Am nächsten Tag betrat Atticus das hochmoderne Trainingszentrum auf dem Raventein-Anwesen. Die Türen glitten sanft auseinander, als er sich näherte. Er steuerte zielgerichtet einen bestimmten Raum an, dessen Eingang sich öffnete und den Blick auf eine Trainingseinheit freigab.
Vor ihm befand sich Ember, vertieft in ein intensives Sparring mit einem Roboter. Ihre Bewegungen waren ein Tanz aus Fertigkeit und Finesse.
Im Licht der simulierten Arena funkelte Embers Speer. Mit einem schnellen, berechneten Stoß zielte sie darauf ab, die Verteidigung des Roboters zu durchbrechen.
Doch der Roboter wich mit geschmeidiger Anmut aus. Schlagfertig konterte er, sein Schwert blitzte auf, als es einen geschickten Hieb in Richtung Embers Kopf führte.
Sie wich geschickt zur Seite, die Klinge schnitt lediglich durch die Luft, wo noch einen Moment zuvor ihr Kopf gewesen war. Unbeeindruckt von dem Fehlschlag verringerte Ember die Distanz zu ihrem robotischen Gegner.
Mit einer raschen Drehung wechselte Ember ihre Kampfposition, der Speer schwang in einer Aufwärtsbewegung. Die tödliche Spitze der Waffe zeigte gen Himmel.
Der Roboter wich Embers Stich mit einer gewandten Körperdrehung aus. Die Schwungkraft hielt ihn außerhalb der Reichweite des Speers, und mit einem plötzlichen Kraftschub setzte er zu einem hohen Tritt an, der direkt auf Embers Seite abzielte.
Mit ihrem Speer wehrte sich Ember. Sie positionierte die Waffe sorgfältig und nutzte sie als Barriere gegen den machtvollen Tritt.
Das Aufeinandertreffen der Kräfte hallte durch die Arena, doch Embers Griff war felsenfest. Mit einer meisterlichen Drehung setzte sie die kinetische Energie des Tritts geschickt ein, lenkte diese um und stieß die Speerspitze mit präziser Genauigkeit vorwärts.
Die Waffe durchschlug die Abwehr des Roboters und beendete den Kampf.
Atticus beobachtete interessiert und klatschte nach Ende des Kampfes, was Ember darauf aufmerksam machte, dass er da war.
"Hey, Ember, alles klar bei dir?", rief Atticus mit einem Lächeln.
Ember erwiderte das Lächeln schwach. Ihre Antwort war ein leises "Hey".
"Du bist stärker geworden", stellte Atticus fest und beobachtete, wie sich ihre Aura verbessert hatte.
Seit Ember ihren Kern erwacht hatte, trainierte sie täglich, um ihre Stärke zu steigern. Mittlerweile strahlte sie die Aura eines Anfängerrangs aus – ein Beweis ihres Talents.
Ember nickte nur still als Bestätigung.
"Wie wär's, wenn wir eine Pause machen und mal etwas Spaß haben? Ich hatte daran gedacht, dass wir das Anwesen verlassen und einfach abhängen könnten", schlug Atticus vor.
Er wusste, dass Ember sich nach Ariels Tod sehr angestrengt hatte und wollte, dass sie sich eine Auszeit nahm und sich entspannte. Zudem war er begierig darauf, die Welt außerhalb des Anwesens zu erforschen.
Anastasia hatte ihm bisher immer die Erlaubnis verweigert, nach draußen zu gehen, weshalb er hierin die Chance sah, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Ember überlegte kurz, dann antwortete sie mit einem schlichten "Okay".
"Ich dachte an einen kleinen Rundgang durch die Stadt. Was hältst du davon?" schlug Atticus vor.
Überraschung und Neugier blitzten in Embers Augen auf, bevor sie nickte und leise erwiderte: "Okay."
"Gut, dann brechen wir morgen auf", sagte Atticus und hatte bereits einen festen Plan im Kopf, während er sich zum Gehen umdrehte.
***
Unter einem von Mondlicht durchfluteten Himmel legte Anastasia die Stirn in Falten. Atticus hatte ihr gerade erzählt, dass er das Anwesen zusammen mit Ember verlassen möchte. Besorgt blickte sie ihn an, ihre Antwort war ein gewohnt entschiedenes "Nein".
Anastasia hatte es vermieden, Atticus an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen zu lassen. Auch wenn sie ihm ein Artefakt gegeben hatte, um seinen Manakern zu verbergen, hielt sie es weiterhin für wichtig, vorsichtig zu sein.
Obwohl er nun in einem Alter war, in dem es für Kinder aus prominenten Familien üblich war zu erwachen, wollte sie auf der sicheren Seite bleiben.
"Ember hat unermüdlich trainiert seit... du weißt ja wann. Eine Pause hat sie sich verdient", argumentierte Atticus ernsthaft besorgt. Anastasia konnte dem nicht wirklich widersprechen.
Ihr Widerstand ließ nach und sie zeigte Anzeichen nachgiebiger Zustimmung, allerdings erst nachdem sie eine Liste von Vorsichtsbedingungen durchgegangen war. Bedingungen, die in jener Nacht aus Sorge formuliert worden waren.
Am nächsten Tag standen Atticus und Ember vor dem prachtvollen Eingang des Herrenhauses, jeder mit einem unterschiedlichen Gesichtsausdruck.
Atticus schaute verwundert auf die übermäßige Zahl an Wachen, die Anastasia als Eskorte eingestellt hatte und die allesamt mindestens die Aura eines Meisters ausstrahlten. In seinem Inneren musste er schmunzeln: "Verdammt, was für eine überfürsorgliche Frau."
Embers Gesicht blieb rätselhaft wie eine Maske, keine ihrer Züge verriet ihre Gedanken oder Gefühle.
Kurz entschlossen bestiegen sie das elegante Schwebefahrzeug und fuhren davon.