"Was?!", rief Islinda überrascht und blinzelte zu ihm auf, ihr Mund klaffte offen. Sie wollte etwas sagen, doch ihr fehlten die Worte, da sie noch immer von der Überraschung übermannt war.
Hätte ein Mensch so einen Unsinn von sich gegeben, hätte Islinda angenommen, er mache sich über sie lustig oder er habe den Verstand verloren. Aber das hier war Valerie, ein Fae, der mit sichtlicher Sorge auf seinem Gesicht sehr ernst wirkte, und da begriff sie, dass seine Unwissenheit echt war.
"Oh." Endlich ergab alles einen Sinn für Islinda.
So wie sie einst geglaubt hatte, alle Feen seien boshaft und grausam, bis sie Valerie begegnete und er ihr das Gegenteil bewies, schienen auch die Fae nur begrenztes Wissen und vorgefasste Meinungen über die Menschen zu haben. Warum auch nicht, wenn die Menschen in ihrem Reich und die Fae in deren Reich lebten?
Es gab zwar Gerüchte von Menschen, die von Feen entführt wurden oder von törichten Sterblichen, die Verträge mit ihnen schlossen und am Ende den Preis nicht zahlen konnten. Doch für die Fae war es wahrscheinlicher, einen Menschen mit einem Trick dazu zu bringen, die Grenze zu überschreiten, als ihn zu entführen, entgegengesetzt zu den Menschen, die eher zu roher Gewalt neigten.
Das würde gegen die Regeln des Abkommens verstoßen und die meisten von Menschen gefangenen Feen waren jene, die die menschliche Welt betreten hatten. Beide Seiten müssten erst das Gesetz übertreten, bevor sie es gegeneinander einsetzen könnten. Sie könnte Valerie in diesem Moment festhalten und das Gesetz würde sie nicht belangen.
Bei dem Gedanken, dass er sich um sie sorgte, wurde ihr Gesicht sachte von einem Lächeln erhellt. Also erklärte sie ihm so sanftmütig wie möglich: "Ich werde nicht sterben, Valerie."
Seine Brauen zuckten als Reaktion, ehe sie sich misstrauisch zusammenzogen, während er sie beäugte. Valerie glaubte, sie würde ihn anlügen, also streckte sie ihre Hand aus und fasste zu seiner Überraschung sein Gesicht, in der Hoffnung, ihn zu überzeugen.
Sie sagte zu ihm: "Ja, Menschen sind zerbrechlich und sterben, wenn sie krank werden, aber wir erliegen nicht jeder Krankheit. So wie du die Wunde, die du erlitten hast, überlebt und tapfer gekämpft hast, so habe ich ebenfalls gekämpft und muss nicht mehr sterben. Zumindest nicht jetzt."
Sie sah, wie die Anspannung von ihm wich, und vielleicht lag es daran, dass sie sein Gesicht streichelte. Wie eine zufriedene Katze ließ Valerie ein leises Seufzen hören und lehnte sich entspannt gegen die Wand, die Augen instinktiv geschlossen. Islinda hätte innegehalten, wenn er sich nicht in ihre Berührung hineinbeugt hätte, und sie war dankbar, dass seine Augen geschlossen waren, weil sie heftig errötete.
Sie fragte sich, ob Valerie wusste, dass ihre Geste als intim galt und eine solche Berührung normalerweise Paaren in einer Beziehung vorbehalten war. Schon fast wollte sie ihr Gesicht vor Verlegenheit verbergen, und ihr ungestümes Herz wollte einfach nicht aufhören zu klopfen.
War Berührungen unter Fae-Wesen etwas Selbstverständliches? Kannten sie kein Schicklichkeitsgefühl? Waren ihre Maßstäbe für Intimität so locker? Oder genoss er einfach ihre Zärtlichkeit? Islinda hatte viele Fragen im Kopf.Doch genau in diesem Moment entdeckte sie, dass dies derselbe Ort war, an dem sie ihn vor Tagen zurückgelassen hatte. Hatte er die ganze Zeit so da gesessen? Sie war sich sicher, dass er seitdem nichts gegessen hatte. Ganz zu schweigen davon, ob er ... äh, das Bedürfnis verspürt hatte, wasserlassen zu müssen? Oder war sein, ähm, Körperteil irgendwie anders beschaffen?
