"Weißt du, wie dieser Wald heißt?" fragte Ileus, während sein Blick zwischen ihren Augen, ihrer Nase und ihren Lippen hin und her wanderte.
"Nein..." Sie konnte sich nicht auf seine Frage konzentrieren. Seine Handlungen waren jetzt so anders als das kalte Verhalten, das sie die ganze Zeit über gesehen hatte. Sein langes, rabenschwarzes Haar fiel ihm in den Nacken, und auf seinem maskulinen Kinn zeichnete sich ein Hauch von Bart ab.
"Sgiath Biò." Er strich ihr weiter über die Wange und nahm dann eine Strähne ihres Haares in seine Finger. Er rieb sie, um die Weichheit zu spüren und sagte: "Schlaf Anastasia. Du wirst es brauchen. Morgen ist ein langer Tag." Mit diesen Worten strich er ihr das Fell bis zum Kinn, wandte sich dann von ihr ab und ließ sie mit einem Gefühl der Leere zurück. War sie zu bedürftig geworden? Sie holte tief Luft und sah Nyles an, der mit offenem Mund schlief. Sie kicherte leise und schloss ihren Mund, dann zupfte sie an ihrem Fell. Als sie aufblickte, hatte sich der Nebel wieder um sie gewickelt.
Ihre Augenlider wurden nach einiger Zeit schwer, und gerade als sie dachte, sie sei in den Schlaf gerutscht, ertönte ein dumpfes Brummen, ein Ruf in die Wildnis, und sie verspürte ein starkes Verlangen, sie zu erkunden. Sie schluckte bei diesem seltsamen Gefühl. Sie bekämpfte den Drang, es zu erforschen, und schloss ihre Augen tief. Sie würde niemals aufstehen, um diesen Schutz zu verletzen oder ihn in irgendeiner Weise zu gefährden.
"Anastasia?" Jemand rief sie.
"Mami!", fragte sie und schaute in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers.
"Ana, wenn das hier vorbei ist, suchst du Iskra, okay?"
"Mami, was machst du da?", fragte sie, panisch über den plötzlichen Angriff auf die Palastwachen.
"Bleib in deinem Zimmer, Ana. Komm nicht raus." Sie drängte sie unter ihr Bett. "Bleib hier versteckt. Dein Vater und ich werden diese Dämonen aus dem Palast vertreiben. Bis dahin bleibst du in deinem Zimmer!" Ihre Mutter küsste sie auf die Stirn, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie schloss die Tür hinter sich, und im nächsten Moment roch Anastasia starkes Kupfer - ein Geruch, der immer dann ausströmte, wenn ihre Mutter ihre Kräfte einsetzte. Sie hatte ihr Zimmer mit Magie versiegelt.
Anastasia weinte. "Mami, komm bald wieder!"
Ein paar Stunden später wurde die Tür aufgesprengt und sie wurde von ihrer Cousine Schwester aus ihrem Zimmer gezerrt. Als sie protestiert hatte, hatte Maple ihr zum ersten Mal eine Ohrfeige gegeben. "Nie wieder Mami und Papa!" Ein dichter Nebel umgab Maple und sie verschwand darin.
Anastasia umklammerte ihre Hände, um den Nebel zu fassen. "Hör auf!" Sie schrie. "Wo ist Mami?"
Sie wurde zu sanften rosa und blauen Farbtönen zurückgezogen, die sich mit dem Waldnebel vermischten. "Ja, du musst da rüber", kam eine seltsame, seidenweiche Stimme von hinten. Sie wusste nicht, wer das war. "Das ist dein Schicksal, Anastasia."
Das Brummen und Summen kam immer näher. Der Sog war tausendmal stärker. Ihr Atem wurde schwer. "Mami?", rief sie. "Bist du da?"
"Ja, du wirst deine Mutter hier finden. Komm, Kleines", winkte ihr die Stimme zu.
Kalte Hände legten sich um ihre Finger und führten sie zu dem Geräusch. Anastasia gab der Verlockung nach. Sie spürte wohltuende Strähnen, die wie weicher Löwenzahn ihre Haut berührten. Sie... ging einfach, um sie mehr zu spüren. Sie trösteten sie. Vielleicht waren sie überall um sie herum. Die Pusteblumen hatten ihren Körper bedeckt. Sie streckte die Hände zur Seite und neigte den Kopf zurück, als die Strähnen sie bedeckten und ihre Haut sanft streichelten. "Nimm mich ...", murmelte sie.
