Schließlich beunruhigte die Stille Adeline. Sie wurde praktisch von ihm mitgezogen, ihre kurzen Beine konnten nicht mit seinen langen Schritten mithalten. Sein Griff um ihre Hand hatte sich verfestigt, er schien nicht gewillt, sie loszulassen. Sie fühlte sich, als wäre sie in eine Falle getappt.
"Der... der männliche Diener", stammelte Adeline. "Marlow... Er war sehr freundlich."
Elias hielt inne. Seine Lippen zuckten, als sie mit der Nase gegen ihn stieß. Ein leises "Autsch" entwich ihm. Aber er blickte nach vorn und unterdrückte das Verlangen, sie zu necken.
"Ich wusste nicht, dass du die Bediensteten beim Namen kennst", meinte Adeline weiter.
Elias hob eine Augenbraue. Wollte sie etwa Smalltalk betreiben? Für den Bruchteil einer Sekunde empfand er ein unangenehmes Gefühl in seiner Brust. Es war unbehaglich.
"Man sollte Bedienstete immer gut grüßen. Sie sind es, die uns bedienen, kleiden und ernähren", sagte Elias, während er weiterging. Ihm war durchaus bewusst, dass sie vorwärts gezerrt wurde. Er ging normalerweise nicht so. Aber er wollte sie ein wenig bestrafen dafür, dass sie so lang davongelaufen war.
"Das ist eine Premiere...", murmelte Adeline.
Elias hielt erneut inne. Diesmal fing sie sich, bevor sie gegen ihn lief. Was meinte sie damit? Er drehte sich abrupt um und enthüllte kalte, durchtriebene Augen, die einzig und allein für sie bestimmt waren.
Sie sah ihn naiv an, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, gepaart mit zögernden Augen. Sie erinnerte ihn an ein kleines Reh, das seinen Räuber beobachtet und sich fragt, wann es an der Zeit ist, um sein Leben zu rennen. Jetzt wäre genau der richtige Moment.
"Nun ja, es gibt eben einige Aristokraten, die ihr Volk schlecht behandeln", gab sie von sich.
"Ich weiß."
Adeline blinzelte. "Ähm... ich wollte nur sagen, es ist das erste Mal, dass ich jemanden sehe, der mit den Bediensteten so gut umgeht, natürlich abgesehen von meinen Eltern."
"Adeline", sagte er trocken.
Sie zuckte zusammen, als er sie so unvermittelt ansprach, ihre Augen wurden etwas weiter. Wie ein neugieriges kleines Tier neigte sie den Kopf und beobachtete seine Reaktion.
"Bist du nervös?"
"Ein ... ein bisschen ..."
"Warum?"
"Ich weiß nicht—"
"Du weißt es doch."
Adeline biss sich auf die Unterlippe. "Wer würde nicht nervös sein in Gegenwart Ihrer Majestät? Sie könnten mich mit einem einzigen Befehl töten."
Elias ließ ein rauhes Lachen hören. "Und du hast erst gestern versucht, mich zu töten. Was sagst du dazu?"
"Ich… es war aus einem triftigen Grund—"
"Die Anzahl der Sünder auf dieser Welt bleibt gleich, wenn man einen Sünder tötet."
Adeline umklammerte ihre Hände, vergaß dabei aber, dass eine davon in seiner lag. Amüsiert funkelte es in seinen leuchtend roten Augen. Er konnte ihre Nervosität förmlich spüren. Er hätte es merken müssen, denn ihre Hände waren kalt und schweißig.
"Und du hast mich einen einfachen Bürger genannt, deshalb war ich... noch nervöser", sagte Adeline langsam, als würde sie zu einem Kind sprechen, das die Folgen seines Handelns nicht begreift.
"Sei kein Heuchler, Liebes."
Adeline starrte ihn an.
"Du hast mich höflich angesprochen, sollte ich das nicht ebenso tun?"
Adeline war sprachlos. Wo war die Lüge in seiner Aussage? "Ich wollte keine Grenze zwischen uns ziehen, es... es war jemand anwesend, und ich wollte nicht unhöflich wirken."
Elias hob eine Augenbraue. "Du sprichst von einer Grenze zwischen uns? Was für eine Grenze?"
Adeline öffnete und schloss den Mund. Es gab nicht viele Dinge in dieser Welt, auf die sie stolz war. Ein scharfer Verstand gehörte dazu, wenn sie ihn ohne zu stottern einsetzen konnte.
"Hass und Abneigung?", sagte sie.
Sein Mundwinkel zuckte zu seinem üblichen Grinsen. Allein diese Geste ließ sie ein wenig zittern. In seinem nachdenklichen Blick lag keine einzige gute Absicht.
Die Haut von Adeline wurde warm unter seinem intensiven Blick. Es war, als würde er sie auf der Stelle entblößen und sie stünde splitternackt da. Überall, wo er sie berührte, kribbelte es durch die Vertrautheit dessen, was seine Lippen berührt hatten.
"Hasst du mich, Adeline?"
Adeline nickte sofort.
"Oh?"
Ihre Worte schienen ihn am wenigsten zu verletzten, eher amüsierten sie ihn, besonders bei seiner gesenkten respektvollen Stimme, als würde er ihr süße Nichtigkeiten versprechen.
