Als Faye sich dem Sitz gegenüber von Sterling niedergelassen und die weichen Kissen an ihren Körper geschmiegt hatte, spürte sie den dringen benötigten Komfort. Es war eine Wohltat, nicht mehr auf dem Boden der Kutsche sitzen zu müssen.
Jetzt, auf Augenhöhe mit ihrem Verlobten, konnte sie nichts anderes tun, als den beeindruckenden Mann vor sich anzustarren.
Er strahlte eine intensiv maskuline Ausstrahlung aus.
Auch wenn sie immer noch über sein brutales und rücksichtsloses Verhalten ihr gegenüber zornig war, musste sie zugeben, dass ihr neuer Ehemann durchaus gutaussehend war.
Abgesehen von seinen wilden, schlangenartigen, rubinroten Augen gefiel ihr an ihm alles.
Seine Gesichtszüge waren stark und kräftig, sein makellos glatter Teint wurde durch eine Fülle von dichtem, ebenholzfarbenem Haar hervorgehoben.
Sterlings vollkommene Gesichtszüge hätten einen Maler zu Tränen gerührt. Er hatte volle, exakt definierte Lippen, ein festes, kantiges Kinn und eine messerscharfe, adlerartige Nase. Faye bemerkte den warmen Ton seiner gebräunten Haut, die golden und bronze schimmerte, und ging davon aus, dass dies ein vererbtes Merkmal war.
Die meisten Menschen in dieser Weltgegend hatten wegen des seltenen Sonnenlichts blasse Haut. In Wintershold schien selten die Sonne. Die meisten Tage waren wolkenverhangen und düster. Während sie darüber nachdachte, fragte sie sich, ob das nördliche Territorium ebenfalls so sein würde. Da ihr Leben so behütet war, wusste sie wenig über die Landschaft außerhalb der Mauern von Wintershold.
Faye war immer noch neugierig auf Sterlings Körperbau. Obwohl sein dicker, pelzbesetzter Mantel ihr die Sicht versperrte, hatte Faye, als sie ihn das erste Mal in Wintershold sah, angenommen, er besitze eine robuste, athletische Statur unter seinem schwarzen, geölten Umhang.
Während ihr Blick weiterhin über den schlummernden Mann ihr gegenüber glitt, wurde sie von einem sonderbaren Gefühl überkommen. Es war eine Art Déjà-vu, als hätte sie Sterling schon mal irgendwo getroffen. Sie versuchte sich zu erinnern, ob er jemals zuvor in Wintershold gewesen sein könnte, aber es fiel ihr nichts ein.
Zwischen ihnen lag eine geheimnisvolle Energie, ein Gefühl, das hoffen ließ, das Schicksal wolle ihnen sagen, dass ihre Verbindung gelingen würde. Faye begriff, dass sie Zeit investieren mussten, um sich kennenzulernen. Hoffnung und Optimismus erfüllten sie. Wenn sie nur den Mut fände, mit Sterling zu sprechen und seine einschüchternde Fassade zu durchbrechen, könnten sie vielleicht eine freundschaftliche Beziehung aufbauen.
Faye war geistig so erschöpft, dass sie nicht mehr denken konnte. Sie sagte sich, sie solle nur für einen Moment die Augen schließen und ein kleines Schläfchen halten. Dann könnte sie vielleicht, wenn sie erwachte, dieses Gefühl einer vergangenen Verbindung zwischen ihr und Sterling ergründen.
Faye driftete in einen tiefen Schlaf ab.
——
…Der Raum war dunkel und unheimlich still. Faye erkannte, dass sie wieder in Wintershold im Zimmer ihrer Mutter war. Verwirrung breitete sich in ihr aus. Warum war sie an diesen Ort zurückgekehrt? Eine heisere Stimme rief sie, unterbrach ihre stillen Überlegungen.
„Faye … Faye – wo bist du? Ich kann kaum etwas sehen."
