Die Morgenröte brach über die Hügel, als ich die Krankenstation betrat. Der Raum war still, bis auf das sanfte Rascheln von Elara, die neben dem Feuerherz saß und ihm Geschichten von vergangenen Drachenreitern erzählte. Es war mittlerweile ein Ritual geworden – jeden Tag sprachen wir mit ihm, gaben ihm Worte, damit er sie in seiner eigenen Zeit formen konnte.
Doch heute war etwas anders. Feuerherz war nicht mehr derselbe gebrochene Drache, den wir aus den Fängen des Königreichs Ignais befreit hatten. Seine Augen waren klarer, wacher. Es war, als hätte er einen inneren Kampf gewonnen, der lange Zeit in ihm getobt hatte.
„Guten Morgen, Feuerherz," sagte ich, als ich mich zu ihm setzte.
Er hob langsam den Kopf und sah mich mit diesen tiefen, feurigen Augen an, die immer noch an die Drachen erinnerten, die für Zerstörung bekannt waren. Aber heute lag eine andere Bedeutung in ihnen.
„M...mor... Morgen," antwortete er stockend, doch die Klarheit in seiner Stimme war beeindruckend. Es war nicht mehr das stotternde Flüstern des jungen Drachen, der nach Worten suchte.
Ich lächelte und nickte. „Du machst große Fortschritte. Es scheint, als ob du heute stark bist."
„Feuer...herz..." Er sprach seinen neuen Namen aus, langsam und bedacht, als wollte er ihn mit jeder Silbe verinnerlichen. Es war das erste Mal, dass er sich so selbstbewusst Feuerherz nannte. Der Name, den wir ihm gegeben hatten, war jetzt auch sein eigener.
„Ja, du bist Feuerherz," bestätigte Elara sanft. „Du bist nicht mehr der Sklave von Ignais."
Die Erwähnung von Ignais ließ eine Veränderung über sein Gesicht ziehen. Eine Welle von Erinnerungen, die wie ein kalter Wind durch den Raum wehte. Ignais – das Königreich, das ihn gezwungen hatte, ihre mörderische Waffe zu sein, das ihn seiner Freiheit beraubt und ihn zum Symbol des Schreckens gemacht hatte.
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Ich fühlte die Schwere des Namens Ignais auf mir lasten, als Kara ihn aussprach. Ignais, das Königreich, das mich von allem, was ich hätte sein können, beraubt hatte. Sie hatten mich gezwungen, ein Werkzeug der Zerstörung zu werden, ein Drache, den die Menschen fürchteten. Aber jetzt, jetzt war ich nicht mehr Rau, der Dämon von Ignais.
Ich war Feuerherz. Und dieser Name bedeutete etwas anderes. Er bedeutete Hoffnung, Stärke und Freiheit – Dinge, die ich nie gekannt hatte, als ich in den eisigen Ketten der Magie gefangen war.
Die Erinnerungen an meine Zeit in Ignais waren lebendig. Ich sah die Bilder der brennenden Dörfer, der Schreie und der zerstörten Leben, die ich verursacht hatte. Die Magie hatte mich gelenkt, aber das Feuer kam aus mir. Ich hatte es entfacht, und das Blut klebte an meinen Krallen, egal wie sehr ich es zu verdrängen versuchte.
„Feuerherz," sagte ich erneut, diesmal mit Nachdruck. „Ich... ich bin frei... aber ich war... b... böse."
Kara legte ihre Hand sanft auf meine Schnauze. „Du warst nicht böse, Feuerherz. Ignais hat dich gezwungen. Es war die Magie, die dich unterdrückte. Das, was du warst, ist nicht mehr wichtig. Was zählt, ist, wer du jetzt bist."
Ich schloss die Augen, als die Worte in mir widerhallten. Es war schwer, mich von dem Schatten meiner Vergangenheit zu lösen. Der Gedanke, dass ich der Schrecken eines ganzen Königreiches gewesen war, dass die Menschen mich fürchteten und meinen Namen flüsterten, ließ mich erzittern.
Rau war der Name, den sie mir gaben. Rau, der Feuerdämon von Ignais. Es war ein Name, der Zerstörung bedeutete. Aber ich war nicht mehr dieser Drache. Ich war Feuerherz.
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Es war eine bemerkenswerte Entwicklung, ihn zu sehen, wie er seinen neuen Namen annahm und gleichzeitig die Last seiner Vergangenheit zu tragen begann. Feuerherz kämpfte nicht mehr gegen uns – er kämpfte gegen die inneren Dämonen, die Ignais ihm aufgezwungen hatte.
„Du warst ein Opfer, Feuerherz," sagte ich ruhig. „Aber jetzt kannst du frei wählen, was für ein Drache du sein willst. Ignais hat keinen Anspruch mehr auf dich."
„Ig... Ignais..." stotterte er, und seine Augen wurden dunkel, als er den Namen wiederholte. „I... Ich muss... m... m... mich stellen."
Elara sah mich fragend an, aber ich verstand, was er meinte. „Du möchtest dich Ignais stellen?"
Er nickte langsam. „I... ich... w... will... zeigen... dass... ich n... nicht mehr ihr... M... Monster bin."
Es war ein gewaltiger Schritt, und ich spürte die Bedeutung seiner Worte. Feuerherz war bereit, das Königreich zu konfrontieren, das ihn versklavt hatte. Nicht aus Rache, sondern um zu zeigen, dass er sich nicht mehr von ihnen kontrollieren ließ.
„Wir werden an deiner Seite stehen," sagte ich und spürte die Entschlossenheit in meiner Stimme. „Du wirst nicht alleine gegen sie kämpfen müssen."
Feuerherz schloss die Augen und atmete tief durch. „Frei..." murmelte er, bevor er sie wieder öffnete und uns mit einer neuen Klarheit anblickte. „I... Ich... bin... Feuerherz. Und ich werde... frei... kämpfen."
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Die Entscheidung brannte in meinem Herzen, stärker als das Feuer, das ich jemals gespien hatte. Ignais hatte mich als ihre Waffe geformt, aber jetzt, als Feuerherz, war ich bereit, gegen sie zu kämpfen – nicht mit Gewalt, sondern mit der Wahrheit, dass ich mich von ihren Ketten befreit hatte.
Es würde nicht einfach werden. Der König von Ignais, der mich mit seiner finsteren Magie kontrolliert hatte, würde nicht zulassen, dass sein mächtigster Drache ihm den Rücken kehrte. Aber ich war nicht mehr sein Drache. Ich war nicht mehr Rau, der Dämon.
Ich war Feuerherz.
Und ich würde für die Freiheit kämpfen – für meine eigene und die aller Drachen.