"Du bist in mein Schlafzimmer geschlichen, hast mir meine Kette vorenthalten, und jetzt, da wir uns in deinem Reich befinden, schleifst du mich an Gott weiß welchen Ort", platzte Adeline in zwei kurzen Atemzügen heraus. Sie redete sich in Rage, getrieben von angestauter Frustration."Und lüge nicht", fügte sie schnell hinzu. "Ich erinnere mich, wie man den Ballsaal gestern Abend verlassen hat. Wir gehen jetzt in die andere Richtung, was mich nur zu dem Schluss kommen lässt, dass du versuchst, mich zu entführen."
Adeline bereute ihre lange Tirade sofort. Tante Eleanor hatte gesagt, Männer bevorzugten zurückhaltende Frauen. Sie hatte gerade all das ausgesprochen, was sie bedrückte. Was würde er nun von ihr denken?
Nicht dass es ihr etwas ausmachte, aber es wäre besser, das Schloss unversehrt zu verlassen. Sie hatte auf den König gezeigt und ihn für seine Fehltritte beschuldigt. Diejenigen, die ihm entgegenstanden, nahmen ein schlimmes Ende... so lauteten zumindest die Gerüchte.
"Endlich", sagte er.
Adeline neigte den Kopf. Endlich?
Sie blinzelte, als seine Hand sich ihr näherte. Sanft tippte er an ihre Stirn.
"Endlich verstehe ich, was in deinem Köpfchen vor sich geht, Liebling."
Adeline öffnete die Augen. Einmal. Zweimal. Hatte sie das richtig verstanden?
"Und endlich hast du aufgehört zu stottern, meine süße Adeline." Elias zog sie sanft an sich und kehrte zu seinem üblichen schelmischen Verhalten zurück. Als sie näher an ihn heranrückte, legte er die Hand auf ihren unteren Rücken.
"Diese Seite von dir gefällt mir viel besser, vor allem deine atemlosen Monologe", murmelte Elias.
Adeline schluckte. Seine tiefe Stimme brachte ihren Körper zum Vibrieren. Er war groß und breitschultrig. Man könnte denken, er sei alleine. Sie erinnerte sich, wie stark er war. Ganz gleich, wie fest sie ihn auch stieß, er rührte sich nicht. Wenn er wollte, könnte er sie in einem goldenen Käfig festhalten.
"Zeig mir mehr von dieser Seite", forderte er mit Gier.
Adeline wollte sagen, dass diese Seite unangemessen sei. Aber er berührte wieder sanft ihre Wange, so als würde sie leicht zerbrechen.
"Elias...", setzte sie an, sich des Ortes bewusst, an dem sie standen. Personen außerhalb des Schlosses, wie die patrouillierenden Wachen, könnten sie sehen.
Dieser Flur war hell erleuchtet, und rechts befanden sich Fenster. Der Gang war luxuriös, wie der Rest des Palasts. Jeder würde sich in dieses prachtvolle Anwesen verlieben mit seiner perfekten Mischung aus modernem und antikem Dekor.
"Warum berührst du mich immer so?"
Elias tat so, als hörte er ihre naive Frage nicht. Sein rauer Daumen strich über ihre weiche Wange. Er war fasziniert von der Wärme ihrer Haut und dem schnellen Herzschlag. Sogar der sanfte Atem, den sie ausströmte, und das Leben in ihren Augen fesselten ihn. Sie war so... menschlich.
"Es ist fast so, als ob wir—"
"Du hast mir immer noch nicht geantwortet", unterbrach er plötzlich.
Adeline nickte langsam. "Das liegt daran, dass ich die ganze Nacht..."
"Ein tiefes Atmen, mein Liebling", befahl er ihr.
Adeline wusste, was er vorhatte. Deshalb atmete sie tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus.
"Gut so—"
"Nochmal, mein Liebling."
Adeline kam seinem Wunsch nach.
"Mir geht's gut."
"Noch einmal, meine Süße."
Adeline gehorchte.
Und bald schon war das Nebel aus ihrem Kopf verschwunden. "Jetzt fühle ich mich gut."
Sein Lächeln wurde breiter. Der Spuk war verschwunden, und er konzentrierte sich nun ganz auf sie. "Artiges Mädchen."
Sie runzelte die Stirn wegen des Spitznamens, sprach aber nicht darauf an. "Weißt du, ich sah meine Anstandsdame durch die Doppeltüren, eine von denen im Ballsaal, und als ich durchging, stieß ich auf einen dunklen Gang."
Seine Augenbrauen schnellten hoch.
"Ich konnte die Türen nicht öffnen und fliehen. Es war unheimlich... aber ich traf eine ältere Frau, und sie sprach wirres Zeug und behauptete, meine Mutter zu kennen. Dann verschwand sie und plötzlich war ein Türspalt offen."
Adeline bemerkte seinen durchdringenden Blick nicht. Sie fuhr fort. "Als ich schließlich den dunklen Gang verließ, war der Ball vorbei. Marlow behauptete, dass mehr als eine Stunde vergangen sei, doch ich hätte geschworen, dass ich nicht länger als zwanzig Minuten dort war."
Sie atmete tief ein und sah zu Elias auf. "Ich bin so verwirrt..."
Elias schaute sie scharf an. Er erinnerte sich, wie aufgewühlt sie im Ballsaal gewirkt hatte. Er hatte gedacht, es läge daran, dass sie mit einem anderen Vampir gesprochen hatte. Jetzt war der Zweck klarer.
"Adeline", sagte er ernst. "Ich werde dir nun etwas sagen, aber du musst dich an mich halten und mich nicht loslassen."
Verwirrt von seinen Worten, griff Adeline langsam nach seinen Oberarmen und krallte ihre Finger in seine harten Muskeln.
"Der Ballsaal hat nur zwei Türen. Eine dritte hat es nie gegeben."