Su Chen schob die Schafsfellrolle unter sein Kopfkissen und war gerade dabei, die Schachtel wegzuräumen, als ihm einfiel, dass er heute zusammen mit Lin Ruoxue am Geburtstagsbankett seiner Schwiegermutter teilnehmen musste. Daher zögerte er nicht lange und steckte eine kleine Tasche aus der Schachtel in seine Jacketttasche.
Obwohl er die ganze Nacht kein Auge zugemacht hatte, fühlte Su Chen sich keineswegs müde – im Gegenteil, er spürte eine ungeahnte Energie und Tatendrang, als wäre ihm eine unendliche Kraftquelle geschenkt worden.
"Es ist lange her, dass ich trainiert habe. Ich sollte ein paar Runden drehen", sagte er zu sich selbst.
Kaum ausgesprochen, federte Su Chen auf, stürmte zur Tür hinaus und begann seinen Morgenlauf.
Seit seiner Hochzeit mit Lin Ruoxue vor einem halben Jahr war er nicht mehr so früh aufgestanden. Nachdem seine Kulturfähigkeiten zerstört und er von seinen Brüdern verraten worden war, hatte er sich in den letzten Monaten gehen lassen und war ziellos umhergetrieben.
Das Üben der Göttlichen Neun-Yang-Technik in der vergangenen Nacht hatte ihm jedoch einen Hoffnungsschimmer gebracht und sein Leben neu entfacht.
Die Villenanlage Grand Epoch Court lag nicht abgeschieden, sondern an einem stillen Ort, nicht weit vom Stadtzentrum entfernt.
Als Su Chen das Gelände verließ, waren die Straßen bereits von Menschen auf dem Weg zur Arbeit belebt und vor den Frühstücksständen wallte dichter Nebel auf.
Kurz nachdem er zu laufen begonnen hatte, begegnete Su Chen einer Frau, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs war, auch sie auf einem Morgenlauf.
Sie trug einen Pferdeschwanz und hatte ein schwarzes Sportoberteil und schwarze Leggings an, die ihre athletische Figur betonten. Ihre Haut war gesund weizenfarben und an ihrer schlanken Taille zeigte sich kein Gramm zu viel, so dass ihre trainierten Bauchmuskeln sichtbar waren.
Es war ein flüchtiger Blick, aber Su Chen bemerkte sofort, dass die Frau wirklich hübsch war, vielleicht nicht ganz so atemberaubend wie der „Eisberg" zu Hause, aber ohne Zweifel war sie eine außergewöhnliche Schönheit.
Su Chen würdigte sie eines anerkennenden Blickes, wie man es bei einem schönen Anblick tut, und lief dann weiter.
Das Frühmorgenszenario hatte stets etwas Besonderes an sich, und nachdem er mehr als eine halbe Stunde gelaufen war, machte Su Chen sich auf den Rückweg.
Als er jedoch zu Grand Epoch Court zurückkehrte, sah er die anziehende Frau, die er zuvor getroffen hatte, wie sie sich schmerzerfüllt an das Geländer am Straßenrand lehnte, mit ausgezogenem Schuh.
Su Chen joggte zu ihr hinüber und erkundigte sich besorgt: "Was ist los? Haben Sie sich verletzt?"
"Ja, da vorne gab es Straßenbauarbeiten, und ich habe mir unglücklicherweise den Knöchel verstaucht. Ich habe probiert weiterzugehen, aber es war einfach unerträglich", erklärte Xu Xinran und zog die Stirn kraus.
"Wenn es Ihnen recht ist, kann ich es mir ansehen", bot Su Chen lässig an.
Xu Xinrans Augen leuchteten auf. "Können Sie das behandeln? Sind Sie ein Arzt?"
"Nein", Su Chen schüttelte den Kopf, "aber mit so einer Verstauchung kenne ich mich aus, das ist kein Problem für mich."
Xu Xinran überlegte einen Moment, hatte aber keine andere Wahl und dachte sich, wenn dieser junge Mann ihr nicht helfen konnte, würde sie halt ein Taxi zum Krankenhaus nehmen. Sie hatte also nichts zu verlieren.
Als sie zustimmte, beugte sich Su Chen hinunter, nahm ihren zarten Fuß sanft in seine Hände und legte ihn auf sein Knie.
Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Der Fuß der Schönheit war tatsächlich exquisit – glatt und zart, fast milchig, was Su Chen zu einer instinktiven Streicheleinheit veranlasste.
Xu Xinran zuckte unwillkürlich zusammen, sie hatte es bisher nicht bedacht, aber jetzt, als sie sah, wie er ihren Fuß hielt, spürte sie, wie ihr warm wurde und ihre Wangen sich rot färbten.
Nach einiger Zeit beruhigte sich Xu Xinran und warf heimlich einen Blick auf den jungen Mann, der vor ihr hockte. Seine Augen waren klar, und sein Gesichtsausdruck war sehr konzentriert. In diesem Moment schien er eine besondere Anziehungskraft zu besitzen.
Rund fünf Minuten später empfand Xu Xinran zu ihrem Erstaunen eine deutliche Wärme an der Stelle, wo Su Chen ihren Knöchel massierte. Wenige Minuten später stellte Su Chen ihren Fuß wieder ab und sagte,
„Gut, ziehen Sie Ihren Schuh an und versuchen Sie zu laufen."
