Lyla
Ich stand am Fuß der großen Steintreppe, mein Herz klopfte gegen meine Rippen. Das Haus des Rudels ragte wie eine Festung über mir auf, seine kalten Mauern hallten wider von Erinnerungen an ein Leben, von dem ich verstoßen worden war.
Drei Jahre waren vergangen seit jener schicksalhaften Nacht, in der mich meine Eltern mitten in der Nacht fortschickten. Ich fühlte mich wie ein Dieb, ohne Erklärung oder Warnung verbannt, mit nicht mehr als tausend Dollar und einem kleinen Beutel voller Kleidung, und dem Versprechen, das ich mir selbst gab, niemals zurückzukehren.
Aber nun war ich zurück. Ich schluckte den Kloss in meinem Hals herunter und raffte meinen Mut zusammen. Ich wollte nicht kommen, doch die Aufforderung meines Vaters war keine Bitte. Heute Abend würde die jährliche Werwolf-Gala stattfinden, und es war beschlossene Sache, dass ich teilnahm. Mir blieb keine andere Wahl.
Ich atmete tief durch, öffnete die schwere Eichentür und sofort strömten vertraute Gerüche in meine Lungen, begleitet von einer Flut wohliger und schmerzhafter Kindheitserinnerungen.
Kaum hatte ich die Tür geschlossen, hörte ich die Stimme meiner Mutter. "Du bist spät dran", zischte sie, und ihre Augen verengten sich, als sie mich musterte. Ihr scharfer Blick glitt über mich, als schaue sie auf etwas Unangenehmes, das an ihrer Schuhsohle klebte. Neben ihr bedachte mich meine Schwester Clarissa mit einem Blick, der irgendwo zwischen Mitleid und Verachtung schwankte.
"Wie ich sehe, hast du immer noch nicht gelernt, dich während deines Hitzezyklus zu beherrschen", spottete Clarissa. "Vater, es ist keine gute Idee, sie so gehen zu lassen. Sie stinkt..."
"Denkst du, wir hätten eine Wahl gehabt, hätte ich vier Stunden gefahren, nur um sie zu holen?" fauchte mein Vater. "In der Einladung stand, dass jede Familie einen Vertreter schicken muss, der über 18 ist und zur Paarung bereit. Ich hatte keine Wahl. Sie ist eigentlich keine Option."
Das traf mich wie ein Schlag. "Es tut mir leid", begann ich, doch meine Mutter unterbrach mich mit einer abweisenden Handbewegung. "Spar dir deine Worte", schnarrte sie. "Ohne dich lief es in der Familie bestens, und das soll auch so bleiben. Vergiss nicht, du bist nur hier, weil wir keine andere Wahl hatten. Blamiere uns heute nicht. Wenn du eine Szene machst oder auch nur ungewollte Aufmerksamkeit auf dich ziehst, werden wir deinen Namen aus der Familienliste streichen und dich enterben. Hast du verstanden?"
Ich wollte ihnen sagen, dass nichts davon meine Schuld war, aber ich nickte nur, da meine Kehle zu eng war, um zu sprechen. Die letzte Spur von Zuneigung meiner Familie war schon lange durch Scham und Abscheu ersetzt worden. Ich war ihnen nie genug gewesen, ohne einen Wolf, geplagt von den monatlichen Demütigungen meiner unkontrollierten Hitzezyklen.
"Ich verstehe", flüsterte ich.
"Gut", gab meine Mutter kalt zurück. "Clarissa wird dir etwas aus ihrem Schrank leihen. Und vielleicht solltest du auch deine Haare richten..." Sie wandte sich an meine Schwester: "Gib ihr auch eine deiner Perücken. Es reicht schon, dass sie Pheromone absondert. Wenn sie noch dazu mit zwei riesigen silbernen Strähnen im Haar auftaucht, denken alle, sie wurde adoptiert."
"In Ordnung, Mama", nickte Clarissa und bedeutete mir, ihr zu folgen.
Ich presste die Zähne aufeinander, spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten, weigerte mich aber, sie kullern zu lassen. Ich folgte Clarissa, meine Hände zitterten während wir gingen.
Eine Stunde später setzte mich einer der Krieger des Rudels vor dem prunkvollen Ballsaal ab, mein Vater hatte sich zu sehr geschämt, um es selbst zu tun.
Ich glättete mein Kleid und machte mich auf zum Ballsaal. Das Gemurmel von Lachen, Musik und das Klirren von Gläsern wurde mit jedem Schritt lauter. Der Geruch von Macht, Stärke und reiner Werwolf-Dominanz hüllte mich ein, als ich den Eingang erreichte und in dem Moment, in dem ich eintrat, spürte ich es – hunderte von Blicken, die sich in meine Richtung drehten.
Ich fühlte mich wie ein Lamm inmitten von Wölfen.
Ich spürte, wie mir die Hitze in den Nacken stieg, meine Wangen sich unfreiwillig röteten. Mein Körper verriet mich mal wieder, meine Pheromone schwangen sich in die Luft und verkündeten meine Anwesenheit wie der Ruf einer Sirene. Ich hörte das Getuschel, bevor ich die Gesichter sah.
"Was ist das für ein Geruch?", wandten sich alle um und rümpften angewidert ihre Nasen.
"Ist sie etwa... in der Hitze?""Sie hat überhaupt keine Kontrolle. Ekelhaft. Sollte sie nicht eingesperrt sein anstatt hier zu sein? Oder versucht sie etwa, mit ihren stinkenden Pheromonen einen Partner anzulocken?"
