Nachdem sie der dünnen Frau die Schüssel mit Mineralwasser gereicht hatte, stieg Xu Xiang wieder in den Maultierwagen. Diesmal holte sie ein Stück Papier, eine Packung Milch, eine Packung Müsli und einen Wasserbeutel aus dem Raum. Sie packte das Müsli erneut in Papier ein und goss die Milch in den Wasserbeutel. Danach stellte sie die leeren Packungen von Müsli und Milch zurück in den Raum.
Als Xu Xiang die Abdeckung des Maultierwagens lüftete, sah sie, dass die dünne Frau immer noch dort stand und eine leere Schale in den Händen hielt. Als die Frau sie herauskommen sah, reichte sie Xu Xiang die leere Schale mit beiden Händen und verneigte sich tief.
"Vielen Dank, junge Dame", sagte sie mit Tränen in den Augen.
Xu Xiang nahm die leere Schale und legte das verpackte Müsli und den gefüllten Wasserbeutel in die knochigen Hände der Frau. Als die dünne Frau die Gegenstände entgegennahm, sah sie überrascht hoch. Sie starrte nur ausdruckslos auf das, was sie erhalten hatte, bis sie Xu Xiangs ruhige Stimme hörte:
"Ich kann Ihnen nur so viel Hilfe anbieten."
Die Frau schüttelte ihre Starre ab und kniete schnell nieder. "Ich werde diese Güte niemals in meinem Leben vergessen. Danke, dass Sie das Leben meines Sohnes gerettet haben", sagte sie.
Bevor ihr Kopf den harten Boden berühren konnte, half Xu Xiang ihr auf die Füße. Als sie sah, dass die anderen Offiziere schon wach waren, sagte sie: "Gehen Sie und halten Sie das Essen und das Wasser sicher. Ich übernehme keine Verantwortung, falls etwas geschieht."
Die dünne Frau nickte und sagte: "Danke, junge Dame. Ich bin Ihnen sehr dankbar."
Xu Xiang betrachtete ihren dünnen Rücken und dachte, dass diese Welt schlimmer sei als die Welt der Apokalypse. Immerhin haben Menschen in der apokalyptischen Welt noch die Chance, eigene Fähigkeiten zu wecken und stark genug zu sein, um zu überleben. Aber in dieser Welt, abgesehen davon, dass die Menschen zu schwach sind, um zu überleben, gibt es grausame Herrscher, die nicht in der Lage sind, das Reich zu regieren, ständige Kriege und Naturkatastrophen. Beim Gedanken an die Familie Xiao wusste sie, dass weder hoher sozialer Status noch ein starker familiärer Hintergrund ein friedliches und stabiles Leben garantieren konnten. Seufzend ging sie zurück zum Lagerfeuer.
Als sie zurückkam, sah Xiao Shao sie an und erkundigte sich nach einer undeutlichen Traurigkeit in ihrem sonst so ruhigen Gesicht. Als er zusah, wie sie mit ausdruckslosem Gesicht die Medizin in die Schale goss, sagte er: "Man kann nicht jedem helfen."
Ihre Hand hielt einen Moment inne, dann goss sie weiter. Sie stellte die Medizin auf den Boden, nahm die Schale und setzte sich neben ihn. Schweigend reichte sie ihm die Schale mit der Medizin.
Nach einer langen Stille sagte sie: "Ich weiß. Aber wenn ich nichts tue, hinterlässt das einen bitteren Nachgeschmack in meinem Herzen. Ich tue das nicht für andere, sondern um mein eigenes Gewissen zu beruhigen."
Xiao Shao blies eine Weile auf die Medizin und trank sie schließlich aus, nachdem sie sich etwas abgekühlt hatte. Die leere Schale in den Händen haltend, senkte er den Blick und sprach mit leiser Stimme."Du weißt, wenn du wirklich etwas verändern willst, brauchst du genügend Kraft. Wenn du sie nicht hast, solltest du nichts Überstürztes tun, das du später vielleicht bereuen würdest."
Xu Xiang warf ihm einen Blick zu, bevor sie den Kopf hob und den langsam aufhellenden Himmel betrachtete. Die beiden saßen schweigend da und waren in Gedanken versunken, bis die anderen aufwachten. Als Xiao Han erwachte, sah er die beiden friedlich nebeneinander sitzen. Er rieb sich einige Male die Augen und blickte erneut auf sie, unsicher, ob er seinen Augen trauen konnte.
Als er bemerkte, dass sie bereits wach waren, sagte Xu Xiang: "Ich habe Frühstück mitgebracht. Lass uns etwas essen, bevor sie uns drängen, die Reise fortzusetzen."
Sie holte die Schüsseln und Löffel vom Maultierwagen und öffnete das Paket mit den verschiedenen Getreidesorten. Die Familie Xiao betrachtete die bunte Mischung neugierig und beobachtete, wie Xu Xiang sie auf sechs Schüsseln verteilte. Danach öffnete sie den Wassersack und goss die warme Milch aus.
Als sie die Milch sahen, schenkten sie Xu Xiang einen besonderen Blick. Die Mitglieder der Xiao-Familie hatten denselben Gedanken. Sie tauschten Blicke aus und wussten, dass sie dasselbe dachten.
Da Xu Xiang ihre Blicke nicht bemerkte, übergab sie Xiao Shao die größte Schüssel, Xiao Yi eine große, Xiao Han eine mittlere und Wen Wan sowie Xiao Jing erhielten normale Schüsseln.
Sie selbst hielt eine normale Schüssel in der Hand, blickte in die Runde und sagte: "Ich weiß nicht, ob es euch schmeckt, aber momentan kann ich nicht kochen, also muss ich mich auf diese Art von Trockennahrung beschränken."
Xiao Jing lächelte beim Anblick des bunten Getreidemixes und roch den süßen Duft der Milch aus der Schüssel, dann fragte er: "Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wie nennt man es?"
Xu Xiang dachte kurz nach und entschied sich, den ursprünglichen Namen zu verwenden. "Es heißt Milchcerealien."
Xiao Shao betrachtete seine Schüssel eine Weile, dann begann er sein Frühstück zu essen. Beim ersten Bissen empfand er den Geschmack als unbeschreiblich. Doch je mehr er kaute, desto köstlicher wurde es, und desto schneller aß er.
Als die anderen sahen, wie schnell er aß, wechselten sie Blicke und begannen ebenfalls zu essen. Für einen Moment herrschte nur das Geräusch des Kauens und Schluckens. Nach einigen Minuten waren ihre Schüsseln leer.
Xu Xiang sah die leeren Schüsseln an und war ein wenig überrascht. Sie dachte, dass sie schnell isst, aber im Vergleich zur Familie Xiao erschien ihr Tempo langsam. Gerade als sie noch überrascht war, hörte sie, wie Xiao Shao von ihrer Seite her schmatzte. Sie blickte zu ihm und sah, wie seine Augen auf die leere Schüssel in seiner Hand gerichtet waren.
War er immer noch nicht satt?