"Was ist das?" Su Xiaofei erschrak kurz, als Lu Qingfeng sich ihr gegenüber hinsetzte und einen Blick auf die Schachtel warf, die auf dem Tisch zwischen ihnen stand. Sein Blick verdüsterte sich, als er hineinschaute.
"Feifei... das..."
"Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, um sicherzustellen, dass ich in der Öffentlichkeit nicht in Mitleidenschaft gezogen werde." verteidigte sich Su Xiaofei. "Sag mal, Xiao Feng, hast du Lust, heute Abend etwas Spannendes zu erleben?"
Lu Qingfeng wohnte vorübergehend bei Su's Familie, bis sein Großvater von seiner Geschäftsreise aus dem Ausland zurückkehren würde. Diese Praxis war gewöhnlich im Hause Su, seit sie Kinder waren. Auch Su Xiaofei tat das Gleiche und blieb bei der Familie Lu, wenn ihre Eltern verreist waren und sie nur bei den Hausangestellten war.
Lu Qingfeng warf ihr einen misstrauischen Blick zu und seufzte dann. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass er Su Xiaofeis widerstrebender Komplize wurde. Der Schimmer in Su Xiaofeis Augen verriet ihm, dass später sicherlich jemand Schmerz oder Schmach erfahren würde, und er fragte sich, welcher unglückliche Mensch sie dieses Mal gegen sich aufgebracht hatte.
"Schon gut, aber gib mir nicht die Schuld, wenn Tante Qing uns später erwischt." antwortete er.
"Das wird sie nicht." Su Xiaofei grinste ihn an.
Die Stille danach erinnerte Su Xiaofei an ihr Gespräch von gestern Abend.
"Bist du verärgert, dass ich dich auf unser albernes Versprechen von gestern Abend hingewiesen habe?"
Lu Qingfengs unerwartete Frage veranlasste sie, aufzuschauen und ihn direkt anzusehen.
War sie verärgert? Nein, ganz im Gegenteil: Ihr Gespräch von der vergangenen Nacht hatte wie das fehlende Puzzlestück gewirkt, das ihr einen klareren Einblick in ihr vergangenes Leben verschaffte.
Lu Qingfeng mag es für ein albernes Versprechen halten, doch Su Xiaofei wusste es besser. Sie war sich bewusst, wie ernst er ihre Worte genommen hatte. Andernfalls hätte er in seinem früheren Leben nicht die Dinge getan, die er getan hatte, nur um schließlich mit einem gebrochenen Herzen zu sterben.
"Nein. Warum sollte ich verärgert sein? Ich habe es sogar beinahe vergessen." gestand sie.
"Du wagst es, es zu vergessen?!" Er schnappte nach Luft, als er sie ungläubig ansah.
"Hey, das war nicht absichtlich, okay? Und warum hast du es überhaupt angesprochen?" verteidigte sich Su Xiaofei.
"Gerade weil ich wusste, dass du es vergessen würdest. Du nimmst mir bereits die Möglichkeit, mit anderen Frauen zu flirten, wie kannst du es dann noch wagen, es zu vergessen?"
Su Xiaofei kicherte daraufhin. "Wir waren doch nur Kinder, Xiao Feng."
"Willst du also sagen, dass du jetzt einen Rückzieher machen möchtest? Vergiss nicht, dass du diejenige warst, die es überhaupt vorgeschlagen hat."Lu Qingfengs Tonfall brachte Su Xiaofei beinahe ein schlechtes Gewissen. Es wirkte, als hätte sie ihn gerade mit ihren Worten verletzt.
Damals, als sie ihm dieses Versprechen gegeben hatte, machte es ihr ernsthaft Sorgen, dass sie keiner lieben und heiraten würde, wenn sie erst einmal erwachsen war. Nur ihre Mama, Xiao Feng und Xi Qian waren nett zu ihr, die anderen erschienen ihr gemein.
"Nein, so ist es nicht gemeint. Ich überlege nur, ob wir nicht das Alter von dreiundzwanzig Jahren ändern sollten, bis ich alt genug zum Heiraten bin?"
"Wenn du vorhast, im gleichen Alter wie deine Mutter zu heiraten, vergiss es. Wer weiß, vielleicht hat dir bis dahin jemand anders deinen Platz als meine Braut weggeschnappt." sagte Lu Qingfeng scherzhaft.
"Das macht mir nichts aus." Sie antwortete ehrlich. Sie nahm ihre Teetasse und trank einen Schluck. "Solange du mit ihr glücklich bist, wer wäre ich, dir im Weg zu stehen, eine andere Frau zu heiraten?"
Lu Qingfengs Reaktion entging Su Xiaofei, so dass sie nicht bemerkte, wie sich seine Augen verdunkelten und seine Kiefer sich verhärteten.
"Warum hast du dann gesagt, dass ich dich heiraten soll, sobald du dreiundzwanzig bist?" fragte er.
Su Xiaofei brummte nachdenklich und versuchte sich daran zu erinnern, warum sie beschlossen hatte, mit dreiundzwanzig zu heiraten – ein Alter, das ihr jetzt viel zu jung erschien.
"Mir wurde gesagt, dass ich eine alte Jungfer sein und für den Rest meines Lebens allein bleiben würde, wenn ich fünfundzwanzig werde und immer noch unverheiratet bin. Als Kind nahm ich das natürlich ernst. Jetzt ist es mir egal. Ich bleibe lieber mein Leben lang eine alte Jungfer, als zu heiraten und an der Seite des falschen Menschen zu sein."
"Ich verstehe", hörte sie Lu Qingfeng sagen, doch er vertiefte das Thema nicht weiter. "Und was deine neue 'Jiejie' betrifft..."
"Sie ist nicht meine 'Jiejie'." Su Xiaofei warf ihm einen stechenden Blick zu. "Sie gehört nicht zu dieser Familie."
"Hasst du sie wirklich dermaßen?" Lu Qingfeng fragte interessiert, als er sah, wie verärgert sie auf die Erwähnung von Ye Mingyu reagierte.
"Hassen? Zu sagen, ich hasse sie, wäre noch milde ausgedrückt." Sie kicherte und wandte sich ab, weil sie nicht wollte, dass Lu Qingfeng sah, wie sehr sie die Frau verachtete, die ihr früheres Leben ruiniert hatte.
Eine Versöhnung mit Ye Mingyu war jetzt unmöglich, und Su Xiaofei glaubte nicht, dass eine Krähe über Nacht ihre Farbe ändern würde. Dass Ye Mingyu sie gezwungen hatte, die Rolle der Schurkin zu übernehmen, sie vor allen Leuten schlecht gemacht hatte, während sie ihr heimtückisch alles weggenommen hatte – wie konnte Su Xiaofei Ye Mingyu da einfach so davonkommen lassen?
Egal wie hardnäckig Ye Mingyu in diesem Leben dieselben Tricks und Intrigen anwendete, Su Xiaofei war entschlossen, nicht noch einmal in ihre Falle zu tappen.
"Glaubst du, sie werden zurückkommen?" fragte Lu Qingfeng.
"Ja, das werden sie. Ich glaube nicht, dass sie so leicht aufgeben", lachte Su Xiaofei leise. Wenn sie Ye Mingyu kannte, dann schmiedete sie bereits einen neuen Plan, um Su Haoran dazu zu bringen, ihr und ihrer Mutter einen Gefallen zu tun, auf Kosten von Yun Qingrong.
Aber wie sollte Su Haoran das bewerkstelligen, wenn die Familie Yun mittlerweile über Yun Qingrongs Zustand Bescheid wusste?