Die Kutschfahrt nach Easthaven war ereignislos verlaufen. Als sie die kleine Siedlung erreichten, suchte Merrick mit einer Gruppe Ritter nach einer Herberge. Es gab jedoch nur ein Gasthaus, das bereits ausgebucht war. Der Wirt wies sie stattdessen zu einem alten Bauernhaus am Stadtrand, das einer Witwe gehörte, die gelegentlich Gäste beherbergte. Dann erkundigte sich Merrick nach einem Heiler oder Arzt für die Stadtbewohner.
"Herr, ich habe noch eine Frage. Gibt es hier einen Arzt oder Heiler? Eines unserer Gruppenmitglieder ist sehr krank und benötigt dringend Hilfe."
Der silberhaarige alte Mann hinter dem Tresen schüttelte langsam den Kopf und antwortete mit rauer Stimme:
"Es ist schon lange her, dass wir einen Heiler hatten. Er ist letztes Jahr während des Winters gestorben. Niemand aus dem Magierturm oder dem Reich kam, um ihn zu ersetzen. Wir sind momentan auf den Arzt des Grafen von Northbrook angewiesen."
"Leider ist der Arzt erst in einigen Wochen wieder hier. Das Beste, was Sie tun können, ist, mit der alten Witwe zu sprechen, wenn Sie bei dem Bauernhaus ankommen. Sie ist das, was wir hier in der Gegend als Heilerin haben."
Merrick verblasste, als er die Nachricht hörte. Beunruhigt kehrte er zur Kutsche zurück und kämpfte damit, die Situation zu erklären. Sein Magen war ein Abgrund der Verzweiflung. Er ahnte, dass der Herzog nicht erfreut sein würde, weil sie keine geeignete Unterkunft für seine Männer finden konnten. Merrick war sich durchaus der prekären Lage der neuen Herzogin bewusst und wusste, dass Sterling über die Schwere ihres Zustands völlig ahnungslos war.
Dies erinnerte ihn an den eigenen Kampf mit der Krankheit seiner Tochter.
Der Vizekommandant klopfte zögernd an die Tür der Kutsche und hörte, wie der Herzog ihn leise bat, einzutreten.
"Tritt ein, Merrick."
Der ältere Paladin trat ein, setzte sich Sterling gegenüber und betrachtete das Mädchen, das noch immer in seinen Armen schlummerte. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerzen, aber ihre Blässe und ihr Zustand schienen sich im Vergleich zu vor einigen Stunden verbessert zu haben. Merricks Überlegungen wurden unterbrochen, als der Herzog fragte:
"Haben Sie eine Unterkunft für die Männer und einen Arzt besorgen können?"
Merrick schüttelte den Kopf. Er hatte keinen Erfolg.
"Es gibt keine freien Unterkünfte. Das Gasthaus ist voll. Der Wirt meinte, es gibt einen Bauernhof in der Nähe, und die alte Dame, die ihn besitzt, könnte uns vielleicht aufnehmen. Außerdem ist der Heiler der Stadt tot, und nur die alte Frau auf dem Bauernhof könnte uns vielleicht helfen."
Als Sterling das hörte, befahl er: "Dann lass uns hier nicht länger verweilen, Merrick, und machen wir uns auf den Weg."
Die gütige Witwe auf dem Bauernhaus war erfreut, ihre Tür zu öffnen und die Ritter um den Tisch versammelt zu sehen. Sie eilte, Essen zuzubereiten und den erschöpften Männern Tee mit erwärmtem Branntwein und Honig zu servieren. Es war schön, Besucher in ihrem sonst so leeren Haus zu haben.
Merrick saß neben dem Kamin und versuchte, seine kalten Knochen zu wärmen. Als die alte Frau ihm eine Tasse des aromatischen Getränks reichte, blickte er auf. Die Wärme, die es ausstrahlte, war äußerst angenehm für seine kalten Finger.
Er wandte sich an die ältere Frau und nahm den Tee entgegen.
