eine tickende Zeitbombe. Ein falscher Schritt und er erzählt jedem, dass die nette und zurückhaltende Yoon Se Ah in Wahrheit eine perverse Sadistin ist. Ich kann es mir nicht erlauben, dass er meine Karriere ruiniert. Ich habe mir diesen Ruf nicht umsonst aufgebaut."

Frau Kang lächelte.

"Genau, nicht umsonst... Sieh mal, Subs sind in der Regel umgänglich und bereiten ihren Doms selbst bei einer Trennung keinen Ärger. Ich sage, genieße das Abenteuer, solange es anhält, und wenn er anfängt, Probleme zu machen, schick ihn zu mir, ich nehme mich seiner an."

Da Hye setzte ein bedrohliches Lächeln auf, ließ ein winziges pinkes Plastikcocktailschwertchen vor ihrem Hals durch die Luft wirbeln. Se Ah beobachtete ihre flinke Bewegung, schnaubte dann und schüttelte den Kopf.

"Ich denke, auf dich kann ich mich verlassen, Boss Kang."

Nach ein paar weiteren Cocktails, als Yoon Se Ah ihre Handtasche schnappte und bereit war, heimzugehen, bot Da Hye an, ihr ihren Wagen mit Chauffeur zur Verfügung zu stellen. Miss Yoon willigte bereitwillig ein.

Während sie im Beifahrersitz von Da Hyes neuem Luxuswagen zurücklehnte, schaute sie aus dem Fenster auf das funkelnde Lichtermeer der Stadt und dachte noch einmal über ihr Gespräch mit Miss Kang nach. Obwohl es sich anfühlte, als wäre sie einfach nur paranoid, machte Min Hyuns Wesen ihr irgendwie Sorgen.

'Lee Min Hyun... Was ist es nur, das du in mir auslöst? Ich... hasse dieses Gefühl.'