Die Wolken zogen sich zusammen, als ich den letzten Bissen in das rohe Fleisch tat. Ein Geschmack, der mir ehrlich gesagt jetzt schon fehlt. Der raue Geschmack von frischem Blut und Organen auf meiner Zunge war ein Leckerbissen. Doch ich wusste, dass mir bald alles davon verwehrt werden würde. Allein der Gedanke daran, von menschlichen Produkten zu essen, ihre nährstoffarmen, vorgefertigten Nahrungsmittel zu konsumieren, reizte einen Kotzreiz in mir. „Also.." hörte ich meine Schwester neben mir sprechen. Ihr Kopf liegt leicht schräg, als sie mich mit ihren großen Augen ansah. „Also…" wiederholte sie, ihre Stimme ruhig, doch mit einem unausgesprochenen Hauch von Besorgnis. Ich konnte den Blick ihrer goldenen Augen auf mich spüren. Sie war immer gut darin gewesen, zu spüren, wenn etwas nicht stimmte. Ihre schlanke Gestalt lehnte gegen einen Baumstamm, während ich das restliche Fleisch auf dem Boden verschlang. Für einen Moment sagte ich nichts, kaute die letzten Fasern der Mahlzeit und ließ den metallischen Geschmack von Blut auf meiner Zunge verweilen, als wäre es das Letzte, was ich jemals schmecken würde. Ich blickte über den Hügel hinaus, in Richtung Newhurst, die Stadt, die wir nur aus der Ferne können, ein Moloch aus Stahl, Glas und Beton. Der Gedanke, dorthin zu gehen, dorthin zu müssen, löste ein leises Knurren tief in meiner Kehle aus. Nicht vor Angst, sondern vor Widerwillen. Die Menschen dort waren nicht wie die Jäger in den Wäldern – sie waren zivilisiert, organisiert, und doch auf eine Art noch gefährlicher. Emmy, die Wölfin, die ich befreien sollte, war in ihrer Falle gefangen – und nur die Götter wussten, was sie mit ihr machten. „Ich will nicht das du gehts" murmelte sie nach einem Moment des Schweigens. „Ich will dich nicht auch noch verlieren.", hielt sie inne. Troz ihrem Schweigen wusste, dass ich genau das war, was sie meinte. Doch ich ließ sie weiterreden. Sie sah mich an, in ihrem Blick lag eine leichte Traurigkeit. Schmerz, den nur wir wissen konnten. „Du weißt doch was mit.", stotterte sie vor sich hin. Es sollte eigentlich unhörbar sein, doch mit meinem Wolf ohren war es ununhörbar. „Mutter…" „Hör auf dir Gedanken zu machen" unterbrach ich, denn ich wusste, dass unsere Mutter ein schweres Thema im Rudel bleibt. „Ich bringe Emmy sicher nach Hause! Das verspreche ich dir!". Ich schaute sie an und lachte. „Ich will es trotzdem nicht" rief sie nun etwas lauter, „Das hat Mutter auch gesagt, und nun ist sie..", bevor sie es aushalten konnte ich mit meinen Pfoten ihr Maul zu. „Psst, Beruhig dich" Ich ließ ihr Maul los und sie schaute mich an. „Bitte, Nicht!" Deine Ohren zuckten, als der Wind durch die Bäume pfiff. Ich konnte die Sorge in ihrer Stimme hören, auch wenn sie versuchte, sie zu verbergen. Ich schnaubte und stand auf, schüttelte das restliche Blut von meinem Maul. „Ich muss. Vater hat es befohlen." „Vater, Vater. Immer nur Vater", rief sie wütend. „Der Alte Sack kann es doch selbst machen. Er behresscht die Maske eh besser" Selinieas Worte trafen mich härter, als ich zugeben wollte. Die Wut in ihrer Stimme war unverkennbar, und ich wusste, dass sie recht hatte – Vater beherrschte die Maske der Menschlichkeit, die wir alle lernen mussten, viel besser als jeder von uns. Er konnte sich unter die Menschen mischen, ohne dass sie den Verdacht erschöpften. Aber das war nicht die Aufgabe, die er mir gegeben hatte. Er hatte mich geschickt, und ich wusste tief in mir, dass es einen Grund gab, warum er das tat, auch wenn es mir nicht gefiel. „Seliniea", begann ich leise, aber sie schüttelte bereits den Kopf. „Nein, Sly!" Ihre Stimme brach leicht, als sie mir in die Augen sah. „Du bist so verdammt blind, wenn es um ihn geht. Er benutzt dich, wie er uns alle benutzt hat. Und Mutter… sie ist der Beweis dafür." Deine Stimme bebte bei dem letzten Wort, und für einen Moment dachte ich, sie würde