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Chapter 10 - Kostbare Naivität

"Raus aus den Federn, Eure Hoheit!" zwitscherte Maisie vergnügt, während sie die Vorhänge aufzog, um die ersten Sonnenstrahlen hereinzulassen. Daphne stieß ein Stöhnen aus, das mehr nach einem Betrunkenen klang, der aus einer Taverne taumelte, als nach einer Prinzessin von würdevollem Anstand.

"Ist es denn wirklich schon Morgen?" murmelte Daphne, richtete sich aber dennoch auf, ihr Haar glich einem verwilderten Vogelnest. Kaum erholt von den gestrigen Ereignissen, wie konnte es nur so kurz darauf wieder Morgen sein?

"Ja!" Maisie strahlte sie an. "Unser Morgen beginnt früh. Möchtest du dich für das Frühstück umziehen? Ich werde auch deine Haare bürsten."

"Ja, bitte", sagte Daphne und setzte sich an den Schminktisch. Maisie nahm eine Bürste und ging mit geschickten Händen und konzentriertem Blick die Knoten im Haar an. Plötzlich überkam Daphne ein seltsames Heimweh; zu Hause hätten ihr die alten Dienerinnen dabei geholfen.

Jetzt befand sie sich jedoch hunderte Meilen von ihrem ursprünglichen Ziel entfernt - ohne vertraute Gesellschaft. Ihre Augen brannten wie auch ihr Herz.

"Eure Hoheit?", Maisie hielt inne, geriet in Panik, als sie Tränen in den Augen ihrer Prinzessin sah. Ach herrje, der König würde ihr den Kopf abreißen! Sie ließ die Bürste fallen und kniete nieder, das Haupt auf den Teppich gesenkt. "Es tut mir leid!"

"Wofür? Du hast nichts falsch gemacht", erwiderte Daphne, trocknete eilig ihre Tränen und half Maisie auf die Füße.

"Ich fühle mich trotzdem schlecht", sagte Maisie, neigte unentwegt ihr Haupt. "Ich weiß, du vermisst dein Zuhause, doch ich kann dich nicht fortlassen! Es tut mir leid!"

"Es ist nicht deine Schuld", entgegnete Daphne.

Die Schuld lag bei einem Mann – und nur bei ihm allein. Was konnten die Diener tun, außer zu gehorchen? Daphne seufzte, vom Leben gezeichnet. Wenn sie fliehen wollte, musste sie geduldig sein. Atticus hatte in der letzten Nacht ihre Ehre nicht befleckt, also konnte sie ihr altes Leben zurückgewinnen, wenn sie floh.

"Bitte, hör auf zu weinen", bat Daphne, als sie bemerkte, dass Maisie nun in ihren Teppich schluchzte. Maisie erwiderte das Flehen mit nassem Schluchzen.

Daphne seufzte. Es war ein wenig wie im Umgang mit ihrer jüngeren Halbschwester Drusilla, die ebenso spontan zu Tränen neigte. Daphne reichte ihr ein Taschentuch, bevor sie sich zum Fenster wandte. Die Fensterscheibe war bereits mit einem dünnen Eisfilm überzogen, und der Boden war in Weiß gehüllt.

Was jedoch herausstach, waren die vielen bunten Zelte, die sich inmitten des Marktplatzes erhoben. Das Schloss lag in einiger Entfernung, doch Daphne konnte die Stadtbewohner, in Pelze gewandet, bei ihrem Tageswerk sehen.

"Maisie, warum sind hier so viele Zelte?"

Maisie putzte sich hastig die Nase und antwortete:

"Eure Hoheit, es ist der Beginn unseres Wintermarkts!" Maisie erhellte sich schlagartig. "Wir bekommen Händler aus dem gesamten Königreich und dem Ausland. Es gibt gutes Essen, Wein und Eistanz! Auch nach der Weihnachtszeit werden sie noch da sein."

"Das klingt nach Spaß", sagte Daphne sehnsüchtig.

Selbst in Reaweth war sie nie auf einem Jahrmarkt gewesen. Sie durfte keine Magie wirken; das Risiko war einfach zu hoch. Ihre Eltern würden es niemals zulassen. Und so konnte sie jedes Jahr nur aus dem Fenster zusehen, wie ihre Geschwister ihre Freizeit draußen genossen. Im Vergleich dazu war Daphne nichts weiter als ein Singvogel in einem goldenen Käfig.

"Das ist es wirklich!" Maisie nickte begeistert. "Prinzessin, du musst mindestens einmal den Markt besuchen!"