Bei den Göttern! Islinda wurde bei diesem lächerlichen Gedanken so rot im Gesicht, dass sie sich am liebsten mit der flachen Hand Kühlung zugefächert hätte, aber genau in diesem Augenblick öffnete Valerie die Augen, und ihr stockte etwas im Hals. Ba-dum, Ba-dum, ihr Herz pochte in ihrer Brust und ihr Mund blieb offen stehen.
Sie starrten einander etwa eine Sekunde lang an, bevor Islinda sich von ihm abwandte und sich unbeholfen räusperte. Sie musste den Verstand verlieren, wenn sie Valerie schon wieder attraktiv fand. Fae und Menschen waren nicht füreinander bestimmt, das kam einfach nicht vor.
Zudem schien Valerie kein gewöhnlicher Fae zu sein, vielleicht ein Lord über sein Anwesen oder so etwas. Sie konnte die Macht spüren, die von ihm ausging, und es war ein wenig überwältigend, wie sie ihren ganzen Körper stimulierte. Das allein war schon kein gutes Zeichen.
Islinda musste sich ablenken, also griff sie in ihr Hemd und zog die leeren Tücher heraus, in denen sie die Medizin versteckt hatte. Sie sagte ihm,
"Es tut mir so leid, dass ich dir nichts zu essen mitgebracht habe. Ich war so darauf konzentriert, dein Leben zu retten, dass ich vergaß, dass du auch Essen zum Leben brauchst." Sie fügte hinzu: "Aber mach dir keine Sorgen, es ist noch genug Zeit und ich eile schnell zum Markt, um dir etwas Essbares zu holen."
"Lass das."
"Hm?" Sie hob den Kopf und neigte ihn fragend zur Seite: "Du brauchst kein Essen? Kein Wunder, du bist ja kein Mensch."
"Natürlich brauche ich Nahrung. Aber anders als Menschen kann ich viel, viel länger ohne auskommen. Außerdem bezweifle ich, dass eure menschliche Nahrung für mich gehaltvoll genug sein würde." Er sagte es so geheimnisvoll und tat so, als gehöre er der überlegenen Rasse an, dass es ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
"Sei dir da mal nicht zu sicher, Valerie", lächelte Islinda zurück, "Wenn du nicht sofort in dein Reich zurückkehrst, könntest du dir vielleicht die Zeit nehmen, unsere Marktplätze zu besuchen und deine Meinung zu überdenken."
"Du meinst sowas wie ein Rendezvous?"
"Was ist ein Rendezvous?" fragte Islinda, ohne zu wissen, was er meinte. Es hieß, die Feen seien den Menschen weit voraus, und das schien auch beim Wortschatz der Fall zu sein.Diesmal spielten sich viele Emotionen auf Valeries Gesicht ab und sie hatte das Gefühl, dass er gerade etwas Unpassendes gesagt hatte
"Ich ähm... es ist ähm... eine Art Vorab-Verabredung, sich zu treffen... wie soll ich das sagen?" Er wurde schon ganz rot im Gesicht.
Islinda musste es mitbekommen haben, denn ihre Gesichtsfarbe ähnelte der seinen immer mehr.
"Du meinst, wie bei der Brautwerbung?" sagte Islinda, und ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Er schüttelte den Kopf: "Nicht ganz so wie eine Brautwerbung, wenn man davon ausgeht, dass zwei Menschen, die sich lieben, irgendwann heiraten werden. Wir werden nicht heiraten, nur zwei Freunde, die ihre kulturellen Unterschiede erkunden."
"Oh." Islinda nickte mit dem Kopf, doch was war das für eine Wolke der Enttäuschung, die über ihrem Kopf schwebte? Irgendetwas musste ernsthaft mit ihr los sein.
