Vor fünfzehn Minuten, in der Lounge, spürte Lu Yizhou, wie ein Kopfschmerz heraufzog. Warum war der Protagonist hier? Wie war er hereingekommen? Wo waren die Leibwächter, die er in jeder Ecke des Anwesens postiert hatte? Waren sie blind oder war Jing Xuehao unsichtbar?
666 klang sogar noch panischer als er selbst.
[666: Genau! Der Protagonist hätte eigentlich unten sein und dort sein erstes vorbestimmtes Treffen mit der Hauptdarstellerin haben sollen! Was macht er hier? Moment, 666 prüft gerade die Überwachungskameras. Oh! Soll 666 sagen, es ist das Schicksal, das ihm hilft? Es gab anscheinend einige Probleme unten, und die Leibwächter wurden hinuntergerufen. Ah Shen, der euch bewachen sollte, hatte plötzlich Durchfall, so war der Flur völlig leer...]
Jing Xuehao konnte Lu Yizhous Gedanken nicht anhand seines ausdruckslosen Gesichts lesen. Doch sein Ärger und seine Verzweiflung waren anhand seiner Mikrogesten und seines Gesichtsausdrucks erkennbar. Jing Xuehao war schon immer gut darin gewesen, Menschen zu lesen. Normalerweise hätte er die Person in Ruhe gelassen, da es nicht sein Stil war, jemanden zu bedrängen, der ihn offensichtlich nicht willkommen hieß. Diesmal jedoch war die Situation anders. Die Person vor ihm war nicht irgendwer. Es war Lu Yizhou, der Mann, den Jing Xuehao...
„Worüber willst du reden?" Lu Yizhou ging zum Sofa, zog seine äußere Jacke aus und warf sie zur Seite. Dann setzte sich der Mann, öffnete die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes und enthüllte so seinen ausgeprägten Halsansatz und Schlüsselbein.
Jing Xuehao beobachtete jede seiner Bewegungen, sein Adamsapfel bewegte sich, als er die blasse Haut auf Lu Yizhous Brust erblickte. Das Licht machte seine Haut besonders glänzend und hell.
„Nun?" Lu Yizhou hob eine Augenbraue. „Du hast fünf Minuten. Danach verschwinde."
Jing Xuehao riss sich aus seiner Benommenheit und kniff sich diskret in den Oberschenkel, um sich zu sammeln. Warum konnte er in Lu Yizhous Gegenwart nie klar denken? Er ertappte sich dabei, wie er die Anwesenheit des Mannes genoss und diesen Moment des ungestörten Alleinseins auskostete. Er wollte fast nicht, dass es endete. Doch...
Fünf Minuten. Er hatte nur fünf Minuten.
Jing Xuehao ballte die Fäuste und sagte heraus: „Ich kenne die wahre Natur deiner Beziehung zu Ren Zexi."
Lu Yizhous Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Dieser prüfende, messende Blick ließ Jing Xuehao sich nackt fühlen, als wären seine innersten Gedanken bloßgelegt. Hitze stieg ihm ins Gesicht, und er drückte Lu Yizhou den Bildschirm seines Telefons unter die Nase. „Versuch dich nicht rauszureden! Ich habe Beweise!"
Diesmal runzelte Lu Yizhou die Stirn und schnalzte verärgert mit der Zunge. Dieses Foto … Er erinnerte sich an den Moment, als es aufgenommen wurde, in der Krankenstation der S-Highschool, als Ren Zexi ihn plötzlich am Hals herunterzog, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Ein Seufzer entwich seinen Lippen, und er drückte sich die Schläfe. „Wie willst du das erklären?""[666: Waaaah, Wirt, sei nicht sauer! 666 schwört, es hatte wirklich keine Ahnung, dass der Protagonist solch ein Foto schießen würde! Oh mein Gott, schau dir diesen Winkel an. Ihr seht beide unverschämt aus! Kein Wunder, dass er es fehlinterpretiert hat.]
[Halt die Klappe, du nutzloses System.]
[666: QAQ 666 tut wirklich leid.]
Lu Yizhou hob die Augenlider und grübelte nach. Anstatt das Foto an verschiedene Nachrichtenagenturen zu verkaufen, hatte Jing Xuehao es vorgezogen, sich damit Zeit zu lassen, um ihn jetzt zu konfrontieren. Er sollte wirklich nicht den Protagonisten der Welt unterschätzen. Das Universum wirkte tatsächlich Wunder. Nun hatte er eine Schwäche von Lu Yizhou in der Hand, mit der er ihn vielleicht erpressen konnte.
Das Missverständnis drängte nicht und konnte später geklärt werden. Das Wichtigste, was Lu Yizhou im Augenblick tun musste, war das Foto aus Jing Xuehaos Besitz an sich zu reißen und es vollständig zu vernichten.
"Also... was willst du? Geld, Status oder Macht? Tatsächlich kann ich dir all das geben. Aber bist du bereit für die Konsequenzen, die folgen werden?" Lu Yizhou setzte bewusst Druck und Autorität ein, als wäre die Person vor ihm ein Todfeind, der ausgeschaltet gehörte, und nicht ein grüner Sechzehnjähriger.