Daphne schnaubte undankbar. König Atticus würde sie sicherlich nicht ohne weiteres das Schloss verlassen lassen, um sich umzusehen. Sie hatte zwar noch nie jemanden entführt, aber selbst ihr war klar, dass es absurd wäre, eine Gefangene unbewacht durch die Stadt streifen zu lassen.

"Maisie, ich werde hier festgehalten", erinnerte Daphne sie sanft. "Ich bezweifle, dass der König mich unbegleitet durch das Königreich wandern lassen würde."

"Aber du bist seine Frau. Er wird dich begleiten", entgegnete Maisie naiv. "Warum sollte er dir denn verbieten, hinauszugehen?"

Daphne seufzte. Maisie war so leichtgläubig, dass sie einen leichten Fang für jeden Betrüger darstellen würde. Herr, steh ihr bei. Daphne hatte keine Ahnung, wie Maisie so lange im königlichen Palast überlebt hatte. Schließlich war dies normalerweise wegen all der Intrigen und Betrügereien der gefährlichste Ort.

"Vergiss es, hilf mir einfach, mich anzuziehen."Sie betrachtete das Kleid, das Maisie für sie ausgesucht hatte. Es war ein herrliches, himmelblaues Seidenkleid, jedoch wurde es von einem dunkelblauen Übermantel begleitet, der vermutlich gegen Wind und Kälte schützen sollte.

Gestern Abend war es definitiv nicht in ihrem Kleiderschrank. Sie hatte das Zimmer durchsucht, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, das ihr bei der Flucht helfen könnte, doch sie fand lediglich viele altmodische, kastanienbraune Kleider. Sie sahen aus, als wären sie für ihre Großmutter gemacht.

Absolut entsetzlich.

"Dieses Kleid ..."

"Gefällt es Ihnen nicht?" fragte Maisie sofort entschuldigend. "Ich suche Ihnen ein anderes aus!"

"Das ist nicht nötig. Mich wundert nur, woher es kommt."

"Natürlich vom König!" erwiderte Maisie und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Daphne verschluckte sich. "Er hat sie extra für Sie anfertigen lassen. Er liebt Sie."

Ach wirklich? Daphne runzelte die Stirn. Das machte deutlich, dass er ihre Entführung mindestens seit Monaten geplant hatte. Solche Kleider wurden nicht über Nacht gemacht.

Und 'Liebe'? Daphne verdrehte die Augen, unfähig, ihre Gedanken komplett zu verbergen. Es schien, als wäre Maisie wirklich naiver, als sie wirkte.

Liebe existierte nicht innerhalb der Palastmauern. Das war nicht nur in Vramid der Fall, sondern auch in Reaweth, und wahrscheinlich in jedem Teil dieser gottverlassenen Welt. Menschen heirateten aus politischen und machtvollen Gründen. Nur die Bürgerlichen durften aus Liebe heiraten.

"Ihre Hoheit?" fragte Maisie vorsichtig, da ihr der mörderische Ausdruck auf dem Gesicht der Prinzessin nicht gefiel.

"Ich bin in Ordnung." Daphne verwischte das finstere Gesicht, um Maisie nicht zu verschrecken. Es war nicht Maisies Schuld, dass sie für einen Verrückten arbeitete, der leicht auf seine Lügen hereinfiel.

Doch wenn Atticus erwartete, dass sie sich wie eine seiner Puppen kleidete und alles einfach hinnehmen würde, hatte er sich gründlich getäuscht.

"Maisie, kann ich stattdessen ein Kleid von dir leihen?"

"Aber das ist – Ihre Hoheit! Das können Sie nicht, das dürfen Sie nicht!" Maisie war nahe daran, in Tränen auszubrechen. "Seine Majestät würde wütend werden!"

Sie umschlang ihren eigenen Hals mit den Händen. Daphne war sich nicht sicher, ob Maisie sich schützen wollte oder darstellen sollte, wie es aussehen würde, wenn Atticus herausfände, dass sie Daphne ein Dienstmädchenkleid geliehen hatte.

"Er könnte einfach ..." Sie schluckte.

Daphne konnte nicht anders, als mit den Augen zu rollen.

"Maisie, er wird dich nicht töten", sagte Daphne ernst. "Jetzt beeil dich und bring irgendwas. Irgendetwas."

"Oh ..." Maisie biss sich auf die Lippe. "Also gut, Ihre Hoheit."

Daphne beobachtete, wie das junge Mädchen aus dem Zimmer eilte und kurz darauf mit einem Kleid und ein paar passenden Accessoires in der Hand zurückkehrte. Die Prinzessin betrachtete die schlichte Kleidung, und ihre Augen leuchteten auf.

Ein kühner Gedanke schoss ihr durch den Kopf.

"Maisie", sagte sie, "du bist genial."