"Ich hoffe, dein Vater ist wohlbehalten nach Hause gekommen", sagte der König.
"Ja, ihm geht es gut, Eure Majestät. Vielen Dank für Ihre Fürsorge", antwortete Angelika.
"Siehst du gerne Kämpfen zu?" fragte er, während er sich der Arena zuwandte.
"Ich finde es zu grausam, Eure Majestät."
Er lachte. "Sicherlich sieht das dein Bruder anders."
"Ich finde es großartig, Eure Majestät. Herzlichen Dank, dass Ihr uns eingeladen habt", meldete sich ihr Bruder zu Wort.
Der König lächelte sein gewohnt charmantes Lächeln. Es gab etwas an diesem Lächeln, das es so authentisch erscheinen ließ. Vielleicht war das der Grund, warum ihr Bruder ihn mochte, doch Angelika behielt ihr endgültiges Urteil über ihn für sich.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Veronika und Hilde sie intensiv beobachteten, während sie unter anderen adligen Damen saßen. Sie spürte auch, wie die anderen Damen sie begehrlich beobachteten, wünschend, an ihrer Stelle zu sein. Wenn sie nur wüssten, dass es nicht der ideale Platz war. Wenn der König sie beiseiteschob, nachdem er seine Neugier gestillt hatte, würde sich kein anderer Mann für sie interessieren.
Am liebsten hätte Angelika dem König respektvoll gesagt, dass er ihre Heiratschancen zunichte machte, wenn er nicht daran interessiert war, sie zu heiraten. Doch sie hielt sich zurück, wegen ihres Bruders. Sie musste an ihre eigene Sicherheit denken, denn sie war die Einzige, auf die sich ihr Bruder verlassen konnte, und sie wusste nicht, ob ihre Worte den König beleidigen würden.
Das Turnier begann mit einem Wettkampf zwischen verschiedenen Rittergruppen. Zwei Gruppen, die ihre Dörfer repräsentierten, zogen unter Kriegsrufen vorbei, um ihr Wappen und ihre Rüstungen zur Schau zu stellen. Danach positionierten sich beide Seiten und bereiteten sich auf den Angriff vor. Beim Klang des Horns senkten sie ihre Lanzen und griffen an. Die Ritter, die im Sattel blieben, setzten zum erneuten Angriff an, bis eine Seite als Sieger feststand.
Das Publikum feuerte lautstark die Ritter aus ihrem Dorf oder ihrer Stadt an. Als neue Rittergruppen auf das Feld kamen, um zu kämpfen, applaudierte der König. Angelika musterte sie genau und fragte sich, warum. Eine Gruppe trug das königliche Siegel auf ihrer Rüstung. Sie kamen aus der Stadt des Königs.
Angelika fiel auf, wie mühelos sie die gegnerischen Ritter besiegten. Offensichtlich hatten sie eine besondere Ausbildung genossen.
"Was hältst du davon?" fragte der König und nickte dabei in Richtung des Feldes.
"Sie sind äußerst geschickt, Eure Majestät", sagte Angelika.
Es bereitete ihr ein wenig Freude, obwohl sie jedes Mal zusammenzuckte, wenn jemand vom Pferd geschleudert wurde. Es sah sehr schmerzhaft aus.
"Aber du würdest es deinem Bruder nicht wünschen, nicht wahr?" fügte er hinzu.
Woher wusste er das?
"Ich möchte nicht, dass jemand, der mir wichtig ist, sich für die Unterhaltung anderer verletzt", entgegnete Angelika.
"Gut gesagt", erwiderte er. "Aber ohne Schmerz gibt es keinen Gewinn."
Sie sah, wie ihr Bruder zustimmend neben ihr nickte.
"Eure Majestät, nimmt Lord Rayven teil? Ich kann ihn nicht entdecken", sagte William, während er die Ritter beobachtete.
Auch Angelika suchte ihn unter den Rittern. Sie trugen Helme, die ihre Gesichter verdeckten, aber kein Ritter hatte die imposante Statur von Lord Rayven. Allein hätte er wahrscheinlich alle mit Leichtigkeit besiegt.
"Lord Rayven wird an den Einzelkämpfen und den Schwertkämpfen teilnehmen", antwortete der König.
William wurde sichtlich aufgeregt und wartete gespannt. "Welche Kämpfe magst du am liebsten?" fragte er dann ihren Bruder.
