Das laute Rascheln und Keuchen war im teilweise dichten Wald zu hören und versetzte die nahegelegene Tierwelt in Panik. Wen Qinxi war der Auslöser, da er durch das Unterholz hetzte, so schnell er konnte, dabei "Eine Milliarde, keuch... eine Mil-l-liarde" murmelnd, während er sich durch den Wald schlug.
Und warum lief er? Weil er nicht bereit war, die Welt neu zu beginnen, sollte Qie Ranzhe heute sterben. Jolie hatte ihm mitgeteilt, dass Qie Ranzhes Bruder, Prinz Anzhie, unerwartet früher als geplant in Erscheinung getreten war. Anscheinend war er auf der Suche nach Qie Ranzhes Mutter, die von der Kaiserin aus dem Palast verbannt worden war, weil sie schwanger war.
Das Herz des Kaisers hing immer noch an seiner Konkubine, und sollte er erfahren, dass sie schwanger war, würde er ihren Sohn zweifellos zu seinem Kronprinzen machen. Um für Ruhe zu sorgen, machte sich Qie Anzhie auf die Suche nach ihr, um sie und ihren Nachwuchs aus dem Weg zu räumen und so den Dorn aus seinem Auge zu entfernen. Das natürlich nur, falls die Frau nicht bereits ihren tödlichen Verletzungen erlegen wäre - die Kaiserin hatte sie mehrmals mit einem vergifteten Dolch direkt in den Bauch gestochen, bevor sie sie hinauswarf.
Qie Anzhie hätte es bevorzugt, wenn seine Mutter die Schlampe einfach enthauptet und ihrem Baby aus dem Leib geschnitten hätte, bevor sie dieses Bastardkind zerstückelte. Deshalb durchkämmte Qie Anzhie alle möglichen Orte, an die sie geflüchtet sein könnte und landete irgendwie in dieser kleinen Stadt.
Als er das hörte, zögerte der verletzte Wen Qinxi nicht, seinen Muskelkater zu ignorieren und lief durch den Wald, bevor der Gesandte des Prinzen auch nur einen Blick auf den Jungen werfen konnte, der genau wie der Kaiser aussah und gerade vertieft war, mit seinem Holzschwert zu trainieren.
Qie Ranzhe war dazu bestimmt, der Held dieser Geschichte zu sein, doch nach der aktuellen Entwicklung der Geschichte war es ein Leichtes, dass er als Schurke dargestellt wurde, da er sich zu einem völkermordenden Wahnsinnigen entwickelte. So könnte er früh im Spiel getötet werden und die Handlung begönne von vorne.
"Zur Hölle damit! Ich lasse mich nicht wieder ertränken und verprügeln. Das lasse ich nicht zu!" schrie er Jolie an und schlug sich durch das dichte Gestrüpp, das seinen Weg versperrte. Der Gedanke, erneut ertränkt und als Boxsack für eine Gruppe von Teenagern missbraucht zu werden, löste ein schmerzhaftes Stechen in seiner Magengrube aus. Er war nicht bereit, diesen Mist noch einmal zu durchleben und rannte, als hinge sein Leben davon ab.
***
Der nichtsahnende Qie Ranzhe war sich der sich nähernden Personen im Hintergrund bewusst, kümmerte sich jedoch nicht sonderlich darum, während er mit seinem Training fortfuhr. Der Wald stand allen offen, weshalb er wachsam blieb.
Aus der Ferne bemerkte ein Wächter einen ordentlich gekleideten Teenager, der mit einem Holzschwert trainierte, und konnte nicht umhin, sein Können zu bewundern. Wie in Trance beobachtete er seine anmutigen, aber kraftvollen Schläge, die von außerordentlicher Stärke und Agilität zeugten. Der Junge hatte das Potential, unter dem richtigen Meister der Beste der Besten zu werden.
Er beschloss, ihn Prinz An vorzustellen, vielleicht könne der Junge in die Armee aufgenommen werden und etwas aus sich machen. Beim Anblick seiner ärmlichen Kleidung empfand er Mitleid mit ihm und verließ deshalb die Formation, um den Prinzen zu informieren, der gerade auf seinem Hengst ritt.
Qie Ranzhe wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er sich bückte, um seinen ledernen Wassersack aufzuheben. Just in dem Moment, als er sich vorbeugte, spürte er eine Präsenz, reagierte aber zu langsam und wurde hinter einem Felsen zu Boden geworfen.
