Während einige bei einer heißen Tasse Tee verweilten, zog im Schreckenshaus der Lin-Familie ein weiterer Sturm auf. Wen Qinxi schien tatsächlich einen Ahnen beleidigt zu haben, da er alle zwei Tage von wunderschönen Frauen heimgesucht wurde. Woher sie kamen, wusste er nicht. Als es das erste Mal geschah, dachte er, ein Poltergeist habe ein Auge auf ihn geworfen, denn er fühlte sich ständig unheimlich beobachtet. Doch wenn er sich umdrehte, um den Übeltäter zu erwischen, bekam er nie auch nur einen Hauch von ihm zu sehen, nicht einmal einen Schatten.
Erst als er versehentlich ins Schlafzimmer von Meister Lin stürmte und dafür bestraft wurde, fand er heraus, dass es nicht um einen Dämon ging, sondern um ein Mädchen, das Madam Lin für ihn ins Auge gefasst hatte. Es war ihr irgendwie gelungen, ihren Ehemann zu überzeugen, Lin Jingxie zu verloben, bevor dieser in die Hauptstadt aufbrach. Ihrer Meinung nach waren die Mädchen in der Hauptstadt zu leichtfertig und nicht passend für ihren geliebten Sohn. Warum es nicht Lee Jienjie sein sollte? Weil jemand Madam Lin überzeugt hatte, dass Lin Jingxie sie nicht mochte und ihre Beziehung nicht halten würde.
Der Puppenspieler hinter all dem war niemand anders als Lin Mingxu, der im Hintergrund die Fäden zog. Er suchte gezielt die Art von Mädchen aus, die Lin Jingxie den Kopf verdrehen würden, und setzte die Operation 'Qie Ranzhe loswerden' in Gang, wobei natürlich auch Lee Jienjie auf der Strecke blieb. Und ja, Sie haben richtig geraten, er war derjenige, der Madam Lin den Gedanken einflößte, die Mädchen in der Hauptstadt seien leichtfertig, um das heilige Chrysanthemum seines Bruders zu verteidigen.
Doch wie bei allen Plänen gab es Mängel, und der größte war Lin Jingxie selbst. Offenkundig fand er Gefallen an den Mädchen, das war offensichtlich, aber er wählte keine von ihnen aus. Lin Mingxu hatte seine Quellen bis aufs Letzte ausgeschöpft, um die Besten der Besten zu finden, doch für seinen Bruder waren sie nicht gut genug. Ehrlicherweise war Wen Qinxi von den strahlenden Schönheiten verzaubert, aber er war nicht bereit, eine NPCin zu heiraten, wenn er bereits eine Mission verfolgte. Das würde nur zusätzliche Probleme schaffen, während er alle Hände voll zu tun hatte mit Qie Ranzhe.
„Verdammt, wenn sie solche Spielchen im echten Leben trieb, wäre ich jetzt nicht nur Vater eines Kindes, sondern von Drillingen", fluchte er, als das sechste Mädchen erschien. Der zweite Fehler in Lin Mingxus Plan war wieder Lin Jingxie. Denn jeden Abend nach einem Blind Date fragte Madam Lin ganz aufgeregt, was Lin Jingxie von dem Mädchen hielt, doch er hatte immer eine seltsame Ausrede parat - zu groß, zu blass, zu anhänglich, zu geschwätzig und so weiter, bis die Gründe absurd wurden, wie z.B. dass sie zu laut kaue.
Madam Lin geriet jedes Mal in Rage, wenn sie solche lächerlichen Entschuldigungen hörte und jagte ihn mit einem Pantoffel durchs Haus. Das führte dazu, dass Wen Qinxi in die Nacht hinauslief und Schutz suchte – an dem einzigen Ort, den er mit einem bequemen Bett kannte, nämlich bei Qie Ranzhe. Qie Ranzhe war augenscheinlich glücklich darüber, die Nacht mit ihm zu verbringen, und empfing ihn mit offenen Armen. Es bedurfte nicht einmal einer Begrüßung, denn wenn Qie Ranzhe in sein Zimmer zurückkehrte, fand er ein entzückendes Fellknäuel, das sich unter der Decke zusammengerollt hatte und sich selbst auf einem Silbertablett anbot.