"Was ist das?" Valerie wechselte taktisch das Thema, nachdem sie die unangenehme Spannung im Raum gespürt hatte.
Sie schaute auf ihre Hände: "Oh, das ist deine Medizin ..."
"Ich meine, warum nimmst du sie aus deiner Kleidung, als hättest du sie gestohlen", er hatte die ganze Zeit aufgepasst.
"Ach, das", sagte Islinda amüsiert, "ich habe sie nicht gestohlen, sie gehören mir, aber ich musste aufpassen, dass mich niemand auf frischer Tat ertappt. Nicht jeder Mensch ist so nett wie ich, und wenn meine Stiefmutter herausfindet, was ich vorhabe, bist du so gut wie tot."
"Oh." Valerie nickte, die Neugierde in den Augen, "Du hast eine Stiefmutter?"
"Ja. Hast du eine?"
"Irgendwie schon." Antwortete er knapp, fast abweisend.
Es war seltsam, dass sie Valerie so gut einschätzen konnte, wenn man bedenkt, dass er nicht einmal ein Mensch war, deshalb drängte sie nicht weiter auf das Gespräch.
"Also, du solltest jetzt gehen..." Islinda formulierte ihre Worte um, "Ich meine, deine Klamotten anheben...."
Doch die Worte kamen ihr nicht über die Lippen, als er nach dem unteren Teil seiner Tunika griff und sie über seinen Kopf hob. Islinda war nicht der Typ für Hysterie, aber das war zu viel für ihre jungfräulichen Augen.
Sie hätte wegschauen sollen, aber sie konnte ihr Interesse an seinem schönen Körper nicht verbergen. Islinda bekam fast Nasenbluten, wie konnte jemand so schön aussehen, so perfekt, so unwirklich? Er hatte wunderschöne bronzene Haut. Geschmeidig, aber muskulös. Ein solides Sixpack floss seinen Bauch hinunter und verschwand unter der Hose, die er trug. Wer auch immer ihr dieses Schicksal zugedacht hatte, wollte sie tot sehen! Ihr Herz wollte nicht aufhören zu schlagen.
Islinda hätte bei diesem Anblick gesabbert, wären da nicht die klaffenden Wunden an seiner Seite gewesen, die ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ach ja, sie hatte ein Leben zu retten. Islinda war erleichtert, als sie sah, dass die Wunden nicht mehr so schlimm aussahen wie beim ersten Mal. Das schwärzliche Blut war verschwunden, und jetzt konnte sie deutlich sehen, dass die Wunden zwar tief waren, aber alle wichtigen Arterien und Organe verfehlten. Wenn also seine Anatomie die gleiche war wie die der Menschen.
Es war jedoch erstaunlich zu sehen, dass seine Wunden zu heilen begannen, und das war eine weitere gute Erinnerung daran, dass zwischen ihnen beiden Welten lagen. Islinda schöpfte aus dieser Erinnerung Kraft und konzentrierte sich darauf, ihn zu behandeln.
"Ich bin fertig ..." Die Worte verstummten, als sie feststellte, dass er fest schlief. Sofort runzelte sie die Stirn, war er einfach nur müde, oder hatte er nicht geschlafen?
Nichtsdestotrotz entledigte sich Islinda vorsichtig ihrer Arbeitsgeräte und setzte sich neben ihn. Dann hob sie vorsichtig seinen Kopf an und legte ihn auf ihre Schulter, so würde er es bequemer haben.
Doch selbst im Schlaf musste Valerie ihr vertrauen, denn er lehnte sich näher an sie heran und zog sie an seine Seite, bis ihre Körper aneinandergepresst waren und seine Hand auf ihrem Oberschenkel ruhte.
Islinda schluckte, dies war eine ziemlich prekäre Position, aber der Fae war unschuldig und brauchte seinen Schlaf. Also ließ sie ihn gewähren und wachte über ihn, während er schlief.
Im Handumdrehen war auch Islinda eingeschlafen.