„Das ging aber schnell!"
Mit Skepsis schlüpfte Xu Xinran in ihren Schuh und ging ein paar Schritte. Überraschenderweise war der Schmerz verschwunden, und sie empfand keinerlei Unbehagen mehr.
Diese Erkenntnis verblüffte Xu Xinran zutiefst; selbst bei erfahrenen Praktikern hätte man nicht mit einer derart schnellen Heilung rechnen können; mindestens eine gewisse Erholungszeit hätte man schon erwartet.
"Sind Sie sicher, dass Sie kein Arzt sind?" fragte Xu Xinran noch einmal.
"Definitiv nicht", entgegnete Su Chen und breitete die Hände aus, bevor er winkte und weiterlief."Was für ein interessanter Mann", murmelte Xu Xinran, die von ihrem Aussehen und ihrer Figur überzeugt war. Es war das erste Mal, dass sie einen Mann traf, der kein Gespräch mit ihr beginnen wollte. Im Gegenteil, er wirkte sogar etwas ausweichend. Für Su Chen war das allerdings nur eine beiläufige Verhaltensweise; er hatte sich darüber nicht viele Gedanken gemacht.
Als Su Chen zur Villa zurückkehrte, in der Lin Ruoxue lebte, war es gerade etwas über sechs Uhr. Als er ins Haus kam, riss Wang Ma, die Hausangestellte, die gerade sauber machte, die Augen auf, als hätte sie einen Geist gesehen.
"Wang Ma, was ist los mit diesem Gesichtsausdruck? Du schaust, als hättest du einen Geist gesehen", sagte Su Chen und berührte seine Nase, während er lächelte.
"Es ist ja fast so, als hätte ich einen Geist gesehen!" Wang Ma murmelte es in Gedanken, aber sie würde das natürlich nicht laut aussprechen. Schließlich war er der Schwiegersohn, wenn auch nur dem Namen nach.
"Schwiegersohn, warum bist du heute so früh auf?" fragte Wang Ma. Sie hatte sich um Lin Ruoxue gekümmert, seit sie ein Kind war. Als Lin Ruoxue und Su Chen heirateten und auszogen, war auch Wang Ma mitgekommen, um sich um ihren Alltag zu kümmern.
"Oh, ich konnte nicht schlafen, also bin ich aufgestanden", entgegnete Su Chen gleichgültig und machte sich auf den Weg in die Küche. "Wang Ma, lass mich heute das Frühstück machen. Du nimmst dir eine Auszeit."
Wang Ma war einige Sekunden lang verdutzt, legte schnell ihre Arbeit nieder und sagte: "Aber Schwiegersohn, wie kannst du nur so eine Arbeit übernehmen?"
"Das ist kein Problem, wir leben alle im selben Haus. Ist es nicht egal, wer die Arbeit erledigt?" Su Chen lächelte, schob die gerade die Küche betretende Wang Ma hinaus und fing an, verschiedene Zutaten aus dem Kühlschrank zu holen.
Wang Ma, die sah, wie Su Chen gekonnt das Frühstück zubereitete, kam es vor, als würde die Sonne im Westen aufgehen. "Was ist nur in den Schwiegersohn gefahren? Es kommt mir vor, als wäre er ein anderer Mensch – nicht nur, dass er so früh aufsteht, er packt auch noch selbst beim Frühstück an."
Wang Ma konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und dachte, wenn der Schwiegersohn immer so wäre, wäre das ein Segen für die junge Frau. Hätte sie Lin Ruoxue doch nahezu zwanzig Jahre in der Familie Lin aufgezogen und betrachtete sie längst wie ihre eigene Tochter, so wünschte sie sich natürlich ein glückliches Leben für sie.
Es dauerte nicht lange, und Su Chen hatte einen ganzen Tisch voller Frühstück, chinesische und westliche Gerichte, bereitet. Jedes einzelne sah appetitlich aus und verströmte einen wunderbaren Duft, was Wang Ma staunen ließ.
In diesem Moment stand Lin Ruoxue auf. Als sie oben an der Treppe ankam, wurde ihr die Nase von einem verlockenden Geruch gekitzelt. "Wang Ma, was kochen Sie heute so Leckeres? Es riecht fantastisch."
Lin Ruoxue gähnte und reckte sich. Wang Ma sah sie lächelnd an und sagte: "Fräulein, das heutige Essen hat nicht Wang Ma, sondern Ihr Gatte zubereitet."
"Das Essen ist fertig, Wang Ma. Lass uns zusammen essen", sagte Su Chen, der gerade mit einem Topf dampfendem Brei aus der Küche kam, und sein Blick fiel auf Lin Ruoxue.
Fast hätte Su Chen Nasenbluten bekommen, denn Lin Ruoxue trug ein seidenes Camisole, das viel Haut und ihr verführerisches Schlüsselbein am Dekolleté offenbarte. Noch verhängnisvoller war, dass der Saum des Hemdchens sehr kurz war, wodurch ihre langen, schlanken und blassen Beine zu voller Pracht kamen. Und da Lin Ruoxue auf der Treppe über ihm stand und Su Chen nach oben blickte, war der Anblick einfach zu perfekt!