Ein BLITZ aus violettem Licht sauste im Zickzack durch eine Schar von Monstern. Am Ende der in sich zusammenfallenden Monsterreihen stand eine Gestalt – ein Elf mit außergewöhnlich schönen Gesichtszügen. Sein langes weißes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, seine Augen leuchteten in der Farbe eines blauen Topases, der mit goldstaubähnlichen Sprenkeln versehen war. Überschattet wurde das strahlend weiße Hautbild nicht von Krankheit, sondern es pulsierter vielmehr voller Leben und Energie. Die Lippen waren rosafarben und zu einem spielerischen Lächeln gekrümmt.
Er trug ein hellblaues Langarmhemd, jedes Handgelenk zierte eine zarte Spitzenarbeit. Ein indigofarbenes, längs gestreiftes Band schmückte seinen Kragen. Darüber war ein ärmelloser schwarzer Frack, der sich bis knapp über sein Knöchel erstreckte. Auch der Innenstoff des Mantels war nicht schwarz – er zeigte ein Muster aus Indigoblau in hellen und dunklen Karos. Die violette Hose, oben dunkler und nach unten hin heller werdend, endete knapp unterhalb des Knies. Abgerundet wurde die Tracht durch ein Paar schwarzer Stiefel, die bis zu den Knien reichten.
Dieses Kostüm war bekannt als das "Purple Flash"- Set. Neben dem Hauptthema, der Farbe Lila, erzeugt das Tragen bei zu schnellen Bewegungen einen violetten Leuchteffekt. Wer also mit hoher Geschwindigkeit rannte, hinterließ eine lilafarbene Lichtspur.
Luo Yan war mit diesem Kostüm äußerst zufrieden. Das Design vereinte gekonnt Niedlichkeit mit Coolness, die Farbe stand ihm vortrefflich, und ein Spezialeffekt war auch noch dabei! Wie könnte er nicht zufrieden sein?
Fröhlich setzte er sich daran, weitere Monster zu erlegen.
Als Luo Jin dies sah, seufzte er nur. Beim ersten Anblick seines Bruders, der so geschickt die Monster niederstreckte, trauten sich seine Augen kaum zu glauben. Ihm war klar, dass sein Bruder Monster jagen musste, um Level aufzusteigen, doch das zu sehen war etwas völlig anderes. Seinen süßen jüngeren Bruder mit einem strahlenden Lächeln bei der Monsterjagd zu beobachten, ließ ihn fast fragen: Wer bin ich? Wo bin ich? Was passiert hier eigentlich?
Glücklicherweise war Luo Jins Akzeptanzgrenze, wenn es um seinen Bruder ging, extrem weit gesteckt. Daher dauerte es nicht lange, bis er sich damit abfand, dass Luo Yan wahrscheinlich wirklich gut in diesem Spiel war – wie er sich immer wieder selbst versicherte. Als jemand, der versprochen hatte ihn zu schützen, konnte Luo Jin nicht zurückfallen. Es wäre beschämend, am Ende selbst der Beschützte zu sein.
Mit diesem Gedanken zog er eine kleine Axt aus seinem Inventar und begann, die Monster in seiner Nähe zu attackieren.
Einen Blick auf seinen Bruder werfend, beobachtete Luo Yan, wie dieser auf die Monster um sich herum einschlug und sie attackierte. Zuerst lag ein ernster Ausdruck auf seinem jungen Gesicht, als wäre er ganz konzentriert bei der Sache. Doch langsam verwandelte sich sein Gesichtsausdruck in ein manisches Lächeln. Luo Yan erschrak so sehr, dass er innehalten musste, um nicht zu stolpern.
Er hätte nicht gedacht, dass Luo Jin im Kampf aussehen würde wie ein verrücktes Baby. Es war sogar noch erschreckender, weil er so niedlich aussah. Er war so bei der Sache, dass er wahrscheinlich gar nicht realisierte, wie er gerade wirkte. Luo Yan konnte nicht umhin zu grinsen. [Nun, sieh mal einer an. Es scheint, als müsste ich mir keine Sorgen machen, dass er sich nicht an dieses Spiel gewöhnen kann.]
Dann setzte er sein eigenes Schnetzeln fort.
Sie befanden sich auf einem Feld außerhalb von Olkdale, wo Monster der Stufen 11 bis 15 ihr Unwesen trieben – ein idealer Ort zum Leveln. Sie hatten vor, hier zu bleiben, bis sie Level 15 erreicht hatten, um dann zurück nach Olkdale zu gehen und sich für eine Klasse anzumelden. Sie würden es wahrscheinlich bis zum Abendessen schaffen.
Natürlich erreichte zuerst Luo Yan Level 15. Er verteilte die erhaltenen Stat-Punkte und machte dann weiter mit dem Monsterjagen, bis auch sein Bruder das Level erreichte.
"Bist du fertig?", fragte er und ging auf Luo Jin zu.
"Ja", antwortete Luo Jin und verteilte seine Stat-Punkte.
Luo Yan blickte zum Himmel, der sich in Orange und Rot färbte. "Sollen wir uns ausloggen? Ich denke, es ist schon Zeit fürs Abendessen."
"Lassen wir uns erst zur Stadt teleportieren, damit wir, wenn wir später wieder einloggen, direkt in Olkdale sind", schlug Luo Jin vor.
Luo Yan hatte nichts gegen diesen Vorschlag. "Na dann, auf geht's?"
