Er stand aus dem Bett auf und ging ins Badezimmer. Im Spiegelblick: Er sah aus wie Mist. Nein, fühlen tat er sich wie Mist. Das kalte Wasser, das in sein Gesicht spritzte, machte weder bei den dunklen Augenringen noch beim dunklen Schleier seiner Gedanken einen Unterschied.
Er schlich in den Speisesaal. Ewan hatte bereits das Essen bereitgestellt. Eltanin setzte sich an das Kopfende des Tisches und gab sich Würstchen und Hackfleischkuchen mit Gemüse.
Morgen würde er seine Probleme sicherlich zu einem Ende bringen. Er würde Morava treffen und einwilligen, sie zu heiraten. Es war schier unmöglich, dieses rätselhafte Mädchen in einem so weiten Königreich zu finden. Wenn er seine Soldaten ausschickte, um sie zu suchen, könnten die Informationen durchsickern. Das würde ihr nur Probleme bereiten. Mehr Leute würden ihr nachstellen und vielleicht würde sie dadurch sogar ihr Leben verlieren. Der Gedanke ließ ihn erschauern und er schob seinen Teller weg.
Wer war dieses Fae-Mädchen? Warum konnte er ihren Wolf nicht wittern? Zu viele widersprüchliche Emotionen verdunkelten den Rest seiner Nacht. Doch kurz bevor der Mond am Horizont unterging, traf er seine Entscheidung. Warum sollte er nicht Morava heiraten?
Er würde Morava heiraten – und sie für sich beanspruchen.
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"Aufstehen!" Eine tiefe Stimme ließ Tania bis ins Mark erschauern. Der Gestank, die Kälte und der ewige Hunger machten sie schwach. Drei Monde waren vergangen, seitdem sie von ihrem Abenteuer zurückgekehrt war. Seit ihrer Ankunft hatte sie es nicht gewagt, über das zu sprechen, was sie in den Wäldern von Eslam erblickt hatte. Ihr Betreuer hatte angenommen, sie hätte zu viel getrunken und deshalb versagt.
Sie saß auf dem Heu in den feuchten Kerkern des Klosters. Sie hatte von Freiheit geträumt, doch hier war sie gefangen. Warum? Für eine Mission, für die sie ohne jede Vorbereitung ausgesandt worden war. Wie konnte es ihre Schuld sein, dass sie nicht wusste, wie Rigel aussah? Sie hatte versucht, ihn zu finden. Hätte sie nur noch eine Chance.
Wolfslose Sklavinnen wie sie bekamen selten eine Chance, geschweige denn zwei. Stattdessen wurden sie in die Kerker geworfen, um an Hunger oder Krankheit zu sterben. Niemand kümmerte sich um sie, für die Priester waren sie bedeutungslos. Darum versuchte Tania, sich so nützlich wie möglich zu machen. Sie hatte sieben alte Sprachen gelernt und gehofft, dass das Kloster irgendwann ihren Wert erkennen würde – viele hatten jede dieser Sprachen beherrscht, doch nur wenige alle zusammen. Sie selbst hatte gerade mal zwei wirklich schwierige Sprachen gemeistert und selbst da war sie nicht allein.
Sie hatte gedacht, ihren achtzehnten Sommer in Freiheit verbringen zu können, aber heute war sie hier, in einer Dunkelheit, die niemals enden würde. Tränen strömten aus ihren Augen, ihr Magen knurrte vor Hunger. Drei Tage lang hatte sie jeden Tag nur eine Scheibe Brot und einen wässrigen Eintopf bekommen. Ihr Geburtstag war verflucht.
Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sie das Klirren von Metall auf Metall und das Klicken von Stiefeln auf dem Boden hörte. Sie blinzelte, um die Quelle der Stimme auszumachen und erkannte die gebeugte Silhouette ihres Aufsehers. Er trug eine Öllampe, deren mattes Licht einen großen schwankenden Schatten hinter ihm warf, während die Lampe in seiner Hand hin und her schwang.
Die Ketten in den anderen Zellen klirrten.
"Holt uns raus!" rief ein Gefangener.
"Bitte befreit uns!" schrie ein anderer.
Tanias Zähne klapperten bei diesen schmerzvollen Stimmen. Verängstigt kauerte sie in einer Ecke und hoffte, dass er sie nicht wieder schlagen würde. Am ersten Tag hatte er sie mit seinem Ledergürtel ausgepeitscht, die frischen Wunden auf ihrem Rücken waren noch nicht verheilt.