Wie erwartet, erblasste Jing Xuehaos Gesicht und seine Fingerspitzen zitterten leicht. Lu Yizhous Ausstrahlung war zu mächtig, zu gebieterisch, als dass er sie hätte ertragen können. Es machte Jing Xuehao den Atem rauben. "I-Ich möchte nichts davon." Er machte einen Schritt nach vorne und atmete tief ein. "CEO Lu, wenn Sie mir Ihr Wort geben, kann ich das Foto komplett löschen und sicherstellen, dass es nie öffentlich wird. Aber wenn Sie das nicht tun..."
"Drei Minuten." Lu Yizhou unterbrach ihn mit gelassenem Tonfall.
Der Atem von Jing Xuehao stockte in seiner Kehle. Er atmete tief ein, um seinen Herzschlag zu beruhigen. Er wusste, dass er Lu Yizhou nicht einschüchtern konnte, nicht einmal mit dem Foto in seiner Hand. Er wollte nur irgendetwas, das ihn mit dem Mann verband. Etwas, das ihm einen Vorwand bieten könnte, sich ihm zu nähern...
Du schaffst das, Jing Xuehao! Jetzt oder nie!
"CEO Lu, bitte stimmen Sie meinem Vorschlag zu."
Lu Yizhou hob fragend die Augenbraue. "Oh?"
"Ja..." In der nächsten Szene wurde Lu Yizhou völlig überrumpelt, sodass er förmlich erstarrte. Jing Xuehao, der den Mann scheu anblickte, begann, sich auszuziehen, Knopf für Knopf. Der Stoff glitt seinem Körper entlang herunter und enthüllte seine kraftvolle, schlanke Figur. Die Hosen sammelten sich unter seinen Füßen, er stieg hinaus, schlich sich dicht an den staunenden Lu Yizhou heran und kniete mit einem berauschten Gesichtsausdruck zu seinen Füßen nieder. Sein Atem war flach und seine Stimme enthielt eine laszive Provokation, von der er nicht wusste, dass er sie in sich hatte. "CEO Lu, anstelle von Ren Zexi, wie wäre es, wenn Sie mich nehmen würden...?"''[666: !!!]
[666: AAAAAH!!! MEIN BILDSCHIRM! 666 KANN NICHTS SEHEN!!! HILFE!!!]
Der durchdringende Schrei von 666 riss Lu Yizhou aus seiner Benommenheit, und er blinzelte gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Jing Xuehao nach dem Reißverschluss seiner Hose griff. Ein ungläubiges Lachen entfuhr seinen Lippen, kalt und gnadenlos. "Mich stattdessen nehmen?"
Jing Xuehao war zu sehr von ihrer unmittelbaren Nähe verzaubert, um die eisige Ausstrahlung, die von Lu Yizhou ausging, zu bemerken. Mit erröteten Wangen und trüben Augen biss er sich auf die Lippen, sein Körper erzitterte bei der ersten Berührung mit Lu Yizhou. Er presste seine Oberschenkel zusammen, beschämt über seine eigene Erregung, die sich so leicht bemerkbar machte. "Ja." Er blickte in Lu Yizhous silberne Augen und hauchte. "Ich bin mir sicher. Ich kann es besser als Ren Zexi. Was er kann, kann ich auch. Und was er nicht kann, werde ich für dich tun. CEO Lu... Lu Yizhou... Sie können alles von mir haben, was Sie wünschen – meinen Körper, meine Seele, mein Herz..."
Er wollte diesen Mann, daran bestand bei Jing Xuehao kein Zweifel. Seit er Lu Yizhou zum ersten Mal gesehen hatte, konnte er den Mann nicht mehr aus seinem Kopf bekommen. Jedes Mal, wenn er ihn sah, war er verwirrt, aufgeregt und nervös, und er beneidete Ren Zexi, der Lu Yizhou so leicht nahe sein konnte.
Ja, mehr als Ren Zexis Noten oder Beliebtheit beneidete er den Teenager, weil er diesen herausragenden Mann an seiner Seite hatte. Jing Xuehao... Jing Xuehao sehnte sich ebenso danach. Er wollte Lu Yizhou so sehr, dass er bereit war, alles zu tun, um ihn zu bekommen, selbst wenn er dafür seinen Stolz schlucken und sich wie eine leichtfertige Hure erniedrigen müsste. Trotzdem fühlte er sich keinen Moment zögerlich oder gedemütigt. Schon allein der Gedanke daran, dass Lu Yizhou ihn berührte, nahm und nach Belieben mit ihm spielte, genügte, um ihn in Erregung zittern zu lassen.
Er konnte es nicht länger aushalten und beugte sich vor, um ihn zu küssen. Doch bevor sich ihre Lippen berühren konnten, packte Lu Yizhou plötzlich grob seinen Kiefer und zeigte ein sardonisches Lächeln. Ein Schauder lief Jing Xuehao über den Rücken. "Du—"
Knall! "Onkel Lu!" Die Tür flog auf und gab den Blick auf Ren Zexi frei, der keuchend dastand. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, erblasste sein Gesicht augenblicklich. "...Was macht ihr da?"
