'Was zum Teufel ist hier los?! Warum bin ich noch am Leben?' Arabella blinzelte mehrfach, als sie in ihrem Zimmer erwachte. Sie richtete sich auf und sah sich um. Verwirrt stellte sie fest, dass sie sich in ihren Gemächern im Kaiserpalast wiederfand. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war, dass sie im Magierturm war und sich sicher war, ihre Kehle durchschnitten zu haben. Sie erinnerte sich daran, wie jemand ihren Namen rief, bevor alles dunkel wurde. War jemand zu ihrer Rettung gekommen und hatte ihr Heilung gespendet? Hatte sie überlebt? 'Ich dachte, es war tief genug.' War sie zu schwach gewesen? Oder war das hier etwa das Jenseits?
Sie ging zu ihrem Spiegel und keuchte, als sie ein jüngeres Abbild ihres Gesichts erblickte. Sie sollte vierzig Jahre alt sein, doch ihr Gesicht sah aus wie vor zweiundzwanzig Jahren, als sie achtzehn war. Arabella runzelte die Stirn, als sie einen Blick auf das Kleid warf, das sie trug. Es war lange her, doch sie erkannte das Nachthemd, zu dem die Dienstmädchen sie für ihre erste Nacht mit Ferdinand genötigt hatten. Dieser Schuft und Abschaum von Ehemann. Allein die Erinnerung an ihn weckte ihren Zorn erneut. Sie war verwirrt und hatte Kopfschmerzen bei dem Gedanken, dass er gestorben war, während er sie zu schützen versuchte.
Doch wie konnte der einst mächtige Kaiser so leicht getötet werden? Es war ihre Schuld. Genauer gesagt, hatte sie dafür gesorgt, dass seine Mahlzeiten Tag für Tag vergiftet wurden. Es war ein langsam wirkendes Gift. Aber wegen seiner Stärke und Widerstandsfähigkeit dauerte es viel länger als geplant, bis es Wirkung zeigte und er schließlich Schwächeanzeichen zeigte. Sie hatte geplant, Ferdinand auf dieselbe Weise zu eliminieren wie ihren Sohn. Sie wollte, dass er das Gleiche durchmachte, und wählte daher ein Gift, das dieselben Auswirkungen hatte, wie das, mit dem er ihr einziges Kind getötet hatte.
Als die Wirkung des Giftes schließlich stärker wurde, informierte Arabella König Ikarus, den erbitterten Feind ihres Mannes, dass die Zeit gekommen sei, Ferdinand und Valeria zu stürzen. Sie lösten einen Bürgerkrieg in Valeria aus, sodass Ferdinand mit noch mehr Arbeit zugeschüttet wurde, während sein Körper durch das Gift geschwächt wurde. Als die Unzufriedenheit des Volkes wuchs, verbündeten sich König Ikarus und alle Feinde Ferdinands, um Valeria anzugreifen. Natürlich hatte Arabella heimlich einige Leute von Ikarus in die Stadt geschleust, die die Tore öffneten. Valeria wurde aufgrund der internen Krise unvorbereitet erwischt. Ikarus gewann, wie geplant.
Eigentlich sollte Arabella König Ikarus' Frau werden, wenn er zum nächsten Kaiser eines noch größeren Imperiums aufstieg, doch sie hatte andere Pläne. Sie hatte vor, ihrem Sohn ins Jenseits zu folgen, sobald der Plan gelingen würde. Und das tat sie auch. Aber was war das hier?! Bei einem Blick um sich und angesichts ihres Aussehens war sie, so unglaublich es klang, zurückversetzt zu dem Zeitpunkt, als sie achtzehn war. Heute war ihr Hochzeitstag mit Ferdinand und er würde bald ihr Zimmer betreten, um die Ehe zu vollziehen. 'Warum muss ich noch einmal seine Frau sein?!' Arabella wanderte bestürzt durch ihr Zimmer und überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, waren die Dienstmädchen fertig mit den Vorbereitungen für ihre erste Nacht mit Ferdinand.Warum musste ich wiedergeboren werden, als doch alles endlich vorbei war?
Arabella hatte endlich ihre Rache an Ferdinand vollzogen. Ihr Ziel war erreicht. Es gab keinen Grund mehr zu leben.
'Ist das meine Strafe für all meine Taten?'
Arabella wusste, dass sie viele Sünden auf sich geladen hatte.
Doch muss ich wirklich dieses schreckliche Leben mit ihm erneut durchleben?
Sie presste die Zähne aufeinander. Unmöglich konnte sie dies noch einmal ertragen.
Sie war erschöpft.
Ausgelaugt.
Und am Rande des Wahnsinns.
Sie wollte nur noch schlafen und für immer ruhen.
'Sollte ich fliehen?'
Sie ging zu den Fenstern, auf der Suche nach einem Fluchtweg.
