Chereads / Schatten-Sklave / Chapter 17 - Drei einfache Worte

Chapter 17 - Drei einfache Worte

Er schloss seine Augen, dann öffnete er sie wieder, in der Hoffnung, dass die Runen verschwinden würden.

'Bitte, verschwinde! Bitte!'

Aber die Runen waren immer noch da, sie leuchteten leicht, als ob sie ihn verhöhnten.

Fehler: [Reines Gewissen].

Fehlerbeschreibung: [Du kannst nicht lügen.]

Sunny starrte auf diese drei einfachen Worte, es fühlte sich an, als ob sich direkt unter seinen Füßen ein bodenloser Abgrund öffnen würde. Der Zauber, der normalerweise verschwenderisch mit seinen Beschreibungen umging, entschied sich dieses Mal für eine direkte und präzise Beschreibung. Es waren nur drei Worte. Sie ließen ihm keinen Spielraum zum Manövrieren.

'Kann nicht lügen. Ich kann nicht lügen? Ich? Wie soll ich leben, wenn ich nicht lügen kann?!'

Sunnys Überleben beruhte auf seiner Fähigkeit, andere Menschen zu betrügen und auszutricksen. Sogar der Zauber lobte ihn für seine Verschlagenheit! Ohne die Fähigkeit zu lügen, würde er nichts erreichen können.

Nicht zu vergessen...

Sein Herz fühlte sich plötzlich an, als würde es gleich stillstehen.

Wenn er nur die Wahrheit sagen konnte, wie sollte er dann seinen wahren Namen verbergen? Könnte nicht jeder ihn durch ein paar harmlose Fragen zu einem gehorsamen Sklaven machen?

"Sch..."

Sunny war gerade dabei zu schreien und zu fluchen, doch in diesem Moment sprach der Zauber erneut.

[Wache auf, Verlorener des Lichts!]

Die schwarze Leere drehte sich und verschwand.

***

Sunny öffnete seine Augen.

Die gepanzerte Decke des Tresorraums der Polizeistation hing über ihm. Niemand würde ihre Ästhetik als schön bezeichnen, für ihn war sie jedoch der majestätischste Anblick. Erst jetzt erkannte er, wie sehr er die wirkliche Welt vermisst hatte.

Sie war sicher und vertraut. Es gab keine Monster oder Sklavenhändler... zumindest nicht offiziell. Es gab keine ständige Angst vor einem qualvollen Tod.

Es war sein Zuhause.

Außerdem fühlte Sunny sich unglaublich gut. Die während des Albtraums tief in seine Knochen eingedrungene Kälte war verschwunden, ebenso wie alle Schmerzen, die sein verwundeter Körper Tag für Tag ertragen musste. Seine Füße und Handgelenke schmerzten nicht mehr, seinen Rücken hatten die Schläge der Peitsche vergessen und er konnte sogar atmen, ohne zu spüren, wie die scharfen Kanten seiner gebrochenen Rippen immer tiefer in seine Lungen schnitten.

Welch ein Segen!

Das plötzliche Verschwinden des Schmerzes, gepaart mit der neuen Vitalität, die seinen Körper durchdrang, brachte Sunny fast zum Weinen.

'Ich habe wirklich überlebt.'

Er blickte langsam nach unten und dann erstarrte er, atemlos.

Auf einem billigen Plastikstuhl neben seinem verstärkten Krankenbett saß die schönste Frau, die er je gesehen hatte.

Sie hatte kurzes, rabenschwarzes Haar und eisblaue Augen. Ihre makellose Haut war glatt, geschmeidig und weiß wie Schnee. Tatsächlich war dies das erste Mal, dass Sunny jemandem begegnete, der genauso blass war wie er. Doch während Sunnys Blässe seltsam und ungesund aussah, war die schöne Fremde geradezu beeindruckend.

Die Frau schien Ende zwanzig zu sein. Sie trug eine dunkelblaue Uniform mit silbernen Schulterklappen und schwarze Lederstiefel. Die Jacke ihrer Uniform war lässig aufgeknöpft, darunter kam ein schwarzes Tank-Top zum Vorschein.

Gerade streckte sie die Arme über den Kopf, offensichtlich gelangweilt und schläfrig. Diese Geste spannte den dünnen Stoff und betonte provokativ ihre vollen Brüste.

