Angelicas Brust fühlte sich schwer an und es fiel ihr schwer zu atmen. Sie war nicht dumm. Lord Rayven wusste von den Plänen ihres Vaters, aber er wählte andere Worte, um sie zu warnen. So etwas zu wissen und es dem König nicht zu sagen, würde sonst als Verrat angesehen werden. Warum tat er das dann? Warum warnte er sie und sagte es nicht dem König?
Sie nahm einen tiefen Atemzug. "Ich werde es tun. Danke", sagte sie und versuchte, an ihm vorbeizugehen, bevor er ihre Reaktion sehen konnte, doch er blockierte ihr den Weg. Sein Blick wurde härter.
"Lady Davis, Ihr könnt vielleicht den König bezaubern, aber mich könnt Ihr nicht täuschen. Ich weiß nicht, warum Ihr Euch für ihn interessiert, aber an Eurer Stelle wäre ich vorsichtig. Versucht nicht, Dummheiten zu begehen."
Was? Angelica war verwirrt. Verdächtigte er sie auch? Er ging von der Hilfe für sie dazu über, den König zu schützen.
"Ich möchte nicht, dass Seiner Majestät etwas zustößt", versicherte sie ihm.
"Ich auch nicht."
Sie sahen sich kurz an, bevor sich Angelica unbehaglich fühlte und an ihm vorbeidrängte, um ihren Bruder zu suchen.
Sie wusste nicht, wie sie den Weg in den Garten gefunden hatte, aber als sie ankam, drehte sich ihr der Kopf. William saß auf einer Bank und wartete auf sie.
"William, lass uns nach Hause gehen", sagte sie und fühlte sich schwindelig.
Während der ganzen Reise schlug Angelicas Herz schnell und sie stellte sich vor, wie sie ihren Vater tausendmal anbrüllte, bevor sie endlich zu Hause ankamen.
"Warum gehst Du nicht baden und ziehst dich um?", schlug sie ihrem Bruder vor. Sie wollte nicht, dass er den Streit zwischen ihr und ihrem Vater mitbekam.
Nachdem William gegangen war, eilte Angelica in das Arbeitszimmer ihres Vaters, wo er in das Lesen einiger Papiere vertieft war.
"Du hast vor, den König zu töten und uns alle in Gefahr zu bringen." Sie machte sich nicht die Mühe ihn zuerst zu begrüßen oder darauf zu warten, dass er ihre Ankunft bemerkte.
Entsetzt blickte er auf. "Wer hat dir das erzählt?"
"Ist es also wahr?"
Er legte die Papiere beiseite und ging um den Tisch herum. "Nein! Das Stimmt nicht. Warum sollte ich den König umbringen?"
Angelica glaubte ihm nicht. Es sah so aus, als würde er seinen Plan nicht aufgeben, selbst wenn er unversehrt nach Hause kam.
"Vater, lüg mich nicht an. Lord Rayven weiß Bescheid und morgen könnte es auch der König erfahren. Es geht hier nicht nur um dich. Du bringst mich und William in Gefahr. Er hat das nicht verdient." Sie sprach mit zusammengebissenen Zähnen vor Wut.
"Angelica, ich setze niemanden in Gefahr. Ich habe dir gesagt, dass ich solche Pläne nicht habe."
Angelica musterte ihn und versuchte zu ergründen, ob er die Wahrheit sagte oder nicht.
"Wenn du uns am Herzen liegst, wirst du morgen zu Seiner Majestät gehen und ihm sagen, dass du Gerüchte über dich gehört hast und dass sie nicht wahr sind. Du wirst ihm sagen, dass du ihm loyal bist und es auch bleiben wirst."
Angelica war sich bewusst, dass sie ihrem Vater Befehle erteilte, aber ihr war jede Konsequenz gleichgültig. Jeder, der ihren Bruder in Gefahr bringen würde, musste bekämpft werden.
Ihr Vater presste den Kiefer zusammen, aber nickte. "Das klingt nach einem guten Vorschlag."
