Als alle da waren, fuhren sie in die Stadt und gingen in die örtliche Spielhalle. Dort hingen sie immer ab, da sie alle durch und durch Gamer waren und sich sogar dort kennengelernt hatten.
Sie spielten ein paar Stunden lang, bevor sie in dem kleinen Restaurant, das an die Spielhalle angeschlossen war, zu Mittag aßen.
Dann kehrten sie zurück und spielten noch einen guten Teil des Nachmittags.
Gegen drei Uhr nachmittags hatte Alexander mehr als genug von sozialen Kontakten und machte sich auf den Heimweg. Er verabschiedete sich von seinen Freunden, verließ die Spielhalle und machte sich auf den Weg zu seinem Haus.
Auf dem Weg dorthin sah er ein paar Polizeiautos und zwei Krankenwagen an sich vorbeirasen.
'Wieder ein Autounfall.' dachte er.
So etwas kam in seinem Stadtteil recht häufig vor, denn die Straßen waren kurvenreich und es war schwer, die andere Seite der Kurven zu sehen.
Er beachtete es nicht und ging weiter, bis er zu Hause war. Er trat durch die Seitentür ein und zog seine Schuhe aus.
"Mama! Papa! Ich bin zu Hause!" rief er.
Er bekam keine Antwort und vermutete, dass sie noch nicht von der Fahrt nach Hause gekommen waren.
Also tat er, was er immer tat, und loggte sich wieder in Tower of Babel ein. Seine Eltern würden ihn sowieso anschreien, wenn sie zurückkamen.
Er spielte lange, bis er bemerkte, dass sie immer noch nicht nach Hause gekommen waren. Er loggte sich aus und machte sich auf den Weg in die Küche.
"Mom? Dad? Seid ihr schon zu Hause?" rief er.
Immer noch keine Antwort.
'Das muss eine höllische Vergnügungsfahrt gewesen sein, wenn sie vergessen haben, nach Hause zu kommen.' dachte er bei sich.
Er schaute auf die Uhr, die sechs Uhr anzeigte. Er zuckte mit den Schultern und vermutete, dass sein Vater einen weiten Weg genommen hatte, da er schon lange mit seinem Baby eine Spritztour machen wollte.
Er drehte sich um und wollte gerade zurück in sein Zimmer gehen, als sein Telefon in seiner Tasche klingelte.
'Ahh. Das müssen sie sein, die mich anrufen, um mir zu sagen, dass sie sich verspäten werden.' Dachte er sich.
Aber er konnte die Nummer nicht erkennen. Widerwillig nahm er den Hörer ab und hoffte, dass es sich nicht um einen Betrüger oder einen religiösen Spinner handelte.
"Hallo?"
"Ja, hallo. Können wir bitte mit Alexander Leduc sprechen?" fragte die Stimme am anderen Ende.
"Das bin ich..." antwortete Alexander.
"Alexander Leduc? Der Sohn von Robert Leduc und Anabelle Leduc?" Die Person fragte erneut.
"Ja, das bin ich. Wer ist da?" fragte Alexander, der von der Fragerei genervt war.
"Ich bin Dr. Dufresne vom Allgemeinen Krankenhaus in Joliette. Ich rufe Sie an, weil Ihre Eltern Sie beide als Notfallkontakt eingetragen haben." begann der Arzt zu sagen.
"Oh mein Gott, geht es ihnen gut?" fragte Alexander, von Sorge ergriffen.
"Ihre Eltern haben einen Autounfall gehabt, Herr Leduc." fuhr der Arzt fort.
"Ja, aber geht es ihnen gut?!" Alexander unterbrach ihn erneut.
Eine kurze Stille folgte, die Alexanders Sorge in Qual verwandelte.
"Herr... Sie wurden am Unfallort für tot erklärt. Wir möchten Sie bitten, herzukommen, um ihre Identitäten zu bestätigen und einige Unterlagen zu unterschreiben. Können Sie eigenständig vorbeikommen oder sollen wir jemanden schicken, der Sie abholt?", erklärte der Arzt schließlich.
