Chapter 8 - Geisterkristalle und Sonnen

'"Ein Geisterkristall? Melisa, mein Schatz, hast du eine Vorstellung davon, wie teuer die sind?"

Melisa nickte begeistert und hüpfte vor Aufregung auf der Stelle.

"Ja, der alte Mann im Laden meinte, sie würden 100 Sonnenstücke kosten! Das ist doch nicht zu viel, oder?"

Margaret lachte auf, schüttelte den Kopf und sagte: "Oh, Liebling. Das ist... 100 Sonnenstücke sind ganz schön viel. Wir können uns so etwas momentan überhaupt nicht leisten."

Melisas Gesichtsausdruck verfiel, und ihre Aufregung verpuffte wie eine zerplatzte Seifenblase.

"Aber... Mama, ich brauche wirklich einen! Nur einen, das verspreche ich! Es ist wirklich wichtig!"

Margaret seufzte, ging in die Knie, um ihrer Tochter in die Augen zu sehen.

"Melisa, hör mir zu. Ich weiß, dass du diesen Kristall willst, aber wir können uns solche Ausgaben einfach nicht leisten. Dein Vater arbeitet sich zu Tode, nur um uns ein Dach über dem Kopf zu gewährleisten. Kaum, dass wir uns das Nötigste leisten können, geschweige denn Zaubertrödel."

Tränen der Frustration stiegen in Melisas Augenwinkel auf.

"Aber Mama -"

"Kein Aber", sagte Margaret mit Nachdruck und stand wieder auf. "Es tut mir leid, Süße, aber die Antwort lautet Nein. Ende der Diskussion."

Melisas kleine Fäuste ballten sich, ihr Gesicht rötete sich vor Ärger und Enttäuschung.

"Na schön!", zischte sie, drehte sich um und marschierte stur in ihr Zimmer. "Ach, diese Familie ist einfach ätzend!"

Sie knallte die Tür hinter sich zu und warf sich wütend aufs Bett.

[Blöde arme Familie], dachte sie verbittert und vergrub das Gesicht in ihrem Kissen. [Blöde Geisterkristalle. Alles so blöd! Warum kann das nicht einfacher sein?]

Zum ersten Mal seit ihrer Wiedergeburt fühlte sie sich tatsächlich wie ein neunjähriges Mädchen.

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Stunden vergingen, und Melisas Zorn ließ nach, wandelte sich allmählich in ein Gefühl der Verzweiflung.

[Okay, nachdenken, Melisa. Es muss einen anderen Weg geben, an so einen Kristall zu kommen.]

Sie rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke, während sie all ihre Optionen durchging.

[Vielleicht könnte ich nachts in den Laden des alten Mannes schleichen und einen Kristall stehlen. Einen kleinen Kramladen auszuräumen würden sie einem Kind doch niemals zutrauen, oder?]

Aber kaum hatte sie den Gedanken gefasst, verwarf sie ihn auch schon wieder. Erwischt zu werden beim Stehlen würde die sowieso noch schwierige Situation ihrer Familie nur verschlimmern.

[Und was ist mit Isabella? Ich könnte ihr einen Brief schreiben und sie anflehen, bevor die Woche um ist, ins Dorf zurückzukommen. Sie könnte mir vielleicht einen Kristall mitbringen oder mir zumindest mehr über Magie beibringen.]

Aber sie hatte keine Ahnung, wohin Isabella und ihre Familie gegangen waren, oder wie sie ihnen eine Nachricht zukommen lassen könnte. Es war bestenfalls ein Schuss ins Blaue.

Melisa wollte gerade in ihr Kissen schreien, als sie hörte, wie die Haustür aufging und die Stimme ihres Vaters zu hören war.

Neugierig kroch sie aus ihrem Zimmer und schlich auf Zehenspitzen den Flur entlang, um zu lauschen.

"... und dann hat sie einen Tobsuchtsanfall bekommen und ist davongestürmt", hörte sie Margaret genervt sagen. "Einen Tag steht sie dem Tod nahe, am nächsten stellt sie all diese Fragen. Ich werd einfach nicht schlau daraus."

Melistair lachte, und Melisa konnte sich vorstellen, wie er den Kopf schüttelte.

"Ein Geisterkristall, was? Was um alles in der Welt will sie denn damit?"

"Wer weiß das schon?" seufzte Margaret. "Aber ich musste ein Machtwort sprechen. Solche Luxusartikel können wir uns nicht leisten, nicht wenn Striker uns im Genick sitzt."

