Die Morgensonne schien hell über dem Zirkus, und ein sanfter Wind ließ die bunten Fahnen in der Luft wehen. Thalor lag auf der Wiese vor seinem Stall und betrachtete den Himmel. Sein Herz war schwer, aber gleichzeitig spürte er eine neu gefundene Entschlossenheit. Nach all den Fortschritten in den letzten Wochen fühlte er, dass es an der Zeit war, sich erneut mit seiner Mutter auseinanderzusetzen.
„Elara, hast du einen Moment?", rief er, als er die Zirkusleitung sah, die gerade mit Mara und ein paar anderen Crewmitgliedern beschäftigt war. Elara kam herüber, ein interessiertes Lächeln auf ihrem Gesicht.
„Was gibt es, Thalor? Du wirkst nachdenklich."
„Ich möchte… ich möchte meiner Mutter einen Brief schreiben", erklärte Thalor. „Ich habe das Gefühl, dass ich noch einmal mit ihr sprechen muss. Ich möchte wirklich versuchen, das zwischen uns zu klären."
Elara setzte sich neben ihn und nickte verstehend. „Das ist ein wichtiger Schritt. Was möchtest du ihr sagen?"
Thalor seufzte und sah auf den Boden. „Es gibt so viele Dinge, die ich ihr sagen möchte. Ich möchte ihr sagen, dass ich ihr vergeben habe, aber auch, dass ich die Verletzung spüre, die ihr Verhalten mir zugefügt hat. Es ist nicht nur darum gegangen, dass sie mich verstoßen hat; es war auch die Einsamkeit und die Angst, nie gut genug zu sein."
„Das klingt nach einem ehrlichen Ansatz. Es könnte für euch beide heilsam sein", antwortete Elara ermutigend. „Möchtest du, dass ich dir helfe?"
„Ja, das wäre gut", sagte Thalor und lächelte leicht. „Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll."
Elara nahm einen tiefen Atemzug und begann: „Wie wäre es mit etwas Einfachem? Beginne mit deinen Gefühlen. Was hast du seit dem letzten Mal, als ihr euch gesehen habt, durchgemacht?"
Thalor nickte und schloss die Augen, um seine Gedanken zu sammeln. „Ich habe in den letzten Wochen viel über mich selbst gelernt. Über meine Ängste, meine Träume und meine Vergangenheit. Aber die wichtigste Erkenntnis ist, dass ich nicht möchte, dass das, was passiert ist, unsere Beziehung für immer belastet."
„Das klingt gut", sagte Elara und ermutigte ihn weiter. „Erinnere dich daran, dass sie auch ihre eigenen Kämpfe hat."
„Ich weiß", antwortete Thalor, und seine Stimme wurde leiser. „Aber ich kann nicht die Erinnerungen ignorieren, die mich quälen. Ich möchte, dass sie versteht, wie sehr ihr Verstoß mich geprägt hat."
Elara legte ihm eine Hand auf die Schnauze. „Das wird nicht leicht sein, Thalor. Aber du hast die Kraft, das durchzustehen. Vielleicht kannst du sie auch zu einem Treffen einladen, um alles persönlich zu besprechen."
„Das ist es, was ich will", sagte Thalor und blickte in den Himmel. „Ich möchte sie nicht nur mit einem Brief erreichen, sondern auch persönlich. Ich möchte die Dinge klarstellen. Wenn sie bereit ist, kann ich ihr sogar das Leben im Zirkus zeigen, das ich jetzt führe."
Thalor verbrachte den Rest des Morgens mit dem Schreiben des Briefes. Er formulierte seine Gedanken sorgfältig, jeden Satz durchdacht, um sicherzustellen, dass er seine Gefühle klar ausdrückte. Als er den Brief schließlich vollendete, war er stolz auf das, was er geschrieben hatte.
„Elara, ich denke, ich bin bereit", sagte er und reichte ihr den Brief. „Könntest du ihn an sie überbringen?"
Elara nahm den Brief und las ihn still. Ihr Gesichtsausdruck wurde weich, als sie die Tiefe von Thalors Worten verstand. „Ich werde ihr sagen, dass du sie gerne sehen möchtest. Du hast einen mutigen Schritt gemacht, Thalor."
„Ich hoffe, sie wird darauf eingehen", murmelte Thalor, seine Gedanken zurück zu dem Tag driftend, an dem er verstoßen wurde. Die Erinnerungen waren schmerzhaft, aber er wusste, dass er diese Vergangenheit überwinden musste.
In der folgenden Nacht, als der Zirkus in der Dunkelheit ruhte, legte sich Thalor in seinen Stall und ließ die Erinnerungen an den Tag, an dem alles begann, in seinen Gedanken aufblitzen.
Er erinnerte sich an die Hitze der Sonne an seinem Schlüpftag, an die Aufregung in der Luft. Die anderen Drachen, die in der Nähe schlüpften, waren voller Leben und Energie. Doch als er aus dem Ei brach, war er anders. Schwächer. Als er zum ersten Mal seine Mutter sah, schimmerte ein Licht der Hoffnung in seinem Herzen. Doch diese Hoffnung verwandelte sich schnell in Verzweiflung, als er ihren enttäuschten Blick sah.
„Du bist nicht mein Sohn", hatte sie gesagt. „Du bist zu schwach."
Thalor fühlte sich, als wäre sein Herz in tausend Stücke zerbrochen. Der Schmerz des Verstoßes war unermesslich gewesen, und die Einsamkeit, die folgte, hatte ihn geprägt. Aber jetzt, viele Jahre später, wollte er diesen Schmerz in etwas Positives verwandeln.
Er wollte, dass Elowen ihn als den Drachen erkannte, der er geworden war, und nicht als den kleinen, schwachen Drachen, den sie einst zurückgelassen hatte.
Als Thalor schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel, wusste er, dass der nächste Schritt auf seiner Reise der schwierigste von allen sein würde. Aber mit der Unterstützung von Elara und den anderen im Zirkus fühlte er sich bereit, sich seinen Ängsten zu stellen und den Kreislauf der Vergangenheit zu durchbrechen.
Die Dunkelheit um ihn herum war still, und während die Erinnerungen an den schmerzhaften Tag, an dem er verstoßen wurde, über ihn hinwegrollten, spürte er gleichzeitig die Vorfreude auf das, was kommen würde. Der Gedanke an die Versöhnung mit seiner Mutter gab ihm Mut, und tief in seinem Herzen wusste er, dass er bereit war, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und einen neuen Anfang zu wagen.