"Gnädige Frau, haben Sie Erfahrung in der Behandlung der Feuerlungenkrankheit? Der Wirt, der uns an Sie verwiesen hat, meinte, Sie könnten der kranken Frau in unserer Gruppe vielleicht helfen."
Ein freundliches Lächeln erleuchtete ihre hellblauen Augen, als sie den Vizekommandanten sanft ansah und antwortete:
"Ich habe sie behandelt. Der alte Heiler, der in der Stadt lebte, hat sich über die Jahre um unsere Tochter gekümmert. Ich habe ihm zugesehen und das eine oder andere von ihm gelernt. Als sie krank wurde, brauchte ich ihn nicht rufen und konnte sie leicht selbst behandeln."
"Es ist allerdings eine Weile her, dass ich jemanden mit Feuerlungenkrankheit behandelt habe. Mir fehlen die Kräuter, die ich für den Trank benötige. Wenn Sie und ein paar Männer bereit sind, die benötigten Pflanzen zu suchen, helfe ich ihr gerne."
Merrick nickte kurz.
"Ich schätze Ihre Hilfe sehr. Bitte sagen Sie mir, was Sie brauchen, und wir werden sofort loslegen. Darf ich fragen, wie Sie heißen?"
Sie antwortete schlicht: "Helena Partridge."
"Kommen Sie, junger Mann, ich zeige Ihnen, was ich benötige."Als Merrick, zwei Ritter und Helena sich der alten Scheune näherten, vernahmen sie das Knarzen des Holzes, wie es unter den Windböen ächzte. Es war offensichtlich, dass das verlassene Gebäude kurz vor dem Einsturz stand. Die von Helena entzündeten Fackeln warfen ein flackerndes Licht auf das vergilbte Pergament. Sie deutete auf die vielfältigen Pflanzen, die dort beschrieben waren, und ermahnte die Männer zur Vorsicht, als sie mit ihrer Suche begannen.
"Gebt Acht am Waldrand. Ich sah, wie einige Osvol dort herumschlichen."
Merrick und die Ritter nickten und nahmen ihre Warnung ernst. Sie beobachtete, wie sie sich daranmachten, die von ihr benötigten Zutaten zu beschaffen.
Binnen einer Stunde kehrten sie mit den gesammelten Zutaten für den Trank zurück, und die alte Frau machte sich sogleich daran, ihn zuzubereiten.
——
Herzog Thayer schaute sich in dem kleinen Raum mit der niedrigen Decke um, in den ihn die alte Frau geführt hatte. Während er den Raum genau inspizierte, fiel ihm sofort der deutliche Zeichen der Vernachlässigung auf. In jeder Ecke lauerten Spinnweben, und eine Staubschicht hatte sich auf sämtlichen Gegenständen abgelagert. Es war klar, dass schon seit langem niemand hier gewesen war.
Trotz des vernachlässigten Zustands des Ortes war Sterling bewusst, dass dies die beste Unterkunft war, die sie finden konnten. Seine Priorität lag darin, sicherzustellen, dass seine Männer vor den Unbilden der Natur geschützt waren. Erst danach wollte er sich darauf konzentrieren, Faye zur Genesung zu verhelfen, bevor sie ihre Reise fortsetzen würden.
Als er seine kranke Braut auf das Bett legte, fielen ihm sofort die Kratzer ins Auge, die sich auf ihrem Gesicht und ihren Armen befanden. Die Dornen der Brombeersträucher hatten sich in ihr Fleisch gegraben, als der Osvol mit ihr verschwunden war.
Ihr Kleid war zerrissen, kaum noch als Kleid zu erkennen, welches ihren zierlichen Körper bedeckte. Sie zitterte und rollte sich zusammen. Sterling war klar, dass er schnell handeln musste. Sie musste ausgezogen und von ihrer nassen Kleidung befreit werden, bevor sie noch kränker wurde.
