Ryder trug Ava nach Hause. Helena, Vivian und Jayden, die sich zu ihnen gesellt hatten, waren schockiert, als sie Ava mit Blutergüssen sahen.
"Was ist ihr passiert?" fragte Helena.
"Vier Mädchen behaupteten, sie habe sie beleidigt, und sie haben sie zur Vergeltung verprügelt", erklärte Ryder, während er sie ins Zimmer trug.
Helena holte ihre medizinische Tasche in das Zimmer, während Ryder sie vorsichtig auf das Bett legte.
"Verdammt, sie haben sie wirklich übel zugerichtet", bemerkte Jayden.
"Wird sie wieder gesund?" fragte Vivian besorgt und strich Ava über das Haar.
"Sie wird wieder gesund, Liebling", beruhigte Helena sie.
Ryder ging fort, um sein blutverschmiertes Hemd zu wechseln.
"Ich danke der Göttin, dass Ryder sie rechtzeitig gefunden hat", sagte Helena.
"Findet ihr das nicht auch seltsam?", fragte Jayden.
Helena blickte ihn fragend an. "Was meinst du?"
"Immer wenn Ava in Schwierigkeiten ist, ist Ryder sofort zur Stelle", erklärte Jayden.
"Was ist daran seltsam? Das ist doch ein Zufall", entgegnete Helena.
"Ist es wirklich Zufall? Beim letzten Mal war er bei einem Treffen, verließ es plötzlich und ging Ava suchen. Heute hat er die Wachen beaufsichtigt, als er plötzlich aufstand und nach Hause kam, um sich nach ihr zu erkundigen", wies Jayden hin.
"Stimmt schon, das klingt verdächtig", gab Helena zu.
Ryder kehrte mit einem neuen Hemd zurück. "Komm, Jayden, wir müssen los", sagte er.
"Wohin gehen wir?"
"Ich rufe sofort ein Rudel-Treffen ein", antwortete Ryder.
Ryder und Jayden machten sich auf den Weg zur großen Halle, wo Versammlungen stattfanden. Ryder benutzte das Mikrofon, um alle Rudelmitglieder in die Halle zu rufen.
Der Saal füllte sich schnell. Als alle still wurden, begann Ryder zu sprechen.
"Ich begrüße alle Rudelmitglieder und möchte zunächst Vero, Sam, Jennie und Hannah nach vorne bitten."
Die vier Mädchen standen auf und stellten sich dem Rudel gegenüber auf dem Podium.
"Im Feuerblut-Rudel bestrafen wir Gefangene, indem sie in den Minen arbeiten oder als Konkubinen beziehungsweise Diener hochrangiger Mitglieder dienen. Vor einigen Tagen brachte ich eine Gefangene zurück, die schuldig ist, meine kleine Schwester Lily angegriffen zu haben. Diese Gefangene steht unter meiner Gerichtsbarkeit, und ich behalte mir das Recht vor, sie nach meinem Ermessen zu bestrafen. Ich sage das nur einmal: Jeder, der Ava etwas antut, wird streng bestraft. Wer das tut, fordert mich als Alpha heraus. Ich glaube nicht, dass das jemand möchte."
"Nein, Alpha Ryder", erwiderte die Menge im Chor.
Ryder blickte die vier Mädchen an. "Was euch betrifft, ihr werdet zwei Wochen lang gemeinnützige Arbeit leisten."
"Ja, Alpha Ryder", antwortete das Rudel im Chor.
"Versammlung beendet", sagte Ryder.
Die Rudelmitglieder zerstreuten sich. Ryder und Jayden gingen nach Hause.
"Ich bin verwirrt", sagte Jayden plötzlich.
"Worüber bist du verwirrt?", fragte Ryder.
"Als du Ava gebracht hast, sagtest du, sie hat das schlimmste Verbrechen begangen, nämlich Lily belästigt, und du würdest dafür sorgen, dass sie bestraft wird", erklärte Jayden.„Und?", fragte Ryder.
