"Milady!!" quietschte Aletha, als sie beide allein waren. Ihr Gesicht zeigte ein aufrichtiges Lächeln und ihre Augen waren vor Freude und Sorge feucht, Arabella wiederzusehen und zu erfahren, wie es ihr ergangen war.
[Wie schön Mylady doch immer noch aussieht! Hat sie aber vielleicht etwas an Gewicht verloren?]
Ein Lächeln konnte Arabella nicht unterdrücken, als Aletha so schnell wie möglich zu ihr herüberging und sie umarmte.
Es waren zweiundzwanzig Jahre vergangen, seitdem sie Aletha zuletzt gesehen hatte. Deshalb umarmte Arabella ihre Zofe besonders fest.
Es war ein seltsames Gefühl, nach so langer Kälte eine Wärme in der Brust zu spüren. Doch dieses Gefühl missfiel ihr nicht. Es war etwas, das sie schmerzlich vermisst hatte, ohne es zu wissen.
Jemanden, der einem am Herzen liegt, zu umarmen. Arabella hatte beinahe vergessen, wie angenehm das war.
"Ich habe dich so sehr vermisst", gestand Arabella zum ersten Mal seit Langem ehrlich ihre Gefühle. Sie konnte nicht verhindern, dass Tränen in ihren Augen aufstiegen.
"Ich habe Euch auch sehr vermisst, Mylady", sagte Aletha und streichelte ihr sanft den Rücken.
"Seit ich Lobelius verlassen habe, ist so viel passiert. So unglaublich viel", wollte Arabella alles erzählen.
Wie die zweiundzwanzig Jahre vergangen waren.
Wie sie so lange gelitten hatte.
Doch sie konnte Aletha das nicht sagen, denn sie war bereits im vorherigen Leben gestorben und dies war ihr zweites Leben.
Sie konnte Aletha, die ihr Güte und Vergebung gelehrt hatte, nicht offenbaren, dass sie im früheren Leben den Tod so vieler Menschen verursacht und ihren eigenen Mann sterben gesehen hatte.
Aletha würde nur weinen oder trauern. Oder sie könnte enttäuscht sein, weil Arabella gegen all ihre Lehren verstoßen hatte.
Schon bald lag Arabella schluchzend und zitternd in Alethas Armen.
"Alles wird gut werden, alles wird gut, Mylady", sagte Aletha und streichelte ihr sanft über das Haar.
Arabella schluchzte noch heftiger. Das waren genau die Worte, die sie so lange hören wollte.
Dass jemand sie in den Armen hält, während sie sich die Seele aus dem Leib schluchzt und weint wie ein kleines Mädchen.
Dass sie nicht wie eine Kaiserin, eine adlige Dame oder eine Schurkin agieren muss.
Dass sie einfach sie selbst sein kann und trotzdem akzeptiert wird.
Diesen Trost konnte sie nur bei Aletha finden. Und es war so lange her, seit sie das letzte Mal zusammen waren. Das weckte allerlei Emotionen in Arabella, die sie seit Langem nicht mehr gespürt hatte, wie einen kochenden Kessel unter einem fest verschlossenen Deckel, der endlich geöffnet wurde. Sie konnte sich nicht zurückhalten und ihre Tränen flossen frei.
[Was haben sie getan, damit Mylady so schluchzt?]
[Haben sie sie schlecht behandelt?! Wurde sie gemobbt?! War der Kaiser wirklich grausam und rücksichtslos?!]
[Ist sie heimwehkrank? Oder vermisst sie immer noch Prinz Andrew?]
[Meine arme Dame. Sie liebte Prinz Andrew so sehr und doch trennten sie sich auf so schmerzhafte Weise. Nun musste sie mit einem furchteinflößenden Mann zusammen sein. Es muss schwierig für sie gewesen sein, allein in diesem fremden Land zu sein, während ihr Herz noch immer schmerzt.]
