Derek hatte bereits seit seinem zwölften Lebensjahr mit Schlafstörungen zu kämpfen. Mit sechzehn hatte er sich dazu entschlossen, zu behaupten, dass er geheilt sei. Das tat er, um seiner Mutter die ständige Sorge zu ersparen, die mit der Führung eines milliardenschweren Unternehmens einherging. So war sein Kampf von da an eine private Angelegenheit geworden. Er hatte gewartet, bis er achtzehn war und einen Teil seines Erbes bekommen hatte, bevor er eigenständig nach Behandlungen gesucht hatte – und jede Arztkonsultation als etwas anderes getarnt.
Er wusste auch schon damals, wie die Geschäftswelt tickte. Für ein kleines Kind, das einen Elternteil verloren hatte, war Schlaflosigkeit noch verzeihlich. Aber für den zukünftigen Leiter der Haven Group war das nicht akzeptabel. In der von harten Geschäften geprägten Welt – voller Haie im feinen Zwirn, wie sein Onkel einer war – hätte man ihn auseinander genommen und die ganze harte Arbeit seiner Mutter zunichte gemacht. Deshalb hatte Derek sein Problem für sich behalten und im Stillen gelitten.
Seine Schlafstörung kam und ging, und lange Zeit konnte er sie unter Kontrolle halten. Doch nun hatte sich etwas verändert. Diese Phase der Schlaflosigkeit war die längste, die er jemals erlebt hatte, und seine sonst so eiserne Selbstkontrolle begann zu bröckeln. Nach und nach verlor er die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und komplizierte Situationen auf einen Blick zu erfassen. Er war machtlos, konnte nur zusehen, wie ihm alles entglitt. Sogar sein Geschmackssinn ließ nach; alles schmeckte fad, selbst wenn seine Mutter den Koch lobte.
Es zerrte an seinen Kräften.
Jetzt saß Derek in seinem Büro und starrte einen Bericht an, während sein Kopf pochte. Er hatte keine Ahnung, warum er ihn noch ansah – er hatte sogar vergessen, worum es ging. Er rieb sich die Nasenwurzel und sah auf seine Uhr.
Es war fast Mittagszeit.
Er gab die Arbeit auf, klappte seinen Laptop zu und stand auf. Vielleicht würde ihm ein Spaziergang im nahen Park guttun. Er nahm seinen Mantel und ging los, erstarrte jedoch sogleich. Um in sein Büro zu gelangen, musste man zuerst durch Emilys Büro. Und wie gewöhnlich saß sie dort – doch diesmal schlief sie tief und fest.
Er hatte sie schon öfter beim Schlafen erwischt. Aber dieses Mal weckte er sie nicht sofort. Stattdessen blieb er einfach stehen und beobachtete sie.
Ihre Lider flatterten gelegentlich, und ihre langen Wimpern warfen Schatten. Sie schnarchte leise, den Kopf auf die übereinandergelegten Arme gebettet, den Mund leicht geöffnet. Sie sabberte sogar ein wenig, und manchmal stockte ihr Atmen. Aber sie schlief.
Schlaf.
So einfach schlief Emily. Ihr Körper war müde, also schlief sie. Es war ihr egal, dass sie bei der Arbeit oder an einem öffentlichen Ort schutzlos war – sie schlief einfach.
Die Minuten verstrichen und Derek stand nur da und starrte sie an. Er wusste, dass es unheimlich war, konnte aber nicht anders. Immer wenn er das Bett mit jemandem geteilt hatte, war er entweder als Erster aufgestanden oder hatte die Person hinausgeworfen.
Seit langem war es das erste Mal, dass er jemanden so richtig bei seinem Schlaf beobachtete.
Es wirkte so friedlich, dass Derek sich sehnte, an ihrer Stelle zu sein – mit geschlossenen Augen, mitten am Tag, einfach schlafend.
Doch während er sie beobachtete, wurde sein Neid bald von Sorge überschattet. Sie gab keinen Laut von sich, doch plötzlich spannte sich Emilys Körper an, sie zitterte am ganzen Leib, ihr Mund öffnete sich weiter, als sie nach Luft rang. Was immer sie auch träumte, es war offensichtlich beängstigend.
Derek hielt es nicht länger aus und sagte ihren Namen.
"Emily!" Sie fuhr hoch, ihre Augen wild, bis sie auf ihn fielen. Verwirrt starrte sie ihn an, und Derek deutete auf ihre Wange.
Mit hochrotem Gesicht wischte sie sich den Sabber weg.
"Tut mir leid," murmelte sie, immer noch nicht ganz wach, doch Derek zuckte nur mit den Schultern.
"Es ist Mittagszeit. Du kannst hierbleiben und deinen Mittagsschlaf beenden, oder aber wir kaufen uns gemeinsam ein Mittagessen und essen es im Park." Ohne ihr Zeit zum Überlegen zu lassen, ging er voran.
Er hatte fast den Aufzug erreicht, als er hörte, wie sie hinter ihm herlief, mit ihren kleinen Schritten bemüht, seinen längeren zu folgen.
Sie keuchte und schnaufte, als sie ihn einholte, und Derek musste wegschauen, um sein Lächeln zu verbergen.