Lin Jingxie lag direkt über ihm, hielt ihm mit einer Hand den Mund zu und deutete mit der anderen, still zu sein. Schweigend beobachtete Qie Ranzhe, wie der blendend aussehende Junge etwas beäugte, als ob er heimlich einen Feind ausspähte. Die Sonne streichelte sein gerötetes Gesicht und sein leicht feuchtes Haar gab ihm einen verführerischen Look mit nassem Haar.Qie Ranzhe verfolgte mit seinen Augen einen einzelnen Schweißtropfen, der in der Sonne glitzerte, wie er vom Ohrläppchen des Jungen über die glatte Haut bis hinunter zum entblößten Schlüsselbein lief und dann in dessen heftig atmendem Brustkorb verschwand.
Es schien, als hätte Lin Jingxie nicht vorgehabt, das Haus zu verlassen, denn sein locker sitzendes Gewand ließ einen Teil seines jadeähnlichen Schlüsselbeins sichtbar werden. Qie Ranzhe fühlte sich plötzlich ausgedörrt bei dem Gedanken, dass Lin Jingxie tatsächlich ein gutaussehender junger Mann war, der jedes Mädchen verrückt machen konnte.
"Scheiße! Er kommt hierher", flüsterte ein panischer Wen Qinxi, der immer noch oben auf Qie Ranzhe lag, seine Knie zu beiden Seiten von Qie Rans Taille. Er blickte sich um und suchte nach einem Ausweg, als er bemerkte, dass sie sich auf der Spitze eines steilen Hügels befanden. Wen Qinxi traf eine Entscheidung, die ihnen etwas Zeit verschaffen sollte. "Tut mir leid", sagte er, bevor er seitwärts rollte, und sie kauerten sich umarmend den kleinen Abhang hinunter.
Sie rollten den Abhang hinab und erreichten schnell das ebene Land unten, wobei nun Qie Ranzhe oben auf Lin Jingxie lag und dämlich grinsend. "Oh, da ist er!", rief ein aufgeregter Wächter oben auf dem steilen Hügel.
Als Wen Qinxi bemerkte, dass sie immer noch nicht in Sicherheit waren, runzelte er die Stirn über dem grinsenden Tölpel und sah sich nach etwas um, das ihnen helfen könnte. Unbewaffnet, der eine geschickt und der andere ein Nerd, würden sie bestimmt festgenommen werden, sobald Qie Anzhie einen Blick auf Qie Ranzhe werfen würde. Sie würden wahrscheinlich lebendig in einem anonymen Grab verschwinden. Ja, Qie Anzhie war so grausam.
In Panik, weil ihnen die Zeit davonlief, bemerkte Wen Qinxi eine feuchte Pfütze dicken Lehms und murmelte: "Dem Schöpfer sei Dank."
"Hä?", fragte ein verwirrter Qie Ranzhe, wurde aber rasch gründlich mit Lehm beschmiert, während Lin Jingxie schrie,
"Du verdammter Idiot, ich bring dich heute noch um!", und schlug ihm noch mehr Lehm ins Gesicht, bis er kaum noch zu erkennen war.
Ein noch verwirrterer Qie Ranzhe hielt sein Handgelenk fest und sein Gesicht war bedeckt mit widerlichem Schlamm, durchsetzt mit Gott weiß was für petrifizierenden Dingen. "Verdammt, Jin, warum um alles in der Welt hast du das gemacht?", fragte er und versuchte, den Dreck aus seinem Mund zu spucken, aber Lin Jingxie zwinkerte ihm zu und nickte in Richtung des sich nähernden Wächters.
Erst jetzt verstand Qie Ranzhe, auch wenn er immer noch nicht begriff, warum Lin Jingxie so viel Wert auf den Wächter legte.
"Wir werden ja sehen, wer hier wen zur Schnecke macht, du frecher Bengel!", schrie er und spielte seine Rolle perfekt aus, bevor er auch Lin Jingxies Gesicht mit Lehm beschmierte.
Als der Wächter näher kam, sah er den unterlegenen Jungen den anderen von sich stoßen und sich befreien. Er kniete sich hin und warf ein paar Hände voll Lehm, während er seinen Gegner verfluchte. "Du verdammtes Stück Scheiße, sie war meine Freundin!"