Er war hellauf begeistert heimlich mit seinem Schwarm zu kuscheln, konnte aber nicht anders, als sich zu sorgen. Bei diesem Lauf der Dinge fürchtete er, dass Lin Jingxie dem Druck nachgeben und ihm direkt vor der Nase weggeschnappt werden könnte. Das durfte er um jeden Preis nicht zulassen. Er hatte den unwiderstehlich süßen Geschmack der verbotenen Frucht erfahren; sie konnte nur ihm gehören. Er war wie ein Kleinkind, das auf dem Schaukelset herschen wollte und sich weigerte zu teilen.
Der bezaubernde Lin Jingxie, der ihm immer mit zerzaustem Haar und blutunterlaufenen Augen unter der Bettdecke entgegenblickte, gehörte ihm und ihm allein. Er schwor sich, hart zu arbeiten und mächtig genug zu werden, damit er Lin Jingxie oppositionslos zur Frau nehmen konnte. Wie könnte er ihn gehen lassen, nachdem dieser seinen ersten Kuss genommen hatte? Lin Jingxie musste Verantwortung übernehmen.An jenem Tag trainierte Qie Ranzhe in den Bergen mit dem Ausbilder, als er zufällig Lin Mingxu damit prahlen hörte, dass sie heute Abend Besuch von einer unwiderstehlichen Schönheit bekommen würden. Ein funkelnder Zorn blitzte in seinen Augen auf, als ein feuriges Tier in ihm erwachte, das nach einem Ventil suchte, um den Druck abzubauen. Seine Augen verdunkelten sich vor Wut, als er einen Baustamm neben sich zerschmetterte. Dieser fiel mit einem lauten Knall zu Boden und ließ Lin Mingxu verzweifelt zusammenzucken. Es hätte genauso gut sein Gesicht sein können, wäre er näher gewesen.
Qie Ranzhes Hände zitterten und seine Knöchel bluteten, doch seine Wut war keineswegs gemindert. Er drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Ort in der Hoffnung, heute Abend mit Lin Jingxie sprechen zu können. Für Qie Ranzhe war es nun wichtiger denn je, einzugreifen und diese Blind Dates endgültig zu beenden. Sicher, er genoss es, ein Bett mit ihm zu teilen und die Wärme zu spüren, die von Lin Jingxies Körper ausstrahlte, doch er fürchtete das schlimmste Szenario, ihn an eine andere zu verlieren.
Qie Ranzhe war so in Rage, dass er sich nicht bewusst war, wie eine bösartige Wurzel sich in seinem Körper ausbreitete, genährt von seiner eigenen Verbitterung. Er war auf dem besten Weg, ein blutrünstiger, wahnsinniger Mann zu werden, ohne es zu wissen.
In der Zwischenzeit wurde im Spielzimmer von GameX ein Alarm ausgelöst. Der Klang war so laut, dass Hei Bao und Xia Bai ihn hören konnten, trotz ihrer Kopfhörer und obwohl sie mit dem Rücken zum Bildschirm Online-Spiele spielten. Jolie drehte schnell die Lautstärke des Alarms herunter, so dass er bei der nächsten Auslösung kaum noch zu hören war. Hei Bao nahm seine Kopfhörer ab und sprach zu Xia Bai: "Dage, hast du etwas gehört?"
Xia Bai runzelte genervt die Stirn, weil seine Gesundheitsleiste im Spiel gesunken war. "Hä?", brummte ein verärgerter Xia Bai, so dass Hei Bao sich die schmerzenden Ohren reiben musste. Er deutete auf seine eigenen Kopfhörer und signalisierte Xia Bai, sie abzunehmen, was dieser auch tat, obwohl er ungeduldig wirkte.
"Hast du etwas gehört, das wie das Warnsignal klang?", fragte Hei Bao, als sie beide lauschten. Es gab allerdings keinen Warnklang mehr, da das System ihn stummgeschaltet hatte. Jolie tat dies aus einem besonderen Grund: Um Qie Ranzhe zu einem Geständnis zu drängen, ohne Wen Qinxi genug Zeit zum Einmischen zu geben, damit alle glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben konnten - mit genügend Preisgeld für einen interessanten Begleiter.
"Das bildest du dir nur ein, hör auf, diese Plörre zu trinken, sie macht dich paranoid", sagte Xia Bai und zeigte auf die drei leeren Dosen koffeinhaltiger Energydrinks, bevor er sich wieder seinen Kopfhörern zuwandte.
"Okay", sagte Hei Bao mit einem Schulterzucken, während er sein Spiel fortsetzte.