Wieder einmal fluchte Lu Yizhou innerlich. [Warum sagst du mir nicht, dass er kommt?!]
[666: Uwaaah, Gastgeber!!! 666 ist blind! 666 kann nichts sehen!!!]
Jing Xuehao zuckte schockiert zusammen und kam nur einen Moment später wieder zu sich. Überstürzt griff er nach dem nächstbesten Hemd, um seine Nacktheit zu verbergen. Doch bevor er sich ordentlich anziehen konnte, stürzte Ren Zexi mit wutverzerrtem Gesicht und erhobener Faust auf ihn zu. "Du Mistkerl! Wie kannst du es wagen –" Ein kräftiger Schlag landete auf Jing Xuehaos Wange, und er stürzte zu Boden, umklammerte sein Hemd fest und rollte sich zusammen, um seinen Kopf zu schützen, während er den Angriff von Ren Zexis tosender Wut über sich ergehen ließ. "Ich werde dich umbringen! Ich werde dich ganz sicher umbringen!"
Lu Yizhou saß regungslos da und holte sein Telefon heraus, um die Sicherheitsleute zu rufen. Weniger als eine halbe Minute später stürmten drei Männer in schwarzen Anzügen herein und trennten auf seinen Befehl hin Ren Zexi von Jing Xuehao. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ren Zexi bereits die Kontrolle verloren und Jing Xuehaos Gesicht war schwer gezeichnet mit Blut, das aus seiner Nase lief.
Er spuckte Blut aus und knurrte: "Wir waren gerade beim besten Teil, warum platzt du einfach so herein?"'"Du...!" Ren Zexi wandte sich verzweifelt an Lu Yizhou, suchend nach Bestätigung. "Onkel Lu, das ist eine Lüge, nicht wahr? Du und er... du kannst ihn doch unmöglich mögen!"
"Ha! Warum sollte ich nicht? Ich könnte sogar—"
"Schmeißen Sie ihn raus." Lu Yizhou erhob sich, musterte Jing Xuehao mit einem so eisigen Blick, dass ihm kalt wurde. "Ich will ihn nicht mehr sehen. Sofort."
"Jawohl!"
Jing Xuehao's Augen weiteten sich in Panik, als die Männer anfingen, ihn hinauszuziehen. "Nein! Das können Sie mir nicht antun! Ich habe das Foto noch—"
Lu Yizhou lächelte spöttisch und winkte ab. In diesem Moment war Jing Xuehaos Schicksal bereits besiegelt. Er drehte sich zu Ren Zexi um, der ihn mit geröteten Augen anstarrte, seufzte und nahm vorsichtig dessen Hand, um die blutenden Knöchel zu begutachten. "Warum bist du so ungestüm? Sieh mal, du hast dich verletzt."
"Wie könnte es anders sein?!" Jedes Mal, wenn Ren Zexi an diese Szene dachte, packte ihn der Wunsch, Jing Xuehao zu töten. Seine Augen leuchteten vor Wut, und er knirschte mit den Zähnen. "Ich werde es ihm nie verzeihen! Wie kann er es wagen, das mit dir zu machen?! Onkel Lu, du ..." Sein Blick huschte ängstlich über Lu Yizhou. "Geht es dir gut? Hat er dir etwas angetan?"
Lu Yizhou schüttelte den Kopf. "Was sollte er mir schon antun?"
Trotz seiner Worte zog Ren Zexi ein antibakterielles Feuchttuch hervor und reinigte damit gründlich Lu Yizhous Finger – die Stelle, an der er Jing Xuehao am Kiefer gepackt hatte, und murmelte wütend vor sich hin. "Man sollte ihn nicht so sorglos berühren. Wer weiß, ob du dich mit seinen Keimen infiziert hast?"
Dann drehte er sich um und stieß die verbliebenen Kleidungsstücke von Jing Xuehao, die auf dem Boden lagen, angewidert beiseite. "Wir sollten diesen Dreck verbrennen und den Raum desinfizieren. Ich ertrage den Gedanken nicht, Spuren von ihm hier zu sehen." Nur die Vorstellung, dass Jing Xuehao sich entblößt und vor Lu Yizhou kniete, ließ Ren Zexi beinahe erbrechen. Er wollte nicht nur den Raum reinigen, sondern am liebsten auch Lu Yizhous Augen und Gedächtnis auswaschen, so dass dieser Mann Jing Xuehao für immer vergaß.
Unverzeihlich. Ren Zexi würde ihm nie verzeihen, niemals in seinem ganzen Leben!
Ren Zexi war so aufgebracht, dass Lu Yizhou das Bedürfnis verspürte zu lachen. Er tätschelte den Kopf des Jungen und machte eine Geste. "Komm mit. Wir müssen einige Probleme lösen. Draußen ist es mir ein wenig zu laut geworden."