Beim ersten Treffen dachte Ari, Nicolai würde sie nach jener Zeit fragen, in der sie in der dunklen Gasse Blicke ausgetauscht hatten.
Falls das gemeint war, wollte sie auf keinen Fall eingestehen, dass sie es war, die gesehen hatte, wie Nicolai jemanden totschlug. Ari war fest entschlossen, dies zu leugnen. Das Letzte, was sie wollte, war, sich noch tiefer mit diesem Mann zu verstricken, als es ohnehin schon der Fall war.
Bevor sie jedoch sagen konnte, dass sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach, lehnte sich Nicolai zurück, um ihr eine bessere Sicht auf ihn zu ermöglichen. Er neigte den Kopf und sagte: "Die Antwort sollte Ja lauten... du prüde Dame. Eigentlich sollte ich wissen, wer du bist, aber die Sache ist, dass ich es nicht tue... also, wer bist du erneut?"
Eine Woge der Wut schoss in Aris Kopf, während sie ihre Finger krampfte. Es war demütigend, dass dieser Mann ein so verstörendes und gewalttätiges Bild in ihrem Kopf hinterlassen hatte, das sie einfach nicht abschütteln konnte. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, was er in jener Nacht getragen hatte und wie seine schulterlangen Haare sein Gesicht umrahmten, einzelne Strähnen an seinem verschwitzten Gesicht klebten.
Und doch, er konnte sich nicht einmal an sie erinnern!
Sie ballte ihre Hände wütend zu Fäusten. Denn es war besser, Wut zuzulassen als die Angst, die sie empfand, wenn sie Nicolai gegenüberstand.
Wie wagte er es, sie so zu verspotten? Sie war die Frau von Noah Nelson. Dieser Nachname hatte Gewicht in dieser Stadt. Nur jemand, der sein Leben unter einem Felsen verbracht hatte, würde nicht wissen, wer sie war. Er musste so tun, als würde er sie nicht erkennen! Das musste die Erklärung sein.
"Aber was bist du ohne den Nachnamen deines Mannes? Nichts, genau das bist du." Eine spöttische innere Stimme, ähnlich dem Geräusch von Nägeln auf einer Schiefertafel, ließ Aris Kopf pochen.
Ihr Kopf fühlte sich schwach an, als sie den fauligen Geschmack in ihrem Mund verdrängte und sich zwang, zur Ruhe zu kommen.
Sie hob den Kopf und blickte Nicolai direkt an, bevor sie sagte: "Sie sollten mir diese Papiere zurückgeben, wenn Sie fertig damit sind, Ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken, Herr De Luca."
Ihre Stimme klang bestimmt, und es gefiel Ari, dass sie nicht zitterte oder bebte, als sie mit Nicolai sprach.
"Sind Sie in Eile?" fragte er mit einem spöttischen Lächeln und einem amüsierten Glitzern in den Augen, während er die Scheidungspapiere außerhalb von Aris Reichweite hielt.
"Um es genau zu nehmen, missfällt es mir, dass Sie sich in meine Angelegenheiten einmischen. Ich entschuldige mich für den angerichteten Schaden und werde überlegen, wie ich ihn wiedergutmachen kann, aber das gibt Ihnen nicht das Recht, mich so zu behandeln", entgegnete Ari schroff.
Ari war eine sanfte Frau und normalerweise freundlich, bis jemand ihre Grenzen überschritt, was Nicolai seitdem er in ihrer Nähe war, nach Strich und Faden tat.
Er betrachtete sie mit leicht gehobenen Augenbrauen, dann wanderte sein Blick zu seinem Wagen, der die Delle am Heck verloren hatte, und dann zu Aris Auto. Seine Lippen bildeten ein höhnisches Lächeln, bevor er ihr die Scheidungsunterlagen reichte und gelassen meinte: "Wissen Sie was? Laden Sie mich zum Abendessen ein, dann sehe ich über diesen Vorfall hinweg, da Sie offensichtlich nicht Ihre besten Tage haben."Ihn zum Essen einladen? War dieser Mann nicht ganz bei Sinnen?
Eigentlich hätte Ari erwägen müssen, dass bei einem Mann, der zur Mafia gehörte und möglicherweise irgendwelche Substanzen konsumiert hatte, nichts mehr verwundern sollte.
"Ich werde es mir überlegen", oder besser gesagt, so tun, als hätte es dieses Treffen nie gegeben, sobald sie hier weg war.
"Kann ich jetzt gehen?" fragte sie mit fester Stimme. "Ich habe kein Geld, Sie können mich hierbehalten, wie Sie wollen, aber ich kann Sie nicht zurückzahlen noch zum Essen einladen."
Ein anerkennendes Brummen entwich seiner Kehle, als er nickte. "Bestimmt. Das gefällt mir. Da muss ich mich fragen, ob du auch in anderen, roheren Angelegenheiten so bestimmend bist. Selbst diese leicht prüde Ausdrucksweise hat etwas Niedliches."
Aris Augen weiteten sich. Was hatte sie nur getan, um das zu verdienen? Und was stimmte nicht mit diesem Mann? War das die Art von Frage, die man einer Frau stellt, mit der man gerade zum ersten Mal spricht?
"Ich denke, ich werde mich jetzt verabschieden."
Ihre Worte wurden mit einem Glucksen erwidert. Sie drehte sich um und funkelte den Mann an, der keinerlei Scham zu kennen schien, und verfluchte ihn innerlich. Er war nicht nur vulgär, sondern schien auch keine Reue zu kennen.
"Ich hoffe, Sie verstoßen diesen miesen Kerl diesmal, Mrs. Nelson", sagte er, die Hände in den Hosentaschen. Trotz Blut an Schuhen und Händen sah er sie an, als wäre er ein höheres Wesen.
Auf welcher Basis?
Ari spürte das Knirschen ihrer Zähne, als sie das ungerührte Gesicht des Mannes erblickte, der ihr Ratschläge gab, als wäre er der vernünftigste Mensch auf der ganzen Welt. Und dabei war er in Wirklichkeit verrückt wie ein tollwütiger Hund.
"Das müssen Sie mir nicht sagen", presste sie heraus, während sie ihre Muskeln anspannte und das Gefühl der Beklemmung zurückdrängte. Ari wusste, dieser Mann brauchte eine Lektion. "Ich denke nicht, dass ich Ratschläge von einem Mann brauche, der eher mit den Fäusten als mit dem Kopf denkt."
"Ja?" Seine Augen, die Farbe lodernder Flammen, funkelten vor reinem Sadismus, als er sich zu ihr hinabneigte und murmelte, "Nun, dieser widerwärtige Mann weiß, wann er seine Verluste begrenzen muss. Sollte eines meiner Glieder verfaulen, würde ich es abschneiden, anstatt darauf zu warten, dass es mein Leben ruiniert."
Sein warmer Atem streifte ihre Lippen, als Ari ihn noch einmal sprechen hörte, "Ich ertrage lieber kurzzeitige Schmerzen als langfristigen Verlust, wenn das bedeutet, dass ich mich selbst verliere. Jetzt sag mir, finde ich immer noch widerlich?" Er lächelte sie spöttisch an und fügte hinzu, "Ich denke, ich bin schlauer als du."