Mindestens zwei Ritter bewachten stets ihre Tür, also kam sie dort nicht heraus.
"Es ist immer noch so wunderschön!" Arabella atmete überrascht ein beim Anblick der Hauptstadt aus ihrem Fenster.
Es schien, als ob es nur wenige Minuten her war, dass sie die Hauptstadt in Flammen sah.
Doch nun stand sie noch immer in voller Pracht.
Mit kunstvoll gestalteten, anspruchsvollen Gebäuden. Einem künstlerisch angelegten Stadtbild. Einer riesigen, schönen Fontäne im Zentrum des Platzes, umgeben von einer großen Versammlungsfläche. Gepflasterte Straßen und Gehwege. Unzählige Läden, Restaurants und Gasthäuser.
Ein lebendiger und farbenfroher Ort, der vor Leben und Betriebsamkeit nur so strotzte. Wahrhaftig die Hauptstadt eines riesigen Imperiums.
Die Stadt hallte wider von Jubel und Lachen, während die Hochzeit ihres Kaisers gefeiert wurde.
Ein ganz anderer Anblick als zuvor.
Ein Meer aus Flammen. Dunkelschwarzer Rauch. Der Gestank des Verderbens. Blutgetränkte Straßen. Überall Leichen. Entsetzte, verzweifelte Schreie. Weinende Kinder. Wiehernde Pferde. Schreiende Ritter.
Und ihr toter Gatte in ihren Armen.
Etwas tropfte auf ihre Hände.
'Eh? Was ist das?'
Arabella sah nach oben, ob vielleicht Wasser durchs Dach tropfte. Aber nichts. Natürlich würde das niemals passieren. Sie befand sich im kaiserlichen Palast.
Ihre Sicht verschwamm.
Schnell blinzelte sie, als sie erkannte, dass die Tränen von ihr kamen.
'Warum weine ich?'
Sie sah noch einmal durch das Fenster nach draußen.
Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals und ihr Herz schmerzte.
Draußen spielten Kinder ausgelassen und jagten einander.
Frauen mit Babies plauderten mit allen Anwesenden und feierten mit.
Es wurde noch schlimmer.
Ihre Tränen fluteten ihre Augen, bis sie nichts mehr erkennen konnte.
Und plötzlich zitterte sie weinend und sank auf die Knie.
'Waren all diese Menschen Opfer meiner Taten?'
Diese Kinder und Babys wären mittlerweile wohl Ritter. Vielleicht hatten sie sogar eigene Kinder."Warum? Warum fühle ich mich nur so?", fragte Arabella, während ihre Brust schmerzte und sie unter der Schwere ihrer Tränen litt.
Sie fühlte sich bedrückt, bedauerte zutiefst und war von Trauer erfüllt. Sie dachte, diese Gefühle schon längst hinter sich gelassen zu haben, doch nun erlebte sie sie erneut.
"Warum? Ist es, weil ich wiedergeboren wurde?"
Arabella wurde von Schuldgefühlen heimgesucht, als sie die glücklichen Menschen unter ihr beobachtete. Dies waren Menschen, die möglicherweise im letzten Angriff des Königs Ikarus umgekommen waren. Menschen, die aufgrund ihrer Intrige starben - ihres Racheaktes.
"Ich habe meinen Sohn lediglich gerächt. Was ist daran falsch? Er war unschuldig. Er hätte nicht so jung sterben dürfen", versuchte sie sich selbst zu überzeugen.
Doch rechtfertigte das die Einbeziehung all dieser Menschen?
Mussten all diese Kinder ebenfalls sterben, weil ihr Sohn gestorben war?
Auch sie waren unschuldig, auch sie waren noch jung.
Arabella biss sich auf die Lippen, um das Schluchzen zu unterdrücken.
Nun hatte sie Tausende Leben auf dem Gewissen und durch den Sturz des Kaiserreichs so viele Leben zerstört.
Zuvor war es ihr gleichgültig, ein derart abscheuliches Verbrechen zu begehen. Es war ihr gleich, ob alle im Reich, sie eingeschlossen, starben.
Warum kümmert es sie jetzt?
Warum stört es sie?
Ist es, weil ihr in diesem Leben noch kein Unrecht widerfahren ist? Weil die Sünde noch nicht begangen wurde?
Oder hat sie sich die ganze Zeit über selbst belogen?
. . .
Als sie weiter die Szene unter ihr verfolgte, zuckte Arabella zusammen, als sie plötzlich Stimmen in ihrem Kopf hörte.
[Die Kaiserin ist so schön. Ich fühle mich gesegnet, ihr Gesicht gesehen zu haben.]
[Die Kaiserin ist wirklich die schönste Dame, sie sieht aus wie eine Göttin.]
[Seine Majestät muss glücklich sein.]
