Eine in dunkle Overalls gekleidete Gestalt, die eine große Tasche mit sich führte, stand vor einem Tor. Langsam griffen ihre Hände neben das Tor, betätigten einen Knopf und sofort strahlte eine rote Lichtwelle aus der Tür, die ihre Handflächen scannte.
"Piep."
Die Tür öffnete sich gemächlich und die Gestalt betrat den Raum. Es herrschte Dunkelheit und eine eisige Kälte.
Die Figur beugte sich vor, öffnete hastig die Tasche und holte Zeras' Körper heraus. Sie hob seinen Körper hoch und warf ihn mit Schwung in den riesigen Abgrund darunter.
Nachdem er die Tasche wieder verschlossen hatte, machte sich die Gestalt auf den Weg nach draußen und die Tür schloss sich langsam hinter ihr.
Die Stille war beklemmend und nervenzerreißend. Der große Abgrund, in den Zeras geworfen worden war, enthielt einen Haufen von mehr als 1000 Leichnamen, jeder einzelne auf unterschiedliche Weise entstellt.
Offensichtlich war dies die letzte Ruhestätte aller fehlgeschlagenen Experimentopfer.
In dieser düsteren Stätte leuchtete plötzlich ein blaues Licht auf und gab dem dunklen Abgrund einen seltsamen Schimmer.
Zeras hustete wiederholt, seine Stimme war heiser. Sein ansehnliches, blasses Gesicht war durch den enormen Blutverlust gezeichnet.
Seine Atmung war schwer und schmerzhaft, doch in seinen blauen Augen lag eine Ruhe, die in einer solchen Lage eigentlich unmöglich schien.
Zeras schätzte seinen körperlichen Zustand ein und stellte fest, dass sämtliche Muskeln gelähmt waren und er außer seinen Augenbrauen keinen Zentimeter bewegen konnte.
Er wusste, dass er zu viel Blut verlor und sein Tod nahe bevorstand, sollte seinem Körper nicht bald geholfen werden. Doch wo konnte er hier, umgeben von Leichen, medizinische Hilfe finden? Sein Schicksal schien besiegelt.
In seinen Augen flackerte Hass auf, während er sich daran erinnerte, wie er in diese Lage gekommen war.
Er konnte nicht fassen, was passiert war, als die Menschen, die er als seinen Clan bezeichnete, ihn als Laborratte für 2,5 Millionen Sternenmünzen an eine dunkle Organisation verkauften.
"Immerhin wurde ich zu einem guten Preis verkauft", dachte er und ein leises Kichern entwich ihm.
In seiner bescheidenen Existenz hätte alles, was er besaß, kaum 50 Sternenmünzen ergeben, selbst wenn man all seine Kleidung und Habseligkeiten verkauft hätte. So arm war er eben.
Zeras kannte seine Eltern nicht. Er erinnerte sich nur daran, im Waisenhaus der Familie Celestria aufgewachsen zu sein, wo man ihm zumindest ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit am Tag gewährte.
Die meiste Zeit brachte er damit zu, den anderen Waisenkindern Kampfkünste beizubringen. Unter ihnen galt er als der Stärkste in puncto Kampffertigkeit.
Die Wächter des Waisenhauses hatten ihm sogar prophezeit, er habe eine große Zukunft vor sich, da er aufgrund seines herausragenden Verständnisses von Kampftechniken sicherlich ein mächtiges Gen wecken würde.
Seine Mahlzeiten wurden daraufhin auf zweimal täglich erhöht, was den Neid der anderen Kinder weckte – doch seine Freude währte nicht lange.
Als es an der Zeit war, sein Gen zu erwecken, aktivierte er wider Erwarten nicht das erhofft mächtige Gen, sondern das lächerliche F-Grad‐Mehrfarbenhaar‐Gen – ein Gen, das es ihm erlaubte, seine Haarfarbe in Schwarz oder Rot zu ändern.
Über Nacht verlor er seinen Status und wurde vom gefeierten Kampfkünstler zum Gespött des Waisenhauses.
