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Chapter 7 - Monster können freundlich sein

Ohne Vorwarnung zog Atticus das verkeilte Glas aus Daphnes Fuß.

Ein Schrei entfuhr ihrer Kehle. Der Schmerz war ebenso schlimm wie in dem Moment, als das Glas ihr Fleisch durchschnitten hatte. Als es jedoch so abrupt herausgezogen wurde, brannte die Wunde wie Feuer.

Doch überraschenderweise verschwand der Schmerz ebenso schnell, wie er aufgekommen war. Was einst schmerzhaft war, wurde durch ein kühlendes Gefühl abgelöst. Daphne atmete schnell und flach, während sie auf Atticus sah, der direkt unter ihr kauerte.

Ein König, hoch und mächtig, neigte sich zu ihren Füßen. Er hielt sie sanft mit einer Hand, während die andere leicht über ihre Haut strich. Sie spürte ein leises Prickeln an der verletzten Stelle. Als seine Hand darüberfuhr, fühlte es sich an, als küsse Frost ihre Haut.

Innerhalb von Sekunden beobachtete Daphne, wie sich ihre Haut peu à peu wieder verschloss. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass Atticus seine Magie einsetzte – dieselbe Magie, mit der er jene vier Männer ermordet hatte, heilte nun sie.

Plötzlich war ihr Fuß wieder wie neu. Keine Narbe, kein Schmerz, keine offene Wunde. Nur leichte Rötung vom verbliebenen Blut erinnerte sie daran, dass das Geschehene kein erschreckender Alptraum gewesen war.

"Verbleibt noch Unbehagen?" fragte Atticus und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Daphne kam aus ihrer Trance, blinzelte und der trockene Zustand ihrer Kehle wurde ihr bewusst, als ihr Blick den seinen traf. Er war immer noch auf einem Knie, hielt ihren Knöchel in seiner Hand und schaute zu ihr auf wie ein ergebener Diener zu seiner Göttin.

"Nein", brachte Daphne schließlich hervor. "Mir geht es gut."

Der König nickte und erhob sich zu seiner vollen Größe. Kaum stand er auf, hob er Daphne in seine Arme. Überrascht stieß sie einen kleinen Laut aus und hakte reflexartig ihre Arme um seinen Nacken, während sie versuchte, ihr Gleichgewicht zu wahren. Atticus' leises Lachen war unter ihr zu spüren.

"Lass uns dich in Sicherheit bringen", sagte er und als sie von dem Boden aufblickte, um ihm in die Augen zu schauen, tanzte vergnügte Heiterkeit in seinen Blicken. "Dies ist kein Ort für eine junge Ehefrau. Schon gar nicht wenn du mir gehörst."

Mit großen Schritten durchquerten sie rasch das Zimmer. Daphne konnte sich nicht dazu durchringen, die gefallenen Männer anzuschauen. Sie ahnte, wann sie an ihnen vorbeikamen, und die ganze Zeit hielt sie die Augen geschlossen. Und wenngleich sie sich weigerte zu schauen, wusste sie, dass das Bild ihrer gebrochenen Hälse und verstümmelten Körper sich bereits in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.

Ohne Zweifel würden sie ihr noch lange in Albträumen begegnen.

"Eure Majestät, ist alles in Ordnung?" Plötzlich tauchte ein Mann mit einigen Wachen auf. Er war anders gekleidet, was Daphne vermuten ließ, dass er mehr war als nur ein Ritter, vielleicht jemand im höheren Rang.

"Natürlich konntest du nicht fünfzehn Minuten früher erscheinen, als du tatsächlich nützlich gewesen wärst", murrte Atticus und verdrehte die Augen. "Räumt meinen Raum auf, einige Idioten hatten einen Hinterhalt geplant."

"Habt Ihr…"

"Anders als manche", sagte Atticus mit einem kritischen Blick, "kann ich eine Aufgabe schnell und effizient erledigen. Mach etwas Nützliches, Jonah, und finde jemanden, der den Raum säubert. Ich will nicht, dass das Blut meine Teppiche verunreinigt."

"Im Ernst?" seufzte der Mann, Jonah. Er fuhr sich mit einer Hand über den Hinterkopf.

"Die wurden importiert", merkte Atticus hochmütig an. "Trödelst du, wirst du sie selbst scheuern müssen."