[Der Kaiser wird jetzt, nachdem er eine so bezaubernde Frau geheiratet hat, noch motivierter sein.]
[Ich hoffe, wir werden bald mit Prinzen und Prinzessinnen gesegnet.]
[Ich möchte auch eine so schöne Frau wie die Kaiserin heiraten.]
[Ich muss nach Hause gehen. Ich bin jetzt betrunken.]
[Mein Baby feiert auch die Hochzeit. Schau, wie brav er/sie sich heute benimmt.]
[Ich muss noch mehr Essen servieren.]
Arabella hielt sich den Kopf, als plötzlich wahllose Gedanken verschiedener Leute in ihrem Sinn auftauchten. Sie hielt sich die Ohren zu, als es zu einem ohrenbetäubenden Stimmenwirrwarr wurde.
Doch es hörte nicht auf.
Sie hielt ihren Kopf in den Händen, da sie das Gefühl hatte, er könne explodieren, wenn sie weiter allen Stimmen zuhörte, und schloss die Augen.
Endlich verstummte der Lärm.
"Was war das bloß?"
Sie stand auf, und der ohrenbetäubende Lärm kehrte zurück, als sie unweigerlich einen Blick auf die Menschen unten warf.
Das Geräusch hörte auf, als sie sich abwandte.
Arabella ging vorsichtig zum Bett und ließ sich mit Schwindelgefühlen, verursacht durch das "Hören" der vielen Geräusche, auf den Boden fallen. Es waren nicht ihre Ohren, die schmerzten, denn der Lärm fand direkt in ihrem Kopf statt.
"Was stimmt nur nicht mit mir?"
Erstens, sie wurde unerwartet wiedergeboren. Zweitens hörte sie plötzlich Gedanken in ihrem Kopf.
"Arabella, ich komme jetzt herein."
Sie erstarrte augenblicklich, als sie diese kalte, vertraute Stimme hörte.
Noch vor wenigen Minuten hatte diese Stimme ihr schwach für die Ehe gedankt. Doch nun klang sie stark, entschieden und gefährlich.
Kaiser Ferdinand Valeria. Ihr Ehemann.
'WAS SOLL ICH TUN?! WAS SOLL ICH TUN?'
Sie dachte daran, durch das Fenster zu fliehen, doch ihr Schwindel hielt an.
Bevor sie sich entscheiden konnte, öffnete sich die Tür mit einem Knarren. Und da kam Ferdinand herein - ein gut aussehender Mann in seinen Zwanzigern.
Ferdinand war dreiundzwanzig Jahre alt, als sie heirateten, somit war er aus ihrer Erinnerung fünfundvierzig Jahre alt.
Der, an den sie sich erinnerte, sah immer noch gut aus, aber älter und magerer. Er hatte wegen der vielen Arbeit und der Probleme, die sie verursacht hatte, sowie wegen des Giftes, das sie seiner Nahrung beigemischt hatte, abgenommen.
Seine Augen wirkten auch nicht mehr so konzentriert wie jetzt.
[Sie weint! Vermisst sie immer noch ihren ehemaligen Geliebten?]
Arabella zuckte zusammen, als sie seine Gedanken hörte, und trocknete schnell ihre Tränen.
[Sie versucht es zu verbergen. Hat sie Angst vor mir? Ah, natürlich, das tut sie. Mein Ruf spricht für sich selbst.]
'Ich habe keine Angst vor dir,' dachte Arabella und sah ihm direkt in die Augen.
Vorbei waren die Zeiten, in denen sie Angst vor ihm hatte. Oder die Zeiten, in denen sie beim bloßen Anblick von ihm hätte ohnmächtig werden können.
Sie war zweiundzwanzig Jahre mit ihm zusammen, zehn Jahre davon verbrachte sie mit Plänen, wie sie ihn töten könnte, bis sie schließlich Erfolg hatte.
Wovor sollte sie jetzt Angst haben? Jegliche Furcht vor ihm war verschwunden. Sie wusste genau, wie sie ihn ruinieren konnte. Wenn sie wollte, könnte sie es wieder tun.
Aber sollte sie das wirklich?
'Ah genau, wurde mir etwa die Gelegenheit gegeben, ihn ein zweites Mal zu quälen? Ist dies meine Chance, ihn erneut bezahlen zu lassen?'
Sie erinnerte sich an seine letzten Worte und das einzige Lächeln, das sie auf seinem Gesicht sah, bevor er starb: "Danke, dass du meine Frau geworden bist."
Sie war verunsichert.
Was war dieses Gefühl des Verlustes, das sie empfand?
Sie sollte keine Trauer für ihn fühlen.
Was war also dieses Gefühl?
. . .
A/N:
Ich werde [ ] verwenden, um zu kennzeichnen, dass Arabella etwas im Kopf hörte, nicht mit ihren Ohren.