Chapter 2 - Sicher

In den Augen eines Kindes spiegelt sich die Welt, wie sie sein sollte ... mit Ausnahme dieses Kindes.

In diesem Moment war Penny sich sicher, dass ihre Augen nur Entsetzen ausdrückten. Babys sollten unschuldig sein, frei von Sorgen und voller Staunen über die Welt. Sie sollten ruhig schlafen, unschuldig lächeln und einfach ein entzückendes Dasein führen. Doch dieses Baby erinnerte sich an sein Vorstrafenregister!

War sie etwa wiedergeboren? War sie so schnell wiedergeboren?

Unzählige Fragen durchkreuzten ihr neugeborenes Gehirn, doch keine wurde beantwortet. Wenn sie an die Zeit dachte, bevor sie in diesem kleinen Körper aufwachte, erinnerte sich Penny deutlich an ihre Zeit im Gefängnis und die vielen Jahre, in denen sie versucht hatte, Teil der Familie zu sein, der sie zu Recht angehörte - als wäre es erst gestern gewesen.

Genau wie damals, als ihre sogenannte Familie sie fand, verspürte Penny dieselbe Hoffnung auf einen Neuanfang.

Es war irgendwann im Winter.

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Penny rieb ihre kleinen Hände aneinander und hauchte sie an, um sich zu wärmen. Ihre Nasenspitze war rot, und einige Schneeflocken klebten an ihren Wangen. Ihr Körper zitterte in der abgetragenen und zu kurzen Jacke, die sie trug, seit sie sechs Jahre alt war.

"Tante!", rief sie von draußen und klopfte mit bloßen Fingern an das kleine Tor. "Tante, ich habe meine Lektion jetzt gelernt. Bitte lass mich rein!"

Penny stand auf den Zehenspitzen und konnte gerade so den kleinen Vorgarten des Hauses durch das Tor sehen.

"Tante?", rief sie, Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihr Blick schweifte zu dem kleinen Fenster, wo sie ihre Tante sah, die eine warme Suppe für ihre Kinder zubereitete.

"Tante, hier ist es kalt...", ihre Stimme wurde leiser und zitterte mit der leichten Brise, die an ihr vorüberzog. "... bitte lass mich rein? Ich werde brav sein!"

Penny umklammerte die kalten Metalltore, während sie schniefte und ihre Tränen mit ihrem Ärmel abwischte, der nur bis zur Hälfte ihres Arms reichte. Sie drehte sich um, umarmte sich selbst, rieb sich die Schultern und dann wieder ihre Hände, die sie anhauchte. Als sie sich umsah, war fast alles mit Schnee bedeckt.

Die Häuser waren verschlossen, um sich vor der unerträglichen Kälte zu schützen. Penny war erst dreizehn, aber sie wusste, dass sie erfrieren würde, wenn sie draußen bliebe. Als sie noch einmal zum Tor zurückblickte, wurde ihr klar, dass die Wut ihrer Tante so schnell nicht nachlassen würde.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schleppte Penny ihre Füße fort.

'Tante Baby ist zu ihrem Mann gegangen', dachte sie und dachte an die einzige Nachbarin, die sich um sie kümmerte. Wäre diese Nachbarin nur hier, wäre Penny im selben Moment bei ihr gewesen, in dem ihre echte Tante sie verjagt hatte, nachdem Penny ihr versehentlich Suppe über die Hand geschüttet hatte.

'Harveys Mutter lässt mich vielleicht bei ihr unterkommen', sagte sie sich und erinnerte sich an eine Freundin aus der Nachbarschaft. 'Puh ... so kalt.'

Als Penny die Straße entlangging, tat sie alles, um sich warm zu halten. Sie war froh, dass sie diese Jacke bereits bei der Hausarbeit getragen hatte. Andernfalls hätte ihre Tante sie mit dem rausgeschmissen, was sie gerade trug.

Auf dem Weg zum Haus ihrer Freundin verlangsamte Penny ihren Schritt, als sie drei Limousinen sah, die vorsichtig die Straße entlangfuhren.

'Sie sehen so luxuriös aus', dachte sie. 'Aber warum fahren sie in diesem armen Viertel?'

Penny betrachtete staunend die zwei glänzenden schwarzen Limousinen und den großen Geländewagen. Ohne es zu merken, verlangsamte sie ihre Schritte noch mehr und folgte den Autos mit ihrem Blick, bis ihr der Hals wehtat. Zu ihrer großen Überraschung hielt die Fahrzeugkolonne vor dem Haus ihrer Tante.

"Hm?" Ihre Augen wurden neugierig, und sie fragte sich, ob ihre Tante wieder wegen ihrer schlechten Spielgewohnheiten und ihrer großen Klappe in Schwierigkeiten geraten war.

Penny wollte nicht stehenbleiben und das Finden von etwas Wärme hinausschieben. Da jedoch unbekannte Personen vor dem Haus ihrer Tante standen, ging sie zurück. Ob es Gäste waren oder sie ihre Tante verhaften wollten, dies war ihre Chance, ins Haus zu kommen.

"Ähm... Entschuldigung?", rief sie leise, als ein Mann mittleren Alters in einem üppigen schwarzen Mantel aus dem Fahrzeug stieg. "Mister, brauchen Sie Hilfe?"

Der Mann war groß, und mit einem zierlichen Mädchen an seiner Seite blickte er auf sie herab. Penny zuckte fast zusammen, als sich ihre Blicke trafen. Es war bereits kalt, aber seine Augen waren noch durchdringender und kälter.