weinen. Doch sie hielt die Tränen zurück, wie sie es immer tat. Sie waren stark – stärker, als sie sich selbst zutraute. Ich wollte etwas erwidern, wollte ihre Wut besänftigen, doch ich konnte nicht. Die Pflicht, die Vater mir auferlegt hatte, lag schwer auf meinen Schultern. Ich musste Emmy befreien, denn das war der Befehl. Aber tief in mir nagte auch die Frage: Wäre ich, wie Mutter, nur eine weitere Spielfigur in Vaters Plänen? Würde ich das gleiche Schicksal erleiden? „Es geht nicht um Vater", sagte ich schließlich und zwang mich, ruhig zu bleiben. „Es geht um das Rudel. Wenn wir Emmy nicht zurückholen, verlieren wir mehr als nur einen Wolf. Wir verlieren unsere Stärke, unser Überleben. Und das weißt du." Seliniea sah mich an, ihre Augen funkelten vor Zorn und Verzweiflung. „Und was ist mit dir? Was verlierst du dabei, Sly? Hast du jemals daran gedacht?" Ich zögerte. Was würde ich verlieren? Vielleicht alles. Vielleicht nichts. Es gab keinen Platz für solche Gedanken. Meine Pflichten, die Verantwortung, das Rudel zu beschützen – das war alles, was zählte. „Ich werde zurückkommen", sagte ich und trat einen chritt auf sie zu, legte eine Pfote auf ihre Schulter. „Ich verspreche es dir. Ich werde zurückkommen, und dann reden wir. Aber jetzt muss ich gehen." Sie sahen mich an, ihre Augen suchten nach einer Funken Wahrheit in meinen Worten. Für einen Moment herrschte Stille zwischen uns, nur das leise Rauschen des Windes in den Bäumen begleitete unsere Gedanken. Schließlich ließen sie die Schultern sinken, gaben nach, doch der Schmerz in ihren Augen blieb. „Wenn du es nicht tust…" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Dann werde ich dich suchen, egal wo du bist." Ein Teil von mir war stolz auf ihre Entschlossenheit, aber ein anderer war besorgt. „Du musst auf das Rudel aufpassen, Seliniea", sagte ich. „Das ist wichtig." Sie nickte, doch ich wusste, dass sie mich nicht wirklich gehen lassen wollte. Es war nie einfach gewesen, uns voneinander zu trennen. Seit Mutter… seit damals. „Was ist hier los?" Fragte eine Stimme die uns aus unserem kleinen Zweikampf der Wort riss. Unsere Köpfe schallten um und wir sahen Tobias. Tobias stand da, seine Augen verengt, während er uns beide anstarrte. Sein schwarzes Haar hing ihm nass vom beginnenden Regen ins Gesicht, das immer noch von dem gestrigen Vorfall mit einem Abdruck des Aste sehr geehrt ist, und seine Kleidung klebte an seinem mageren Körper. Er war kleiner als wir, ein Mensch, aber nicht zu unterschätzen. Vater hatte ihn aufgenommen, als Tobias noch ein Kind gewesen war. Damals, als er nach der Flucht vor Jägern seine Familie verloren hatte. Seither war er im Rudel aufgewachsen – ein Außenseiter, der irgendwie doch dazugehört. „Ich hab' euch schreien gehört", sagte Tobias ruhig, aber sein Blick verriet, dass er mehr wusste, als er zugab. „Was ist los?" Seliniea und ich wechselten einen kurzen Blick, bevor ich antwortete. „Nichts, Tobias", sagte ich schnell. „Wir haben nur... diskutiert." Er trat näher, seine Stirn gerunzelt. „Diskutiert?" Er betonte das Wort so, als wüsste er, dass wir ihm nicht die volle Wahrheit sagten. Er blieb vor uns stehen, die Arme verschränkt. „Das klang mehr nach einem Kampf als nach einer Diskussion." Seliniea öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihr zuvor. „Ich muss nach Newhurst", erklärte ich. „Emmy ist in Gefahr. Sie wurde von Jägern gefangen, und Vater hat mich geschickt, um sie zu befreien." Tobias hob eine Augenbraue. „Und Seliniea will nicht, dass du gehst." Es war keine Frage. Er hatte die Situation schneller erfasst, als ich es erwartet hatte. „Richtig", gab Seliniea zu, ihre Stimme jetzt ruhiger, aber immer noch von Zorn und Sorge durchzogen. „Ich will nicht, dass er sich in derselben Gefahr begibt, wie unsere Mutter..." Sie sprach es nicht aus, aber wir wussten beide, was sie meint. Tobias