Der Bucklige näherte sich den Gitterstäben und hob die Lampe, um sie besser zu sehen. "Aufstehen!" knurrte er. "Der Meister will dich sehen."Erschrocken richtete sich Tania mit Hilfe der Wand auf, aber sie war so schwach, dass ihre Beine nachgaben und sie auf die Knie sackte. Wollte ihr Meister sie umbringen? Schwach flüsterte sie: "Es war nicht meine Schuld. Ich habe versucht, Prinz Rigel zu finden..."
"Halt den Mund!", brüllte er. Er stellte die Öllampe auf die Seite. Er löste einen großen eisernen Schlüsselring von seinem Gürtel, durchsuchte sie und fand den, der ihre Zelle öffnete. "Komm heraus", sagte er, als er sah, dass sie immer noch nicht aufgestanden war. "Wir haben nicht alle Zeit der Welt für Ihr Drama. Du bist nicht die Königin, die eine Einladung braucht, um aus ihrer heiligen Zelle herauszukommen!"
Die Worte verletzten sie nicht, denn sie war diese Art von Worten gewohnt. Die Priester, die Wachen, die Diener - im Grunde alle, die ihre Wölfe hatten, machten abfällige Bemerkungen über diejenigen, die keine hatten. Die Wolfslosen wurden gemieden, waren unantastbar. Sie wurden in separaten Quartieren in einem heruntergekommenen Gebäude untergebracht. Aber das war ihr Zuhause. Doch selbst dort behandelten die Mächtigen die Schwächeren auf grausame Weise. Tania war diejenige, die trotz ihres Wissens grausam behandelt wurde, und das meist aus Eifersucht, weil sie Menkars persönliche Sklavin war. Dennoch hat sie sich nie beschwert.
Tania wurde ein sehr kleiner Schrank unter einer Treppe zugewiesen, in dem sie leben sollte. Verglichen mit ihrem Gefängnis war ihr winziger Schrank ein Luxus.
Der Spion trat an sie heran und überragte sie.
"Bitte, ich wusste nicht, wo er war. Und ich habe versucht, ihn zu finden!"
Er brachte sie mit einer Ohrfeige zum Schweigen. "Halt den Mund, du elendes Weibsstück! Es war ein Fehler, dich dorthin zu bringen."
Mit einem Wimmern landete sie auf dem feuchten Boden, die Lippe aufgeplatzt und mit Sternen im Blick.
Sie spürte, wie seine Hand ihren Oberarm ergriff. Er zog sie hoch und zerrte sie aus der Zelle. Es dauerte eine Weile, bis sie aufgestanden war, also kroch sie auf den Knien, um mit ihm Schritt zu halten. Er stieß sie auf den Boden, und sie hustete, als sie auf die Füße stolperte.
Er schloss die Zelle wieder ab. Die Schatten um sie herum flackerten, als er die Öllampe anhob. Er trat sie von hinten, und sie stolperte nach vorne und fiel auf einen Haufen. "Stehst du wohl auf, du Dummkopf? Ich habe keine Zeit, dich wie eine Prinzessin zu behandeln!" Er schimpfte sie aus. "Seit du aus dem Draka-Palast gekommen bist, hältst du dich für königlich, was, du Nagetier?"
Tania kroch wimmernd davon, aber er zog sie an den Füßen hoch. Sie schwankte wie ein Blatt, als er sie aus dem Kerker zerrte. Sobald sie den Kerker verlassen hatte, wurde sie von hellem Licht geblendet. Sie schloss die Augen, immer noch von ihm weggezerrt, aber sie liebte die Wärme der Sonne auf ihrer Haut.
Er brachte sie in die Bibliothek, wo Menkar auf sie wartete. Menkar saß an seinem Schreibtisch und ordnete Dokumente von vorne nach hinten.
"Meister", murmelte der Spion und schob sie nach vorne.
Mit geschwollenen Lippen fummelte Tania an ihrem fadenscheinigen Kleid herum. Von Schuldgefühlen geplagt, stellte sie sich vor Menkar, der sie nicht beachtete. Ihr Blick fiel auf eine weiße Eule, die auf einem Ständer thronte, dann auf einen Krug mit Wasser auf dem Tisch. Sie leckte sich gierig über die Lippen.
Als Menkar schließlich aufsah, strich er sich über seinen weißen Bart, der ihm bis zur Brust reichte. Der Hohepriester des Cetus-Klosters starrte sie an, sein Gesicht war ernst, seine Nasenflügel zuckten bei ihrem Geruch. "Wir haben eine Nachricht von Prinz Rigel erhalten", sagte er mit tiefer, kehliger Stimme.