"Wenn du zu mir lügst und ich es herausfinde, sei dir bewusst, dass ich nicht zögern werde, das Nötige zu tun, um William und mich zu schützen."
Ihr Vater presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und nickte wieder.
Nachdem sie ihre Meinung klar gemacht hatte, ließ sie mit einem Seufzer die Schultern sinken. "Ich möchte nicht, dass du auch verletzt wirst. Ich hoffe, du begehst keine Fehler." Diesmal war ihr Ton weicher und fast flehentlich.
"Ich verstehe, Angelica. Ich werde nichts unternehmen." sagte er, sichtlich genervt, dass sie weitersprach. Offensichtlich schätzte er ihre Sorge um ihn nicht. Enttäuscht ließ sie ihn zurück. Sie sollte nach all den Enttäuschungen keinen solchen Kummer empfinden. Sie sollte wohl eher wütend sein.
Ihr Vater hielt sich in den nächsten Tagen an sein Versprechen. Er sprach mit dem König, kehrte zu seinen königlichen Pflichten zurück und brachte ihren Bruder jeden Tag zu seinen Vorlesungen ins Schloss. Angelica war erleichtert, dass sich die Dinge in ihrer Familie und sogar in ihrer Stadt wieder normalisierten. In den letzten drei Wochen hatte es keine weiteren Morde gegeben. Ihr Vater erwähnte nach dem Gespräch mit dem König auch Sir Shaw nicht mehr. Angelica wollte ihm dafür danken, dachte aber, es sei besser, ihn nicht wiederzusehen. Sie war glücklich mit dem Zustand, wie er jetzt war.
Das Einzige, was sie ändern wollte, waren die Albträume ihres Bruders, die ihn weiterhin plagten. Er schaffte es, ein paar Tage in seinem Zimmer zu schlafen, kehrte dann aber wieder in ihres zurück. Angelica wurde zunehmend verzweifelter, ihm zu helfen. So konnte er nicht weiterleben.
"Hast du herausgefunden, worin sich die Lords und der König unterscheiden?" fragte sie ihn, während sie in ihrem Bett lagen.
"Nein", antwortete er."Wir wissen also noch nicht, ob sie dir helfen können?"
"Ich glaube nicht, dass sie das können", sagte William enttäuscht. "Sie sind anders, aber sie sind nicht wie ich."
"Und wenn sie trotzdem helfen können? Wir wissen doch gar nicht, wie anders sie sind."
William war still. Sie wusste, dass er nachdachte;
"Die wichtigste Frage ist, ob wir ihnen vertrauen können. Glaubst du, wir können ihnen vertrauen? Oder zumindest einem von ihnen."
"Ich weiß es nicht. Sie sind schwieriger zu verstehen als andere Menschen." Sagte er.
Angelika kannte die gemischten Gefühle, die sie auslösten, genau. Im einen Moment wirkten sie fürsorglich, im nächsten bedrohlich. Sie konnte immer noch nicht verstehen, warum der König sie bei ihrer letzten Begegnung so verärgert zurückgelassen hatte. Es beschäftigte sie immer wieder;
"Willst du den König nicht heiraten?" fragte er plötzlich.
"Sind die Monster immer noch hinter mir her?"
Er nickte.
Aber das Töten hatte aufgehört. Wer waren dann die Monster, die sie verfolgten?
"Mach dir keine Sorgen, alles wird gut." Das sagte sie ihm, aber noch in derselben Nacht kam der Rabe zurück und setzte sich auf den Baum vor ihrem Fenster, als wolle er sie warnen, dass nicht alles gut werden würde.
Angelika beobachtete ihn eine ganze Weile, aber er flog nicht weg. Sie erhob sich aus ihrem Bett und ging zum Fenster. Sie schaute hinaus und beobachtete die Dunkelheit, die sich über ihre Stadt legte. Dann blickte sie nach oben und in die Ferne. Sie sah das verfluchte Schloss, das stolz auf dem Hügel stand. Die Leute nannten es die Wolfshöhle, weil sie sagten, dass jeder, der zum Schloss ging, nie wieder zurückkam. Sie wurden von dem großen, hungrigen Wolf gefressen, der dort lebte.