senkte den Kopf, als sie das sagte, und für einen Moment schien er tief in Gedanken versunken. Ich wusste, dass er Mutter auch vermisst, auf seine eigene Weise. Sie hatte ihn wie einen Sohn behandelt, auch wenn er kein Wolf war. „Vater hat dich auch geschickt", sagte Tobias schließlich und sah mich mit seinen tiefen, dunkelbraunen Augen an, die in der Abenddämmerung schnell schwarz wirkten. „Aber warum allein? Warum nicht mit mehr Unterstützung?" Das war eine berechtigte Frage, die auch mich schon beschäftigt hatte. Vater hätte mehr von uns schicken können. Es gab genug fähige Wölfe im Rudel, die zusammen stark genug wären, um Emmy zu befreien und die Jäger zu besiegen. Doch stattdessen hatte er mich allein beauftragt. Eine Tatsache, die mich mit jeder Minute, die verging, mehr beunruhigte. „Er hat seine Gründe", sagte ich, obwohl ich selbst nicht wusste, welche das waren. Tobias starrte mich an, als ob er meine Gedanken lesen könnte, dann schüttelte er den Kopf. „Wenn du gehst, gehe ich mit dir." Sofort protestierte ich. „Nein, Tobias, das ist zu gefährlich. Newhurst ist nichts für dich. Das ist eine Stadt voller Menschen. Sie würden dich genauso jagen wie mich, wenn sie herausfinden, dass du zum Rudel gehörst." „Das ist mir egal", entgegnete er trotzig. „Ich habe das Kämpfen gelernt. Ich weiß, wie man sich verteidigt. Und ich lasse dich nicht allein da rausgehen, Sly. Nicht, wenn die Gefahr so groß ist." „Du bist ein Mensch", schoss Seliniea ein, ihre Augen blitzten. „Du würdest uns nur aufhalten." Tobias' Augen verengten sich, aber er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich bin vielleicht ein Mensch, aber ich gehöre zum Rudel. Und ich werde euch nicht im Stich lassen. Außerdem... wer kann besser mit Menschen umgehen als ich?" Er grinste leicht, aber seine Stimme war ernst. Ich zögerte. Tobias hatte nicht ganz unrecht. Seine Fähigkeit, sich unter Menschen zu bewegen, war einzigartig im Rudel. Wenn ich ihn dabeihatte, könnte es leichter sein, unentdeckt in die Stadt zu kommen. Aber die Risiken waren hoch. Wenn er geschnappt wurde, würde er nicht nur uns verraten, sondern auch seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzen. „Tobias, das ist hier anders", sagte ich leise, versuchte ihm die Schwere der Situation zu entlocken
Um es klarzumachen. „Wir reden nicht von einem Spiel. Das ist echt. Die Jäger in Newhurst haben Waffen, Technologien, von denen du noch nie gehört hast. Sie wissen, wie man Wölfe jagt." Er sah mich lange an, seine Miene blieb fest. „Und deshalb gehst du nicht allein." Er machte einen Schritt näher auf mich zu und legte mir die Hand auf die Schulter, ein menschlicher Akt der Verbundenheit, der mir immer seltsam vorkam. „Ich habe in diesem Rudel genauso viel verloren wie ihr. Vielleicht sogar mehr. Aber ich lasse meine Familie nicht im Stich." Seliniea trat einen Schritt zurück, ihr Blick wanderte zwischen uns hin und ihr. Sie biss sich auf die Lippe, enttäuscht. Sie wussten, dass Tobias ein wertvoller Verbündeter sein könnte, aber sie konnte die Sorge um uns beide nicht verbergen. Ich konnte es in ihren Augen sehen. „Wenn er mitkommt", sagte sie schließlich, ihre Stimme leise, aber eindringlich, „dann wirst du auf ihn aufpassen, Sly. Versprich mir das." Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich dieses Versprechen halten konnte. Die Situation in Newhurst war unberechenbar, und niemand konnte garantieren, dass wir alle lebend zurückkommen würden. „Ich verspreche es." Tobias grinste wieder leicht, dann sah er mich an. „Also, willst du uns brechen?" Ich drehte mich in Richtung der Stadt, die in der Ferne wie ein dunkles, bedrohliches Gebilde aufragte. Die ersten Lichter gingen in den Wolkenkratzern an, wie Augen, die uns beobachteten. Der Regen wurde stärker, und ein kälterer Wind wehte durch die Bäume.
„Jetzt", sagte ich schließlich. „Wir gehen jetzt."