Chapter 49 - Drohendes Unheil

Aaron seufzte, legte die Hand an die Stirn und sagte: "Muss man das überhaupt fragen? Ariel hat mir erzählt, dass du aus dem dritten Stock des Krankenhauses geflüchtet bist. Ob sie mir nun den genauen Hintergrund erzählt hat oder nicht, ist mir klar, dass du etwas Außergewöhnliches getan haben musst."

Er sah Ari an, die ihn verwirrt zurückblickte: "Ich habe mir Sorgen gemacht, Ari."

Ari warf einen Blick auf den Kalender an der Wand, bevor sie sich wieder Aaron zuwandte und bemerkte: "Heute ist kein erster April."

"Du denkst, ich mache Witze?" fragte Aaron mit einem verärgerten Gesichtsausdruck. Gott wusste, wie sehr ihn die Nachricht beunruhigt hatte, dass Ari aus dem Krankenhaus entkommen war - und das trotz der zwei am Eingang postierten Wächter. Ariel hatte zwar versucht, die ganze Angelegenheit herunterzuspielen, aber Aaron war sich bewusst, dass seine jüngste Schwester ein unnötiges Risiko eingegangen war.

Drei Tage lang konnte er kaum etwas essen oder trinken. Seine ganze Sorge galt nur dem Auffinden von Ari. Es war ein Glücksfall, dass er - anders als Noah und der Rest seiner Familie - seiner Schwester genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte und ihre Freunde und Kollegen kannte. Andernfalls würde er nun wie Noah verschiedene Hotels abklappern in der Hoffnung, sie könnte in einem davon untergekommen sein.

"Könntest du dir selbst vertrauen, wenn du in meiner Lage wärst?" fragte Ari Aaron, der sie anstarrte, bevor er mit der Handfläche über die Augen fuhr.

"Schon in Ordnung", seufzte er und ließ die Hand wieder sinken. Er sah Ari an, die sein Verhalten wohl verwirrte. "Solange es dir gut geht, spielt der Rest keine Rolle."

Tatsächlich wusste Aaron auch nicht, wie er mit Ari umgehen sollte. Als er jung war, nannte seine Mutter Ari oft eine Pechvogel und ein Unglückskind. Seine ältere Schwester sagte das Gleiche, und deshalb behandelte er Ari genauso wie seine Mutter und seine ältere Schwester.

Aber als er heranwuchs, erkannte er, dass die Art, wie seine Familie Ari behandelte, nicht in Ordnung war. Jedoch war es für Aaron zu spät, die Beziehung zwischen ihm und Ari zu reparieren. Ein paar Mal versuchte er, seiner Mutter zu erklären, dass alles, was in der Vergangenheit passiert war, nichts mit Ari zu tun hatte, doch seine Mutter schalt ihn.

Sie tadelt ihn dafür, dass er sich anmaßte, es besser zu wissen als sie, und wies ihn an, Ari keine Beachtung zu schenken. Würde er Ari besser behandeln, würde seine ältere Schwester noch mehr Probleme verursachen und seine Mutter Ari noch mehr als sonst schelten.

Da Aaron es nicht ertragen konnte, wie offen seine Mutter und Ariel Ari beschimpften, verließ er das Haus bereits mit neunzehn. Seitdem hatte er kaum einen Fuß in dieses Haus gesetzt, das toxischer war als die Beziehung, in der er sich drei Jahre zuvor befunden hatte.

Er zog es vor, unbehelligt von seiner Familie zu bleiben, nahm eine kleine Wohnung zur Miete und lebte dort. Doch als er eines Tages einen Anruf von Ariel bekam, die offensichtlich Schadenfreude empfand, wusste Aaron, dass etwas nicht stimmte. Und als seine ältere Schwester zu sprechen began, wurde ihm klar, dass sie Ari wieder einmal in ein Desaster gestürzt hatte.Ari wartete darauf, dass Aaron noch etwas sagte, doch als er schwieg, runzelte sie unwillkürlich die Stirn. War er nur deswegen hierhergekommen? Ari vertraute Aaron natürlich nicht, denn bisher hatten er und Ariel sich immer gegen sie verbündet. Also kam es ihr absurd vor, dass Aaron ihr nun sagte, er mache sich Sorgen um sie – es wäre genauso unglaubwürdig, wenn Noah ihr gestehen würde, dass er in sie verliebt sei.

"Wenn das alles war, was du mir sagen wolltest, dann ist es jetzt wohl Zeit für dich zu gehen", sagte Ari zu Aaron. Sie wusste, dass sie unhöflich klang, aber sie konnte der Harlow-Familie einfach nicht trauen. Und wie auch? Niemand von ihnen hatte je für sie Partei ergriffen. Zwar hatte Aaron ihr nie direkt etwas getan, aber wirklich geholfen hatte er ihr eben auch nicht.

Aaron war sprachlos angesichts von Aris Gleichgültigkeit ihm gegenüber. Aber wenn er darüber nachdachte, war ihre Reaktion verständlich – er hatte sie doch wirklich gemeinsam mit Ariel und seiner Mutter schikaniert. Hinzu kam, dass er ihr nie seine Hand gereicht hatte. Seufzend fasste er sich an die Nasenwurzel und sagte: "Mamas Geburtstag ist in drei Tagen... und sie möchte, dass du dabei bist."

Mutter Harlows Worte waren tatsächlich viel schärfer gewesen, als Aaron sie an Ari weitergab. Sie hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass Ari besser den Rest ihres Lebens in Verborgenheit leben sollte, sollte sie es wagen, den Geburtstag zu missachten – denn wenn sie jemals wieder vor ihr erscheinen würde...

Dann würde Mutter Harlow sie so zur Schnecke machen, dass Ari es sich zweimal überlegen würde, ihre Mutter jemals wieder zu ignorieren.

Ari presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, als sie Aarons Worte hörte. Sie war sich sicher, dass er ihr nicht die ganze Geschichte erzählte. Bei Mutter Harlows Temperament musste sie noch etwas viel Schärferes gesagt haben.

"Ich verstehe. Ich werde sehen, was ich machen kann", antwortete Ari, während ihr Bruder sie ansah. Er öffnete seinen Mund, wollte etwas sagen, schüttelte dann aber den Kopf und schluckte die Worte herunter.

Aaron griff in die Tasche seiner Hose, zog zwei Hundert-Dollar-Scheine heraus und reichte sie Ari. "Hier, nimm das", sagte er. "Ich weiß, dass du in einer schwierigen Lage bist. Nutze dieses Geld, sobald deine Ersparnisse aufgebraucht sind."

Er wusste, dass ein Großteil von Aris Geld von Mutter und Vater Harlow konfisziert worden war. Obwohl sie ein Zweitkonto besaß, konnte Ari sich darauf nicht viel zurücklegen, denn Mutter Harlow machte immer Theater, wenn der Betrag auf dem Hauptkonto niedriger war, als sie es erwartete.

"Ich will nicht——" Ari setzte an, um ihn abzuweisen, doch Aaron hörte nicht zu und eilte an ihr vorbei. Er verließ die Wohnung in einer solchen Eile, als ob ihn ein Dämon verfolgen würde.

Ari: ???

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