'ELIA
"Sie ist keine Königin!"
"Das ist nicht der Sinn des Rituals!"
"Ein Mensch? Hat er gerade gesagt, dass er sich mit einem Menschen paart?"
Das Chaos kam schnell und laut, durchzogen von Heulen und anderen Geräuschen, die Elia zusammenzucken ließen. Doch Reth brach den Augenkontakt nicht ab. Als die Proteste nicht abebbten, bellte er: "Ruhe!", und die Menge verstummte augenblicklich, sie scharrten unruhig mit den Füßen und murmelten, doch niemand erhob wieder seine Stimme. Erst als wieder Ruhe eingekehrt war, wandte sich Reth ihnen zu. "Wenn ihr mit mir sprechen wollt, dann tut es offen und zeigt euch. Feiglingen, die sich in der Menge verstecken, werde ich keine Audienz gewähren."
"Sie hat durch Täuschung gesiegt", ertönte eine tiefe Stimme von Elias rechter Seite. Sie fuhr herum, während Reth kicherte und seinen massigen Körper langsam drehte, um sich dem Mann zuzuwenden – so, als hätte er keine Angst, diese bedrohliche Stimme im Rücken zu haben.
"Du von allen Menschen verurteilst den Einsatz von List und Strategie im Kampf, Lucan?" sagte Reth, mit fester und gutmütiger Stimme, obwohl sein spöttischer Blick verriet, dass er diesem Mann nicht traute. Einige im Publikum lachten auch, doch das Lachen verstummte bald.
"Ich verurteile den Einsatz von Täuschung, aber nicht, weil du ein Feigling bist oder Schwäche verbergen willst", knurrte der Mann.
"Eine interessante Aussage", sagte Reth, seine Worte waren zurückhaltend, aber seine Haltung entspannt – das Gewicht lehnte auf einem Bein, seine Hände lose an den Seiten. Doch Elia spürte die angespannte Spannung in ihm. "Welcher Stamm hat die Reine auserwählt?"
"Meiner", antwortete der Mann.
"Die Aufforderung, die Reine zu finden, ist eindeutig: Die beste Blutlinie identifizieren. Die stärkste Anwärterin. Die beste und größte Herausforderin für das Ritual zu finden, damit, falls sie siegt, ihr Blut durch unsere Adern fließt. Wurde sie also von eurem Volk als die stärkste unter denen ausgewählt, die ihr in der Menschenwelt finden konntet? Es sei denn, es gab einen anderen Plan, der die Bedingungen des Rituals nicht erfüllte."
Das Gemurmel der Menge wurde lauter. Lucan rührte sich nicht und antwortete nicht gleich, und Elia hatte das Gefühl, dass der ganze Kreis in Erwartung seiner Antwort nach vorne drängte. "Wir haben unser Bestes getan, eine Kandidatin auszuwählen", sagte er schließlich. "Aber sie war noch unerprobt. Ihre Reaktion hier hat bewiesen, dass sie nicht die Königin ist, die wir brauchen."
Alle blickten Reth an.
"Wie praktisch", murmelte er, so leise, dass Elia sich fragte, ob sie die einzige war, die ihn hören konnte. "Das Ritual liegt in den Händen des Schöpfers", sagte er, seine Stimme leise, aber sie trug durch die kalte Nachtluft. "Der Wolfsvater sollte der Barmherzigkeit unserer Königin danken, dass seine Tochter in diesem Moment noch lebt."
Lucan schaute zu der Frau am Boden, und seine Oberlippe kräuselte sich. "Die Menschen haben sie beschämt. Sie hat gekämpft wie ein echter Wolf, und ihre Bemühungen wurden nicht anerkannt – ihr Gegner hielt sie für… unfähig?"
Elia blinzelte. "Was—?"
Reth riss den Kopf zu ihr herum und blickte sie so finster und warnend an, dass sie sofort den Mund hielt. Nach einem unbehaglichen Moment wandte er sich wieder Lucan zu. "Die Reine kennt weder unsere Sitten noch das Ritual. In ihrer Welt ist Barmherzigkeit ein Maßstab des Werts. Sie hielt Lucines Leben für wertvoller als den Sieg für sich selbst. Motive sind wichtig, Lucan." Diese letzte Aussage war so schwer und mit so viel Gift gefüllt, dass Elia sich fragte, was zwischen den beiden Männern stand, auf welche frühere Unterhaltung Reth sich bezog, die Lucan wieder verstummen ließ.
"Die Zukunft der Stämme ist wichtiger", knurrte er, machte einen Schritt auf Reth zu und stand so eindeutig kampfbereit da, dass die Menge zu tuscheln begann, als die beiden Männer sich einen Blickduell lieferten.