Als Kyle mit einer Stimme sprach, die so leise wie ein Flüstern war, konnte selbst Ruhan, der neben ihm stand, nicht klar verstehen, was er gesagt hatte. Ruhan begleitete ihn, um sich mit den anderen Kirchenmitgliedern zu versammeln.
Spät am Abend, als die Sonne gerade am Horizont versunken war und der Himmel sich von ihrem Glühen erholte, hatte Elise in der White's Mansion ihre Aufgaben gelernt. Ihr wurde die Reinigung der Halle als Morgenschicht zugeteilt. Mila war zu ihrer Arbeit zurückgekehrt und bat Elise, den östlichen Flügel des Flurs zu fegen.
Der Ort war ziemlich baufällig und wirkte verlassen, lange schien hier niemand mehr gewesen zu sein. Sie begann mit dem Fegen des Flurs. Obwohl es in der White's Mansion, wie immer, sehr düster war und sie hoffte, der Herr des Hauses möge seine Meinung ändern und den Vorhang öffnen, lief ihr ein Schauer über den Rücken, als sie sich vorstellte, ein Gespenst könne den Flur entlanggehen.
Zuhause hatte sie ihrer Mutter immer beim Putzen geholfen, deshalb waren ihre Bewegungen schnell und schon bald hatte sie den Flur gründlich gefegt. Sie sah auf den makellosen Boden zurück, als sie ein leises Klopfen an dem großen Fenster zu ihrer Linken hörte. Erschrocken fragte sie sich, ob es hier spuken könnte, hatte sie doch gehört, dass ein verlassener Ort mehr Geister beherbergen würde als ein belebter.
Der Wind stieß an den Vorhang, die düstere Enge des Flurs, und sie allein stand dort mit einem Besen in der Hand. Sicherlich war die Szene ziemlich schaurig. Niemand hätte es in Frage gestellt, wenn plötzlich ein Gespenst erschienen wäre, aber aus irgendeinem Grund glaubte Elise, dass es in der White's Mansion keine Gespenster gab. Sie ging zu der Stelle, von der das leise Klopfen kam, öffnete den Vorhang und entdeckte ihre kleine Freundin Aryl, die ihr etwas zuflüsterte und breit lächelte, um ihre Freude über das Wiedersehen mit Elise auszudrücken.
Elise, die ebenfalls erfreut war, lächelte zurück und öffnete das Fenster, um sie zu begrüßen. "Aryl!"
"Elise! Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Siehst du, ich war jahrelang nicht da", tanzte Aryl in der Luft, schwenkte ihre kleinen Flügel und flog an ihre rechte Gesichtshälfte heran. "Alle meine Freunde haben mich sofort irgendwohin geschleppt, wollten ständig über dies und das reden und nach nutzlosen Dingen aus der Feenwelt fragen. Endlich hab ich mich losgerissen und bin hierhergekommen! Was machst du da?" Aryl blickte auf den Besen und Elises schwarze Dienstmädchenkleidung und zuckte mit den Achseln. "Den Boden fegen? Dieser verdammt..., ich dachte, Ian hätte dich als Lady hergebracht, und nicht als Dienstmädchen? Er sollte seinen Verstand mit etwas mehr Verstand schlagen!" Aryl erinnerte sich daran, dass sie Ian schon einmal als Dämon bezeichnet hatte und Elise damals verärgert war. Sie stotterte: "Ich – nein, ich meine, Ian. Ja, genau, ihn."
Elise konnte aufgrund von Aryls schnellen Redens nur einige Worte aufschnappen, insbesondere den ersten Satz, denn der zweite klang wie ein Anflug von Verärgerung. "Warst du vorhin bei deinen Freunden? Du musst dich nicht um mich sorgen und kannst ruhig Spaß mit ihnen haben."
Aryl schwebte neben Elises Schulter, als das Mädchen das Fenster schloss. "Nein, bei dir ist es lustiger, dort würde ich sowieso immer wieder nur die gleichen Spiele spielen." Aryl sprach zwar so, in Wirklichkeit machte sie sich aber Sorgen, Elise allein in Ians Villa zu lassen. Ihr war Ians übler Ruf, der sich im Feenland verbreitet hatte, wohlbekannt, und insbesondere was Elise anging, konnte sie diesem Mann immer noch nicht ganz vertrauen.
Elise sang ein "Oh" als Antwort, als sie plötzlich das klirrende Läuten von Glocken durch die Halle hallen hörte. Aryl flog durch die Luft und suchte nach der Quelle des Glockenklangs, und bemerkte, dass er von einer Ecke der Decke kam. "Was ist das?"
Unbewusst erstrahlte Elises Gesicht wie von einem Lichtblitz erhellt. Sie beschleunigte ihre Schritte und antwortete: "Das ist das Zeichen, dass der Herr zurückgekehrt ist. Los, Aryl." Elise sprach mit freudiger, strahlender Miene.
"Wohin denn?" fragte Aryl träge.
"Um die Heimkehr unseres Herrn zu begrüßen. Es ist eine Tradition, dass die Diener den Herrn am Eingang willkommen heißen, wenn er nach Hause zurückkehrt."
"Ihr müsst das aber nicht tun, oder?" Aryl sprach mit spöttischem Unterton. Wie zu erwarten, konnte sie diesem Dämon kein Vertrauen schenken.
"Sag so etwas nicht", erwiderte Elise und stellte den Besen in eine Ecke der Halle, wo normalerweise die Reinigunsgeräte standen, und ging zum Haupteingang. Mila suchte mit ihrem Blick nach Elise und als sie das Mädchen entdeckte, hob sie unauffällig die Hand und signalisierte ihr, sich zu den anderen Dienstmädchen zu gesellen. Elise nahm neben einem anderen Mädchen gegenüber von Mila Platz und drehte sich zu Carmen um. Carmen bemerkte ebenfalls, dass Elise neben ihr stand, und flüsterte ihr lächelnd zu: "Wir sehen uns wieder, Elise."
"Ja." Elise hatte gerade ein Wort erwidert, als sie hörte, wie Vella neben Carmen sich räusperte, um die beiden zu ermahnen, das Gespräch zu beenden.
Carmen zwinkerte Elise zu und beide richteten ihre Rücken auf. Im selben Moment wurde die Tür geöffnet und Ian, eine Gestalt in Schwarz mit einem langen, dunkelblauen Mantel, trat ein. Elise sah, dass sich die anderen Dienstmädchen verbeugten und mit gesenktem Kopf und Blicken auf den Boden, verharrten.
Elise wollte gerade dasselbe tun, aber ihr Blick haftete an dem Paar karmesinroter Augen, die ihr direkt in die Augen schauten. Ihr ganzes Bewusstsein schien von den tiefroten Augen gefangen genommen zu sein, und egal wie sehr sie versuchte, ihren Blick abzuwenden, sie konnte ihren Blick nicht von ihm lösen.