"Wie furchtbar", erwiderte Jonah gelangweilt, offensichtlich unbeeindruckt von Atticus' Worten. "Prinzessin Daphne, bitte bringen Sie Ihrem Gemahl bei, weniger tyrannisch zu sein. Teppichschrubben liegt mir nicht."'Daphne hob überrascht die Augenbrauen. Dieser Mann schien keinerlei Furcht vor König Atticus zu hegen! Sie warf ihm einen genaueren Blick zu.

Es war nicht von der Hand zu weisen. Jonah war durchaus attraktiv und seine Augen verrieten einen humorvollen Glanz.

Daphne musterte ihn kurz. Ungeordnetes goldenes Haar, waldgrüne Augen und ein Lächeln, das sie an einen Golden Retriever erinnerte.

Doch sein müheloses Herantreten an den tyrannischen König des Nordens war mehr als genug Beweis für seine Stärke. Nur weil er harmlos wirkte, bedeutete das noch lange nicht, dass er es auch war. Immerhin könnte sich kein zerbrechlicher Gutmensch so unbeschwert mit den Ungeheuern anfreunden, die Eltern ihren Kindern in Geschichten näherbrachten.

Er schenkte ihr ein Lächeln mit Grübchen, fast als ob er sie in einen privaten Scherz einweihen wollte. Der Mann strahlte eine jugendliche Fröhlichkeit aus.

Wenn König Atticus die Strenge des Winters verkörperte, dann war dieser Mann die Wärme des Sommers. Je länger sie ihn ansah, desto mehr entspannte sie sich.

Erst dann fiel ihr auf, dass sie immer noch in den Armen von König Atticus lag, und sie signalisierte ihm eilig, sie niederzusetzen. Es war ihr peinlich, einen neuen Menschen in dieser Weise zu begrüßen, als wäre sie ein Baby in seinen Armen.

"Ich kann gehen," stellte Daphne klar, bevor sie sich dem Fremden zuwandte. "Ich bin Prinzessin Daphne Molinero von Reaweth. Darf ich nach Eurem Namen fragen?"

"Die Ehre ist ganz meinerseits," erwiderte der Mann und verneigte sich, wobei seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. "Ich bin Jonah Raycott, Anführer der Königsgarde und ein alter Freund Eures neuen Gatten. Nehmt Euch seiner bitte an, er neigt dazu, rasch mürrisch zu werden - wie ein kleines Kind."

"Welch Wächter du doch bist." Atticus runzelte die Stirn. "Ich werde nicht 'rasch' mürrisch oder schlecht gelaunt. Du Lügner."

Dass seine neue Gemahlin binnen weniger Minuten für Jonah ein Herz zu fassen schien, irritierte ihn. Es war immer so gewesen, schon als sie Kinder waren – Atticus verärgerte mit Leichtigkeit die Leute, während Jonah das Gemüt gekränkter Seelen besänftigte.

"Soll ich deiner neuen Frau von all deinen törichten Eskapaden erzählen?" drohte Jonah. "Denn das werde ich tun, solltest du mich auch nur einen Teppich schrubben lassen."

"Den König zu erpressen gilt als Hochverrat. Ich lasse dich in die Kerker werfen."

"Dann wirst du auch in den Kerker wandern, um dir meinen Bericht für heute Abend anzuhören", erwiderte Jonah gelassen. "Was wird deine neue Frau denken? Ihr Gatte verbringt eine Nacht in einer kalten, finsteren Zelle, nur in Gesellschaft eines anderen Mannes."

Daphne kicherte amüsiert. Atticus bemerkte das kurze Zucken ihrer Lippen und zeigte sich noch verärgerter.

"Verzieh dich einfach, du Dummkopf." Atticus war ein König; er durfte – konnte – nicht jammern, aber seinen Worten lag ein kindlicher Trotz inne.

Es war ein so alltägliches Gefühl, dass Daphne in Erstaunen blinzelte. Die ganze Zeit über hatte sich Atticus wie ein intelligentes, tödliches Ungeheuer verhalten, doch in diesem Moment war er nur ein Mann, der von seinem besten Freund aufgezogen wurde.

Ein merkwürdiges Gefühl regte sich in Daphnes Herzen.

Der besagte beste Freund grüßte ihn mit einer Zweifinger-Geste und verneigte sich dann tief vor Daphne. "Es war mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen, Prinzessin Daphne. Erholt Euch gut. Ich überlasse ihn Eurer fürsorglichen Obhut."

Und dann waren sie allein.