Meine Finger bohrten sich in meine Handflächen, meine Nägel gruben sich in meine Haut, während ich mich zwang, ruhig zu bleiben. Wenn ich sie einfach ignoriere... wird alles gut gehen. Aber dann schnitt eine scharfe Stimme durch das Gemurmel und ich sah Cassidy Thorne hervortreten, ein spöttisches Lächeln auf ihren perfekten Lippen.
"Ich hatte nicht realisiert, dass sie dieses Jahr auch Bastarde zulassen", sagte Cassidy laut genug, damit es jeder hören konnte. Cassidy Thorne – das Musterbeispiel für Schönheit und Anmut eines Werwolfs. Jeder wünschte sich, dass seine Töchter so sein würden... Es gab eine Zeit, da wollte ich unbedingt so sein wie sie. "Ich nehme an, heutzutage lassen sie jeden herein."
Lachen durchzog die Menge und ich spürte, wie meine Fassung bröckelte. Ich murmelte eine Entschuldigung, zwang mich, wegzusehen und zog mich mit zitternden Händen in eine ruhige Ecke des Raumes zurück. Ich hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit, die Art, wie mein Körper mich jeden Monat verriet und mich zum Gespött derer machte, zu denen ich von Geburt an gehören sollte.
Ich lehnte meinen Rücken an die Wand, versuchte, meine Atmung zu beruhigen und die Tränen zurückzuhalten, als ein seltsames Prickeln meinen Nacken überkam. Etwas von der anderen Seite des Raumes zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Am anderen Ende des Raumes stand ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, der sich perfekt in die Schatten einfügte. Sein Blick war auf mich gerichtet. Er hatte bernsteinfarbene Augen, die scharf und durchdringend wie geschmolzenes Gold waren. Er war umwerfend gut aussehend, mit markanten Gesichtszügen und einer Ausstrahlung stiller Stärke... aber mehr noch, etwas in seinem Blick, das ich nicht einordnen konnte.
Einen Moment lang verblasste das Geräusch des Ballsaals und ich sah nur noch ihn. Seine Augen faszinierten mich – Neugier und ... etwas mehr... Mein Herzschlag beschleunigte sich, nicht aus Angst, sondern aus einer seltsamen, ungewohnten Sehnsucht.
Wer war er?
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, fiel ein Schatten auf mich. Ich drehte mich um und sah Darius vor mir stehen, einen jungen Alpha, sein Mund zu einem hinterhältigen Grinsen verzerrt. Er hatte mich seit meiner Kindheit geneckt und war der Erste, der meine Situation als Wolflose verbreitete, als wir 16 waren. All dies nur, weil ich sein Angebot, seine Freundin zu sein, abgelehnt hatte, als wir 12 waren. Er hegte immer noch Groll.
"Na sieh mal einer an, wenn das nicht der Schandfleck von Woodland ist", spottete Darius. Er war in Begleitung einer Gruppe seiner Freunde, alle makellos gekleidet. Ihre Blicke funkelten boshaft. "Was ist los, Lyla? Konntest du keinen besseren Unterschlupf finden?"
Meine Kehle schnürte sich zu und ich versuchte wegzukommen, aber Darius trat näher, versperrte mir den Weg. Seine Freunde schlossen sich ringsum an und formten einen Kreis um mich, alle mit identischen Spottlächeln.
"Ich sehe, du hast ein kleines – Hitzeproblem", fuhr Darius fort, seine Stimme triefte vor heuchlerischem Mitleid. "Vielleicht könnten wir dir dabei helfen, hmm?"
Mein Puls raste vor Angst. Ich kannte diesen Blick in seinen Augen. Ich wollte zurücktreten, aber Darius packte meinen Arm, seine Finger bohrten sich in mein Fleisch.
"Bitte", flüsterte ich, "lass mich einfach in Ruhe."
Darius lachte und packte mein Kinn. "Wie ich sehe, wird hier jemand angriffslustig. Hast du vergessen, wo dein Platz ist? Wie kann jemand wie du es wagen, in meiner Gegenwart zu sprechen!"
"Loslassen!", rief ich, meine Stimme bebte vor Zorn und Angst. Ich konnte den Alkohol in seinem Atem riechen, vermischt mit dem Moschusduft. Mir wurde übel.
"Du weißt", sagte er und griff nach einer Strähne meines Haares, um sie um seinen Finger zu wickeln, "manche könnten deine Lage – faszinierend finden. All diese Hitze, ohne eine Möglichkeit, sie zu stillen. Du bettelst doch regelrecht um jemanden, der dir hilft, nicht wahr?"
"Fass mich nicht an", schrie ich und sah mich verzweifelt um, aber niemand kam zu meiner Rettung.
Seine Hand wanderte von meinem Haar zu meiner Taille und Panik stieg in mir auf. Ich wollte mich wegstoßen, aber ich ertappte mich dabei, wie ich mich seiner Berührung hingab, und unterdrückte ein Stöhnen. Mein Körper sehnte sich danach... wie ich mir wünschte, er würde mit seinen Händen meine geschwollenen Nippel berühren, die sich schon unter meinem Kleid abzeichneten...
"Tu nicht so, als wolltest du es nicht", flüsterte er, "ich rieche es an dir." Seine Hand griff nach meiner Brust, drückte sie rücksichtslos und entlockte mir ein weiteres ungewolltes Stöhnen.
"Bitte", hauchte ich, kaum in der Lage, meine Stimme zu beherrschen. "Lass mich los."
Darius' Grinsen wurde noch breiter, doch bevor er ein weiteres Wort sagen konnte, durchdrang ein tiefes, gefährliches Knurren die Luft und brachte alle sofort zum Erstarren.