Ein finsteres Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er den Dolch hinter seinem Rücken hervorzog. Nun konnte er tatsächlich sehen, was der Ehevertrag ihm zugesprochen hatte. Unzüchtige Gedanken durchkreuzten seinen Geist, als er daran dachte, seine neue Braut entblößt zu sehen. Er war voller Vorfreude darauf, dass sie erwachen und er ihren Körper erobern und ihre Jungfräulichkeit für sich beanspruchen könnte. Er sehnte sich danach, ihre keuchenden Schreie zu hören, wenn ihr Körper sich unter ihm winden würde.
Das Geräusch ihrer Kleidung, die unter der Klinge zerriss, war eine berauschende Symphonie in Sterlings Ohren und versetzte ihn in Erregung. Als könne er ein Geschenk enthüllen, das nur für seine Augen bestimmt war. In seiner Eile, Fayes nackten Körper zu erblicken, krallten sich seine Fäuste in den Reststoff ihres Kleides und zerrten ihn auseinander.
Seine Muskeln spannten sich an, als sich Wut in ihm ausbreitete und er nicht fassen konnte, was er sah. Er konnte weder sich bewegen noch sprechen und war vollkommen von der Situation überwältigt.
Die frühere Erregung beim Anblick seiner entkleideten Braut verflog jäh. Die Vorderseite von Fayes Körper war übersät mit langen, linearen Striemen und dunklen Prellungen. An frischen Schnitten konnte er erkennen, dass sie mit einem Ledergürtel ausgepeitscht worden war.
Er brummte vor Wut:
"Verdammte Montgomery-Bastarde!"
Sein Gesicht rötete sich und seine Augen brannten, während sich seine Wut Bahn brach. Der gesamte Körper des Herzogs zitterte unkontrollierbar vor Rage. Jemand hatte beschädigt, was ihm gehörte. Sterling war außer sich vor Zorn und beschloss, dieses Verbrechen dem König zu melden, sobald sie sich wieder sahen. Er würde darum bitten, das Stipendium von Winterhold als Wiedergutmachung für die beschädigte Braut zu mindern.
Dann, in einem plötzlichen Moment des Gewissens, fragte er sich, unter welchen Umständen dieses arme Mädchen unter dem Dach der Montgomerys gelebt haben mochte.
Ein Stöhnen von Faye lenkte Sterlings Aufmerksamkeit zurück auf sie. Er beobachtete, wie sie ihren nackten Körper zur Seite drehte. Dabei erblickte er weiteren Markierungen und dieses Mal auch alte Narben von früheren Misshandlungen. Faye war schrecklich abgemagert. Die Knochen ihrer Wirbelsäule traten deutlich durch ihre blasse Haut hervor. Es sah so aus, als wäre sie von Essen abgeschnitten und ausgehungert worden.
Er hatte schon gesündere Leichen auf dem Schlachtfeld gesehen.
Sein kaltes Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust beim Anblick ihrers. Er schloss seine Augen, atmete tief ein und wieder aus, um die Fassung wiederzuerlangen. Er bemühte sich, das Gefühl des Mitleids aus seinem Gedächtnis zu verbannen.
Wieso empfand er Mitleid für sie? Er sollte sich freuen, dass sie so schlecht behandelt wurde. Es machte ihn wahnsinnig, dass er wiederholt Mitgefühl für diese Frau empfand, deren Familie ihm als Kind soviel Leid zugefügt hatte.
Ein lautes Klopfen an der Schlafzimmertür riss ihn aus seinen Gedanken. Ohne zu zögern, griff er nach einer nahegelegenen Decke von der Matratze und bedeckte ihren Körper, damit niemand ihn sehen konnte.
——
Liebe Leserinnen und Leser,
ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meinen neuesten Roman zu lesen. Ich hoffe, die ersten zehn Kapitel haben Ihnen gefallen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie eine Rezension zu dem Buch verfassen könnten. Das würde mir enorm helfen, beim WPC-Wettbewerb in diesem Monat zu bestehen.
Herzlichsten Dank,
Der_Süße_Spatz