Wie hypnotisiert übersah Sunny beinahe, dass auf dem linken Ärmel der Frau ein Schulterabzeichen zu sehen war. Darauf waren drei Sterne.

'Drei Sterne, hm', dachte er, abgelenkt. 'Drei Sterne bedeuten einen Aufgestiegenen ... hm ... ja. Warte. Ein Aufgestiegener?!'

Aber bevor Sunny die Bedeutung dieses Wortes wirklich begreifen konnte, bemerkte er, dass die Frau ihn ebenfalls ansah.

"Was guckst du so?" fragte sie, ohne einen Hauch von Humor in der Stimme.

Sunny blinzelte ein paar Mal, verlegen, und dachte schnell an eine Ausrede. Dann öffnete er seinen Mund und antwortete:

"Deine Brüste."

Eine Sekunde später weiteten sich seine Augen vor Entsetzen.

Denn er hatte nicht vor, diese Worte überhaupt zu sagen! Sein Mund bewegte sich von selbst!

Eine Welle der Angst überschwemmte plötzlich seinen Verstand.

Die Frau lächelte langsam und gefährlich in ihren Augen funkelte es. Dann, ohne Vorwarnung, bewegte sie ihre Hand und schlug Sunny ins Gesicht.

Sunnys ganzer Körper wurde herumgedreht. Wären da nicht die Fesseln gewesen, die ihn festhielten, wäre er wahrscheinlich vom Bett geflogen. Einen Moment lang sah er sogar Sterne.

Aber man konnte es immer noch als glimpflich davonkommen bezeichnen. Ein Aufgestiegener - die Frau war eine Aufgestiegene! Sie hätte ihm mit einem Fingerschnippen den Kopf abreißen können. Warum musste er ausgerechnet eine so mächtige Person beleidigen?!

In der Zwischenzeit räusperte die Frau sich und verschränkte die Arme.

"Bist du jetzt wach?"

Sunny hielt sich die taube Wange und nickte vorsichtig.

"Gut. Lass mich dir einen Rat geben: Sag nicht einfach alles, was dir in den Sinn kommt. Vor allem nicht zu Mädchen. Es ist ja nicht so, als hättest du noch nie ein Mädchen gesehen, oder?"

'Sag "Danke! Ich werde es definitiv nicht tun!"' dachte Sunny.

Aber stattdessen bewegte sich sein Mund von selbst und er sagte:

"Ich habe schon viele gesehen... aber niemanden, der so schön ist wie du."

Dann zuckte er zurück, sein Gesicht so rot wie ein Hummer.

Die Frau starrte ihn ein paar Sekunden lang an und brach dann in Gelächter aus.

"Ich sehe, du hast nicht viele Erwachte getroffen. Nach den Standards der Erwachten bin ich unterdurchschnittlich."

Sunny schaute sie zweifelnd an.

Die Frau schüttelte den Kopf.

"Wenn sich dein Seelenkern entwickelt, wird der Körper all seine Unvollkommenheiten los. Es ist also schwer, einen unattraktiven Erwachten zu finden, besonders unter den stärkeren. Wenn du lange genug lebst, könntest du selbst zu einem Schönling werden."

Dann warf sie ihm einen gründlichen Blick zu und fügte hinzu:

"Nun... vielleicht. Auf jeden Fall, da du nun wach bist - willkommen zurück im Land der Lebenden. Herzlichen Glückwunsch, du hast deinen ersten Alptraum überlebt, Schlafender Sonnenlos."

***

Schlafender Sonnenlos.

So würden ihn die Leute jetzt ansprechen, zumindest in den wenigen Tagen bis zur Wintersonnenwende - danach würde er entweder als Erwachter aus dem Traumreich zurückkehren oder gar nicht mehr zurückkehren.

Es fühlte sich seltsam an, einen Titel vor seinen Namen gesetzt zu bekommen. In der Vergangenheit wurde Sunny selten mit seinem Namen angesprochen. Die Leute nannten ihn meist Dinge wie "Junge", "Punk", "Bengel" oder "He, du!". Aber jetzt hatte er sogar einen Titel.

Schlafender Sonnenlos...