[Als ich sie so hielt, konnte ich erkennen, dass Mylady seit dem letzten Mal, als ich sie in Lobelius gesehen hatte, tatsächlich schlanker geworden ist. Sie muss aufgrund ihrer Traurigkeit schlecht gegessen haben. Oder vielleicht haben sich die Diener und Köche gar nicht erst die Mühe gemacht, ihre Vorlieben zu fragen? Wurde ihr Essen serviert, das sie nicht mochte?]
[Ich hatte recht, mir Sorgen zu machen. Ich hätte darauf bestehen sollen, mitzukommen, als sie hierher geschickt wurde. Ich bin froh, dass ich Mylady endlich wieder dienen darf. Ich war die ganze Zeit so unruhig bei dem Gedanken, wie es ihr hier ergangen ist.]
Arabella war berührt, als Alethas Gedanken ihren Geist überfluteten. Es überwältigte sie, jemanden zu haben, der so sehr an sie dachte.
Aletha war tatsächlich ihr sicherer Hafen. Zum ersten Mal seit langem war sie Ferdinand dafür dankbar, dass Aletha hier sein durfte.
[Warum schluchzt meine Frau?! Ist in Lobelius etwas passiert? Hat sie schlechte Nachrichten erhalten? Ich muss das untersuchen lassen.]
Arabella spannte sich an, als sie plötzlich Ferdinands Gedanken in ihrem Kopf hörte.
'Warum ist er hier? Will er mich gerade jetzt sehen?
"Es tut mir leid, dass ich so emotional war. Ich habe mein Zuhause einfach so sehr vermisst", sagte Arabella, trocknete schnell ihre Tränen und richtete ihre Kleidung, um präsentabel zu sein.
[Oh, sie hat wieder Heimweh. Hätte ich ihr erlauben sollen, nach Hause zu gehen? Aber wir sind doch gerade erst verheiratet. Das kann ich unmöglich zulassen.]
'Bitte geh einfach. Du störst mein Wiedersehen mit Aletha', dachte Arabella.
"Es ist in Ordnung, Mylady. Sie dürfen weinen, so lange Sie möchten", sagte Aletha mit einem mütterlichen Lächeln.
"Mir geht es jetzt besser. Danke, dass Sie gekommen sind, obwohl Sie weit weg von Ihrer Familie sind."
Jetzt, wo sie darüber nachdachte, hatte sie egoistischerweise Aletha hierher kommen lassen, ohne sie danach zu fragen. Auch Aletha hatte ihre Familie in Lobelius.
[Sie ist so rücksichtsvoll gegenüber ihrer Zofe. Sie standen sich also sehr nahe? Sie muss dieser Dienerin wirklich vertrauen, um ihr ihre Gefühle zu zeigen. Das letzte Mal hat sie aufgehört zu weinen, gleich nachdem ich unser Zimmer betreten hatte.]
'Weil du lästig warst. Verschwinde einfach, bitte?' dachte Arabella und versuchte, sich wieder auf Aletha zu konzentrieren.
"Sie müssen mir nicht danken, Mylady. Ich habe die ganze Zeit über so große Sorgen um Sie gemacht. Meine Familie versteht das und sie sind froh, dass mir gestattet wurde, weiterhin an Ihrer Seite zu sein und darauf zu achten, dass es Ihnen gut geht. Alle machen sich Sorgen um Sie, deshalb habe ich ihre Briefe mitgebracht."
Aletha holte einige Briefe aus ihrer Tasche hervor und reichte sie Arabella.
Arabella war überrascht, dass es mehrere Briefe waren. Die meisten waren von ihren Mägden. Die letzten drei waren von ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrem Bruder.
In ihrem früheren Leben waren ihre Eltern gleich nach ihrer Hochzeit mit Ferdinand abgereist, weil sie einen Brief erhalten hatten, dass ihr älterer Bruder Benjamin, der Kronprinz von Lobelius, in einen Unfall verwickelt worden war, sich verletzt hatte und noch nicht aufgewacht war.
Sie waren sehr beunruhigt, da Benjamin der Erbe war. Sie kümmerten sich viel mehr um ihn als um Arabella, die an ein furchteinflößendes Reich abgegeben wurde, ohne auch nur einen Verbündeten an ihrer Seite.
