Adeline knöpfte ihre Schlafanzugsbluse zu und ging zum Tisch. Dimitri war noch nicht zurückgekommen, was ihr Zeit gab, über das nachzudenken, was Caesar gesagt hatte.
Sei unterwürfig... Sie biss sich auf die Lippe, im Wissen, dass es nicht leicht werden würde.
Dennoch wusste sie, dass Caesar Recht hatte. Sie musste Dimitri geben, was er begehrte, um zu bekommen, was sie wollte.
Ein leiser Atemzug entwich Adelines Nase und sie blickte auf das Stück Fotografie, das aus dem Buch gefallen war, das sie eben vom Tisch genommen hatte. Sie griff danach und drehte es um; es war ein Bild von ihr und ihrer Mutter, aufgenommen an ihrem Geburtstag im Jahr zuvor. Sie hatte es seither immer bei sich getragen.
Ihre Augen flackerten und sie ließ sich auf das Bett fallen, die Brust schwer von Kummer.
"Es wird... Es wird..." Sie konnte ihre Worte nicht formulieren, so sehr kämpfte sie dagegen an, zusammenzubrechen.
Tag für Tag wurde sie schmerzvoll daran erinnert, wie allein sie tatsächlich war. Ihre Eltern waren fort, nur sie war geblieben.
Sie musste überleben, wenn auch nur um der Rache willen.
Ihre Lippen zitterten und sie wandte sich ab, um aus dem Fenster neben dem Bett zu schauen.
Sie hatte gedacht, sie könne den Schmerz über den Tod ihrer Mutter ertragen, aber er nagte stetig an ihr. Manchmal kam es ihr unwirklich vor, mehr wie ein Alptraum, aus dem sie nicht erwachen konnte.
Aber sie hatte genug geweint. Es gab Wichtigeres zu tun: die Petrovs zahlen lassen. Den Vater wie den Sohn!
Es wird eine Weile dauern. Nur eine Weile... Also, sieh zu.
Ich werde sicherlich—
Die Schlafzimmertür wurde aufgestoßen und unterbrach abrupt ihren Gedankenfluss. Jemand trat ein und ihr Blick fiel auf Dimitri, dessen linke Hand in die Hosentasche gesteckt war.
Seine Augenbraue hob sich, als er ihren zynischen Blick bemerkte, doch bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, wandte Adeline den Blick ab.
Sie steckte das Foto in ihre Brusttasche und stand auf, ein breites Lächeln auf dem Gesicht.
"Du bist... zurück."
Dimitri runzelte verwirrt die Stirn und neigte den Kopf. "Ja, ich bin..."
Sie trat auf ihn zu und streckte die Arme aus, um ihn zu umarmen. "Ich habe darauf gewartet, dass du zurückkommst."
Dimitri stand wie angewurzelt da, verwirrt von ihrem plötzlichen Verhaltenswechsel.
War sie betrunken? Warum war sie plötzlich so herzlich zu ihm?
Er ergriff ihre Schulter und stieß sie zurück. "Was ist los mit dir? Warum benimmst du dich so seltsam? Was hast du vor?"
"Ich habe in letzter Zeit nachgedacht, Dimitri." Adeline griff nach seinem Hemd, ihre Augen sanft und warm. Das war ganz anders, als sie ihn sonst ansah.
Dimitri blinzelte heftig, zog instinktiv den Kopf zurück. "Worüber hast du nachgedacht?"
"Über uns," antwortete Adeline und legte ihre Hand zärtlich auf seine Wange. "Wir streiten so viel und es ist ehrlich gesagt sehr ermüdend. Ich möchte, dass wir uns versöhnen, Dimitri, und versuchen, in Frieden zu leben."
"Ich möchte nicht mehr verletzt werden... wirklich nicht." Sie seufzte zynisch und ließ ihre Hand fallen.
Dimitri wusste nicht, was er davon halten sollte.
War etwas geschehen, von dem er nichts wusste? Hatte sein Vater nicht zwei Männer mit ihr geschickt? Er müsste nachforschen, denn das war ganz und gar nicht Adelines Art.
In der Tat machte sie ihm, aus Gründen, die er nicht zuordnen konnte, Unbehagen.
Die Aufrichtigkeit ihrer Worte und ihrer Blicke beunruhigte ihn auf eine unangenehme Weise. Das war eine Seite von ihr, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Nicht ein einziges Mal in seinem ganzen Leben, seit er sie kannte.
Sie waren immer uneins gewesen, hatten nichts gemeinsam. Sie hörte ihm nie zu und stimmte kaum je ihm zu.
Und seit dem Tod ihrer Mutter schien alles noch schlimmer geworden zu sein. Sie veränderte sich zu schnell für seinen Geschmack.
"Du hasst mich, oder?" fragte Adeline plötzlich, was ihn aus seinen Gedanken riss."Ich verstehe.", murmelte Dimitri und warf Adeline einen stirnrunzelnden Blick zu. "Aber was willst du damit sagen?"