Eigentlich lautete der korrekte Begriff "Träumer". Aber die Menschen hatten ihre eigenen Worte für diejenigen, die vom Alptraumzauber infiziert waren. Träger, die gerade ihren ersten Alptraum hinter sich gebracht hatten, wurden Schlafende genannt, weil sie auf eine bestimmte Weise mit dem Zauber interagierten.

Sobald sein Geist in den Zauber eintritt, fällt sein Körper in Schlaf. Dieser Schlaf würde Tage, Wochen oder sogar Monate dauern - wie lange auch immer er braucht, um dem Traumreich zu entkommen. Daher der Begriff "Schlafender".

Sobald er entkommt und zu einem Erwachten wird, lebt er tagsüber normal und kehrt jedes Mal, wenn er einschläft, in das Traumreich zurück. Die Erwachten wurden sowohl vom Zauber als auch von den Menschen gleich genannt. Dieses Wort wurde manchmal auch als allgemeiner Begriff für alle Träger verwendet.

Wenn er sich dann dazu entschließt, einen zweiten Alptraum zu erleben und es überlebt, wird er zu einem Aufgestiegenen - die Menschen nennen sie Meister. Meister können das Traumreich betreten und verlassen, wann immer sie wollen. Manche entscheiden sich sogar dafür, überhaupt nicht mehr dorthin zurückzukehren. Darüber hinaus reisen sie nicht nur im Geist, sondern auch physisch zwischen den Welten.

Und dann gibt es über den Meistern noch die Heiligen - diejenigen, die den dritten Alptraum besiegt haben und sich das Recht verdient haben, sich Transzendente nennen zu dürfen. Sie waren so mächtig wie Halbgötter und noch seltener. Sie konnten nicht nur zwischen der realen Welt und dem Traumreich reisen, sie konnten auch andere mit sich nehmen.

Aber zurück zu den Meistern...

Die schöne Frau stand auf und trat an das verstärkte Krankenbett. Mit geübten Bewegungen löste sie die Fesseln, die Sunny festhielten.

"Ich bin die Aufgestiegene Jet. Du darfst mich Meisterin Jet nennen. In den letzten drei Tagen hatte ich wegen deines Alptraums Wachdienst."

'Stimmt... bevor ich einschlief, sagte mir der Polizist, dass in ein paar Stunden ein Erwachter kommen würde, um meinen Zustand zu überwachen. Um die Albtraumkreatur zu töten, falls... falls ich sterbe und sie durchkomme.'

Sunny traute sich nicht, den Mund aufzumachen, aus Angst, dass alle möglichen Wahrheiten herausplatzen würden. Aber es gab Dinge, die er einfach wissen musste.

"Meisterin Jet? Ich habe eine Frage."

"Weiter."

"Warum wird ein Meister zum Wachdienst abgestellt? Liegt das nicht... unter Ihrer Bezahlungsstufe?"

Jet warf ihm einen düsteren Blick zu.

"Du bist schlauer, als du aussiehst. In letzter Zeit gibt es in diesem Sektor viele offene Gates. Die meisten der hiesigen Erwachten sind entweder verwundet oder mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Oder sie sind tot. Das ist immer so kurz vor der Wintersonnenwende."

Sie löste die letzte Fessel und trat einen Schritt zurück.

"Außerdem gibt es nicht viele Erwachte, die, wie ich, direkt für die Regierung arbeiten. Es ist bei weitem nicht der lukrativste oder ruhmreichste Karriereweg, den einer von uns wählen kann. Würdest du auf Reichtum und Ruhm verzichten, um abscheuliche Arbeitszeiten zu haben und dein Leben zu riskieren, nur angetrieben von Altruismus und Pflichtgefühl?"

Sunny wollte etwas Schmeichelhaftes sagen. Stattdessen schaute er Meisterin Jet direkt in die Augen und grinste.

"Natürlich nicht. Ich bin kein Idiot!"

'Verfluchter Fehler! Verdammt noch mal!'

Sie sah ihn mit einem humorlosen Gesichtsausdruck an. Sunny dachte, dass er wieder eine Ohrfeige bekommen würde.

Aber stattdessen lächelte Jet.

"Siehst du, ich hatte recht. Du bist wirklich schlau."