Es war allseits bekannt, dass, egal, wie ausgezeichnet die Kenntnisse in den Kampfkünsten sein mochten, sie nichts nützten, wenn man nur ein minderwertiges Gen hatte, das einem erlaubte, die Haarfarbe zu ändern – in einer Welt, in der Kampfstärke alles bedeutete.Seine Mahlzeiten wurden ihm verwehrt, und sein Überleben verdankte er einzig Großmutter Mia, die ihm nachts heimlich etwas zu essen brachte, wenn alle anderen schliefen. Eine warmherzige Frau, deren Verständnis für seine missliche Lage in dieser Welt, in der der Stärkere den Schwächeren frisst, ihm Trost spendete.
Doch die guten Zeiten waren nicht von Dauer, und alles brach zusammen, als Großmutter Mia ihn eines Nachts eindringlich weckte und ihm sagte, er müsse aus unbekannten Gründen fliehen.
Er folgte ihr, als sie beide das Waisenhaus hinter sich ließen, aber sie waren noch nicht weit gekommen, als sie geschnappt wurden. Und er musste mitansehen, wie Großmutter Mia hingerichtet wurde, weil sie angeblich versucht hatte, ein Kind zu entführen. Er, das Kind, wurde unter dem Deckmantel eines Rehabilitationszentrums verkauft, um die angeblichen Folgen des Entführungsschocks zu behandeln.
Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war der Verkauf an einen Mann in dunkler Robe für 2,5 Millionen Sternenmünzen, um als dessen Versuchsobjekt zu dienen, woraufhin er sich in einem Labor wiederfand.
Kälte blitzte in seinen Augen auf, während er vor Schmerz die Zähne zusammenbiss. Der Schmerz des Verrats.
Der Schmerz des Verlusts des Einzigen, das er besessen hatte.
Er wollte Rache.
Er wollte die gesamte Familie Celestria auslöschen, die ihm solchen Schmerz zugefügt hatte, aber er wusste, dass dies unmöglich war.
Er würde heute hier sterben.
Seine Augen wurden bald trübe, als Tränen an den Rändern hervortraten, verursacht durch seine Schwäche und den unerfüllten Wunsch.
Die Welt wurde immer dunkler und er driftete langsam in die Dunkelheit dahin, die ihn empfing wie eine liebevolle Mutter ihr verlorenes Neugeborenes.
Die Dunkelheit war still, und Zeras verspürte, wie er das Zeitgefühl verlor.
Plötzlich öffnete er die Augen, die sich weiteten vor dem Anblick, der sich ihm bot.
Sein Körper schien aus einer Art milchig-weißer Energie geformt, doch was ihn vollkommen fassungslos machte, waren die riesigen Kristalle, die ihn umgaben und sich bis in die Ferne erstreckten.
Jeder einzelne ragte über ihn hinaus und leuchtete mit der Schönheit eines Sterns, ihr Glanz beschenkte ihn mit seiner Strahlkraft.
„Wo bin ich?", fragte Zeras inmitten dieses seltsamen Raumes.
„Bin ich tot? Ist dies die Form meiner Seele? Was geschieht hier?" Es herrschte eine merkwürdige Stille ohne jegliches Geräusch, und Zeras' Blick glitt langsam auf den nächsten Kristall zu.
Dieser Kristall unterschied sich von den anderen. Im Gegensatz zu den strahlenden Kristallen glich dieser einer dunklen Höhle, deren Inneres sich so drehte, dass man das Gefühl hatte, die Seele könnte hineingesogen werden.
Er schien bodenlos, wie ein unendlicher Abgrund zu sein. Doch obwohl er beängstigend und gruselig wirkte, fühlte sich Zeras von diesem Kristall stark angezogen.
Als würde etwas in der abgrundtiefen Dunkelheit des dunklen Kristalls ihn rufen.
Es war, als ob ein Teil von ihm, der weggesperrt und ignoriert wurde, endlich die Chance hatte, sich wieder mit ihm zu vereinen.
„Was bist du?", fragte Zeras, während seine Hand sich langsam ausstreckte und die Oberfläche des Kristalls berührte.
RIIIIIIPLE.
Eine Welle ging von der berührten Stelle aus und breitete sich sanft durch die Leere der Kristalle aus.
Doch das, was anschließend geschah, schockierte Zeras bis ins Mark.