Ein leiser Seufzer entfloh Adelines Lippen.
"Ich habe überlegt, da wir uns ja überhaupt nicht ausstehen können, vielleicht sollten wir versuchen, uns besser kennenzulernen. Wir könnten... eventuell morgen ins Restaurant gehen, einfach nur um zu reden."
"Wenn es dir nichts ausmacht", fügte sie leise hinzu.
Dimitri stand einfach da und starrte sie eine ganze Minute lang an. Dann trat er auf sie zu, beugte sich hinunter und legte seine Hand auf ihre Stirn.
"Was machst du da?" Adeline blinzelte ihn verwirrt an.
"Ich prüfe, ob du Fieber hast." Dimitri wich zurück und seine Miene zeigte Unmut. "Könntest du bitte aufhören, dich so untypisch zu verhalten?"
"Ins Restaurant? Ernsthaft? Du und ich?" Er lachte ungläubig. "Du hast doch einen an der Waffel, wenn du denkst, das würde je passieren. Was denkst du? Dass ich dich etwa auf ein Date ausführe?"
Er beobachtete, wie Adelines Miene fiel und ihre Augen traurig wurden, statt wütend. "Ich hätte tatsächlich von dir erwartet, so zu reagieren, Dimitri."
Sie sah ihn direkt an, ihre Finger nervös fummelnd. "Deswegen will ich, dass wir etwas ändern. Miteinander reden und zumindest ein bisschen netter zueinander sein. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?"
Dimitri gab keine Antwort. Er betrachtete sie nachdenklich, so als ob er versuchen würde, ihre Absichten zu entschlüsseln.
Das war nicht ihre übliche Art. Etwas stimmte definitiv nicht.
Adeline konnte seine Gedanken nicht lesen, aber genauso wenig konnte sie erraten, was er vorhatte. Deshalb trat sie näher zu ihm, legte ihre Arme um seinen Hals und dramatisierte die Szene noch ein wenig. "Wann haben wir uns das letzte Mal geküsst, hm?"
Dimitri blickte sie daraufhin völlig verdutzt an.
"Erzähl mir nicht, dass du heute Abend keinen Spaß hattest." Verachtung zeichnete sich auf Dimitris Gesicht ab.
"Lächerlich!" Er schnaubte, doch er schob sie nicht von sich. "Habe ich nicht gesagt, dass du nicht zu mir zurückkehren sollst?"
Adeline verabscheute seine Worte. Sie kochte vor Wut, doch anstatt so zu reagieren, wie er es wohl erwartet hatte, lächelte sie ihm trotzig entgegen, während sie tief durchatmete. "Ich weiß, aber lass uns das vergessen, okay? Seit meiner Rückkehr denke ich ständig über uns nach und das hier ist das Einzige, was mir einfällt, wie es zwischen uns funktionieren könnte."
"Es sind jetzt zwei Jahre vergangen, ich denke, es wird Zeit, dass wir lernen, miteinander auszukommen, meinst du nicht auch?"
Dimitri sagte kein Wort, doch seine Augen beobachteten sie mit solcher Intensität, als würde er versuchen, Lügen in ihren braunen Augen zu entdecken.
Letztlich fand er nichts als Aufrichtigkeit darin, was ihn nur noch verwirrter machte.
Irgendetwas stimmte nicht und es machte ihn zusehends nervös, aber er konnte den Finger nicht darauf legen.
Adeline wollte nicht, dass er zu sehr darüber nachdachte, da es sonst für sie schwierig werden könnte, also ergriff sie die Initiative und küsste ihn, knabberte an seiner Unterlippe. Der Kuss wandelte sich in einen langsamen, sinnlichen Kuss und nach und nach gab Dimitri nach, presste seine Lippen auf ihre.
Seine Hand wanderte in ihren Nacken, seine Finger vergruben sich in ihren Haaren.
Nach ein paar Sekunden löste Adeline sich von dem Kuss, um wieder zu Atem zu kommen. Sie schluckte schwer, und Dimitris Augen blickten sie begehrend an.
"Ade-"
"Vergiss unser kleines Treffen morgen nicht, okay?"
Sie entwand sich seinem Griff und richtete ihr Nachthemd mit einem breiten Lächeln her. "Ich freue mich darauf", sagte sie und ging zum Bett, legte sich hin und deckte sich mit der Bettdecke zu.
Dimitri konnte nur dastehen und sie ansehen. Er berührte seine Lippen, drehte sich um und verließ widerstrebend das Zimmer.
Kaum war er verschwunden, eilte Adeline vom Bett ins Badezimmer, drehte den Wasserhahn auf und spülte sich den Mund aus.
Ein überwältigendes Bedürfnis, sich zu übergeben, packte sie.
Niemals hätte sie gedacht, dass sie ihn so sehr hasste, dass sie sich schon beim Küssen so vor ihm ekeln würde.
...Ihh!