Alexander war so geschockt, dass ihm das Handy zu Boden fiel.
Der Arzt, der einen lauten Knall durch den Telefonlautsprecher hörte, rief den Jungen einige Male, dann ahnte er, was passiert war, und legte auf.
Er veranlasste einen Krankenwagen, Alexander zu Hause abzuholen, dabei nutzte er die Adresse auf der Notfallkontaktliste.
Als der Krankenwagen schließlich ankam, entdeckten die Sanitäter Alexander auf dem Boden der Küche sitzend, teilnahmslos.
Sie packten ihn und setzten ihn hinten in den Krankenwagen. Der Sanitäter auf dem Rücksitz versuchte, auf dem Weg ins Krankenhaus mit ihm zu sprechen, aber Alexander reagierte nicht, in seinem Kopf wiederholten sich nur die Worte, die der Arzt ihm gesagt hatte.
Er brach schließlich im Krankenhaus zusammen, als der Arzt das weiße Laken von den Körpern seiner Eltern zurückzog, die in der Leichenhalle lagen.
Das war einfach zu viel für sein Gehirn, und es stellte sich einfach ab. Das Krankenhaus war an solche Reaktionen gewöhnt und brachte ihn auf die psychiatrische Station, um zu warten, bis er wieder zur Realität zurückkehrte.
Es dauerte nur einen Tag, aber sein Verstand blieb verwirrt. Alexander agierte wie ferngesteuert, unterzeichnete Papiere und traf sich mit dem Notar sowie dem Bestattungsunternehmer.
Die folgenden Tage zogen an ihm vorbei, als wäre er ein bloßer Beobachter seines eigenen Lebens. In seinem Kopf spielten sich ständig Szenen des Tages ab, an dem seine Eltern starben.
Er fragte sich, was passiert wäre, wäre er zu Hause geblieben. Hätte sein Vater ihn statt dessen mitgenommen?
Hätten sie den Unfall vermeiden können, wenn er dabei gewesen wäre? Wären sie jetzt noch am Leben und wohlauf?
War das seine Schuld?
Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, irgendwie mit dem Tod seiner Eltern in Verbindung zu stehen, und so versank er immer tiefer in Schmerz und Verzweiflung.
Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten, und doch tauchte in seinem Kopf immer wieder ein nagendes Gefühl auf. Hatte er das nicht alles bereits einmal gesehen?
Er bemühte sich, sich an den Tag des Unfalls zu erinnern. Er war mit dem Gefühl von Déjà-vu aufgewacht.
Als hätte er all diese Ereignisse schon einmal durchlebt. Er versuchte, sich an den Traum zu erinnern, den er in jener Nacht gehabt hatte, dann wurde ihm alles klar.
Sein Gehirn hatte seine Erinnerungen schlussendlich wieder synchronisiert, und er erlangte klare Gedanken. Das war alles eine Illusion.
Er steckte immer noch in einer Illusion fest, wahrscheinlich die Fortsetzung der vorherigen.
Sein Herz schmerzte noch immer angesichts des Geschehenen, doch sein Denkprozess stabilisierte sich.
Er suchte nach einem Weg, aus dieser Illusion auszubrechen, aber konnte keinen finden.
Also begann er, durch seine Stadt zu streifen, auf der Suche nach etwas, das nicht dort sein sollte. Etwas, das ihn hier herausführen könnte.
Bald fand er es, in dem Park in der Nähe seines Hauses. Das kleine Gebäude mit den Wassersteuerungen für die Brunnen hatte ein Detail, das dort nicht hingehörte.
In die Tür, die Eingangstür, war eine Nummer eingraviert. Es war die Nummer seiner Wohnungstür, und sie durfte dort nicht sein.
Er ging zur Tür, und als er seine Hand auf die Klinke legte, verschwand alles erneut.
'Hoffentlich ist das das Ende', dachte er, als er spürte, wie sein Bewusstsein erneut entschwand.