Einen Augenblick herrschte Stille, dann sprach Melistair zögerlich.

"Nun... Was, wenn ich ihr einen besorgen könnte? Aus den Minen, meine ich."

Melisas Herz machte einen Sprung, ihre Augen weiteten sich.

[Die Minen? Papa arbeitet in den Geisterkristallminen?]

Margarets Stimme klang scharf und ungläubig.

"Melistair, schlägst du etwa vor, deinen Arbeitsplatz zu bestehlen? Bist du verrückt geworden?"

"Ich stehle nicht!" entgegnete Melistair hastig. "Ich... ich verlege einen, das ist alles. Bei den Massen, die wir jeden Tag fördern, würden sie nicht einmal merken, dass einer fehlt."

Margaret schwieg einen langen Augenblick, und Melisa hielt den Atem an, wagte kaum zu hoffen.

"Ich weiß nicht", sagte Margaret schließlich, ihre Stimme war unsicher. "Das ist ein riesiges Risiko. Wenn du erwischt wirst..."

"Ich werde nicht erwischt", beharrte Melistair. "Komm schon, Maggie. Du weißt, wie viel es ihr bedeutet. Und bei allem anderen, was los ist... hat unser kleines Mädchen nicht auch mal etwas verdient, worüber es sich freuen kann?"

Nach einer weiteren Pause dann ein Seufzer.

"Na schön. Aber sei vorsichtig, Melistair. Ich meine es ernst."

Melisa musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht vor Freude zu kreischen.

[Ja! Ja ja ja! Papa, du genialer Kerl!]

Und damit rannte sie zurück in ihr Zimmer.

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Die folgenden Tage zogen sich wie Kaugummi, jede Minute kam Melisa wie eine Ewigkeit vor.

Sie gab sich alle Mühe, sich natürlich zu verhalten, so zu tun, als würde sie nicht vor Vorfreude fast platzen. Aber es war schwer, vor allem, wenn ihr Kopf vor Gedanken an Geisterkristalle und die unendlichen magischen Möglichkeiten, die sie repräsentierten, überquoll.Während sie wartete, erforschte Melisa weiterhin diese Welt und die Rolle ihrer Familie darin. Sie befanden sich gerade in Lessmark, einem Dorf im Westen Eldoras. Eldora war in drei Nationen unterteilt: die menschdominierte Nation Syux, die von Kitsunen bewohnten Wälder Yalmirs und die von Darianern regierten Stämme im Norden von Rhaya. Dieses Dorf lag auf Kitsune-Territorium.

Die Nim hatten selbst keine eigene Region oder Nation. Dass Melisa eine kitsunische Cousine hatte, war also kein Zufall. Da sie unfähig waren, Magie einzusetzen, waren alle Lande und Territorien der Nims über die Jahrtausende erobert und annektiert worden. In den menschlichen Gebieten endeten viele Nims praktisch als Sklaven.

Sie wurden furchtbar behandelt und sehr schlecht bezahlt. [Naja, immerhin wurden sie bezahlt, schätze ich.] In den Gebieten der Darianer waren sie ebenfalls faktisch Sklaven, nur in einer anderen Form. [Oh je,] dachte Melisa und errötete beim Lesen einiger Beschreibungen. [Ich beginne wirklich zu glauben, dass mein Wunsch, wichtig zu sein, nicht erfüllt wurde.]

Doch bei all ihrer Lektüre konnte Melisa nur auf die Uhr sehen, wie sie weiter tickte. [Komm schon, Papa,] dachte sie, während sie zum x-ten Mal in ihrem Zimmer auf und ab lief. [Lass mich nicht hängen! Ich muss meine Familie retten und eine magische Revolution starten!]

Gerade als sie dachte, sie könnte vor lauter Warten explodieren, klopfte es an ihrer Tür. "Melisa?" ertönte Melistairs Stimme, etwas gedämpft. "Darf ich reinkommen? Ich habe etwas für dich." Melisa teleportierte sich praktisch zur Tür und riss sie auf, was ihren Vater erschreckte. "Ist es der Kristall?", platzte es aus ihr heraus, während sie auf den Zehenspitzen wippte. "Hast du ihn? Ja? Ja?"

Melistair blinzelte, lachte dann und schüttelte den Kopf. "Hast du das gehört?" Er griff in seine Tasche und holte ein kleines, in Stoff eingewickeltes Bündel heraus. "Ich möchte dich nicht länger auf die Folter spannen." Er reichte ihr das Bündel, und Melisa schnappte es sich, ihre Hände zitterten, während sie es auspackte.