Beide machten sich auf den Weg zurück in die Stadt. Doch bevor sie weiterkommen konnten, zog ein Tumult ihre Aufmerksamkeit auf sich.----------
Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann ging auf der Straße von Olkdale Town. Die Kleidung, die er trug, war nichts Ungewöhnliches. Die Hälfte seines Gesichts war sogar von einer Maske bedeckt. Normalerweise würde diese Art von Spieler keine Aufmerksamkeit erregen. Aber das war bei diesem Spieler nicht der Fall. Wenn jemand seinen Blick auf ihn richtete, dauerte es eine ganze Weile, bis er den Blick abwenden konnte.
Es waren seine Augen. Diese elektrisch blauen Augen. Wenn man sie ansah, war es, als würde man in den hellsten Himmel blicken. Man konnte nicht anders, als sich von ihnen angezogen zu fühlen. Aber selbst wenn man sich ihm nähern wollte, konnte man es nicht. Die kalte Atmosphäre, die ihn umgab, schrie geradezu: "Lasst mich in Ruhe".
Shen Ji Yun kümmerte sich nicht um die Blicke, die auf ihn gerichtet waren. Wahrscheinlich, weil er daran gewöhnt war und es ihn einfach nicht interessierte, so dass er sie nicht spürte.
Es ist schon eine Weile her, seit er das letzte Mal in dieser Anfängerstadt war. Er ist hier, weil Bruder Zhao - der Chefprogrammierer von Moonlight Media - ihn gebeten hat, nein, ihn gebeten hat, den vier Spielern, die durch zufällige Auswahl eine besondere Ethnie erhalten haben, ein paar Fragen zu stellen. Bruder Zhao wollte, dass er sich vergewissert, ob sie in ihrem Origin-Dorf auf irgendwelche Probleme oder Pannen gestoßen sind.
Wenn dies der Fall war, konnte das Programmierteam das Problem sofort beheben. Bruder Zhao konnte zwar die Bewegungen der Spieler in ihrem Herkunftsdorf überprüfen, aber er konnte nicht alles überprüfen. Das käme einem Eingriff in die Privatsphäre des Spielers gleich. Also bat er Shen Ji Yun, weitere Befragungen durchzuführen.
Dieser lehnte zunächst ab. Er sagte Bruder Zhao, dass er den Spielern einfach eine Art Fragebogen schicken könne. Aber Bruder Zhao gab zu bedenken, dass die Spieler einen Fragebogen vielleicht nicht beantworten wollten oder ihn sogar direkt ignorierten. Shen Ji Yun konnte dem nicht wirklich widersprechen, denn wenn er einen Fragebogen erhalten würde, würde er ihn definitiv ignorieren.
Er weigerte sich so lange, bis Bruder Zhao sagte, er könne nur einen beantworten, dann würde er einfach andere Leute aus dem Programmierteam bitten, die anderen drei zu fragen. Wegen der Veröffentlichung des neuen Updates waren die meisten Mitarbeiter des Programmierteams im Moment sehr beschäftigt. Sie hatten also keine Zeit, eine Umfrage unter den Spielern durchzuführen, die das Glück hatten, die neu hinzugefügte Spezialrasse zu bekommen. Wenn Shen Ji Yun auch nur einen dieser vier glücklichen Spieler befragen könnte, wäre das schon eine große Erleichterung für sie.
Am Ende lenkte Shen Ji Yun doch noch ein. Er wählte den Spieler mit dem ID-Spielkonto Noctis. Denn er erinnerte sich daran, dass sein Onkel einmal erwähnt hatte, dass dieser Spieler besonders gut für einen Neuling sei. Laut Bruder Zhao war dieser Spieler bereits hier in Olkdale Town.
Er bat um einen Screenshot des Gesichts des Spielers, um zu wissen, wie er aussah, aber Bruder Zhao sagte, dass er das nicht bräuchte. Denn sobald er ihn sah, würde er sofort wissen, dass er es ist. So auffällig war er nämlich.
Dieser Spieler - Noctis - war ein Mondelf. Wenn Shen Ji Yun sich richtig erinnerte, hatte das Designteam die Mondelfen so entworfen, dass sie weißes Haar und Augen mit goldenen Flecken darin hatten. Allein mit diesen Merkmalen würde er definitiv auffallen.
Aber würde es wirklich schaden, einfach einen Screenshot oder sogar ein Video zu schicken? Schließlich sollte Bruder Zhao wissen, dass er sich Gesichter nicht wirklich gut merken kann. Solange sie keinen Eindruck bei ihm hinterlassen haben, würde er sich nicht einmal an ihre Gesichter erinnern. Sie wären nur eine leere Leinwand für ihn.
Während er weiter nachdachte, hörte er zufällig das Gespräch von zwei vorbeigehenden Spielern.
"Hast du den weißhaarigen Elfen gesehen, der vorhin durch die Stadt gelaufen ist?", fragte der eine.
"Ja. Ich habe ihn vorhin im Gemischtwarenladen gesehen, er war mit diesem süßen Gnom unterwegs", antwortete der andere.
"Weißt du, jemand hat ihn zu einem Kampf in der Arena herausgefordert!"
"Was? Aber dieser Elf ist doch bestimmt ein Neuling, oder? Er hat doch sicher abgelehnt?"
"Nein, er hat angenommen! Sollen wir in die Arena gehen und zusehen?"
Die beiden gingen an Shen Ji Yun vorbei und er konnte ihr Gespräch nicht mehr hören. Er blieb stehen. Und dann folgte er den beiden.