"Ich wohne zufällig in diesem Haus." Sie deutete auf das Tor, blickte ihn an. "Suchen Sie vielleicht meine Tante?"

"Nein", sagte der Mann und musterte die junge Dame vor ihm. Der Teenager vor ihm hatte bereits weiße Rückstände im Gesicht, was darauf hindeutete, dass sie schon eine ganze Weile in dieser Kälte unterwegs war. Doch trotz ihrer zitternden Schultern sah sie ihn mit echter Neugierde an, als könnte sie dieses Wetter lange aushalten.

"Heißt du Penelope?", fragte er in demselben monotonen Ton.

Tiefe Falten erschienen auf Penelopes Stirn. Hatte ihre Tante sie wieder als Pfand benutzt? Penny trat instinktiv einen Schritt zurück, während ihr allerlei negative Gedanken durch den Kopf schossen. Die Neugier in ihren Augen mischte sich jetzt mit Angst.Penny musste vor nicht allzu langer Zeit die Schulden ihrer Tante begleichen, indem sie kostenlos in einem Restaurant arbeitete, das einem Mahjong-Freund ihrer Tante gehörte. Wäre diese Person nicht verhaftet worden, würde Penny immer noch dort arbeiten. Da diese Leute wohlhabend zu sein schienen, hatte sie Angst, dass sie diesmal mehr als nur ihre Arbeitskraft wollten. Vielleicht wollten sie diesmal ihre Organe!

"Besorgen Sie ihr einen Mantel", befahl der Mann mittleren Alters, während sein Blick auf Penny ruhte. "Die junge Dame friert."

Junge Dame?

Penny kneifte die Augen zusammen und entdeckte ein subtiles Lächeln auf dem Gesicht des mittelalten Mannes. Das Lächeln war vielleicht nur kurz, aber aus irgendeinem Grund spendete es Wärme und Beruhigung in ihrem Herzen. Der Mann zog lässig seinen Mantel aus und legte ihn ihr um die Schultern.

"Junge Dame, wir sind gekommen, um Sie nach Hause zu bringen", sagte er sanft, obwohl sein Tonfall noch immer befehlend war. "Wir werden Ihnen alles gemeinsam mit Ihrer Tante erklären."

Er hielt inne und nickte ihr aufmunternd zu. "Sie sind jetzt sicher."

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Sicher.

Oh, wie beruhigend und warm diese Worte damals klangen. Penny glaubte wirklich, dass der Mann die Wahrheit sagte. Sie war in Sicherheit und niemand würde sie je wieder schlecht behandeln. Als er die Situation Penny und ihrer Tante offenbarte, sprang Penny fast vor Freude auf.

Sie dachte, sie würde sich nie wieder ausgeschlossen fühlen. Ihre richtige Familie würde sie mit nach Hause nehmen. Aber leider täuschte sie sich. Die Wärme, die sie von dem Mann spürte, war nur flüchtig, wie eine ohnmächtige Flamme in dieser kalt erbarmungslosen Jahreszeit. Penny kam nie aus diesem kalten Winter heraus. Es war ein anderer Ort, andere Menschen und ein leicht verändertes Leben, aber es war alles zu ähnlich.

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"Verdammt!", hörte sie sich schluchzen, als sie an ihr erbärmliches Leben dachte. 'Wenn ich wirklich wiedergeboren wurde, werde ich nicht die gleichen Fehler machen!'

Noch vor einem Moment war Pennys Bewusstsein sehr aktiv, jetzt jedoch fühlte sie sich schläfrig. Für ein Neugeborenes war Schlafen nur natürlich. Während sie langsam in den Schlaf sank, sah sie eine unbekannte Krankenschwester, die vorsichtig das Kinderzimmer betrat.

Hm?

Penny zuckte zusammen, als sie ihr Bettchen sich bewegen spürte. Sie zwang sich, die Person anzusehen, obwohl ihre Sicht noch etwas verschwommen war.

'Was macht sie?' fragte sie sich, als ihr Bettchen anhielt und die Gestalt sich bewegte. Nach einer Sekunde hörte sie etwas Leichtes fallen. 'Was ist... los...?'

Bevor sie begreifen konnte, was geschah, fiel Penny erneut in einen tiefen Schlaf.

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"Ist das das Kind?"

"Ja, und das —"

"Tch! Können Sie nicht jemand anderen finden, der sich um dieses Balg der Schlampe kümmert?!"

Die Krankenschwester lächelte entschuldigend. "Ma'am, es tut mir leid, Sie sind der Notfallkontakt der Mutter..."

'Hmm?' Langsam wurde Penny von den Stimmen um sie herum aus dem Schlaf geweckt. Sie öffnete die Augen, ihre Sicht war noch etwas verschwommen. 'Was... passiert jetzt? Hat meine neue Mutter mich abgeholt? Oder ist es mein Vater?'

"Tch!" Ein weiteres lautes Schnalzen streifte Pennys Augen, schon fast eine schlechte Vorahnung verspürend beim Klang dieses Geräusches. "Ist das ihr Kind?"

Penny blinzelte ganz langsam und sah zu, wie die Person ihr Gesicht näherte. Sobald sie ihr Gesicht klar genug erkennen konnte, sank ihr Herz und sie keuchte entsetzt auf.

Eine - Tante?!