Dort, eingebettet in die Stofffalten, lag ein Geisterkristall. Er war kleiner als die, die sie im Laden gesehen hatte, nicht größer als ihr Daumen. Doch er leuchtete mit einem sanften, pulsierenden Licht, und Melisa konnte das Summen der Magie spüren, die von seinem Kern ausging.

"Oh, meine Götter", hauchte sie und hielt den Kristall in den Händen, als wäre er das Kostbarste auf der Welt. "Papa, du... du hast es wirklich geschafft." Melistair grinste, stolz wie ein Held auf einem weißen Pferd. "Ich konnte mein kleines Mädchen doch nicht enttäuschen, oder? Ich hoffe, es gefällt dir, Kleines."

Melisa blickte zu ihm auf, ihre Augen glänzten vor Dankbarkeit und Liebe."Danke," flüsterte sie und schlang ihre Arme fest um seine Taille. "Ich danke dir von ganzem Herzen."

Melistair erwiderte die Umarmung und lachte leise.

"Es war mir ein Vergnügen, Liebes." Er küsste sie sanft auf den Kopf. "Ich bin einfach froh, dich glücklich zu sehen."

Er trat einen Schritt zurück und blickte neugierig auf den Kristall in ihrer Hand.

"Und was hast du damit vor? Willst du ihn etwa als Nachtlicht verwenden?"

Melisa lächelte vielsagend.

"Das wirst du noch früh genug herausfinden," sagte sie und steckte den Kristall in die Tasche. "Du und Mama werdet staunen."

"Etwas unheimlich, aber okay. Versuch nur nicht, zu lange wach zu bleiben und damit herumzuspielen, in Ordnung?"

"Versprochen," erwiderte Melisa und ging schon in Richtung ihres Zimmers. "Danke noch mal, Papa. Du bist einfach der Beste."

Sie sauste nach drinnen, schloss die Tür hinter sich und atmete erleichtert auf.

[Endlich,] dachte sie, holte den Kristall wieder vor und betrachtete ihn voller Ehrfurcht und Entschlossenheit. [Jetzt beginnt das magische Experimentieren!]

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Drei Tage.

Mehr Zeit blieb Melisa nicht, bevor jener Kerl zurückkehren und eine Zahlung fordern würde, die ihre Familie beim besten Willen nicht aufbringen konnte.

Sie sprachen nicht mit ihr darüber. Aber das mussten sie auch nicht. Melisa war mittlerweile eine Meisterin darin, Gespräche zu belauschen, in die sie sich besser nicht einmischen sollte.

Drei Tage, um aus einem einzigen Geisterkristall eine revolutionäre neue Form der Magie zu erschaffen, die ihre Familie retten und die Welt, wie sie sie kannten, verändern könnte.

[Kein Druck,] dachte Melisa ironisch, während sie den Kristall auf ihren Schreibtisch legte und ihre Fingerknöchel knacken ließ. [Ich hoffe wirklich, ich schaffe das.]

Sie atmete tief durch, richtete ihre Schultern auf und fixierte den sanft leuchtenden Kristall.

Sie hob den Kristall auf und drehte ihn prüfend in ihren Händen.

[Zuerst muss ich herausfinden, wie ich die Magie aus diesem Ding extrahieren kann. Wenn es mir gelingt, das Wesen zu isolieren, dann kann ich Experimente starten, um Möglichkeiten zu finden, es in Runen zu leiten.]

Sie nahm ein Notizbuch und einen Stift zur Hand, blätterte auf eine saubere Seite und begann ihre Gedanken und Theorien niederzuschreiben.

[Vielleicht könnte ich ihn zu Pulver zermahlen? Oder in irgendeine Flüssigkeit einlegen? Vielleicht ließe sich die Magie dann einfach... herauswaschen oder so. Ich weiß es nicht.]

Nachdenklich klopfte sie mit dem Stift an ihr Kinn.

[Ich muss einige Tests durchführen, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Und wie der alte Mann gesagt hat, diese Kristalle verlieren an Kraft. Sie verblassen nach einer sehr, sehr langen Zeit, aber sie tun es. Ihre Essenz ist also begrenzt. Ich muss vorsichtig sein, nicht die gesamte Essenz auf einmal aufzubrauchen. Dieser Kristall ist alles, was ich habe.]

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