Lord Rayven lebte dort und war unversehrt, aber wer würde diesen Mann schon herausfordern? Wenn ein Wolf in der Burg lebte, würde er aus Angst vor Lord Rayven weglaufen. Sie fragte sich, ob er jetzt, da sie den König eine Weile nicht besucht hatte, nicht mehr misstrauisch war? Was dachte er überhaupt, was sie mit dem König vorhatte? Ihn töten? Ihn verführen? Nun, vielleicht hatte sie diesen Gedanken eine Zeit lang, aber was konnte das schon schaden?
So feindselig, murmelte sie. 
Sie sah sich das Schloss noch einmal an. Die Fenster waren dunkel. Sie fragte sich, wie das Innere wohl aussah, nachdem es so lange verlassen war? Hatte Lord Rayven im Inneren irgendwelche Veränderungen vorgenommen, weil es von außen genauso aussah wie vorher?
Sie schüttelte den Kopf und fragte sich, warum sie überhaupt neugierig war. Die Leute mochten es einfach, etwas zum Tratschen zu haben. Sie hatte alle möglichen Dinge über ihn gehört. Manche sagten, dass er sich nachts in ein Monster verwandelte, das Frauen jagte. Dass er nachts der hungrige Wolf sei. Die Religiösen sagten, er sei ein Dämon, der junge Frauenseelen frisst, und andere glaubten einfach, er sei ein schlechtes Omen. Sie fragte sich, wie er sich fühlte, wenn er all diese Dinge über sich hörte?
Ganz zu schweigen davon, dass sie ihn hässlich nannten und sich vor ihm ekelten. Ihre Verärgerung über ihn verschwand und stattdessen tat er ihr plötzlich leid. Wie einsam er sein musste. Sie fühlte sich auch manchmal einsam, obwohl sie ihren Bruder hatte, also muss es ihm noch schlechter gehen.
Sie ging zurück in ihr Bett und schlief neben ihrem Bruder ein. 
Ein seltsamer Traum störte ihren friedlichen Schlummer. Sie sah eine rothaarige Frau, die durch ein Feld mit hohem Gras lief. Sie schien glücklich zu sein, während sie lief, und als sie aus dem hohen Gras herauskam, wurde sie langsamer. Der Rücken eines Mannes kam in Sicht;
"Skender!", rief die Frau, und er drehte sich um.
Ein Lächeln erhellte sein Gesicht und der Wind wehte sein dunkles Haar zurück. Seine blauen Augen sahen die Frau liebevoll an, als sie auf ihn zuging. Der Mann hielt eine Krone in der Hand, die er aus Gras und Blumen gebastelt hatte
"Ich habe dich gesucht. Ich habe dir etwas zu sagen", sagte die Frau aufgeregt;
"Was ist es?" fragte er.
"Du wirst eines Tages ein König sein. König Alexander."
Der Mann runzelte die Stirn. Er schien nicht glücklich über diese Nachricht zu sein. Er blickte auf die Krone in seiner Hand hinunter, bevor er sie ihr vorsichtig auf den Kopf setzte. "Und du wirst nicht meine Königin sein?", fragte er auf eine Weise, die den Anschein erweckte, als kenne er die Antwort;
"Nein, Skender. Ich kann nicht deine Königin sein."
Er sah so traurig aus, dass ihr das Herz weh tat, und plötzlich war die Frau wieder da und rannte durch das hohe Gras. Es war dunkel, und sie hatte Angst. Etwas verfolgte sie, und sie rannte um ihr Leben. Als sie über etwas stolperte, fiel sie hin, und eine krallenbewehrte Hand trat aus dem Schatten hervor und griff nach ihr.
Quietschend wachte Angelika aus dem Albtraum auf. Sie starrte an die Decke und hörte das laute Klopfen ihres Herzens in dem stillen Raum. Was war das?
Sie legte ihre Hand auf ihre Brust und versuchte, sich zu beruhigen. Der Mann in ihren Träumen. König Alexander. Warum hatte sie von ihm geträumt? Und wer war die rothaarige Frau?