'"An'an, liebst du mich etwa nicht mehr?" Li Zecheng blickte Qiao An direkt ins Gesicht, in der Hoffnung, aus ihrem Ausdruck Hinweise ablesen zu können. Ihm war jedoch nicht bewusst, dass die sieben Tage, die Qiao An von den Entführern festgehalten worden war, sich wie ein endloses Jahrhundert angefühlt hatten. Wie konnte sie nach einem solchen Erlebnis noch dasselbe fröhliche, junge Mädchen sein?
Mit verstecktem Ekel lächelte sie ihn an und sagte: "Liebling, ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht. In einer Ehe gibt es naturgemäß Höhen und Tiefen. Wir sollten den Schwierigkeiten nicht aus dem Weg gehen, sondern sie gemeinsam bewältigen. Deswegen möchte ich mich nicht von dir scheiden lassen."
In Li Zechengs Augen blitzte ein Hauch von Freude auf. Er hatte erwartet, dass es einiger Überzeugungsarbeit bedürfen würde, doch Qiao An schien zu dieser Einsicht ganz von selbst gekommen zu sein.
"An'an, lass dich in Zukunft nicht zu sehr von deiner Fantasie mitreißen. Ich werde mich bemühen, dir ein gutes Leben zu bieten", entgegnete er liebevoll.
Qiao An nickte nur. "Ja, natürlich."
Doch innerlich sehnte sie sich danach, ihn loszuwerden. "Liebling, geh zur Arbeit. Mach dir keine Sorgen um mich."
"An'an, du bist wirklich verständnisvoll. Ich muss jetzt los", sagte Li Zecheng und verließ das Zimmer, nachdem er Qiao An zärtlich auf die Stirn geküsst hatte.
Ihr ganzer Körper krampfte sich zusammen, und ihr wurde übel bei seinem Kuss.
Nachdem er gegangen war, wusste Qiao An, dass sie so schnell wie möglich die Scheidung von Li Zecheng einreichen musste. Andernfalls wäre jeder weitere Tag mit ihm eine unerträgliche Qual.
Kaum war Li Zecheng verschwunden, betrat Li Xiaoran das Zimmer. Man konnte nicht erkennen, was ihn verärgert hatte, doch sein attraktives Gesicht war kalt wie Eis; die Temperatur im Raum schien plötzlich zu fallen.
Er warf Qiao An eine Salbe zu und fragte kühl: "Kannst du sie selbst auftragen?"
Qiao An war verwirrt. "Dr. Li, wer hat Sie denn so aufgebracht?"
Li Xiaoran verschränkte die Arme und fixierte sie mit seinen tiefen, fuchsfarbenen Augen. "Es steht einem Patienten nicht zu, persönliche Fragen an den Arzt zu stellen", entgegnete er kalt.
Qiao An änderte ihre Taktik. "Onkel, wer hat dich denn so verärgert?" Dadurch fragte sie ihn als Familienmitglied nach seinem Privatleben, und er konnte ihr schwerlich eine Antwort verweigern, oder?
Li Xiaorans angespanntes Gesicht entspannte sich angesichts ihrer Schlauheit ein wenig. Sein Blick fiel auf den Smaragdschmuck an Qiao Ans Handgelenk, und mit trauriger Stimme fragte er: "Hat dir Li Zecheng das geschenkt? Du konntest es kaum erwarten, es zu tragen, nicht wahr? Zieh es aus. Patienten dürfen keinen Schmuck tragen."
Qiao An nahm das Schmuckstück ab, wog es in der Hand und fragte schließlich Li Xiaoran: "Dr. Li, kennen Sie sich mit dem Wert von Smaragden aus?"
Li Xiaorans kühles und stattliches Gesicht verriet ein helles Lächeln. "Warum? Willst du es verkaufen?"
Qiao An erwiderte: "Der Schmuck steht mir nicht wirklich. Ich dachte, ich könnte ihn verkaufen und etwas Geld verdienen, um Zecheng finanziell zu entlasten."
Li Xiaorans Lächeln erstarb. Sarkastisch erwiderte er: "Dein Ehemann ist immerhin ein bekannter Großunternehmer. Braucht er wirklich, dass du dich so ins Zeug legst, um für ihn Geld zu sparen? Qiao An..."
Li Xiaoran beugte sich plötzlich zu Qiao An hinüber und sagte ernst: "Wenn es meine Frau wäre, würde ich ihr alles geben, was sie sich wünscht, vorausgesetzt ich kann es ihr bieten."
Qiao An war leicht verwirrt. Li Xiaorans Worte berührten auf unerklärliche Weise ihr empfindsames Herz. Einmal hatte auch sie Li Zecheng auf diese Weise geliebt. Leider war er anders als sie gedacht hatte.
Um Li Xiaorans Misstrauen nicht zu wecken, legte Qiao An den Schmuck beiseite und meinte: "Ich muss ihn nicht verkaufen. Es ist nur so, dass Zecheng mir so viel Schmuck geschenkt hat, und ich kann nicht alles tragen. Ich verkaufe einfach das, was mir nicht gefällt."