„Naja, früher hat es dich nie interessiert, wie die anderen Rudelmitglieder mit den Gefangenen umgegangen sind. Aber für Ava hast du extra eine Notfallsitzung des Rudels einberufen. Es ist fast so, als wäre sie hier im Urlaub; die Arbeiten im Haus sind nicht anstrengend. Helena verhätschelt sie regelrecht und gibt ihr kaum etwas zu tun. Bei den Creekwoods musste sie, so habe ich gehört, in Ketten schwere Arbeit verrichten", sagte Jayden.
„Was willst du damit sagen, Jayden?"
„Warum behandelst du Ava anders? Wenn es um Lav..." Jayden brach ab, als er Ryders zornigen Blick bemerkte.
„Ich dachte, ich hätte dir klargemacht, diesen Namen nie wieder in meiner Gegenwart zu erwähnen", sagte Ryder wütend.
„Aber er ist dein..."
„Schluss jetzt. Ich will darüber nicht mehr sprechen", unterbrach Ryder ihn.
„Na schön!", sagte Jayden und ging verärgert weg.
„Verdammt!", fluchte Ryder und machte sich auf den Weg zurück zum Rudelhaus.
Er betrat Avas Zimmer. Sie war mittlerweile wach, Helena fütterte sie und Vivian streichelte ihr Haar.
„Wie geht es ihr?", fragte er Helena.
„Viel besser. Sie heilt sehr schnell, bis morgen sollte sie wieder auf den Beinen sein", antwortete Helena.
Ryder nahm Helena den Teller und den Löffel aus der Hand. „Ihr beiden könnt jetzt gehen; ich übernehme ab hier."
„Aber...", versuchte Helena zu widersprechen.
„Ich möchte mit Ava allein sprechen", bestand Ryder.
Ohne eine Wahl zu haben, standen Helena und Ava auf und verließen den Raum.
Ryder setzte sich neben Ava und gab ihr zu essen. Ava nahm das Essen vorsichtig entgegen, wobei sie sich fragte, was Ryder wohl vorhatte.
Nachdem sie fertig gegessen hatte, stellte Ryder den Teller zur Seite und half ihr beim Trinken.
Als sie wiederhergestellt war, räusperte Ryder sich und zeigte damit an, dass es Zeit für ein Gespräch war.
„Zum Teufel, warum musstest du allein hinaus in die Natur?", fragte er sie.
„Ich wollte etwas frische Luft schnappen", antwortete Ava.
„Frische Luft? Ava, wirklich jetzt?"
„Ja", antwortete Ava.
„Ist dir eigentlich klar, dass dich niemand in diesem Rudel sonderlich mag?"
„Das ist mir bewusst", sagte Ava.
„Und warum zum Henker wolltest du dann nach draußen gehen?"
„Es war einfach zu öde, die ganze Zeit im Haus zu sein", beschwerte sich Ava.
Ryder sah sie ungläubig an. „Dir ist schon klar, dass du eine Gefangene bist, oder? Als ich dich bei den Creekwoods kennengelernt habe, warst du in Fesseln. Du musstest schwere körperliche Arbeit im Sonnenschein leisten. Ich habe dich nicht in Ketten gelegt, Ava, du isst gut, hast Zugang zu Büchern und Fernsehen. Im Vergleich zu Creekwood ist das hier verdammt noch mal wie Urlaub. Wie kannst du also überhaupt von Langeweile sprechen?", fragte Ryder.
„Es ist möglich. Ich kann nicht durchgehend drinnen bleiben. Ich bin wie eine Pflanze; wenn ich nicht genug Sonnenlicht bekomme, gehe ich ein", entgegnete Ava.
Ryder sah sie fassungslos an; in seinem ganzen Leben hatte er noch nie jemanden so unausstehlich wie Ava getroffen.