"Das ist unsere Chance, Anastasia. Wir müssen gehen", kam die leise Stimme wieder.
Ein leises, gefährliches Knurren von hinten störte ihre Träumerei, ihre Trance, ihren schönen Moment.
Es kam näher.
Die kalten Hände um die ihren verließen sie.
Das brummende Geräusch wurde lauter. Plötzlich brach ein Ast laut und sie wurde zu Boden gestoßen.
Von irgendwoher ertönte ein Schrei. Verwirrt riss sie die Augen auf und entdeckte ein großes, rundes Portal aus tiefrosa und blauen Lichtern, das wild vor ihr herumwirbelte. Sie starrte es an, während sie auf dem nassen Boden saß. Es rief sie... Seine Strähnen bewegten sich auf sie zu und berührten ihre Haut. Diejenigen, die sich an ihren Körper geklammert hatten, flogen umher wie rosa und blaue Schmetterlinge. Ihre Augen wurden weit aufgerissen und ihr Mund fiel herunter, als sie den weißen Schnee mit ihrem Licht erhellten.
"M'Lady!" rief Nyles.
Anastasia drehte ihren Kopf in Nyles' Richtung und sah, dass sie mit einer Wunde am Arm auf dem Boden lag. "Was ist passiert?", fragte sie und stand auf, um zu ihr zu eilen und sie aufzurichten. Ein weiteres Knurren und ein Schrei zerrissen die Stille des Waldes und eine heftige Bewegung fiel ihr ins Auge. Sie sah einen riesigen schwarzen Wolf, der einen Mann mit scharfen Reißzähnen zerfleischte und zerrte. Die Kiefer des Mannes waren so groß, dass er versuchte, sie im Fleisch des Wolfes zu versenken, aber der Wolf war zu flink. Er griff den Mann mit Reißzähnen an und zermalmte seinen Bauch mit seinen Krallen. Dann nahm er seinen Kopf ins Maul und zerrte ihn in den Wald, wobei er ein gefährliches Knurren ausstieß.
Anastasia gefror das Blut in den Adern. Sie wurde ganz still, als sie das Blutbad sah. Sie klammerte sich fest an Nyles Hände.
Aus der Ferne ertönte eine Stimme: "M'lady!"
Wie war sie nur in diese Situation geraten? Sie schaute Nyles an. "Ich - ich verstehe nicht ..."
"M'lady!" Nyles hielt die Stelle fest, an der das Blut herauskam. "Das ist das Portal, von dem ich gesprochen habe. Dieses führt zu Vilinski. Ihr müsst es durchqueren. Wir müssen zurückgehen."
"Nyles!" Anastasia runzelte die Stirn.
"Das ist Ihr Schicksal, Mylady!" Nyles drängte. "Ihr müsst durch das Portal gehen. Der Kronprinz wird dir verzeihen. Er wird meiner Familie verzeihen. Du solltest ihn heiraten und dieses Chaos vergessen!" Nyles hielt Anastasias Hand fest und zog sie zum Portal.
Anastasia blickte auf das Portal. Lichtfetzen traten heraus und berührten wiederholt ihre Haut. Sie fühlte sich ... angezogen. Benommen begann sie darauf zuzugehen.
"Ja, Mylady", ermutigte Nyles sie. "Ja."
Diesmal kam ein lautes, wildes Knurren von hinten, und plötzlich sprang der schwarze Wolf vor sie hin. Seine Lippen kräuselten sich nach hinten und entblößten seine scharfen Zähne und Fangzähne. Er blickte sie grimmig an.
"Geh weg!" brüllte Nyles.
Der Wolf begann auf sie zuzugehen, so dass Anastasia ihre Schritte zurückzog.
Nyles sah ihn mit Abscheu und Hass an. Plötzlich ergriff sie Anastasias Hand und sagte: "Spring!"
Verwirrt sprang Anastasia auf den Befehl hin, wurde aber mitten in der Luft von dem Wolf getroffen, der sich auf sie stürzte und sie zu Boden drückte. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Seine goldgelben Augen starrten sie wütend und besitzergreifend an.