Li Xiaoran zog die Stirn kraus. "Willst du etwa deine Liebe vor Singles zur Schau stellen?"
Qiao An rollte mit den Augen. "Du hast doch jede Nacht deinen Spaß. Brauchst du etwa eine Freundin?"Li Xiaoran fasste sich verlegen an die Nase. "Warum bin ich in deinen Augen immer der unverbesserliche Schürzenjäger?"
Qiao An blickte ihn an. Er war hellhäutig, schön und elegant. Es war in der Tat unfair, ihn einen Schürzenjäger zu nennen.
Aber warum hatte sie ihn für einen Aufreißer gehalten?
Das hatte er seinem Neffen zu verdanken. Als sie Li Zecheng zum ersten Mal heiratete, hatte er ihr gegenüber immer betont, er habe einen Onkel, der seine Arbeit nicht richtig mache. Er blieb jeden Tag in der Bar und spielte jede Nacht mit schönen Frauen.
Am Tag ihrer Hochzeit hatte sie tatsächlich den Alkohol an Li Xiaorans Körper gerochen. Er hatte sie betrunken mit blutunterlaufenen Augen gemustert und mit ihr geflirtet.
"Heiraten Sie nicht. Ist das in Ordnung?"
Erschrocken umklammerte Qiao An den Saum ihres Hochzeitskleides und floh.
Seitdem wusste sie, dass er ein Betrüger war.
Jetzt, wo sie genau darüber nachdachte, hatte er nur am Tag ihrer Hochzeit die Fassung verloren. Ansonsten sah sie ihn nur selten und wurde nicht Zeuge der Szenen, in denen er und die schönen Frauen sich jeden Abend vergnügten. Sie hatte ihn so reingelegt, als würde sie ihn nicht genug respektieren.
Qiao An errötete und murmelte: "Ihr Neffe hat es mir erzählt."
Li Xiaoran sagte: "Denk daran, was du siehst, ist stärker als das, was du hörst."
Qiao An zog den Hals ein und hörte Li Xiaorans Belehrungen schuldbewusst zu. "Auch wenn Li Zecheng dein Mann ist, heißt das nicht, dass er dich nicht belügen würde. Schließlich schätzen Geschäftsleute Vorteile mehr als eine Trennung."
Die Worte "Geschäftsleute schätzen Vorteile mehr als eine Trennung" brachten alle düsteren Gefühle von Qiao An zum Vorschein.
Warum hatte sie das eigentlich nicht früher erkannt? Sie hatte sich in Li Zecheng, diesen Bergwolf, verliebt und war am Ende mit Wunden übersät.
Li Xiaoran tätschelte ihr sanft den Kopf und tröstete sie wie ein fürsorglicher Bruder. "Kleines Mädchen, du bist zu naiv. Du bist leicht zu täuschen."
Peinlich berührt war Qiao An sprachlos.
Gerade als die beiden scherzten, rannte ein Arzt in Panik herein und rief von weitem: "Doktor Li, da ist ein kritischer Patient, der Ihre Hilfe braucht!"
Li Xiaorans ursprünglich unbekümmerte Miene wurde sofort sehr ernst. Ohne ein Wort zu sagen, ging er mit leichten Schritten hinaus.
Nach ein paar Schritten drehte er sich plötzlich um und sagte zu Qiao An: "Qiao An, du kannst versuchen zu laufen."
Qiao An nickte bewundernd. Als ob sie von der Anspannung in seinem Gesichtsausdruck angetrieben wurde, drängte sie ihn ebenso schnell weiter. "Mach dir keine Sorgen um mich. Geh einfach zur Rettung."
Li Xiaoran nickte und rannte aus der Tür.
In Qiao An's Augen lag eine Sanftheit, die sie gar nicht bemerkt hatte, als sie die eiligen Schritte hörte.
Auf dem Krankenhausflur rollten mehrere Ärzte ihre blutigen Patienten in den Operationssaal.
Die begleitenden Familienmitglieder stießen herzzerreißende Schreie aus.
"Meine Tochter, es tut mir leid. Ich hätte dich nicht zu deinen Schwiegereltern zurückschieben dürfen. Ich hätte dich nicht zurück ins Feuer schubsen dürfen?"
Die herzzerreißenden Schluchzer der Mutter trafen Qiao An wie ein Hammer.
Qiao An erinnerte sich daran, dass ihre Mutter, als sie heiratete, einmal freundlich zu ihr gesagt hatte: "An'an, deine Ehe mit Li Zecheng hätte ein Geschenk des Himmels sein sollen. Aber es gibt einige Dinge, an die ich dich noch erinnern muss."
"Unsere Familie ist nicht so wie die Familie Li. Wir sind eine intellektuelle Familie, also brauchen wir uns nicht minderwertig zu fühlen. Wir haben nur Angst, dass die Li-Familie das Geld und nicht die Fähigkeiten erkennt und auf dich herabschaut. Du bist weit weg verheiratet. Wenn ihr in eurer Ehe nicht glücklich seid, müsst ihr keine Kompromisse eingehen. Wenn du zurückkommst, werden Mama und Papa dich immer noch mit Freude akzeptieren."