Das war auch dieses Mal so. Deshalb sah sie ihre Eltern nicht, als sie wiedergeboren wurde, obwohl es gleich nach der Hochzeit war.
Letztendlich hatte sich ihr Bruder nur den Kopf gestoßen, so dass er das Bewusstsein verlor, aber nicht schwer verletzt wurde. Sie sollte etwa einen Monat nach ihrer Hochzeit mit Ferdinand per Brief davon erfahren.
Da aber Aletha hierher geschickt wurde, vermutete Arabella, dass sie den Brief ebenfalls mitgebracht hatte.
"Vielen Dank. Ich werde diese Briefe später in Ruhe lesen, da es so viele sind", legte sie die Briefe auf ihren Tisch.
"Genau. Ich habe auch viele Zutaten und Früchte aus Lobelius mitgebracht, damit ich Ihre Lieblingsgerichte zubereiten kann. Ihre Mägde hier bereiten einige der Früchte in der Küche zu. Ich werde Ihr Lieblingsgericht zubereiten, sobald mir der Zugang zur Küche gewährt wird."
[Ich wartete darauf, dass das Gepäck kontrolliert und auf mein Zimmer geschickt wurde, da ich etwas zubereiten wollte, bevor ich Milady begrüßte, aber ich durfte nicht in die Küche, da ich noch neu bin. Ich habe ihnen stattdessen einige der Früchte gegeben, damit sie sie für Milady zubereiten können. Ich möchte ihnen die Brühe, die ich für Milady besorgt habe, nicht geben, solange ich mir ihrer Vertrauenswürdigkeit nicht sicher bin. Sie könnten es ihr vorenthalten und stattdessen selbst verzehren. Ich habe all diese Früchte und Zutaten selbst ausgesucht, um sicherzustellen, dass alles frisch und von bester Qualität ist, damit Milady gut essen kann.]
Arabella war einmal mehr von Alethas Fürsorglichkeit tief berührt.
In ihrem früheren Leben hatte sie sich damit abfinden müssen, Lebensmittel zu essen, die ihr nicht einmal schmeckten. In den ersten Monaten in Valeria hatte sie an Gewicht verloren, besonders als sie schwanger wurde.
Aber Ferdinand jagte viele Tiere und schickte sie in die Küche, wobei er den Köchen sagte, sie sollten sie mästen, sonst würde er sie töten, wenn er im nächsten Monat zu Besuch käme und sie trotz ihrer Schwangerschaft immer noch so dünn wäre.
Arabella hatte keine andere Wahl, als so viel zu essen, wie sie konnte, da die Köche sie anflehten. Sie dachte auch, dass Ferdinand sich Sorgen um sie machte, also freute sie sich und gab ihr Bestes, um mehr zu essen, bis sie ein gesundes Gewicht erreicht hatte.
Nach einiger Zeit gewöhnte sie sich an die Küche Valerias, obwohl ihr einige Gerichte immer noch nicht schmeckten.
Arabellas Ernährung in Lobelius bestand hauptsächlich aus vielen Früchten und Gemüse. Sie aß nur kleine Portionen Fleisch und etwas Fisch.
Die Ernährung in Valeria, die mit Rittern gefüllt war, war jedoch ganz anders.
Sie aßen hauptsächlich Fleisch und Fisch sowie fettige und salzige Speisen, was ihr gar nicht zusagte. Sie mochte keine fettigen und vor allem keine zu fischigen Speisen. Normalerweise aß sie nur Fisch, um gesund zu bleiben.
Aber nach zweiundzwanzig Jahren als Kaiserin von Valeria hatte sie sich daran gewöhnt. Sie fragte sich sogar, ob ihr das Essen aus Lobelius noch so schmecken würde wie früher.
[Warum dauert es so lange? Ich habe bereits den Zaubertrum besucht und bin zurückgekommen. Warum ist die Zofe immer noch hier? Sie sollte eigentlich nur Arabella begrüßen. Haben die so viel zu besprechen? Wie lange muss ich hier noch warten?]
Arabella zuckte zusammen, als sie wieder Ferdinands Gedanken und seine offensichtliche Ungeduld hörte.