"Mir gefallen die Schwertkämpfe am besten, Eure Majestät."
"Da sind wir schon zwei", schmunzelte der König. "Lord Rayven wird uns sicherlich eine gute Show liefern."
Angelika zweifelte nicht an seinen Worten. Lord Rayven wirkte, als könne er jemanden allein mit seinem Blick töten. Alles an ihm strahlte Gefahr aus. Kein Wunder, dass der König ihn in seiner Nähe behalten wollte.
"Eure Majestät, ist es immer noch unsicher für junge Frauen in unserer Stadt?" fragte Angelika.
Er nickte. "Das ist es leider. Ich rate Ihnen, so viel wie möglich zu Hause zu bleiben."
"Ich habe gehört, das Tier könnte die Frauen töten", sagte sie, um mehr Informationen zu bekommen.
Der König verengte die Augen, während er hinaus auf das Schlachtfeld schaute, anstatt sie anzusehen. "Glauben Sie nicht, dass es ein Tier ist?"
Es schien, als wüsste er von ihren Zweifeln.
"Ich habe so meine Zweifel", antwortete sie.
Er drehte sich mit einem Glitzern in den Augen zu ihr. "Würden Sie diese mit mir teilen?"
"Ein Tier würde seine Opfer nicht nach Alter und Geschlecht auswählen."
Er nickte, "also muss es kein Tier sein, wie manche glauben."
Angelika hatte das Gefühl, dass er mehr wusste, aber sie nur auf die Probe stellen wollte.
"Ich hoffe, unsere Stadt kann bald wieder sicher für alle sein, Eure Majestät."
Eine Ecke seines Mundes hob sich zu einem Raubtierlächeln, als er sich näher zu ihr lehnte. "Niemand ist in dieser Welt sicher", flüsterte er ihr nahe am Ohr, dann zog er sich zurück, um ihr in die Augen zu sehen.
Angelika starrte in seine blauen Augen. Für einen Moment schienen sie silbern zu leuchten, oder täuschten ihre Augen sie?
Plötzlich jubelte die Menge, und Angelika wurde aus ihrer Trance gerissen. Ihr Blick wanderte zum Schlachtfeld, und sie sah, wie Lord Rayven mit einem Schwert in der Hand eintrat. Er trug keine Rüstung und war normal gekleidet. Die Menschen würden denken, er käme nur, um den Kampf zu beobachten, nicht um zu kämpfen. Zumindest bis sie den mörderischen Blick in seinen Augen und die Narben, die eine Seite seines Gesichts bedeckten, bemerkten.
Wer auch immer gegen ihn kämpfen würde, musste eingeschüchtert sein, es sei denn, er war größer und stärker.
William rutschte auf seinem Sitz herum und dehnte seinen Rücken und Hals, um besser sehen zu können. Er war begeistert von diesem Kampf. Angelika hingegen hatte das Gefühl, dass das Zusehen unangenehm werden würde.
Die Menge skandierte nach Blut, als Lord Rayven sich in die Mitte des Feldes stellte. Angelika dachte, der Kampf würde ein leichter Sieg für Lord Rayven sein, bis sein Gegner auftrat.
Ihre Augen weiteten sich vor Schock.
Versuchte der König, seinen eigenen Mann zu töten, oder hatte Lord Rayven einen Todeswunsch?
Der Mann war massiv. Er war noch größer als Lord Rayven, und seine Arme waren dicker als Angelikas Taille. Er trat ein, und seine Schritte schienen den Boden unter seinen Füßen zu zerbrechen. Sein großer, kahler Kopf glänzte in der Sonne und als er knurrte, spürte sie das Vibrieren seiner Stimme in ihrer Brust.
Angelika lehnte sich zurück und beobachtete mit Grauen, was sich auf dem Kampfplatz abspielen würde, während die Menge vor Erregung kaum Blut sehen konnte.
Lord Rayven schien völlig unbeeindruckt. Er wirkte fast gelangweilt, während er darauf wartete, dass der große Mann seine bedrohliche Inszenierung beendete.
"Bist du sicher, dass du das sehen willst?" fragte Angelika ihren Bruder.
"Ja", antwortete er ohne zu zögern.
Angelika atmete tief durch und bereitete sich darauf vor, dieses Mal mehr Blut zu sehen.