Es war die Stimme ihrer Mutter. Der Klang schickte einen Schauer durch Fayes Körper. Faye wusste, dass ihre Mutter tot war. Es war ein grausamer Trick, den ihr Verstand mit ihr spielte. Sie wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Faye erkannte das Bett und die Steppdecke wieder, auf denen ihre Mutter am Tag ihres Todes lag. Sie blickte genauer hin und sah den ausgemergelten, blassen Körper ihrer Mutter vor sich, wie er mit jedem Atemzug rang.Faye lauschte der heiseren Stimme ihrer Mutter, die ein wiederholtes Mantra flüsterte: „Beschwört den Draco, denjenigen, der auf der Grasebene wohnt. Er ist dein Schicksal. Ich habe ihm ein Leben für ein Leben versprochen."
Faye kniete neben ihrer gebrechlichen Mutter, Tränen benetzten ihre Wangen, als sie die verdorrte Hand ihrer sterbenden Mutter ergriff und um Klarheit bat.
„Mama, ich verstehe das nicht. Warum sagst du das immer wieder?"
Ihre Mutter wiederholte die Worte noch einmal, als hätte sie Fayes Frage nicht gehört.
„Beschwört den Draco, denjenigen, der auf der Grasebene wohnt. Er ist dein Schicksal. Ich habe ihm ein Leben für ein Leben versprochen."
„..."
—
Ein donnerndes Geräusch und Erschütterungen rissen Faye aus dem alptraumhaften Traum.
Sie fühlte sich orientierungslos, ihr Verstand war nebelverhangen, während sie die Stimmen der Ritter hörte, die Befehle riefen, und das Getrappel von Männern, die von ihren Hengsten abstiegen. Ihre verschlafenen Augen weiteten sich bei dem schrecklichen, ohrenbetäubenden Kreischen, das von außerhalb der Kutsche kam. Sie hörte das deutliche Geräusch von Metall, das auf Metall schlug, während die Kutsche durch die Wucht des Kampfes gefährlich schwankte.
Wieder fand sich Faye auf dem Boden der Kutsche wieder, ihr Herz raste. Während sie zusah, riss Sterling die Kutschentür auf und sprang mit Leichtigkeit auf den Boden. Seine abrupte Drehung wurde von einem barschen Befehl begleitet, der in ihrem ganzen Körper widerhallte.
„Es ist nicht sicher! Bleib in dieser Kutsche!"
Das plötzliche Geräusch der zuschlagenden Tür ließ sie zusammenzucken, als sie ihm nachsah. Während er schnell davonlief, verschwand seine Gestalt langsam in der Ferne. Faye saß allein in der Kutsche, ihr Herz raste und ihre Handflächen waren schweißnass.
Während sie wartete, bemerkte Faye eine schwere, bedrückende Stille, die sich über die Umgebung legte. Sie lehnte sich vor, streckte den Hals, um durch das winzige Kutschenportal zu spähen. Soweit sie sehen konnte, gab es nichts als Wald und Gestrüpp.
Als sie den Blick vom Fenster abwandte, erregte ein roter Fleck ihre Aufmerksamkeit und sie musste sich umdrehen. Es war eine Horde von Osvols Dämonen. Soviel sie erkennen konnte, waren es mindestens vier von ihnen. Als Faye sich leise zurück in den Sitz schlich, hörte sie das Hupen eines Horns.
„BWOOOO!"
Das Klappern der Rüstungen wurde lauter, als die Ritter sich der Kutsche näherten und sich untereinander etwas zuriefen. Fayes Beunruhigung wuchs, je näher sie kamen, denn sie fragte sich, ob die Männer in einen Hinterhalt liefen. Verzweifelt riss sie die Kutschentür auf, bereit, hinauszuspringen und sie zu warnen.
A/N: Vielen Dank an alle Leser und eure Powerstein-Stimmen. Ich schätze alles, was ihr tut, um diesen Roman erfolgreich zu machen! Wenn ihr die Gelegenheit habt, hinterlasst bitte eine Rezension und lasst andere wissen, wie sehr euch das Buch gefällt.